29. Unterschiedliche Definitionen von Unfall
kapitel neunundzwanzig ——— Unterschiedliche Definitionen von Unfall
༄ Hannah
HANNAH HATTE IHREN GEBURTSTAG immer geliebt. Als sie kleiner gewesen war, hatte ihre Mutter sich jedes Jahr riesige Mühe gegeben: Sie hatte die schönsten Girlanden gekauft, Dekoration gebastelt und Kakao für ihre Freunde und sie gemacht. Den Großteil hatte sie aus dem Kindergarten gekannt, in den sie gegangen war, da ihre Mutter darauf bestanden hatte, dass sie andere Gleichaltrige kennenlernte.
Offensichtlich waren sie aber nicht ihre einzigen Freunde gewesen, wenn sie an die Erzählungen von James' Eltern dachte.
Seit sie Hogwarts besuchte, hatte sie ihre Geburtstage meistens mit Jo und einem Elternteil verbracht, auch wenn sie in den Ferien lagen und somit mehr Möglichkeiten boten. Letztes Jahr hatte sie zum ersten Mal auch Lily, Mary, Dorcas und Marlene eingeladen, eine Runde, die sich dieses Jahr um James, Remus und Sirius erweitern würde.
Sie hätte sich gefreut, wenn Fabian es auch geschafft hätte — es war ein surrealer Gedanke, ihn so lange nicht gesehen zu haben. Doch er war ausgelastet mit seiner Aurorenausbildung im Ministerium und da Hannah schon in zwei Tagen nach Hogwarts zurückkehren würde, hatte sich kein Termin finden lassen.
Hannah beäugte misstrauisch, was ihr Vater neben seinem geliebten Grill mit den vielen Flaschen fabrizierte und lehnte sich neugierig auf den Stelltisch neben ihm. „Was machst du da?" fragte sie wachsam und er lachte über ihren altklugen Blick.
„Magie... und doch keine Magie." antwortete er und hielt ihr stolz einen Cocktailshaker unter die Nase. „Ich habe ganz grandiosen weißen Rum aus der Karibik mitgebracht und habe da ein ganz tolles Rezept für Piña Colada... Du weißt doch, ich war im Sommer zu Besuch bei zwei Bekannten in Puerto Rico und—"
„Ich glaube, wir lassen das mit dem Alkohol." unterbrach Hannah ihn hektisch und runzelte etwas hilflos die Stirn.
Er sah sie ungläubig an. „Was wolltest du denn anderen 18-jährigen anbieten? Butterbier?"
„Ja." Hannahs Entgegnung glich einer Frage, aber sie setzte sofort dazu an, sich zu verteidigen. „Ich lebe auf Entzug. Aber du kannst den anderen natürlich gerne was davon geben..."
Ihr Dad verschluckte sich fast bei seiner angesetzten Antwort, als er das hörte und stellte die Flasche wieder ab. „Gut, ich möchte ich dich ja nicht wieder in die Entzugsklinik bringen müssen."
Hannah legte vorwurfsvoll den Kopf schief, musste aber auch über ihre Wortwahl grinsen.
„Du bist wirklich ein seltsamer Teenager. An Silvester einschlafen, kaum dass Mitternacht vorbei ist und jetzt das... Bist du wirklich meine Tochter?"
Sie hob verteidigend die Hände. „Hättest du Alkohol getrunken, wenn deine Eltern dabei waren?" fragte sie zurück und er sah kurz aus, als fände er kein Argument zu ihrem Einwand, bis er triumphierend mit dem Finger auf sie zeigte.
„Meine Eltern waren aber auch exzentrische Muggel und ich bin ein Zauberer mit bunten, hipen Umhängen."
„Hey, vergiss nicht, dass du ein Kind mit einem dieser exzentrischen Muggel hast." sagte sie sofort und nahm augenblicklich wahr, wie die Stimmung bei der Erwähnung ihrer Mum angespannt wurde und er irgendetwas an seinem Grill verstellte, um ihrem Blick auszuweichen.
„Exzentrisch war bei ihr nichts Schlechtes." gab er mit einem schwachen Lächeln zu. „Wir sind quasi nebeneinander aufgewachsen. Sie hat mich immer den Idioten vom Internat genannt."
Hannah lachte leicht und wurde nachdenklich bei dem nostalgischen Ausdruck in seinen Augen. Sie verstand vieles nicht, wenn sie über die Beziehung ihrer Eltern nachdachte.
„Wie sie später zugegeben hat, hat sie die ganzen Streits auf den Straßenfesten nur angefangen, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. Interessant, wenn man bedenkt, dass ich alles Mögliche getan habe, damit sie einen Grund dazu hat."
„Hört sich gar nicht nach Mum an." gab sie zu und ihr Dad lachte amüsiert.
„Wir waren jung. Und dumm trifft es wohl auch." Das Ernste verschwand aus seinen Augen, als er sie scherzhaft in den Arm stieß. „Tu mir einen Gefallen und werd' nicht auch mit 18 schwanger, hm?"
Hannah verzog das Gesicht. Wenn sie sich vorstellte, dass sie nun so alt wie ihre Mutter war, als sie mit ihr schwanger geworden war, war seltsam. „Hatte ich nicht vor." murmelte sie. „Das mit euch beiden hört sich so süß an, aber..." Sie wusste nicht, wie sie ihren Satz beenden sollte.
