Kapitel 61
Wolf's Sicht
Präzise und voller Aggression, Wut und Enttäuschung, knallen meine Fäuste gegen den Boxsack, krampfhaft versuchend den Schmerz tief in meiner Brust zu betäuben, aber es ist dieses Mal um einiges schwerer.
Ob ich übertreibe?
Vielleicht ein bisschen.
Ob es mich interessiert?
Kein Stück.
Sie hat mich verraten und das kann, will und werde ich nicht einfach so hinnehmen.
Die Wunde ist einfach zu tief.
Natürlich weiß ich, dass sie zurzeit sehr empfindlich ist, aber sobald Verrat ins Spiel kommt, ist mir alles egal.
Ich liebe Aaliyah und ich denke überhaupt nicht daran, sie gehen zu lassen, aber ich muss erstmal alles sammeln, bevor ich sie wiedersehe.
Seit fast vier Stunden mache ich nun schon Sport, aber es hilft nichts.
Ständig denke ich an ihre Tränen und die Art, wie zerbrochen sie aussah, als ich sie darum bat, mein Shirt auszuziehen.
Vielleicht war das zu viel, aber sie in jenem Moment in meinen Klamotten zu sehen, hat mir einfach nicht gut getan.
Natürlich glaube ich ihr, dass zwischen ihr und diesem Wichser nichts gelaufen ist, aber Bilder aller Art von ihr und ihm sind bereits in meinem Kopf angekommen und nur sehr schwer habe ich sie da wieder herausbekommen.
Die Versuchung wieder nach einer Flasche zu greifen ist groß, doch der Gedanke an Ani und Mini-Me hält mich davon ab, wieder so zu werden wie früher.
Es ist krank und unglaublich, dass ich vor Aaliyah sechs ganze Monate clean war und in drei Wochen mehr getrunken habe, als in drei ganzen Jahren.
Nach viel zu langen Stunden des Trainings, dusche ich auch noch fast zwanzig Minuten, bevor ich mich in mein Auto setze und mit einem einigermaßen ruhigen Kopf auf den Weg zu Aaliyah mache.
Meine Wut gilt ja eigentlich nicht ihr, sondern diesem Wichser, der trotz all meiner Warnungen immer noch Kontakt zu meiner Freundin aufzubauen versucht.
Ich hätte ihn einfach von der Treppe schubsen sollen, damit er sich das Genick bricht, dann würde mein Mädchen jetzt in meinen Armen liegen, anstatt weinend unter der Dusche.
Als ich an der Tür klingle, rast mein Herz und ein ungutes Gefühl erfüllt meine Brust.
Plötzliche Sorge und ein schlechtes Gewissen lassen mich leicht in Panik ausbrechen und als auch nach zehn Minuten keiner die Tür öffnet, schrillen bei mir alle meine Alarmglocken.
Meine Finger zittern, als ich Aaliyah's Nummer wähle und mir das Handy ans Ohr halte und ich habe das Gefühl vor Ungewissheit auf den Boden zu kotzen.
Hunderte von schrecklichen Szenarien spielen sich gerade vor meinem inneren Auge ab und ich kann kaum atmen.
"Hi, Wolf.", als die Stimme von Kian bei mir ankommt, fasse ich mir kurz an die Brust, um den Schrei meines Herzens zu stillen.
Wenn Aaliyah etwas zugestoßen ist, nachdem sie gegangen ist, dann werde ich mich verprügeln lassen. Mit einem Ziegelstein.
"Sag es nicht, Kian.", sage ich schluckend, greife angespannt mit zitternden Fingern nach meinen Autoschlüsseln, während ich krampfhaft versuche die Tür zu öffnen.
"Sie wollte nicht, dass ich dich anrufe, deswegen habe ich auf deinen Anruf gewartet. Ihr Auto ist zwar total zerstört, aber zum Glück hat sie nur ein par Prellungen, eine Gehirnerschütterung und ein paar Wunden im Gesicht.", erklärt der Junge mir, hat wahrscheinlich keine Ahnung, wie vielen Tränen bereits den Weg über meine Wange auf den Boden gefunden haben.
"Wann ist es passiert?", frage ich schluchzend, mit einer so rauen Stimme, das nicht Mal ich selbst sie wieder erkenne, starte den Motor meines Wagens und fahre sofort los.
"Vor knapp vier Stunden. Sie liegt im zweiten Stock in Zimmer 004. Wolf, ich weiß nicht, was zwischen euch vorgefallen ist, aber - sie braucht dich jetzt. Wenn du nicht vorhast zu kommen, werde ich ihr nichts von diesem Anruf erzählen, es ist deine Entscheidung.", antwortet Kian nur und kurz darauf ist der Kontakt sowieso schon abgebrochen.
