Genya + Alina ☀️ Rot steht dir gut [2]
POV: GENYA
LAUF.
Ich rannte. Ich rannte um mein Leben, um meine Freiheit, um meinen inneren Frieden. Ich rannte wie noch nie.
Jeder Muskel brannte, Schweiß sammelte sich auf meiner Stirn und die hübschen goldenen Haarklammern lösten sich aus der hübschen Frisur, die ich vor dem Winterball gemacht hatte. Kugeln sausten durchs Unterholz, verfehlten uns nur knapp und schlugen rechts und links von mir ein.
Alina hielt ihre Kraft zurück. Solange sie 'nur' mich suchten, würden wenigstens keine Grisha hinter uns her sein. Identifizierte man Alina jedoch als die Sonnenkriegerin, war hier bald die Hölle los.
Irgendwann gingen ihnen die Kugeln aus. Völlig außer Atem ging ich hinter einem dicken Baumstamm in Deckung und presste eine Hand auf meine stechende Seite. Jetzt wäre der richtige Moment, um zu beweisen, wozu Korporalki in der Lage waren. Selbstverständlich steckte keine echte Entherzerin in mir, aber mit etwas Konzentration gelang es mir, ihre Herzschläge auszumachen. Diesen Trick hatte ich von Baghra.
Einst erklärte Fedyor, was er fühlte, wenn er das Herz eines Menschen stoppte und wie es funktionierte. Man durfte kein Mitgefühl haben, keine Zweifel. Ein Mädchen, das verzweifelt genug war, den König von Ravka zu vergiften, hatte keine Skrupel mehr übrig. Ich war zu weit gekommen, um mich kampflos meinem Schicksal hinzugeben. Konzentriert isolierte ich das Herz vom restlichen Körper und bewegte meine Hand, wie Fedyor es immer machte. Ich stellte mir vor, wie der Herzschlag langsamer wurde und schließlich vollständig verebbte. Ich hörte ihre erstickten Laute. Ich machte weiter.
,,Gen... Genya..."
Alina stolperte in meine Richtung, die Hand auf Höhe ihres Herzens gepresst. Schockiert starrte ich sie an und unterbrach den Prozess mit einer ruckartigen Handbewegung. Alina, die kreidebleich im Gesicht war, brach vor meinen Augen zusammen. Ich ignorierte unsere um Luft ringenden Verfolger und zog die Sonnenkriegerin auf meinen Schoß. ,,Es tut mir Leid... Es tut mir so Leid. Ich wollte das nicht. Ich habe noch nie versucht, ein menschliches Herz zu stoppen. Ich wusste nicht eimmal, dass ich das tatsächlich hinbekommen werde."
Mein eigenes Herz setzte für einen Augenblick aus. Schluchzend beugte ich mich über Alina und hauchte einen zärtlichen Kuss auf ihre Lippen. Unbeholfen legte ich eine Hand an ihre Brust und suchte den schwachen Herzschlag. Ganz vorsichtig regte ich ihr Herz an, wieder schneller zu pumpen. Ich spielte mit dem Feuer. Es gab einen Grund, weshalb Entherzer ein spezielles Training durchliefen. ,,Komm schon..." flehte ich sie an. ,,Du bist nicht vor Kirigan geflohen, um dich jetzt von mir töten zu lassen..."
Ich hatte in der Zwischenzeit vergessen, nicht alleine im Wald gewesen zu sein. Das büßte ich nun, als ich unsanft hochgezogen und mit dem Oberkörper voran gegen einen Baum gedrückt wurde. Einer der beiden hielt mich fest, solange der andere meine Hände mit einem rauen Seil auf dem Rücken fesselte. Kein Grisha Stahl.
Mein Blick fiel auf Alina, die sich keinen Millimeter bewegte. Die beiden Wachen zogen mich weiter. ,,Wir können sie doch nicht einfach hier liegen lassen!", protestierte ich, während Tränen über meine Wange kullerten. Ich hatte das getan. Ich war Schuld daran.
,,Der König verlangt nicht nach deiner Freundin, er verlangt nach dir, Bildnerin."
,,Ich bezahle euch weit mehr als den jämmerlichen Lohn, den ihr für eure Arbeit erhaltet", versprach ich und Panik deutete sich in meiner Stimme an. Ich war wie gelähmt, meine Schritte stocksteif und angespannt.