„Warum hat es nicht gehalten?" beendete er ihren Satz. „Ich hasse mein Anfang-Zwanzig-jähriges Ich für nichts mehr, als dass es so verzweifelt nach etwas Einfacherem gesucht hat. Es war nicht leicht so früh Eltern zu werden — nicht, dass ich nicht unglaublich glücklich darüber bin — aber wir hatten nicht viel Geld, ich habe gearbeitet, wo ich nur konnte und wir waren gestresst, frustriert und überfordert. Alle meine Freunde gingen feiern, hatten Spaß und ich... ich saß da und fühlte mich wie ein Gefangener."
„Aber wenn ihr euch geliebt habt..."
„Manchmal reicht Liebe nicht. Manchmal kommt Liebe zu früh und ist so stark, dass man zu schwach für sie ist." Er schwieg kurz und Hannah schwieg, um diesen Satz zu verinnerlichen. „Wir haben nur noch gestritten, waren unglücklich und ich wollte doch so sehr, dass..." Er unterbrach sich und atmete tief durch. „Ich wollte so sehr wieder mit jemandem lachen können."
Hannah senkte den Blick, unsicher, was sie dazu sagen sollte. Sie hatte sich nie getraut, ihn direkt darauf anzusprechen und auch wenn sie gerade nicht mehr wusste, wie es dazu gekommen war, war sie froh, endlich mehr darüber erfahren zu können. Die ganzen Jahre hatte es immer in Hannah gesteckt; der Gedanke, dass er ihre Mum und sie wegen einer anderen verlassen hatte. Er war all die Jahre für sie da gewesen und war der beste Vater, den sie sich hatte wünschen können, natürlich, aber sie hatte es nie verstehen können.
„Ich hasse mich dafür, glaub mir. Ich will es auch ungern auf mein Alter damals schieben. Heute wären wir beide bereiter und reifer dafür gewesen, aber naja... ich war ein Arschloch. Vielleicht ist es also richtig, dass Stephanie mit mir Schluss gemacht hat."
Hannahs Augen weiteten sich überrascht, als sie das hörte und nun sah ihr Dad wieder zu ihr, diesmal mit einem Gesichtsausdruck, den sie nicht deuten konnte. „Das hast du gar nicht erzählt." sagte sie leise und er zuckte mit den Schultern.
„Es war schon Ende der Sommerferien schwierig, als du hier warst."
Sie schwieg betroffen, da sie in solchen Situationen nie die richtigen Worte fand.
„Wann kommen deine Freunde und James nochmal?" wechselte ihr Vater das Thema und gerade, als sie antworten wollte, fiel ihr seine seltsame Wortwahl auf. Irritiert runzelte sie die Stirn, was er mit einem verschwörerischen Lächeln kommentierte. „Er ist ein guter Kerl... James." fuhr er langsam fort.
„Ist er." brach es aus Hannah heraus, ohne weiter darüber nachzudenken. „Und ein guter Freund sowieso."
„Es ist auffällig, das immer hervorzuheben." merkte ihr Vater langsam an und sie meinte, eine kleine Frage aus seinen Worten heraushören zu können. „Es klingt fast so, als würdest du dir wünschen, dass es anders wäre."
Hannahs Mund fühlte sich ein wenig trocken an, als sie unsicher lachte. Fiel es etwa ihrem Vater auf, dass sie mehr für James empfand... kurz mehr empfunden hatte?
Sie musste damit aufhören. Vermutlich wurde die Sache zwischen James und Lily immer ernster, also musste Hannah es vergessen, bevor es schlimmer wurde. Außerdem würde Remus heute kommen und... wer wusste schon? Es war Zeit, sich wieder darauf zu konzentrieren, was sie eigentlich wollte. Allerdings wusste sie, dass es einfach war, das zu sagen, wenn James nicht bei ihr war.
„So ist es aber nicht." antwortete sie mit hohler Stimme und ihr Dad warf ihr einen skeptischen Blick zu, schwieg jedoch.
„James und du kanntet euch als Kinder, wusstest du das?" fragte er.
„Ja." meinte Hannah. „Das habe ich an Neujahr von seinen Eltern erzählt bekommen."
Er lächelte leicht und wendete sich wieder seinem Grill zu. „Was hältst du davon, schon mal etwas von dem Essen zu testen?" wechselte er das Thema, da er merkte, dass sie nicht weiter darüber sprechen wollte.
„Nein." entgegnete Hannah energisch. „Ich habe das extra geordnet und unterteilt. Du bringst nur meine Sortierung durcheinander."
Er hob langsam die Augenbrauen und nahm seine Hände wieder zurück, mit denen er nach dem vorbereiteten Teller greifen wollte. „Langsam frage ich mich wirklich, woher du das hast."
. . .
Der erste, der ihr gegenüberstand, als sie die Haustür öffnete, war Remus.
Hannah widerstand dem Impuls sie kurz wieder ins Schloss zu werfen, ihren Kopf zweimal gegen sie zu schlagen und sie schließlich mit einem neuen Lächeln wieder zu öffnen. Sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte.
