19
Ich riss meinen Kopf hoch, die Haare hingen mir im Gesicht und ich war noch im Halbschlaf, doch ich wollte einfach nur, dass dieses Geräusch aufhörte. Es vibrierte und dazu diese unfassbar nervtötende Melodie!
Ich packte mein Telefon, als würde ich es am liebsten in Stücke reißen, nahm den Anruf an und atmete tief durch, als es endlich aufhörte zu klingeln. Völlig verpennt hob ich das Handy aus Ohr und fragte mit einer verschlafenen Stimme "Hallo?".
"Kairi? Ich bin es, Jongin. Kannst du vorbei kommen?"
"Was?"
"Kannst du kommen?"
"Wohin denn?"
"Zum Hauptsitz von SM Entertainment."
"Aber- Wie spät ist es?!"
"Acht."
Ich riss die Augen auf und richtete mich im Bett auf. Schon so spät? Mein Zug war schon längst gefahren, ich würde viel zu spät zur Arbeit kommen. Halt, Stop! Das hier war meine Arbeit: Den Jungs einen guten Aufenthalt zu gewähren. Und ich hatte sie eindeutig vernachlässigt, sonst würde mein Kunde mich nicht gerade anrufen!
Die letzten zwei Wochen waren erstaunlich schnell gegangen und irgendwie hatte es sich so entwickelt, dass ich mittlerweile jeden Tag bei EXO vorbeischaute. Ob ich kleine Dinge besorgte oder größere Sachen plante, eigentlich bräuchten sie ständig irgendetwas. Besonders mit Chanyeol und Jondae hatte ich viel Zeit verbracht, die anderen waren entweder nicht so kommunikativ oder waren eher in ihren Zimmern oder im hinteren Teil des Hauses, wo ich nie ohne Grund hin ging. Gerade durch mein ständiges Kommen hatte ich die Jungen in kürzester Zeit verdammt gut kennen gelernt, Namen waren kein Problem mehr für mich.
"Ich hab verschlafen..."
"Das höre ich", sagte er und ich hörte ein warmes Lachen auf der anderen Seite der Leitung.
"Ich kann in ungefähr zehn Minuten ein Taxi nehmen, aber das wird einen Moment dauern, bis ich da bin. Wegen dem Verkehr."
"Schon gut, wir werden ja noch ein bisschen hier bleiben."
"Worum geht es denn?", fragte ich und strich mir die völlig verwuschelten Haare aus dem Gesicht.
"Das wirst du sehen. Zieh dir irgendwas seriöses an, okay? Bis gleich."
"Aber-"
Dann hatte er schon aufgelegt. Mein Gehirn hatte noch nicht ganz realisiert, dass ich eigentlich aufspringen und mich fertig machen sollte, stattdessen saß ich einfach nur verwirrt da und hielt meinen Kopf in den Händen. Wieso hatte der Wecker eigentlich nicht geklingelt? Ich hatte in den letzten sechs Monaten nicht einmal verschlafen!
Irgendwann rappelte ich mich auf, schlüpfte aus der Jogginghose und dem T-Shirt und ersetzte das Ganze durch eine weiße Bluse, einen engen Rock, Strumpfhose und hochhackige Schuhe. Die Haare band ich mir streng zurück und ich tupfte noch schnell etwas Make-up auf meine Augenringe, damit man mir nicht ansah, wie fertig ich mit der Welt war.
Als ich aus dem Zimmer heraus kam, stand Jiho bereits in der Küche und machte den Abwasch von heute Morgen. Er schaute mehr als verwundert, als ich mit Tippelschritten aus meinem Zimmer gehetzt kam.
"Was machst du denn noch hier? Solltest du nicht schon längst los sein?"
"Hab verschlafen! Wollen mich sehen! SM Entertainment", japste ich, drückte ihm schnell einen Kuss auf die Wange und riss die Kühlschranktür auf um nach etwas Essbaren für mein Frühstück im Taxi zu suchen.
"Du willst zum Sitz von SM Entertainment?", fragte eine Stimme hinter mir und ich drehte mich verwundert um.
Ein groß gewachsener Junge stand in der Tür und hielt einen dampfenden Kaffee in den Händen. Ich musterte ihn, doch er kam mir nicht bekannt vor und so blickte ich Jiho fragend an.
"Das ist Rhee Kien, ein alter Freund von mir. Ich kenne ihn noch aus der Zeit, als ich die Ausbildung zum Koch gemacht habe", stellte mein Bruder mir den Fremden vor und sofort verbeugte ich mich.