In meinem Kopf rasen alle Gedanken und das Gefühl von Angst, Sorge und Reue setzt meinen ganzen Körper unter Strom.
Ich habe keine Ahnung, wie ich im Krankenhaus ankomme.
Weniger als zehn Minuten habe ich gebraucht, um herzufahren und ich bin mir nicht sicher, aber ich habe so das Gefühl, dass mir demnächst mein Führerschein abgenommen wird.
Doch auch das ist mir total egal, alles woran ich denken kann, ist meine kleine Elfe.
Das Ausmaß an Hass, das ich gegen mich selbst empfinde, weil ich der Grund für diesen Unfall bin, ist überdimensional und beinahe schon abartig.
Während ich mit dem Aufzug in den zweiten Stock hochfahre, lasse ich alle meine Worte nochmal Revue passieren und am liebsten würde ich mich erstechen.
Es ist doch einfach nur krank, wie sehr Wut einen Menschen beeinflussen kann.
Jetzt bereue ich jeden einzelnen Buchstaben, aber der Schaden ist bereits angerichtet.
Als sich die Aufzugtüren öffnen, erblicke ich bereits die Gestalt von Kian, doch neben steht noch jemand, den ich nicht erkenne, weil er mit dem Rücken zu mir gerichtet ist.
"Ist sie da drinnen?", frage ich schnaufend, wische mir die letzten Tränen aus dem Gesicht und gucke Kian an.
Der plötzliche Schlag gegen mein Kinn kommt wie aus dem Nichts und noch benebelter als vorher starre ich um mich, nur um dort die hässliche Visage von Rowan zu erblicken.
"Du hättet sie fast umgebracht, du ekelhafter Psychopath!", schreit der Junge, den ich mehr hasse als meinen Vater, mich an.
"Für dich habe ich keine Zeit, du dreckiges Stück Abschaum.", fauche ich nur, schubse ihn zur Seite und öffne dann die Tür zum Krankenzimmer.
Mit einem dichten Tränenschleier vor den Augen lasse ich meinen Blick zu meiner kleinen Elfe gleiten, die plötzlich noch verletzlicher aussieht als sowieso schon.
Mein Herz bricht mehrere Mal, sodass ich das Blut in meinen Ohren rauschen höre, denn je länger ich sie anstarre, desto mehr will ich sterben.
Genau so schön wie immer guckt sie mich an, scheint mehr als glücklich, mich hier zu sehen, während ich mich selbst bis ins letzte Verfluche.
Ihre Stirn wird von einem kleinen Pflaster beschmückt, während ihre linke Hand in einen Verband gehüllt ist und an ihrer rechten Hand ein Schlauch zu der Infusion neben ihr führt.
Vorsichtig gehe ich auf sie zu, setze mich aufs Bett und ohne weiter nachzudenken, schiebe ich meinen Stolz Kilometer weit hinter mich, bevor ich schluchzend um ihren Hals falle.
Die Erlösung die mich erfüllt, als sie endlich wieder in meinen Armen ist und ihr Geruch meine Nase erreicht, ist unbeschreiblich und zugleich auch schockierend.
"Es tut mir so leid.", weine ich in ihre Halskuhle, streichle ihren Rücken und drücke sie fester an mich.
Aaliyah legt ihre Hand in meine Haare und massiert meine Kopfhaut, um mich zu beruhigen, doch sie schafft es nicht.
Ich weine und weine, ohne Hemmungen, so als hätte ich letzte Woche nicht alle meine Tränen aufgebraucht.
Der Schock sitzt tief, dementsprechend ist es hart für mich, wieder alles zusammenzusammeln.
Gefühlte Stunden vergehen in ihren Armen, doch als ich den Kopf hebe, sind nur zehn Minuten vorbeigegangen.
Ihre Augen leuchten und ich erkenne viel zu gut, wie sehr sie mit mir leidet, überhaupt nicht abwertend oder sonst irgendwie erniedrigend.
Ich streiche ihr die Haare aus dem Gesicht, bevor ich einfach meine Lippen mit ihren vereine, um ihren Geschmack wieder aufzunehmen.
Meine Tränen mischen sich in unseren leidenschaftlichen Kuss und allein schon an der Art, wie süchtig Aaliyah sich gegen mich presst, verstehe ich, wie sehr sie mich immer noch will; und ich bin der glücklichste Mensch deswegen.
Immer wieder saugt sie an meiner Zunge, beißt in meine Unterlippe, stöhnt in meinen Mund. Sie gehört immer noch mir und jetzt interessiert es mich wirklich nicht, wer ihr was schreibt, solange sie mich immer weiterhin so küsst.
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