„Hi." entfuhr es ihr einfallslos und sie sahen sich ein wenig unentschlossen ab, bevor Hannah irgendetwas davon redete, dass sie es schade fand, dass es noch nicht so stark geschneit hatte, dass etwas liegen blieb.
Er murmelte etwas Zustimmendes und sie nahm ihm die Jacke ab, um sie aufzuhängen, sorgte dabei dafür, dass alle anderen Jacken von den Kleiderbügeln fielen und erstach ihn auch noch beinahe mit einem, als sie mit ihm herumfuchtelte, um eine Ausrede für ihre Schusseligkeit zu finden, und er ihr versuchte zu helfen.
Nachdem Hannah es geschafft hatte und sich wieder zu ihm umdrehte, vergrub sie ihre Hände unsicher in ihren Jeanstaschen und sah zu Remus, der ebenso dringend etwas zu sagen wollen schien wie sie.
„Hier ist noch dein Geburtstagsgeschenk." unterbrach er schließlich die Stille und Hannahs Augen begannen automatisch begeistert zu leuchten, als sie das eingepackte Paket entgegennahm. Sie wusste, dass ihre Mutter es nicht mochte, wenn sie Geschenke ertastete oder schon beim Auspacken hineinsah, aber sie vermutete, dass es sich um ein Buch handelte. Darauf mit Geschenkband befestigt befand sich eine Tafel weißer Schokolade, was Hannah sofort zum Lachen brachte.
„Hast du die zufällig bei dir gefunden und dachtest dir, bevor sie alt wird, schenkst du sie lieber mir?"
Er warf ihr einen gespielt vorwurfsvollen Blick zu. „Ich weiß nur zufällig, dass du das weiße Etwas, das es wagt, sich Schokolade zu nennen, unerklärlicherweise magst." meinte er und sie rollte mit den Augen.
„Es ist Schokolade."
„Es ist ein Gemisch aus Wasser und Zucker. Gut, es ist nicht schlecht, aber..."
Als sie ihn mit einem Lachen unterbrach, war die unangenehme Stimmung endlich gebrochen und noch während sie ins Wohnzimmer Richtung Garten gingen, deutete sie auf das Sofa. „Setz dich erstmal." sagte sie sachlich und er musterte sie etwas verwundert.
„Für den Drogentest?" fragte er ernst.
„Für den Verhör." entgegnete sie und er nickte.
„Verstehe."
Sie sahen sich schweigend an, bevor Hannah sich neben ihn setzte und an der Decke neben ihr spielte, um sich abzulenken. Doch sie wusste, dass sie das hinter sich bringen musste. Remus schien zu ahnen, was kommen würde und sah sich im Wohnzimmer um, während sie nach den richtigen Worten suchte.
„Schöne Uhr." sagte er und sie sah verwirrt zu ihm.
„Äh, ja. Denke schon."
Er sah aus, als wünschte er sich, er hätte nichts gesagt.
„Wegen Silvester..." begann sie und Remus fuhr sich durch die Haare. „Ich meine, wir waren ein bisschen betrunken. Nicht zurechnungsfähig sozusagen. Das heißt, hätten wir einen Mord begangen, wäre es nur fahrlässige Tötung gewesen. Nicht, dass es Mord besser macht, aber du weißt schon. "
Er schnaubte, als hätte sie etwas Urkomisches gesagt. „Nur, weil man nicht weiß, was man tut, macht das die Konsequenzen nicht besser."
Hannah hielt etwas verwundert inne, denn auch wenn sie wusste, dass Remus offensichtlich nicht über das sprach, was an Silvester passiert war, verunsicherten seine Worte sie. Er schien in seinen eigenen Gedanken zu sein, weshalb sie schwieg und selbst auf die Uhr sah, die an der Wand hing.
„Aber ja, wir haben's übertrieben. Normalerweise... Naja, ich hatte das nicht gerade vor und dachte nur, es... wie auch immer." Er lachte leicht. „Warum nicht? Was für eine Antwort. Wäre ich ein bisschen mehr bei Verstand gewesen, hätte ich das nicht gesagt. Nicht, dass du nicht— Verdammt, Hannah, du färbst ab."
Bei seinem Gesichtsausdruck lächelte sie amüsiert und wandte den Blick ab.
„Es ist schon schwer mit normalen Menschen zu reden und du bist immer so hibbelig."
„Hey!" rief sie aus und nun lachte sie wieder. „Bin ich etwa nicht normal?"
„Nenn mir einen Ravenclaw, der normal ist." meinte er und sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, auch wenn sie wusste, dass er es nicht böse meinte. „Ihr seid doch alle von irgendetwas so richtig besessen."
„Wie konntest du mich dann so lange ertragen?" entgegnete sie betont ernst und nachdem er erst leicht lachte, schien er sich krampfhaft erklären zu wollen.
„Du weißt, dass das nur ein Scherz war, oder?" versicherte er sich und sie nickte schnell, was ihn schief zum Lächeln brachte. „Aber Leute, die Geschichte der Zauberei nach den ZAGs wählen sind schon ein bisschen speziell."
