Kapitel 27 : Verwirrung

"Das Mittagessen befindet sich nun in der Scheune.", ruft ein Offiziersmann. Freudig blicke ich von meinem Stoff hoch. Endlich kann ich Pause machen.

Ich und ein paar andere stehen auf, um die Materialien sicher zu verstauen. Auf einmal sehe ich Leonie mit dem anderen Mädchen von ihrer Gruppe, die zu unserem Arbeitsplatz stoßen. Die beiden werden von Sir Hambols begleitet. Augenblicklich fühle ich mich unwohl.

Sir Hambols redet kurz mit den Offiziersmännern, während Leonie die Arbeitsplätze untersucht. Ich war so froh, als ich bemerkt habe, dass sie nicht mehr bei unserem Arbeitsplatz arbeitet. Zwar ist sie jetzt in Sektor 5, was besser ist als Sektor 6, aber wenigstens muss ich sie dann nicht so oft sehen.

Die anderen Offiziersmänner nicken Sir Hambols zu und dieser nickt Leonie und dem Mädchen zu.

Ich gehe zu dem Schrank mit den Materialien, zu dem Leonie und ihre Freundin leider ebenfalls gehen. Ich versuche sie zu ignorieren und meine Materialien einfach wegzulegen, um schnell verschwinden zu können. Doch dazu komme ich gar nicht erst, denn Leonie reißt mir einfach meine Materialien aus der Hand und lächelt mich frech an.

"Was soll das? Das sind meine Materialien. Die brauche ich!", protestiere ich.

"Aber zufälligerweise sind das genau die Sachen, die wir brauchen.", entgegnet Leonie und zuckt mit ihren Schultern.

"Du kannst nicht einfach die Sachen nehmen, die ich für meinen Stoff brauche!"

"Ich bin einen Sektor über dir - vergiss das nicht. Ich kann mir mehr Sachen erlauben, als du!"

"Aber ich brauche genau die für meinen Stoff!", erwidere ich nun lauter, sodass die Offiziersmänner uns einen Blick zuwerfen, aber dann wieder weggucken.

Plötzlich dreht sich Leonie von links nach rechts und - Au! Ruckartig fest meine linke Hand an meinen rechten Arm. Ich nehme meine Hand von der brennenden Stelle und kann nicht glauben, was ich da sehe. Ein großer Riss befindet sich nun an meinem Ärmel, der anfängt von meinem Blut eingetaucht zu werden. Leonie hat mich mit der größten und spitzesten Nadel in den Oberarm geschnitten.

Völlig wütend sehe ich sie an, während sie ihr falsches Lächeln aufsetzt. Aus meiner Wut mitgereissen schubse ich sie an den Schultern, sodass sie zu Boden fällt, wobei mir allerdings ein stechender Schmerz durch meinen rechten Oberarm fährt.

"Was ist da los?", erkundigt sich Sir Hambols, der stürmisch auf uns zukommt. Sobald er bei uns ist beginnt Leonie zu flennen und hält sich ihre Hand an den Rücken.

"Sie hat mich geschubst und nun tut mir mein Rücken ganz doll weh.", beklagt Leonie, die immer noch auf dem Bogen liegt. Entsetzt sehe ich sie an, während Sir Hambols mich böse anblitzt.

"Nein, so war das gar nicht. Sie hat mich zuerst-" "Spar dir deine Ausrede!", schreit mich Sir Hambols plötzlich an, weshalb ich zusammenzucke. Mit seiner rechten Hand winkt er Offiziersmänner herbei, die sich sofort auf den Weg hierher machen.

Sir Hambols hilft Leonie auf, die sich gespielt den Rücken hält. Eine Träne kann man auf ihrem Gesicht erkennen. Die kaufen ihr das doch nicht ernshaft ab.

"Aber sie hat mich gesch-", ich unterbreche meine Rede selber, da mich die Offiziersmänner an meinen Oberarmen anpacken und mich der Schmerz an meinem rechten Oberarm zum schweigen bringt. Ich presse meine Zähne aufeinander, um einen Aufschrei zu vermeiden.

Bevor mich die Männder fortbringen stellt sich Sir Hambols noch einmal vor mich hin. "Ich habe letztens in deine Akte gesehen, Madeline. Wenn du so weiter machst wirst du bald nicht mehr in Sektor 6 sein, sondern im Sektor darunter.", spricht er harsch und ich muss schlucken. Meint er das ernst?

Ohne das ich etwas erwidern kann gehen die Männer bereits mit mir los. Noch einmal drehe ich mich um und erkenne ein zufriedenes Grinsen auf Leonies Gesicht.

