11. Du kannst mich Lily nennen
kapitel elf ——— Du kannst mich Lily nennen
༄ Lily
LILY HATTE BEI DEM Gedanken an die Party nicht eine Sekunde lang damit gerechnet, dass Sirius auf sie zukommen würde. Normalerweise passierte ihr so etwas nicht, da er meistens auf Feiern mit anderen Mädchen flirtete (was seit Marlene auch nicht mehr mehr der Fall) und er vorsichtig in ihrer Nähe war, was höchstwahrscheinlich an James lag.
James verbrachte immer mehr Zeit mit Hannah und sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum sie nichts davon erzählt hatte. Warum war sie so viel bei ihm? Sie sollte lieber in Remus' Gesellschaft sein, oder nicht? Es sollte sie nicht stören, aber aus irgendeinem Grund tat es das.
Sie musterte Marlene und James, die sich angestrengt unterhielten und beobachte, wie Hannah sich selbst auf den Weg machte, konnte aber nicht sehen, wohin sie ging, da Sirius in ihr Blickfeld kam und sie förmlich zwang zu ihm zu sehen.
„Hey Evans." hörte sie ihn sagen und Lily zog die Augenbrauen zusammen, als er neben ihr stehen blieb und ihr einen langen Blick zuwarf.
„Black?" fragte sie etwas verwirrt nach, was ihn leicht zum Lächeln brachte. Lily verstand die Welt nicht mehr. Sie hatte keine sonderlich hohe Meinung von Sirius seit er vor ein paar Jahren damit begonnen hatte Severus zu demütigen, aber seit sie von Marlene mehr über seine Familie erfahren hatte, versuchte ein Teil von ihr ihn zu verstehen.
„Den Brief, den du letztens von deiner Schwester bekommen hast..." begann er und Lily wandte sich automatisch von ihm ab und wäre am liebsten weggegangen. Was dachte er sich eigentlich? Petunia war ihre Angelegenheit, sie hatte damit abgeschlossen, er musste nicht unnötig darauf herumreiten. „Ich möchte, dass du ihn holst. Und all die anderen Briefe, die du von ihr bekommen hast."
Woher wusste er, dass er sie aufgehoben hatte? Hatte Marlene...? Aber ihr hatte sie nicht erzählt, dass sie sie aufbewahrte. „Was denkst du dir eigentlich?" entgegnete sie gereizt und Sirius merkte, dass seine Worte nicht gerade gut bei ihr angekommen waren.
„Evans, warte. Bitte." sagte er, als sie sich schon zum Gehen gewandt hatte und etwas in ihr bewegte sie dazu, sich wieder zu ihm umzudrehen. „Vertraust du mir?"
Lily schwieg und erwiderte stumm seinen Blick. „Nein." antwortete sie und brachte Sirius dazu, laut auszuatmen.
„Na gut, dumme Frage." Er musterte sie aus seinen grauen Augen und Lily fühlte sich deutlich unwohl. Trotzdem wandte sie sich nicht ab, da er aussah, als wollte er etwas hinzufügen. „Ich möchte dir helfen."
Lily holte tief Luft und rang mit sich selbst, bevor sie den Blick abwandte und überlegte, was sie tun sollte. Gespannt, was sie tun würde, ruhten seine Augen weiterhin auf ihr und plötzlich, ohne dass sie darüber nachdachte, nickte sie. Vielleicht war es aus Neugier. „Warte hier." murmelte sie so leise, dass er es kaum hörte, bevor sie sich auf den Weg machte und in ihrem Schlafsaal ankam.
Sie zögerte kurz, bevor sie die Schublade öffnete. Was, wenn das ein dummer Streich war? Wieso sollte sie Sirius vertrauen?
Doch im nächsten Moment umfasste sie die Briefe ihrer Schwester, die im Laufe der Jahre abgenommen hatten, aber nicht weniger schmerzhaft wurden, mit ihren Fingern. Was hatte sie zu verlieren?
Sirius verharrte an der selben Stelle, wo er gewesen war, als sie ihn alleine gelassen hatte und sah auf die elf Briefe, die sie in der Hand hielt. „Sind das alle?" fragte er und Lily warf ihm einen fragenden Blick zu, bevor sie nickte.
„Es sind genug." entgegnete sie und diese Antwort schien ihm auszureichen.
„Komm schon, wir gehen raus." meinte er plötzlich und als er auf das Portrait der Fetten Dame zuging, war es wahrscheinlich sowieso schon zu spät um einen Rückzieher zu machen, weshalb Lily ihm kurzentschlossen folgte. Was sie hier tat, wusste sie selbst nicht, aber etwas in ihr drängte sie danach, herauszufinden, was er vorhatte.
Als er immer noch schweigend neben ihr durch den Korridor ging, warf sie ihm einen ungläubigen Blick zu. „Willst du etwa auf das Schulgelände?"