„Ich interessiere mich eben dafür." Plötzlich bekam sie auch das Gefühl sich verteidigen zu müssen. James zog sie zwar auch gerne damit auf, seitdem er es erfahren hatte, aber bei ihm war es... anders. Bei ihm hatte sie nicht das Verlangen, sich dafür rechtfertigen zu müssen. „Nur, weil Binns ein bisschen einschläfernd ist, heißt das ja nicht, dass ich mich im Unterricht gleich Schlafen legen muss."
Remus hörte die leichte Spitze aus ihren Worten hinaus. „Das war einmal — und in Zaubertränke." entgegnete er etwas gereizt und sie zog die Augenbrauen zusammen.
„Ich sag ja nur." murmelte sie. „Aber wenigstens hat Slughorn kein Nachsitzen gegeben."
„Ich habe ja auch nicht geschlafen, weil es so uninteressant war, sondern weil es mir nicht gut ging."
„Ist ja gut." entgegnete sie verständnislos und fuhr sanfter fort, als sie ihn angestrengt durchatmen hörte. „Tut mir leid."
„Nein." sagte Remus schlicht und rieb sich über die Stirn. „Mir tut's leid. Und deine Vorliebe für Geschichte hat mir schließlich geholfen und die Wahl ein bisschen einfacher gemacht." Er hielt ihr das Geschenk hin, das sie eben auf der Couch abgelegt hatte und nun, doch neugierig geworden, nahm sie es ihm erneut entgegen, als sie sein versöhnliches Lächeln sah. Sie erwiderte es und war selbst unsicher, was gerade passiert war, versuchte aber nicht daran zu denken.
Als sie die Klebestreifen von den Seiten löste, warf sie einen ersten Blick hinein und sah Buchseiten, was ihre Vermutung nur bestätigte.
„Du bist ja schon wie James, der muss auch immer beim Auspacken reingucken." sagte er kopfschüttelnd, grinste aber, und Hannah ließ es sich nicht nehmen ein wenig länger neugierig zu erahnen, worum es sich bei dem Buch handelte, bevor sie den Rest des Papiers fein säuberlich aufmachte, damit nichts kaputt ging. Sie liebte es, Geschenke auszupacken.
„Merlin, das ist Carneliana Selwyns neuer Roman — ich liebe sie!" rief sie begeistert aus und Remus schien sichtlich erleichtert bei ihrer Reaktion.
„Der Typ im Buchladen meinte, es wäre ein guter historischer Roman und weil du meintest, du interessierst dich für so vieles, dachte ich mir, da sind einige wahre Sachen dran, weil es zur Zeit der Hexenverbrennungen spielt."
„Ja, sie ist wirklich gu—" Als es erneut an der Tür klingelte, unterbrach sie sich und sprang wie vom Blitz getroffen auf. „Bin gleich wieder da."
Lilys grüne Augen leuchteten förmlich, als Hannah sie an der Haustür empfing und obwohl sie nicht so aussah, als ob sie sich besonders herausgeputzt hatte, wirkte sie noch schöner auf Hannah als vor den Weihnachtsferien. Ihre Wangen waren leicht gerötet und ein sanftes Lächeln zierte ihre Lippen, als sie den Kopf schief legte.
Selbst bevor sie sie umarmte, konnte Hannah die Wärme spüren, die Lily ausstrahlte — nicht körperlich, sondern ein Gefühl von Geborgenheit, wann auch immer sie einem mit diesem zuneigungsvollen Blick ansah.
Manchmal fragte sie sich, ob sie die gleiche Ausstrahlung wie Lily oder Marlene hatte; ob sie auch die Art von Mädchen war, über das man lächeln musste, wenn man über sie nachdachte. Meistens kam sie sich so gewöhnlich — so unspektakulär — neben den anderen vor.
Lily war vielleicht niemand, nach der man sich auf den ersten Blick noch einmal umdrehen würde, aber sobald man sie einmal länger beobachtet und mit ihr geredet hatte, bemerkte man ihren Witz, ihren Scharfsinn und ihre Güte.
So war es Hannah zumindest ergangen, als sie sich im fünften Schuljahr das erste Mal mit ihr näher unterhalten hatte. Lily war jemand, von dem man geschätzt werden wollte.
„Wir haben so lange nicht mehr richtig Zeit miteinander verbracht." meinte Lily, als sie ihr den riesigen Blumenstrauß überreichte. „Mary bringt unser Geschenk mit — Marlene, Dorcas, sie und ich haben uns ein bisschen was überlegt."
„Hör auf mich auf die Folter zu spannen." warnte Hannah sie spielerisch und Lily hing ihre Jacke wie selbstverständlich auf, bevor sie ihr ins Wohnzimmer folgte.
„Wenn die Schule anfängt, müsst ihr mal wieder für einen Abend vorbeikommen: du und Jo." schlug sie vor. „Ich brauche Ablenkung von dem ganzen Stress, der uns wegen der UTZs gemacht wird."
Hannah nickte, auch wenn ihr im Moment vor nichts mehr graute. Sie konnte mit niemandem offen darüber reden, was in ihr vorging... und sich mehr über Lily und James anzuhören stellte sie sich schrecklicher als einen Troll vor, der in Hogwarts einbrach, obwohl es sie brennend interessierte. Sie machte ein zustimmendes Geräusch, als auch schon Remus dazukam und Lily mit einem Lächeln begrüßte.