Die beiden Offiziersmänner bringen mich wieder in den alten Pferdestall, schieben mich unsanft in eines der Boxen herein und verschließen das Gitter. Schnell verschwinden sie wieder und ich setze mich auf den Boden. Schmerzend halte ich meinen Oberarm und beiße die Zähne erneut aufeinander. Ich hoffe meine Wunde hört bald auf zu bluten, denn verbluten möchte ich hier eigentlich nicht, obwohl es vielleicht doch eine Befreiung wäre...

Nach und nach kommen Offiziersmänner mit einer Liste rein und bringen andere Gefangene zu den Containern. Sie tragen alle die unterschiedlichste Farben, jedoch habe ich keine blauen Gesehen. Ehrlich gesagt habe ich bei dem Fest das erste Mal jemanden in blau gesehen.

Ich sitze hier schon gefühlte Ewigkeiten, bis drei Männer mein Gitter öffnen. Sofort stehe ich auf und zwei Männer greifen an meine Oberarme. Meine Wunde hat vorhin aufgehört zu bluten, aber durch den strengen Griff des einen Mannes fühlt es sich so an, als würde sie wieder beginnen.

Der dritte Mann, der einen Zettel in der Hand hält, guckt einmal drauf, ehe er zu den Männern und mir hochblickt.

"Container 2.", befehlt er. Die zwei Offiziersmänner nicken ihm einmal zu, bis sie mich hinausziehen. Wir gehen durch den Flur und ein Mann, der bereits an der Tür steht, öffnet diese nach draußen.

Wie jedesmal, wenn ich den alten Pferdestall verlasse, tut die Sonne in meinen Augen weh, da es da drin viel zu dunkel ist. Schnell gewöhne ich mich aber wieder an das Licht.

Die beiden Männer bringen mich zu Container 2, ziehen mich die Treppe hinauf, schubsen mich in den Container und schließen hinteher wieder die Tür.

Automatisch setze ich mich auf den Stuhl am Tisch. Mir ist diese Reihenfolge schon viel zu vertraut.

Ich blicke auf meinen rechten Oberarm , um nach meiner Wunde nachzusehen. Mit meinen Fingern hebe ich den nun roten feuchten Stoff über der Wunde an. Ich hatte recht mit meiner Befürchtung. Meine Wunde hat erneut angefangen zu bluten und mein Ärmel wird wieder übertrieft von Blut.

Das Blut ist sogar schon so weit runter geflossen, dass man es bereits an meiner Hand erkennen kann.

Ich betrachte meine Wunde und das Blut weiter, doch ich weiß nicht genau, wie tief Leonie hineingestochen hat. Bei dem ganzen Blut würde ich aber schätzen, dass es sehr tief ist.

Die Tür geht auf und mein Blick wandert sofort dahin. Der Meister. Sofort werde ich angespannt, doch die Anspannung mischt sich mit ein wenig Erleichterung. Aber warum?

Der Meister schließt wieder die Tür und sieht mich an, bis er auf meinen rechten Arm schaut und die Augen aufreißt.

Mit schnellen Schritten kommt er auf mich zu, kniet sich neben mich hin und begutachtet meinen Arm. Meine Finger nehme ich wieder von meinem Stoff weg.

"Was ist passiert?", fragt er mit ruhiger Stimme, wobei man auch etwas Besorgnis hraushören kann. Vorsichtig krempelt er meinen langen Ärmel des Kleides hoch, während seine Augen immer wieder zu mir hochschauen. Wartet er wirklich auf eine Antwort von mir?

Durch das Umkrempeln wird der Stoff an meinem Oberarm immer enger. Scharf ziehe ich die Luft ein, als er an meiner Wunde vorbei ist.

"Entschuldige.", flüstert er, aber immer noch sehr hörbar. Der Meister krempelt meinen Ärmel so lange hoch, bis er an meiner Schulter angelangt ist, wo er es dann auch beläst.

Erneut schaut er zu mir hoch. Soll ich ihm es wirklich erzählen? Irgendwie fühle ich mich dumm dabei.

"Mich hat nur jemand mit einer Nadel geratscht. Es ist nicht so schlimm.", lüge ich. Es brennt wie die Hölle, aber das werde ich ihm nicht eingestehen. Ich möchte nicht wie ein Schwächling wirken.

Der Meister scheint mir meine Aussage nicht abzukaufen, da er seine Augenbrauen zusammenzieht und sich meine Wunde ansieht. Dabei fest er meinen Arm an, weshalb ich ein wenig zusammenzucke. Wieder sieht er mich an, dieses Mal mit weicheren Gesichtszügen. Da ich nicht reagiere sieht er sich die Wunde weiter an.