Er zuckte mit den Schultern. „Wenn uns jemand sieht, sagst du einfach, du bist Schulsprecherin und dass es wichtig war." meinte er schlicht und Lily konnte sich ein belustigtes Kopfschütteln nicht verkneifen.
„Wenn es so einfach wäre..."
Es dauerte nicht lange, bis sie am Ausgang des Schlosses angekommen waren und die kalte Luft Lily das Haar aus dem Gesicht wehte, als sie das Gelände betrat. Instinktiv schlang sie ihre Arme um ihren Körper und Sirius warf ihr einen kurzen Blick zu. „Tut mir leid. Es wird wärmer." versprach er ihr mit einem Grinsen und ehe Lily sich versah, deutete er mit seinem Zauberstab auf das Gras und brachte eine rundliche Fläche dazu, in Flammen aufzugehen.
Das entstandene Feuer loderte hoch und auch, wenn Lily die Wärme angenehm auf sich zukommen spürte, warf sie Sirius einen angesäuerten Blick zu. „Das ist ja alles schön und gut, aber was soll uns das jetzt bringen?"
„Liest du die Briefe manchmal?" antwortete er mit einer Gegenfrage und Lily wandte betroffen den Blick ab.
„Ja." erwiderte sie und schluckte fest, bemüht, nicht zu emotional zu werden. „Nicht oft, aber manchmal."
„Ich weiß..." sagte er leise. „Du willst es nicht und denkst dir, dass es okay für dich ist, aber dann liest du sie und es wird wieder schlimmer."
Die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme ließ Lily den Kopf heben, um ihn anzusehen und sie stellte fest, dass er gedankenverloren in die Flammen sah. Sie hatte ihn nie so... ernst erlebt.
„Woher-?" begann sie, doch Sirius unterbrach sie sofort.
„Was glaubst du, was ich für Briefe bekommen habe?" Seine Stimme klang so bitter, dass es Lily im Herzen weh tat, seine Reaktion mitansehen zu müssen. „Aber sie zu lesen, macht es nicht besser." Er deutete auf die Flammen. „Verbrenn sie."
Unentschlossen sah sie auf die Briefe in ihren Händen und fuhr über die Umschläge. Was, wenn irgendwann alles wieder gut werden würde? Oder wenn das irgendwann die letzten Andenken an sie sein würde? „Ich weiß nicht, ob ich das kann." antwortete sie leise und biss sich auf die Lippe. Sie fühlte sich so verletzlich wie noch nie.
„Ich werde dir helfen."
Lily musterte ihn und zog verwirrt die Augenbrauen zusammen. „Wieso? Wieso machst du das alles?" fragte sie nach und er lächelte leicht.
„Weil ich weiß, wie es ist."
Sie hätte nicht erwartet, dass diese Worte sie so heftig trafen und ihr Herz begann kräftig zu schlagen, als sie wieder in die Flammen sah und tief durchatmete. „Den Brief hat sie mir geschrieben, als ich neu auf Hogwarts war. Wie es ist... Und ob ich glücklich zwischen all den unnormalen Menschen bin, die genauso verrückte Freaks sind wie ich."
„Du bist nicht unnormal, Lily - und kein Freak." sprach er auf sie ein und sie nickte, während sie den Brief in die Flammen warf und zusah, wie er Feuer fing und nichts als Asche übrig blieb. Tränen bildeten sich in ihren Augen und sie spürte ein beklemmendes Gefühl in ihrer Brust, als sie antwortete.
„Ich weiß. Ich kann stolz darauf sein eine Hexe zu sein." redete sie sich selbst zu und warf jeden Brief - Stück für Stück, um sich an ihren Text zu erinnern - in das Feuer. Sirius sah ihr zu, bekräftigte sie und als sie beim letzten Brief angekommen war, konnte sie es nicht verhindern, dass ihr stumme Tränen über die Wangen liefen.
Stumm starrte sie auf die Flammen und sah mit einem traurigen Lächeln auf die Papierüberreste.
„Ich habe auch noch einen." meinte Sirius plötzlich und Lily sah langsam zu ihm auf, während er sich auf den Briefumschlag vor sich konzentrierte. „Ich habe sie alle vernichtet, außer diesen... Ich habe ihn nicht einmal gelesen."
„Ist er von deinen Eltern?" fragte Lily mit belegter Stimme und Sirius schüttelte mit sich selbst ringend den Kopf.
„Von meinem Bruder." erwiderte er angestrengt und schwieg einige Sekunden, bevor er zu ihrer Überraschung doch fortfuhr. „Ich habe ihn nie gelesen. Er hat ihn geschrieben, nachdem ich gegangen bin."
„Vielleicht solltest du ihn lesen." schlug sie vor und Sirius schien zu überlegen, bevor er den Kopf schüttelte.