„Kein Wort über die UTZs heute, bitte." meinte er und Lily lachte darüber, war aber offensichtlich seiner Meinung.
„Hast du eigentlich schon den Aufsatz in Verwandlung geschrieben?" fragte sie.
„Ich hab's versucht, echt." Remus verzog das Gesicht. „Und ich dachte mir, du könntest mir deinen im Zug unauffällig vorbeibringen."
„Remus, ich wollte den bei dir abschreiben."
Hannah beobachtete den Wortaustausch zwischen den beiden mit offener Sprachlosigkeit. „Aber ihr beide seid doch immer die Vorbilder." warf sie ein und die beiden sahen amüsiert zu ihr.
„Das heißt nicht, dass wir nicht faul sind." Lily grinste unheilvoll und Hannah machte ein überraschtes Gesicht, sagte aber nichts dazu.
Die nächsten, die kamen und die Hannah direkt mit Lily und Remus in den Garten schickte, waren James und Sirius. James' Geschenke brachten Hannah herzhaft zum Lachen. Als sie das Kissen mit der Aufschrift „Original Since 1959: Hannahlein" auspackte, sah James unglaublich stolz aus, während sie nur eine Augenbraue hob und versuchte ihre Belustigung nicht zu zeigen. Nachdem sie aber den Butterbierkrug mit der Aufschrieb „sexy und single" in der Hand hielt und sein unschuldiges Grinsen sah, konnte sie sich nicht länger zurückhalten. Sirius' Geschenk enthielt einen flauschigen Sparknuddelmuff, den James nach seinen Angaben aber selbst ausgesucht hatte.
Mary, Dorcas, Marlene und Lily hatten ein riesiges Fotoalbum mit lustigen Sprüchen und Bildern zusammengestellt (die meisten Fotos von ihr waren unvorteilhaft, aber das machte es ja so lustig... in den Augen aller anderen).
Es wurde ein überraschend lustiger Abend, an dem sie so viel lachte wie schon lange nicht mehr und deswegen von den Blicken abgelenkt wurde, die sie Lily und James immer wieder zuwerfen musste. Marlene war ruhiger als sonst, Sirius hatte sie behandelt als wäre nie etwas gewesen und Dorcas war bei Scharade zur Höchstform aufgelaufen. Hannah hatte die alten Karten mit Begriffen heute Nachmittag gefunden und war erst nicht sicher gewesen, ob jemand überhaupt Lust darauf hatte, aber spätestens als Dorcas angestrengt über den Boden robbte und Sirius bei der jeder Bewegung etwas Vulgäres vorschlug, einfach nur aus Spaß, wusste Hannah, dass es gar nicht mehr besser werden konnte.
Mary war die erste, die gehen musste und nachdem auch Jo und nach ihr die anderen sich langsam verabschiedeten, saß Hannah alleine mit James und Sirius in der Sitzecke, die ihr Vater unter einem Partyzelt in seinem Garten aufgebaut und mit einem Wärmezauber umhüllt hatte.
Hannah hatte nie wirklich viel Zeit mit Sirius verbracht, aber er war unglaublich witzig und sie verstand den Charme, den er auf viele Mädchen haben musste. Lily und er waren heute das beste Duo des Abends gewesen. Als Hannah die Onion Rings geholt hatte — sie liebte das Zeug — hatte Lily auf die Verpackung geschaut und Sirius gefragt, ob sein Zweitname nicht auch Onion war. Ernsthaft, die beiden hatten eine halbe Stunde lang gelacht und selbst James hatte sie bei diesem offensichtlichen Insider nicht mehr ablenken können. Irgendwann hatten sie etwas davon geredet, dass sie einen Club für Leute mit perfektem Haar gründen würden, einfach um James nicht aufzunehmen und ihn zu ärgern.
Hannah musste zugeben, dass sie tolle Freunde hatte... denn vermutlich konnte sie auch die drei Jungs mittlerweile dazuzählen.
Während Sirius mit James über etwas lachte, schwieg sie und hing ihren eigenen Gedanken nach, da sie sich fehl am Platz fühlte. Sirius schien dies nach einer Weile zu bemerken, warf einen kurzen Blick zwischen den beiden hin und her und kündigte anschließend groß an, dass er sich nun verabschieden würde.
Hannah verabschiedete ihn und wich James' Blick aus, als sie zurückkam und sich wieder auf ihren Platz setzte. Sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Es fühlte sich an, als wäre es ewig her, dass sie mit James alleine gewesen war.
Etwas überrascht hob sie den Blick, als er aufstand und sich neben sie in die Ecke setzte, in der sie es sich gemütlich gemacht hatte. Stille breitete sich zwischen ihnen aus und Hannah wusste überhaupt nicht, dass es tatsächlich Momente gab, in denen James Potter schwieg.
„Es ist gruselig, wenn du mal nichts sagst." sprach sie ihren Gedanken laut aus und drehte ihren Kopf zu ihm. Er lächelte leicht in sich hinein.
„Ich habe tatsächlich auch mal ernste Momente, Hannah." meinte er und sie atmete tief durch, um das enge Gefühl in ihrer Brust zu vertreiben, das sich beim Klang ihres Namens in ihr bildete. Es fühlte sich so besonders an hier mit ihm zu sitzen; auf diesen Kissen kurz nach Mitternacht mit den zirpenden Grillen und der Musik des Plattenspielers im Hintergrund, die nun etwas Ruhigeres spielte.