"Das sieht mir aber nach einer sehr tiefen Schnittwunde aus. Sicher, dass es nicht so schlimm ist? Immerhin ist dein Arm und dein Kleid überströmt mit Blut."

Ich nicke auf seine Frage hin und er atmet laut aus.

"Na gut, aber trotzdem werde ich mich um deine Wunde kümmern.", bestimmt er und ich sehe ihn verwundert an.

Er steht auf und geht zu der rechten Tür. Ich weiß nicht, was sich hinter der rechten Tür befindet, weshalb ich meinen Kopf dorthin umdrehe. Der Meister holt einen Schlüsselbund aus seiner Hosentasche, an dem mehrere Schlüssel befestigt sind. Schnell entscheidet er sich für eine von denen, steckt diesen ins Schlüsselloch, dreht ihn um und öffnet die Tür.

Leider kann ich nicht genau erkennen, was sich in dem Raum befindet, weil ich meinen Kopf nicht so weit drehen kann, weshalb ich beschließe aufzustehen.

Vorsichtig stehe ich vom Stuhl auf und drehe mich zu der Tür. Ich glaube ich hätte mit allem gerechnet, außer dem, was sich wirklich hinter der Tür befindet.

Es ist einfach ein Badezimmer, aber der Raum ist definitiv kleiner als der von der linken Tür. Soweit ich erkennen kann sehe ich hinten an der Wand eine Duschwanne, davor eine Toilette und gegenüber davon ein Waschbecken. Neben dem Waschbecken ist ein Schrank, aus dem der Meister gerade einen roten Kasten herausholt. Der sieht genau aus, wie der Verbandskasten bei Judith. Bestimmt ist das auch einer.

Der Meister kommt aus dem Raum mit dem Kasten heraus und legt diesen auf den Tisch. Er schaut noch einmal auf meinen Arm, dann geht er wieder in den Raum. Aus dem selben Schrank holt er ein grünes Tuch heraus, dass er unter dem Wasserhahn nass macht.  Erneut kommt er zurück, stellt sich vor mich und greift nach meinem Handgelenk. Er hebt es etwas hoch, damit mein Arm ausgestreckt ist. Vorsichtig beginnt er mit dem nassen Tuch meine Blutspuren wegzuwischen.

Dadurch, dass er mein Blut und den Dreck, der sich auf meiner Haut angesammelt hat, wegwischt, kommen meine Narben und roten Stellen von den Strafen sichtbar zum Vorschein. Am liebsten würde ich meinen Arm wegziehen, weil ich mich sehr dafür schäme, weshalb ich anfangen mit meinen Fingern an meinen Händen zu spielen, um die Scham irgendwie abzubauen.

Der Meister erkennt die Narben, hört auf meinen Arm sauber zu machen und schaut sich diese genau an, was mir noch unangenehmer ist. Plötzlich fährt er langsam mit den Daumen seiner linken Hand, mit der er mein Handgelenk festhält, über eine der Narben. Seine Berührung ist so sachte und auf einmal fühlt es sich so an, als würde die Zeit stillstehen.

Jedoch hält das nicht lange an, weil er sich räuspert, seinen Daumen zurück zieht, und mit dem Tuch fortfährt. Sofort werde ich in die Realität zurückgerissen.

Meine Hand und mein Unterarm sind nun wieder vom Blut befreit, jedoch beginnt das Tuch sich langsam rot zu färben. Der Meister fährt weiter zu meinem Oberarm. Er ist sehr konzentriert dabei meine Wunde nicht zu treffen, doch er kommt mit dem Tuch nah genug dran, dass ich kurz zusammenzucke.

Schließlich legt er das Tuch weg und sieht mich an. "Das muss desinfiziert werden."

Mein Handgelenk lässt er los  und öffnet den Roten Koffer, aus dem er eine Flasche Desinfektionsspray herausholt, sowie ein kleines weißes Tuch und einen weißen aufgerollten Verband. Judiths Kasten ist nicht so sehr ausgestattet, wie dieser.

Mit dem Spray und dem Tuch in der Hand wendet er sich wieder zu mir.

"Das kann jetzt etwas brennen, aber das müsste schnell vorbeigehen.", warnt er mich vor und ich nicke.

Er schüttelt die Flasche einmal, bevor er zum sprühen ansetzt. Ein brennen breitet sich sofort in meiner Wunde aus, weshalb ich meine Augen zusammen drücke, auf meine Unterlippe beiße und meinen Kopf zur anderen Seite drehe.

Sofort spüre ich ein Tuch auf meiner Wunde. "Lass deinen Arm so.", befehlt er.

Nach kurzer Zeit spüre ich seine Hände erneut an meinem Arm, dieses Mal aber mit einem Verband. Ich merke, wie es um meinen Oberarm immer fester wird, bis der Druck bleibt und das brennen etwas nachlässt.