"Schön dich kennenzulernen", sagte ich sehr höflich und erntete ein Lächeln.
"Ich bin nicht so viel älter als du, sprich einfach ganz normal mit mir", meinte er und verbeugte sich ebenfalls, bevor an seinem Kaffee nippte.
"Was ich jedenfalls eben meinte ist, dass ich auch in die Ecke muss. Meine Schwester arbeitet in einem Café, dass keinen Block weiter liegt. Soll ich dich mitnehmen?"
"Du hast ein Auto?", fragte ich und wahrscheinlich glänzten meine Augen vor Freude auf eine mögliche Mitfahrgelegenheit.
"Ja, ich bin einer dieser Wahnsinnigen, die in Seoul ein Auto haben", antwortete er und grinste.
"Das wäre toll. Ich müsste erstmal warten, bis das Taxi da ist und dann nehmen die meistens nicht die schnellste Route."
"Ich kenne das, deswegen biete ich es ja auch an."
Er schenkte mir ein Lächeln und Jiho räusperte sich und warf ihm böse Blicke zu.
"Hör auf mit meiner Schwester zu flirten, Kien", meinte er leise, doch ich hörte es trotzdem.
Schnell drehte ich mich wieder zum Kühlschrank, schnappte mir noch schnell einen Apfel aus der Obstschale und tat so, als würde ich von den warnenden Worten meines Bruders nichts mitbekommen, während meine Wangen sich heimlich rot verfärbten.
"Wollen wir dann schnell los?", fragte er.
"Sehr gerne, ich hab es leider sehr eilig."
Ich küsste Jiho erneut auf die Wange und war dankbar einen so tollen großen Bruder wie ihn zu haben. Kien trank schnell seinen Kaffee aus, klopfte meinem Bruder noch einmal auf die Schulter und suchte sich seine Sachen zusammen. Als er mit den Autoschlüsseln klimperte, verließen wir das Apartment und er führte mich zu seinem kleinen, sportlichen Wagen.
"Du bist also auch Koch?"
"Ja, ich arbeite in einem Hotel und bekoche dort die Gäste."
Er startete den Wagen und ich war niemals zuvor so froh über eine Mitfahrgelegenheit gewesen. Dabei schaute ich immer wieder nieder auf mein Telefon um zu schauen, ob mir Jongin oder Jondae schreiben würde.
Auch wenn Jondae noch am ersten Abend mit mir geschrieben hatte, hatte Jongin Recht behalten mit seiner Aussage, dass sein Bandkollegen nicht viel am Handy war. Meisten schickte Jongdae abends noch ein Bild von ihm und den anderen Mitglieder oder wie sie zusammen beim Fernsehen saßen, längere Gespräche blieben leider aus. Dagegen schien Jongin sich mehr zu bemühen: Sobald ich Zuhause war, fand ich meistens eine neue Nachricht in seinem Chat und es gefiel mir über völlig belangloses Zeug mit ihm zu reden. Er war ein guter Gesprächspartner, doch wenn ich persönlich bei ihnen vorbeischaute, war er sehr still und zurückhaltend. Das waren dann eher die Momente, wo Chanyeol und Jondae sich mit mir beschäftigten.
"Und was suchst du bei SM Entertainment?"
"Ich muss dort hin wegen meiner Arbeit?"
"Das macht mich jetzt neugierig. Jiho hat nie von deinem Beruf erzählt."
"Ich arbeite in einer Agentur, bei der wir sehr viel mit berühmten Persönlichkeiten zutun haben. Verzeihung, dass ich dir nicht mehr darüber erzählen darf."
Er lachte.
"Klingt interessant und das macht auf jeden Fall neugierig. Also bist du total in dieser KPop Szene drin? Ich kann stolz sagen, dass ich mal für SHINee gekocht habe. Auch wenn ich sie leider nicht persönlich kennen lernen durfte..."
"Nein, eigentlich kenne ich mich echt wenig damit aus."
Wir schwiegen einen Moment und ich rief immer wieder die Chats von den Jungen auf. Warum sollte ich ausgerechnet zum Hauptsitz von SM Entertainment kommen? Die letzten zwei Wochen hatte ich die Gruppe nie außerhalb des Hauses gesehen, immer nur in ihren eigenen vier Wänden. Ich wusste gar nicht, dass sie noch immer in der Zentrale antanzen mussten, wo sie gerade die meisten Interviews und Fotoshootings hinter sich gebracht hatten.
Mein Handy klingelte und blitzschnell hatte ich auf den grünen Hörer gedrückt um das Gespräch anzunehmen.