„Woran denkst du denn?" fragte sie leise.
„Manchmal denke ich einfach an die Zeit nach der Schule." antwortete er nach einer kurzen Pause. „Irgendwie kommt das alles so plötzlich — und so viele Leute verschwinden, es passiert so viel um uns herum und ich will etwas dagegen tun."
Hannah schwieg betroffen. Die Zeitungsberichte beunruhigten auch sie, obwohl sie sie bereits begleiteten, seit sie auf Hogwarts ging. Sie wusste nicht, was sie tun sollte — es hörte sich so einfach an, wenn man sich vornahm, etwas zu verbessern, aber was sollte sie schon tun? Wie sollte jemand ohne eine außergewöhnliche Fähigkeit etwas beitragen können? Wo sollte sie anfangen?
„Weißt du, was du nach der Schule machen willst?" fragte James weiter.
„Nein." gab sie zu. „Und es ist schrecklich frustrierend." Sie strich sich eine Strähne ihres Haars zurück. „Alle Ravenclaws, die ich kenne, haben eine Leidenschaft. Jo liebt Quidditch. Léa macht kaum etwas für die Schule, weil sie sich jetzt schon politisch im Ministerium engagiert und richtige Pläne entwirft und Meredith liebt Zaubertränke und vernachlässigt alles andere dafür. Ich habe so etwas nicht... aber ich habe das Gefühl, ich müsste es haben."
„Also gibt es nichts, wofür dein Herzlein brennt?" fragte er übertrieben und Hannah lachte mit einem sanften Ausdruck in den Augen auf.
„Nein, mein Herzlein weiß nicht, was es will." Sie sah ihm lange in die Augen, da es ihr unmöglich wurde, sie auf etwas anderes zu richten. Auch James' Lächeln fiel langsam in sich zusammen, doch nach ein paar Sekunden wandte er schnell den Blick ab. „Ich meine, ich interessiere mich für sehr viel." fuhr Hannah fort, um sich wieder zusammenzureißen. „Ich lese gern. Mich interessiert Geschichte, aber auch ganz andere Sachen... Naturwissenschaftliches oder Psychologisches zum Beispiel."
„Also liest du gerne?"
„Ich recherchiere gerne." korrigierte sie ihn vorsichtig. „Ich mag es über Dinge zu schreiben oder zu reden, über die ich Bescheid weiß."
„Ein guter Freund von meiner Mum arbeitet beim Tagespropheten. Vielleicht... vielleicht könnte ich was arrangieren und du kannst dich dort mal in den Osterferien umschauen."
Als sie hörte, wie viele Gedanken er sich in diesem Moment um sie, um ihre Zukunft, machte, zog sich etwas in ihrem Magen schmerzhaft zusammen. Sie wusste nicht, warum er dort saß und ihr so unbedingt helfen wollte, aber sie wusste, dass es nicht aus dem Grund war, den sie sich so sehr wünschte.
„Das wäre echt schön." sagte sie gerührt und James lächelte sanft.
„Ich will, dass du glücklich bist mit dem, was du später machst."
„Flitwick hat etwas ähnliches vorgeschlagen im fünften Jahr." erzählte sie. „Es klang damals nur nicht so gut für mich."
„Ich meine, du könntest ja auch ins Radio." fuhr er fort und Hannah legte den Kopf schief.
„Was willst du machen?" fragte sie ernst und James holte tief Luft, als wäre es nicht das erste Mal, dass er sich darüber Gedanken machte.
„Vielleicht..." Er nickte, als würde er den Entschluss treffen, es ihr tatsächlich zu sagen. „Bevor ich mich festlege, will ich in diesem Krieg für unsere Seite kämpfen. Etwas tun."
„Das ist nicht gerade ungefährlich." warf sie ein.
„Nichts, was richtig ist, muss leicht oder ungefährlich sein — vielleicht ist es deswegen das Richtige." Er schwieg kurz, während Hannah ihn überrascht über dieses ernste Gespräch weiter beobachtete. James fuhr sich durch seine Haare und grinste plötzlich, als wäre ihm etwas eingefallen. „Ich habe da noch was für dich." kündigte er an und sie warf ihm einen skeptischen Blick zu.
„Wenn das schon so anfängt, lass es lieber." meinte sie trocken und James fuhr sich mit der Hand übertrieben an seine Brust.
„Ich kann nicht." rief er aus. „Es quält mich."
Hannah schlug ihm auf den Arm, lachte aber auch über seine Reaktion und wartete neugierig ab, als er ein zusammengerolltes Stück Papier aus seiner Hosentasche holte, die er offensichtlich magisch vergrößert hatte. Stolz hielt er es ihr hin und mit einem amüsierten Blick nahm sie es ihm langsam ab.
Als sie die kindliche Schrift auf der Rückseite erkannte, weiteten sich ihre Augen und sie sah mit einem breiten Grinsen zu James. „Nein... Das ist nicht, was ich denke, was es ist, oder?"