Ich öffne wieder meine Augen, befreie meine Unterlippe und schaue auf meinen rechten Oberarm, auf dem nun ein Verband mit einem Klebestreifen ziert.

"Besser?", erkundigt sich der Meister und schaut auf den Verband an meinem Arm.

"Ja, viel besser. Danke.", antworte ich etwas schüchtern.

"Weißt du,", beginnt er zu reden, während er sich direkt vor mich stellt, und meinen Ärmel wieder entkrempelt, "ich glaube dir nicht, dass dich einfach jemand so geratscht hat. Das sah mir mehr nach Absicht aus."

Inzwischen umhüllt mein Ärmel, der immer noch rot ist, meinen Arm. Das letzte Stück zupft er an meinem Handgelenk zurecht, ehe er langsam seine Hände hinunterfahren lässt. Plötzlich bemerke ich wie meine Finger seine Berührung. Etwas erschrocken sehe ich zu ihm hinauf. Seine braunen Augen huschen kurz zu unseren Händen, bis sie wieder zu mir gucken. Trotzdessen, dass er es bemerkt hat, nimmt er seine Hand nicht weg. Mein inneres Ich schreit, dass ich meine Hand wegnehmen soll, doch ich kann nicht.

"Bist du sicher, dass das keine Absicht war?", fragt er nochmal nach, wobei seine kastanien-braunen Augen meine durchlöchern.

Doch, es war Absicht, aber ich habe Angst, dass Sir Hambols mir eine auswischt und ich in Sektor 7 komme, wenn ich es sage. Es scheint mir nämlich so, als wäre Leonie sein Liebling, oder er hasst mich einfach nur abgrundtief.

Ich setze gerade an zu sprechen, doch dann bemerke ich einen Kloß in meinem Hals, den ich erst hinunterschlucken muss, bevor ich anfangen kann zu sprechen.

"Ja, ich bin mir sicher."

Er scheint es mir immer noch nicht abzukaufen, da er seine Augenbrauen erneut ein wenig zusammenzieht.

"Na gut, wie du meinst, Madeline." Meinen Namen aus seinem Mund zu hören klingt so melodisch. "Ich hoffe du passt dann etwas mehr auf deine Umgebung auf, damit so etwas nicht nochmal passiert."

Von seinen Augen gebändigt nicke ich einfach nur Stur.

Die Mundwinkel des Meister biegen sich kurz nach oben, bis er einen Schritt nach hinten tritt, seine Mundwinkel wieder ihre gewohnten Form annehmen und sich unsere Finger nicht mehr berühren. Sofort breitet sich Kälte auf meinen Fingern aus und ich vermisse die Wärme, die seine Hand und sein naher Körper mir gegeben hat.

Moment mal, was? Das habe ich doch gerade nicht ernsthaft gedacht.

"Du kannst schon gehen. Ich räume hier noch etwas auf.", sagt er und schaut auf den Tisch, auf dem noch die Sachen stehen.

Verwirrt sehe ich ihn an, während er sich dem Tisch zuwidmet.

"Aber... i-ich wurde noch g-gar nicht bestraft.", stottere ich. Vielleicht war es falsch ihn darauf hinzuweisen, aber das hier ist Mountry. Was, wenn das ein Trick war, und ich sonst eine noch schlimmere Strafe bekommen hätte?

Der Meister dreht seinen Kopf in meine Richtung und sieht mich an. "Tschüss Madeline.", verabschiedet er mich mit ruhiger Stimme und geht mit den Sachen in das Badezimmer.

Immer noch verwirrt stolpere ich zur Tür, aber ich kann mich noch rechtzeitig auffangen, ohne auf dem Boden zu landen. Ich öffne die Tür, schaue noch einmal zum Meister, der das grüne Tuch auswäscht, und gehe aus der Tür hinaus.

Was... was.. was war das denn wieder? Er hat schon wieder etwas nettes getan?

Was ist, wenn Judith recht hat und ich wirklich die zweite Katharina werde? Ist er deshalb so nett zu mir?

Schnell schüttele ich den Gedanken aus meinem Kopf und gehe die Treppe hinunter. Ich schaue in die Scheune und sehe, dass dort Leute sitzen und essen. Schließlich beschließe ich dort ebenfalls hinzugehen und meine Freunde zu suchen. Hoffentlich lenken sie mich ein wenig ab, denn ich habe bei diesem ganzen Wirrwarr keinen klaren Kopf.

Bevor ich das tue ziehe ich mich erstmal um, damit keine Fragen wegen der roten Farbe an meinem Kleid kommen.

-------

Wer hat Lust auf noch ein Kapitel diese Woche?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top