Etwas lauter als leise

Etwas lauter als leise

Zuerst dachte er, er wäre wieder auf dem Weg zu seiner Wohnung. Dann aber bog sie in die entgegengesetzte Richtung ab. Inzwischen liefen sie wieder nebeneinander. An der Straße bemerkte er, wie sie sich immer wieder umsah, um auch ja kein Fahrzeug zu übersehen. Doch je weiter sie sich ihrer Wohnung näherten, wurden die Straßen schmaler und führten sie von der viel befahrenen Hauptstraße weg. Die am Straßenrand parkenden Autos stellten keine Gefahr dar und so gelangten sie schließlich zur Eingangstür des Miethauses. Sie kramte den Schlüssel aus der Jackentasche hervor und schloss auf. Sie zeigte ihm vier Finger, woraus er schloss, dass ihre Wohnung im vierten Stock lag.

Es hätte ihn schlimmer treffen können, wie zum Beispiel damals, als er den Nachbarn seiner Eltern beim Umzug hatte helfen müssen. Schränke waren schwer, auch wenn sie leergeräumt waren und anscheinend verdoppelten sie ihr Gewicht, je mehr Stufen man sie hoch oder runtertragen musste. Da waren die Einkaufstüten nichts dagegen. Das Treppenhaus, fiel ihm auf, war ziemlich alt. Die Holztüren zu den Wohnungen verrieten, dass das Haus wohl ein paar Jahrzehnte eher gebaut worden war als das, in dem er wohnte. Obwohl es aufgrund der schwindenden Sonne schon duster war, konnte er sich doch vorstellen, dass es sich hier gut lebte. Sie waren vor ihrer Wohnungstür angekommen.

Sie drehte sich zu ihm um lächelte, während die auf ihrem Handy etwas tippte. Vielen Dank. Er tippte auf seinem Handy seine Antwort. Wofür? Dass ich jetzt nicht unter dem LKW liege und dass ich meinen Einkauf nicht selbst nach Hause tragen musste. Kein Problem, gern geschehen.

Ihre Finger schwebten über der Tastatur. Anscheinend überlegte sie, was sie als nächstes schreiben sollte. Sehen wir uns mal wieder? Fragend sah sie ihn an. Warum nicht? Könnte ja sein, dass es da jemanden gibt, den das stören könnte. Als er die Worte las, musste er lauthals lachen. Nein, da gibt es niemanden, den das stören würde.

Erleichtert sah er, wie sich ihre Lippen wieder zu einem Lächeln formten. Allerdings wäre es schön, wenn ich dich dann nicht wieder vor einem LKW retten muss. Keine Angst, ich passe ab sofort besser auf. Das will ich hoffen! Für einen Moment schwiegen sich die beiden an. Obwohl, überlegte er, das taten sie ja schon die ganze Zeit.

Während die beiden nachdachten, was sie jetzt schreiben konnten, hörte er die Schritte auf der Treppe. Auch sie bemerkte, dass sie nicht mehr allein waren. Ein altes Ehepaar kam die Treppe hinauf und lief schnurstracks auf die Tür neben ihrer Wohnung zu. Der Mann schaute die beiden ausdruckslos an. Als er grüßte, nickte ihm der Mann zu, die Frau presste ein knappes „Tach!" hervor. Dann waren sie auch schon in ihrer Wohnung verschwunden.

Er schaute ihnen noch nach. Das alte Paar war komisch, fand er. Morgen Nachmittag, im Park? Also da, wo du mich heute gerettet hast? ‚Gerettet' klingt, als wäre ich sowas wie ein Superheld. Super vielleicht nicht, aber ein Held bestimmt. Sonst läge ich jetzt entweder im Krankenhaus oder schon im Holzkasten. Wenn du meinst? Also ich finde den Termin gut. Ich habe in den nächsten zwei Wochen eh nicht viel vor, an der Uni läuft nicht viel. Da kannst du dich glücklich schätzen. Ich habe morgen früh noch eine Lesung. Aber danach habe ich Zeit. Dann sehen wir uns morgen?

Statt die Antwort einzutippen, nickte sie freudestrahlend. Er nickte zurück. Zum Abschied gaben sie sich förmlich die Hand. Dann drehte er sich um und lief schnellen Schrittes die Treppe wieder herunter. Sie schloss die Tür auf und nahm ihre Tüten. Während die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, dachte sie nur darüber nach, was heute für ein verrückter Tag gewesen war.



„Hast du den gesehen?", fragte Erwin seine Frau. Sie hing gerade ihren Mantel an die Garderobe. „Natürlich habe ihn gesehen", antwortete sie. „Ob das ihr Freund ist?", vermutete ihr Mann. „Selbstwenn schon", meinte Siglinde. „Dann lass sie doch ihren Spaß haben." Erwin grummelte nur. „Das garantiert irgendein Rocker oder sowas, der sie abfüllt und ihr irgendwas unterjubelt. Es würde mich nicht wundern, wenn wir demnächst die Polizei hier haben, die uns alles link macht."

„Du malst schon wieder den Teufel an die Wand, Erwin", mahnte sie. „So wie es für mich aussah, hat sie ihn noch nicht einmal mit in ihre Wohnung genommen. Ich habe ihn auch heute zum ersten Mal gesehen, vielleicht haben sie sich ja erst kennen gelernt." „Heutzutage geht das doch viel schneller. Kaum kennen sie sich, geht's rund." Erwin stellte seine Schuhe in das Schuhfach und zog stattdessen seine Hauslatschen an. Seine Frau war in die Küche verschwunden. „Möchtest du auch einen Kaffee?", rief sie.

„Jaha", rief Erwin zurück. Er ging schon einmal ins Wohnzimmer und setzte sich wieder auf die Couch. Als seine Frau mit zwei Tassen Kaffee zu ihm kam, sagte sie: „Wir werden es miterleben. Sollte es Probleme geben oder sollte uns der junge Mann wirklich verdächtig vorkommen, dann melden wir das." „Zum Teufel mit unserer heutigen Gesellschaft. Man heute kaum noch seine Ruhe", meckerte Erwin und ließ den Würfelzucker in seiner Tasse verschwinden.

***

Soundtrack: Shania Twain- What A Way To Wanna Be

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