„Ich kann leider nicht in deinen Kopf reinschauen." stellte er sich dumm und sie verdrehte die Augen, bevor sie es aufrollte. „Du musst zuerst die Rückseite lesen."
„Schon gut." sagte sie lachend und drehte das Papier um, wo sie James' Schrift entziffern musste.
Hannah, warum besuchst du uns nicht mehr? las sie und machte ein trauriges Gesicht in seine Richtung. Ich will mich nicht von dir scheiden, ich habe dir doch meine Schokofrösche gegeben. Daneben war ein trauriges Gesicht zu sehen.
„Och Gottchen, James." entfuhr es ihr. „Sicher, dass du das nicht erst jetzt geschrieben hast?"
„Liest du nicht mein gebrochenes Herz aus diesen Zeilen heraus?" fragte er übertrieben. „Pure Emotion."
„Vielleicht hast du mir ja so das Herz gebrochen und ich wollte deswegen nicht mehr kommen."
„Hannah, ich habe dir meine Schokofrösche gegeben." sagte er ernst. „Liest du nicht richtig? Das ist der Liebesbeweis schlechthin."
„Seine Schokolade zu verschenken ist schon eine sehr selbstlose Tat, allerdings." spielte sie altklug mit und brachte James zufrieden zum Nicken. „Aber wenn du von Scheidung schreibst, heißt das... wir waren auch diese Art von Kindern, die sich verheiratet haben?"
„Offensichtlich steckte die Romantik doch einst in deinen Adern."
Hannah lachte herzlich darüber und drehte das Blatt um, damit sie das Bild ansehen konnte. Dort sah sie zwei Figuren, die offensichtlich James und sie sein sollten, unter einer Tanne stehen und... heiraten? Die Sprechblase über Hannah sagte zumindest „Ja, ich will".
„Süß." kommentierte sie. „Ich wünschte wirklich, ich könnte mich daran erinnern, aber damit hättest du mich bestimmt milde gestimmt."
„Dann hätten wir uns nicht scheiden lassen und ich wäre dir heute noch treu verschrieben." Er machte eine dramatische Pause, in der Hannahs Herz aufgrund seiner Worte kurz stehenblieb. Es gab keinen Grund, darüber nachzudenken, was er sagte. Es war ein Witz für ihn, sie eine Freundin... oder was auch immer. „Und jetzt benutzt du unsere Hochzeitstanne, um mit Remus fremdzugehen, ich bin entsetzt..."
„Oh mein Gott." rutschte es ihr ungläubig heraus. „Das war ein Unfall."
James hob die Augenbrauen. „Ich mag deine Definition von Unfall."
Sie hob verteidigend die Arme, lachte aber bei seinem Gesichtsausdruck. Wenigstens war er nicht mehr so ernst wie an Neujahr vor zwei Tagen.
„Vielleicht wirst du ja auch bald mit ihm ausgehen... so wie Lily und ich." fuhr er fort und in Hannahs Hals schien sich plötzlich ein Klos zu bilden, den sie nicht herunterschlucken konnte.
„Das wäre schön." stimmte sie zu, auch wenn ihre Stimme schrecklich fern und hohl klang.
„Ja, wäre es." Ihr fiel nicht auf, dass sich seine Antwort ebenso leer anhörte.
„Lily ist ein wunderbarer Mensch." fuhr sie fort. „Du gehst nicht zu unrecht mit ihr aus."
„Klau mir nicht meine Freundin." entgegnete er amüsiert und stieß sie in die Seite. „Aber ja, sie ist großartig, natürlich. Es ist... alles genauso wie ich es mir vorgestellt habe."
„Aber das ist doch etwas Gutes, oder nicht?" fragte sie verwundert. „Du sagst es fast, als wäre es etwas Negatives."
„Nein." sagte James schnell. „Es ist... wie gesagt: Großartig. Ich weiß gar nicht, was ich w—" Er hielt inne. „Was ich mir anderes wünschen sollte."
Hannah nickte und spürte gar nicht, wie ihr Atem immer schwerer wurde und sich dadurch beschleunigte.
„Also, spuck die Details aus. Was war da mit Remus unter unserer Tanne?" fragte er locker und sie machte eine ahnungslose Geste.
„Naja, wir haben miteinander geredet und— oh, und ich wollte ihm Tanzen beibringen." fiel es ihr mitten im Satz ein und sie drehte sich verlegen weg. „Aber die klassische Art. Walzer und so."
In dem Moment, wo sie es sagte und James' Augen begeistert aufleuchten sah, wusste sie, dass sie ihn nicht auf falsche Gedanken hätte bringen sollen.
„James..." begann sie, als er aufstand und ihr auffordernd seine Hand hinhielt. „Komm schon."
„Komm schon." zitierte er sie und dachte nicht daran aufzugeben. Es war nicht so, dass Hannah seine Hand nicht nehmen wollte und sich nicht auf eine seiner verrückten Ideen einlassen wollte — sie fürchtete nur, dass es zu viel für sie wäre. Dass sie nie über ihn hinwegkommen würde, wenn sie immer wieder nachgab.