Der Blonde lachte schallend, sein Kollege stimmte mit ein, als hätte ich gerade den besten Witz seit Langem gerissen. ,,Wir wissen, dass du nicht ein Goldstück besitzt. Die Königin hat dich nicht für deine Dienste bezahlt, hab ich Recht? Du gehörst ihr."
,,Ich gehöre niemandem!", betonte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Ich konnte nicht mehr, hatte so lange meinen Mund gehalten, dass alles wallartig aus mir herausbrach. Ich würde um meine Freiheit kämpfen. Bis zur letzten Sekunde. ,,Bitte hört mir zu. Ihr bringt mich zu einem Mann, der jahrelang in mein Bett gekrochen ist, ohne dass ich es wollte. Er ist ein Monster. Ich... Ich..."
Plötzlich fühlte sich mein Mund staubtrocken an. Die beiden Männer mieden den Blickkontakt zu mir. In diesem Moment wusste ich es einfach. ,,Ihr wisst es, nicht wahr? Die ganze Zeit schon... Es... Es gab Gerüchte und jeder hat sie geglaubt und weitererzählt, aber keiner hat geholfen."
Einer von ihnen nickte nut verlegen. ,,Ja, es gab Gerüchte."
Mit versteinerter Miene wandte ich den Blick ab und setzte stur einen Fuß vor den anderen. Ich weinte nicht mehr. Was sollte man dazu schon sagen? In fester Entschlossenheit mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, berührten sich meine eigenen Hände. Was ich mit den Brüsten der Königin schaffte, konnte ich auch an anderen Körperteilen anwenden. Der Umfang meiner Hände verschmälerte sich so weit, dass die Fesseln herunterrutschten und auf dem Boden landeten. Kaum war das erledigt, machte ich es wieder rückgängig und stellte dem Mann zu meiner Rechten ein Bein. Dem anderen rammte ich meinen Ellbogen gegen den Hals. Ächzend ließ er mich los und ich rannte fort. Fort von den Männern, zurück zu Alina.
,,Alina?!", brüllte ich durch den Wald, voller Angst, dass ich doch noch über ihre Leiche stolperte. ,,Alina!"
Ich drehte mich um. Die beiden Trottel verfolgten mich immer noch.
,,Duck dich!", brüllte jemand. Am liebsten hätte ich erleichtert aufgelacht. Alina!
Ich hinterfragte ihre Worte nicht, ließ mich flach auf den Boden fallen und nahm im Augenwinkel wahr, wie gleißend helles Licht den Wald durchflutete. Es war so hell, dass es sich bis zum Himmel erstrecken musste. Ich wagte es nicht aufzusehen, hörte das Schreien meiner Verfolger und vergaß sogar kurz das Atmen.
Jemand berührte vorsichtig meine Schulter. Atemlos sah ich auf. Das Licht um Alina herum verebbte schlagartig. Ich rappelte mich auf, klopfte den Dreck von der Kefta und zog sie in meine ausgebreiteten Arme. Alina erwiderte meine Umarmung, strich beruhigend über meinem Rücken und sagte: ,,Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass du mich getötet hast, oder?"
Ich schwieg.
,,Es ist alles gut", murmelte Alina. ,,Egal was du getan hast, um den König zu verärgern. Es ist mir egal."
Ich sagte immer noch nichts, aber die Worte kochten in mir auf wie Wasser kurz bevor es aus den Kochtopf schwappte. Es ging nicht um den König und seine bescheuerte Krankheit. ,,Es tut mir Leid, Alina", flüsterte ich. ,,Ich habe Mals Briefe verbrannt. Ich habe dem Dunklen alles über dich verraten... Ich habe dich verraten."
Alina lockerte die Umarmung leicht. Die Erkenntnis stand ihr ins Gesicht geschrieben. Der Grund, weshalb ich eine rote Kefta tragen durfte. ,,Ich wünschte, ich wäre überrascht. Als ich dich in rot gesehen habe... Ich wusste, dass du auf seiner Seite stehst."
,,Wieso hast du dann nicht zugelassen, dass sie mich erwischen?", fragte ich vorsichtig und wischte eine Träne aus meinem Augenwinkel.