„Ich möchte ihn nicht lesen. Es war richtig zu gehen." Plötzlich hielt er ihr den Brief hin und sah sie auffordernd an. „Lies du ihn. Sag mir, ob es wert ist, ihn zu behalten."
Lily sah ihn perplex an. Sie sollte den Brief lesen, den sein Bruder geschrieben hatte? Sie dachte an Regulus zurück und daran, dass sie sich Gedanken darüber gemacht hatte, wie schwer er einzuschätzen war und nun sollte sie so sehr in seine Privatsphäre eingreifen?
Sie fühlte sich schuldig, als sie den Brief tatsächlich öffnete und ihre Augen schnell über den Text gleiten ließ. Er hatte eine schöne Handschrift. Ganz anders als die von Sirius, die mühsam zu entziffern war, war die Handschrift seines Bruders geschwungen und gleichmäßig.
Auch, wenn sie ihn nicht hatte lesen wollen, konnte sie es nicht verhindern und begann die Worte in sich aufzunehmen, die Regulus vor einem Jahr geschrieben hatte.
An Sirius,
Mutter hat heute deinen Namen aus unserem Stammbaum gebrannt. Man konnte ihre wütenden Beschimpfungen und Flüche durch das ganze Haus hören, doch ich gehe davon aus, dass es das letzte Mal gewesen ist, dass sie deinen Namen ausspricht. Sie hat uns deutlich gemacht, dass sie ihn nie wieder hören möchte. Dass alles, was du von nun an tust, nicht mehr unsere Angelegenheit ist und für uns keine Bedeutung hat.
Ich denke, dass es dich nicht stören wird, jetzt, wo du alles hast, was du immer wolltest. Du kannst bei deinem wahren Bruder leben, so wie du es dir gewünscht hast.
Wenn Mutter sagt, dass du nicht mehr zu unserer Familie gehörst, bedeutet das gleichzeitig, dass du nicht mehr mein Bruder bist. Und damit hat sie recht.
Wenn wir ehrlich sind, hast du mich nie als deinen Bruder gesehen.
Lily stoppte kurz, während sie las und warf Sirius einen kurzen Blick zu, der die Hände in seinen Hosentaschen vergraben hatte und auf das Feuer vor sich starrte.
Sie fühlte sich schlecht dabei, den Brief zu lesen, den Regulus an seinen Bruder geschrieben hatte. Es steckte so viel Bitterkeit in ihm und sie konnte den Schmerz förmlich spüren, den er empfunden haben musste, obwohl er nicht offensichtlich war. Lily konnte sich diese Worte aus seinem Mund kaum vorstellen, doch sie fühlte unsagbares Mitgefühl in sich aufzusteigen. Für beide von ihnen.
Du hast gewählt, Sirius. Du hast deine Familie verlassen, du hast mich verlassen und du weißt, warum ich dir nicht folgen werde.
Werde glücklich mit deinem Leben. Du hast deine abstoßende Familie und das Haus voller Mörder hinter dir lassen können, nicht wahr? Nun kannst du tun, was du immer getan hast: Mich alleine und mir somit meine Ruhe lassen.
Ich verstehe, was Mutter meint. Du bist nicht mehr mein Bruder. Nicht, seit dem Moment, in dem du unser Haus verlassen hast. Es ist also nicht nötig, dass du das Gefühl hast, dich um mich sorgen zu müssen.
Aber sei dir bewusst, dass an allem, was geschehen wird, auch du die Schuld trägst.
Regulus
Als Lily den Blick hob und Sirius musterte, sah dieser auf und machte einen fragenden Gesichtsausdruck. „Und?"
„Ich denke nicht, dass du ihn verbrennen solltest." erwiderte sie und wollte ihn ihm geben, damit er ihn las, doch er hob abwehrend die Hand.
„Nicht." meinte er. „Mach damit, was du willst."
Sie wollte ihm widersprechen, ihm sagen, dass sein Bruder verletzt war durch das, was Sirius getan hatte und es nicht zeigen wollte. Doch sie wusste auch, dass er all das nicht hören wollte. Sie wünschte, sie könnte dasselbe von Petunia sagen. Vielleicht wollte Regulus insgeheim seinen Bruder zurück, aber Petunia war froh, wenn Lily dort blieb, wo sie war.
Auch, wenn es ihr widerstrebte, steckte sie den Brief ein und spürte Sirius' Blick auf sich ruhen. „Danke..." begann sie und richtete ihre grünen Augen auf ihn. „Ich hätte nie gedacht, dass es so gut tun würde." Und mit diesen Worten umarmte sie Sirius und legte ihre Hände auf das kühle Leder seiner Jacke. Sie spürte wie er seine Arme um sie legte und legte ihren Kopf an seine Brust, während er ihr sanft über den Rücken strich.
„Kein Grund sich zu bedanken, Evans."
„Lily..." sagte sie. „Du kannst mich Lily nennen."
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