"Jongin?"
"Nein, hier ist Jia."
"Oh, tut mir Leid. Ich hatte auf einen Anruf gewartet."
"Das versuche ich jetzt mal nicht persönlich zu nehmen! Die letzten Wochen habe ich dich irgendwie kaum zu Gesicht bekommen, was ist da los?"
"Tut mir echt Leid, Jia. Es ist ein bisschen als wären sie kleine Kinder und ich die Nanny, die auf sie aufpassen muss... Ständig soll ich kommen und irgendwelche Sachen regeln."
"Und dabei vergisst du vollkommen deine beste Freundin!"
"Ja..."
"Lass uns das nachholen! Heute ist Freitag, wir könnten heute Abend etwas unternehmen."
"Unternehmen?"
"Du weißt schon: Ausgehen, Party machen, Spaß haben."
"Ich muss mal sehen. Sie hatten mich eigentlich gebeten heute Abend noch mal vorbeizukommen."
"Nein, Kairi! Du sagst ab und gehst mit mir unter Menschen. Kann ja nicht angehen, dass EXO deine einzigen sozialen Kontakte sind!"
"Ich kann dich nicht einfach so absagen..."
"Dann nimm mich mit!"
Ich schwieg und biss mir auf die Lippe.
"Ich würde und das weißt du. Ich kann aber nicht."
Sie störte genervt auf und ich warf einen Blick auf Kien, der konzentriert auf die Straße blickte und so tat als würde er mein Gespräch nicht hören.
"Ich rufe dich später nochmal an, okay?"
"Wehe, du sagst wegen denen ab! Du hast auch noch ein Privatleben, meine Liebe."
"Ist ja gut. Hab dich lieb, bis später."
"Bye."
Ich legte auf und wollte gerade wieder das Gespräch beginnen, als mir die Worte im Hals stecken blieben und ich den Chat mit der neuangekommenen Nachricht öffnete, die ich wohl während des Telefonats bekommen hatte.
"Viel Stress?", fragte der Freund meines Bruders.
"Mhmm", antwortete ich und las die neue Nachricht.
'Bist du schon auf dem Weg?', hatten sowohl Jongin als auch Jongdae geschrieben.
'Bald da!', schrieb ich an beide zurück.
Jongin schickte mir ein 'Sehr gut', während Jongdae mit einem weiteren Bild antwortete, auf dem Baekhyun und Chanyeol auf dem Boden lagen und miteinander rangelten.
'Was treiben die denn schon wieder?', fragte ich und konnte bei diesem Anblick das Lächeln nicht verhindern.
'Wer weiß das schon? Sie können nicht mit und nicht ohne einander.'
Fünf Minuten später bogen Kien und ich in die richtige Straße ein und wir parkten einen Block von meinem Ziel entfernt. Dass wir überhaupt einen Parkplatz gefunden hatten, war bereits ein Wunder, denn Seoul war einfach immer voll.
"Da sind wir", meinte er und stellte den Motor aus.
"Danke fürs Mitnehmen! Du hast mir wirklich das Leben gerettet", antwortete ich und strahlte ihn an.
Er wartete einen kurzen Moment, bis er sich die Frage zu trauen schien, mich zumindest riss es völlig aus der Bahn.
"Hast du Lust mal mit mir auszugehen?"
Verwundert starrte ich ihn an. Das hatte ich jetzt definitiv nicht erwartet.
"Ich habe im Moment sehr viel Stress mit der Arbeit..."
"Ja, ich verstehe schon. Ist schon gut, ich kenne das."
Plötzlich war es mir peinlich und ich wollte nur noch schnell aus dem Auto raus um ihm nicht mehr in die Augen schauen zu müssen. Das sollte auf gar keinen Fall falsch klingen, denn Kien schien mir sehr sympathisch und er war auch sehr attraktiv, aber wie sollte ich denn das noch unterbringen? Es war wie ein Schuttmechanismus,,ihm sofort eine Absage zu geben. Dann würde ich niemanden enttäuschen.
"Danke nochmal", sagte ich kleinlaut.
Er hielt das Lächeln aufrecht, auch wenn es plötzlich etwas gezwungen wirkte. Somit packte ich schnell meine Jacke und die Tasche, öffnete die Autotür und hüpfte hinaus auf den Gehweg. Es war erstaunlich warm heute und so klemmte ich mir den Mantel nur unter den Arm und zog ihn nicht über. Schnell winkte ich dem jungen Mann nochmal, bevor ich versuchte halbwegs elegant auf den hohen Schuhen zu meinem Zielort zu gehen.
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