Alina ließ die Antwort auf meine Frage in der Luft hängen. Es gab so vieles, was zwischen uns stand. Ungesagte Worte, Lügen, Verrat. Dann versuchte sie endlich, eine Antwort zu formulieren. ,,Weil ich lieber versuche dir zu vergeben, anstatt dich in einem Kerker eingesperrt zu sehen. Das würde dir nicht gut stehen."
Ich starrte sie überrascht an. Selbstverständlich fehlten noch einige Details in der Geschichte, aber das war weder der richtige Ort, noch die richtige Zeit, um das auszudiskutieren.
Alina holte tief Luft. ,,Ich will nur eines wissen, Genya. Bleibst du bei mir? Kann ich darauf vertrauen, dass du auf meiner Seite stehst und mich nicht wieder hintergehst. Wenn wir erst Morozovas Hirsch gefunden haben, werde ich dich beschützen. Das schwöre ich."
,,Du brauchst keinen Kräftemehrer, um eine mächtige Grisha zu sein, Alina. Wir sollten gehen, bevor der Dunkle hier auftaucht." Dass das keine Antwort auf ihre Frage war, wussten wir beide. Ich konnte es mir nicht leisten, gegen ihn zu sein, aber ebenso wenig konnte ich zurück zum kleinen Palast, wenn alle Welt nach mir suchte.
Unsere Abmachung war zerbrechlich und keiner von uns wusste, wie es weiterging, aber Alina und ich setzten unseren Weg fort. Seite an Seite, zwei Freundinnen, die einander nicht mehr vertrauen konnten.
In der Nacht schmerzten meine Füße von der langen Wanderung und es war eiskalt. Alina und ich kuschelten uns notgedrungen in einen einzigen Schlafsack. Sie schlief. Nachdenklich spielte ich mit ihrem schwarzen Haar. Ich würde eine Entscheidung treffen müssen. Eine mutige oder eine feige.
Am nächsten Morgen hatte ich kaum geschlafen und entfernte dunkle Ringe unter meinen Augen mithilfe meiner Fähigkeit. Alina und ich aßen ihre einzigen Vorräte und setzten den planlosen Weg fort, dorthin, wo Morozovas Hirsch zuletzt gesehen wurde. Wir sprachen kaum miteinander. Ich hatte ihr zuvor alles über den König, das Gift und die Versprechen des Dunklen erzählt. Es hatte sich seltsam befreiend angefühlt, als würde eine riesige Last von meiner Schulter fallen. Alina hatte verständnisvoll reagiert, aber auch trügerisch still.
Ich verstand, dass die nachdenken wollte und gab ihr den Freiraum.
,,Ich verstehe es", sagte sie schließlich am frühen Nachmittag, als wir eine ätzend lange Strecke zurücklegten, wofür ich bestimmt nicht geschaffen war. Sanft legte sie eine Hand an meinen Rücken. ,,Ich denke ich verstehe es wirklich. Es ist ein wenig... Es tut mir Leid, dass ich nicht früher gemerkt habe, dass etwas nicht stimmt. Wir sind zusammen und du hattest anscheinend das Gefühl, dass du mir nicht erzählen konntest, was los ist. Das tut mir am meisten Leid."
,,Du musst dich nicht entschuldigen, Alina", sagte ich und hielt an. Alina traf keine Schuld. ,,Ich habe dem Dunklen nicht erzählt, dass ich mich in dich verliebt habe. Ich stand nicht auf seiner Seite, weil ich ihm vertraue, sondern weil er das kleinere Übel war."
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,Ich weiß." Alinas Lippen umspielte ein leichtes Lächeln. Sie beugte sich vor und küsste mich sanft auf die Lippen. ,,und ich hoffe, dass du das nächste Mal für mich entscheidest. Übrigens finde ich deine neue Kefta sehr hübsch."
,,Lügnerin. Das rot beißt sich mit meinem Haar. Ich mochte es nie."
,,Ich spreche nicht von der Farbe. Es steht dir, weil du endlich als das wahrgenommen wirst, was du bist. Eine Grisha, die jeden vernichtet, der jemals an ihr zweifelt."
Ich nahm ihre Hand und hauchte einen Kuss auf ihren Handrücken. Endlich wusste ich eine Antwort, die ich ihr noch immer schuldete.,,Ich werde mich für dich entscheiden, Alina Starkov. Immer."
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