Mit einem Seufzen kam sie seiner Aufforderung nach und ließ sich von ihm in die Mitte des Zelts ziehen. „Du hättest Remus den Tango zeigen sollen. Dann hättest du ihn so—" Ohne Vorwarnung stieß er sie von sich zur Seite, nur um sie wieder mit seinem Arm an sich heranziehen zu können. Damit sie das Gleichgewicht nicht verlor und umfiel, klammerte sie sich an seinen Schultern fest und stand wesentlich näher an ihm als zuvor. „Funktioniert, siehst du?" meinte James mit einem Grinsen, wurde aber etwas leiser, als Hannah zu ihm aufsah und die Augenbrauen hob.
„Weil ich das ja so leicht bei ihm hinbekommen hätte..." merkte sie an und nun begann er wieder zu lachen.
„Natürlich hättest du das." Erneut überrumpelte er sie völlig, als er sich mit der Hand an der Stirn in ihre Arme sinken ließ und Hannah ihn gerade noch so davor bewahren konnte, auf den Boden zu fallen. Durch das Übergewicht fielen sie jedoch beide zur Seite und James schüttelte mit dem Kopf, als er auf den Kieselsteinen lag. Hannah kniete neben ihm und beobachtete ihn dabei, wie er sich aufsetzte. „Das müssen wir aber noch üben."
Sie schüttelte mit dem Kopf. „Du bist so ein Idiot." sagte sie mit einem sanften Lachen und James grinste schief.
„Aber das macht mich so liebenswert?" fragte er und sie entschied sich nichts dazu zu sagen. Er sah sie stumm an und Hannah spürte ihr Herz bei seiner Nähe erneut schneller schlagen.
„Wegen Remus..." versuchte sie das Thema zu wechseln.
„Ja, Remus." meinte James, beinahe genervt. „Was ist jetzt mit ihm?"
„Nur wegen unseres Deals... Du musst da nichts mehr machen." Hannah sah auf den Boden, um ihre Erklärung besser herunterzurattern. „Wenn es was werden soll, dann entwickelt es sich schon und wenn nicht, dann... dann ist es so. Ich habe mich wahrscheinlich genug blamiert und mittlerweile weiß er es vermutlich auch. Ich meine, dann hätten wir beide zwar keinen Grund mehr darüber zu reden oder etwas zu planen oder Zeit miteinander zu bringen—"
„Hey hey, willst du mir gerade sagen, dass wir nicht mehr Zeit miteinander verbringen müssen, weil der Deal erledigt ist?" unterbrach er sie etwas verwirrt und ihr blieb der Mund offen stehen.
„Nein." sagte sie hastig. „Ich dachte nur, wenn du..."
„Hannah, ich bin nicht mit dir hier wegen irgendeines Deals." fiel er ihr erneut ins Wort und legte so viel Ernsthaftigkeit in seine Stimme, dass Hannahs Mund sich wie ausgetrocknet anfühlte.
„Bist du nicht?" Sie realisierte kaum, dass sie etwas gesagt hatte, auch wenn ihre Worte nur gehaucht waren. Es fühlte sich an, als würde sie sich selbst beobachten und nicht klar denken können. Hannah wusste, dass es James genauso wenig wie ihr um irgendeinen Deal ging — aber ihr Gehirn hatte nichts Vernünftiges ausspucken können.
„Natürlich nicht." James sah immer noch verwundert aus und legte seine Hand langsam auf ihren Arm. „Ich hätte nicht jedem so ein tollen Bild gemalt."
Selbst, wenn Hannah nach Weinen zumute war, schaffte er es, sie wieder zum Lachen zu bringen — und genau diese Tatsache tat noch viel mehr weh.
„Ach, Hannah..." begann er und beugte sich vor, um sie zu umarmen. Etwas perplex hielt sie inne und erwiderte seine Geste schließlich. Das plötzlich Lächeln stahl sich automatisch auf ihre Lippen und sie hoffte, dass er ihr schnell schlagendes Herz nicht spüren konnte. Er bewegte seinen Kopf, um mit seinem Mund näher bei ihrem Ohr zu sein. „Ich sollte langsam gehen." wisperte er leise und sie nickte zustimmend, machte aber genauso wenig wie er Anstalten sich zu bewegen.
Nach ein paar stillen Sekunden spürte sie seine Hände an ihrem Kopf, während er ihr einen sanften Kuss auf den Scheitel drückte. Hannah konnte nicht anders, als die Augen zu schließen. Er lehnte sich zurück und sah sie mit einem schiefen, sanften Lächeln an, bevor er aufstand und sie es ihm gleichtat.
Ihr Blick fiel auf den Plattenspieler, der immer noch die Schallplatte spielte, die Hannah vor einer halben Stunde aufgelegt hatte. Das Lied zwar wunderschön, aber traurig... etwas, das sich von Natur aus ausschließen sollte.
Doch schließlich war es mit James ähnlich: Sie liebte es bei ihm zu sein und gleichzeitig hatte sie das Gefühl, es bringe sie um. Auch wenn sie sich seit Tagen sagte, dass sie über ihn hinwegkommen musste, dass es nicht mehr als eine Schwärmerei war und es tatsächlich besser wurde, wenn sie nicht bei ihm war, kamen all die Dinge, die sie ihm hatte sagen wollten, umso heftiger in seiner Nähe zurück.
Und sie wollte nichts mehr, als dass es endlich aufhörte.
Es musste aufhören.
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