Ein bisschen lauter

Er schlenderte die Straße entlang. Zu seiner linken Seite rauschte der Verkehr vorbei, LKWs, Autos, Busse und Motorräder. Zu seiner rechten Seite kamen ihn meist viele andere Menschen entgegen, er schien einer der wenigen zu sein, die gegen den Strom liefen. Aber er konnte nicht umdrehen, sonst müsste er einen riesigen Umweg nehmen, um zu seinem Ziel zu kommen. Sollte er vielleicht noch in einen der Läden gehen, schauen, was es Neues gab? Das brauchte er eigentlich nicht.

Großeinkauf hatte er vor zwei Tagen erst erledigt und sonst fehlte es ihm auch an nichts. Allerdings würde er dann schon um fünf zu Hause sein und was er dann mit seiner Zeit anfangen würde, wusste er noch nicht. Der Professor war krank, für die nächsten zwei Wochen würden sämtliche Lesungen ausfallen. Für die nächsten vierzehn Tage brauchte er also nicht in die Uni zu gehen. Wenn er diese 336 Stunden in seiner Wohnung verbringen würde, dann würde er wohl wahnsinnig. Viel zu tun gab es nicht, er war einer von denjenigen, die alles gleich erledigten und nicht viel vor sich herschoben. Jetzt gerade könnte er sich dafür verfluchen.

Er hätte sich ja etwas aufheben können, um wenigstens etwas machen zu können. Den ganzen Tag am PC oder vor dem Fernseher zu hocken war sicherlich auch nicht die Lösung. Freunde hatte er hier nur wenige, es waren dann wohl doch eher nur Bekanntschaften. Sie meldeten sich auch nur äußerst selten bei ihm und er sah nicht ein, dass er immer derjenige war, der Partys organisierte oder fragte, wann dann mal wieder eine stattfinden würde. Seine richtigen Freunde waren gut 427 Kilometer von ihm entfernt, genauso wie seine Eltern und seine kleinen Geschwister. Sein jüngerer Bruder stand gerade kurz vor den Abiturprüfungen, vielleicht konnte er etwas Hilfe gebrachen. Generell könnte er seine Eltern anrufen und fragen, ob er für die nächsten Tage mal wieder nach Hause kommen konnten.

Eigentlich brauchte er da gar nicht zu fragen, welche Eltern freuten sich denn nicht, wenn das Kind wieder einmal nach Hause kam? Er war leider nicht in der glücklichen Lage, mit dem Auto in eine nahegelegene Stadt zu fahren, um dort zu studieren. Um seinen Traumberuf zu erlangen, musste er schon die 427 Kilometer Weg zurücklegen. Das ICE-Ticket war zwar immer sau teuer, aber mit dem Regional-Express über sämtliche kleine Dörfer zu zuckeln, stand ihm auch nicht im Sinn. Dann lieber die fünfzig Euro mehr für den ICE ausgeben und einen bequemen Sitz haben, möglicherweise mit nicht weit entferntem Bordbistro. Wenn seine Rechnung stimmte, hatte er in diesem Monat noch mehr als genug Geld, um das Ticket zu bezahlen und um vielleicht ein paar kleine Geschenke mitzubringen.

Er hatte nicht jeden Monat so viel Geld. Dass man als Student nicht gerade reich war, hatte er schon vorher gewusst, aber dank der Unterstützung seiner Eltern fehlte es ihm an nichts. Zusätzlich ging er auch noch arbeiten, aber gerade war ein Arbeitsverhältnis ausgelaufen und sein letztes Gehalt auf das Konto übergegangen. Er war nicht gekündigt geworden und hatte auch nicht selbst aufgehört. Der Job war eben nur begrenzt gewesen. Kurz dachte er über die Option nach, sich einen neuen zu suchen. Aber er wusste, was er da bevorzugen würde. Seine Familie hatte er schon zwei Monate nicht mehr persönlich gesehen und einen neuen Job konnte er sich auch suchen, wenn es an der Uni wieder etwas aktiver wurde.

Zwar war er auch froh, nach einer Lesung nicht noch durch ein Café hetzen zu müssen, aber mit dem in der Wohnung rumsitzen musste man es ja nicht gleich übertreiben. Seine Entscheidung war gefasst. Sobald er zu Hause war, würde er seine Mutter anrufen, morgen würde er das Bahnticket kaufen und wenn er einmal unterwegs war, vielleicht auch noch ein paar kleine Mitbringsel besorgen. Dann wäre er am Abend schon zu Hause. Sofern der Zug nicht wieder Verspätung hatte. So könnte es auch erst Nacht werden, wenn er zu Hause sei. Im nächsten Moment wurde er abgelenkt und hastete zum Straßenrand.

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Soundtrack: Coldplay- Adventure of A Lifetime