Kapitel 15 : Komplizen
Den Rest des Tages verbringe ich so gut es geht alleine. Ich vermeide jeglichen Kontakt mit anderen Menschen und konzentriere mich nur noch auf meine Arbeit, da ich wieder einen neuen Stoff machen muss.
Dieses Mal werde ich meinen Stoff nicht noch ein mal unbeaufsichtigt liegen lassen. Für den neuen Stoff haben wir dieses Mal ein bisschen mehr Zeit, dafür soll der Stoff allerdings auch perfekt sein. Ich gebe mein Bestes und arbeite so präzise wie möglich.
Mein Daumen fühlt sich schon besser an und mittlerweile habe ich auch eine Technik gefunden, wie ich meinen Daumen bei der Arbeit nicht so sehr belaste.
Die Sonne steht schon tief und ich beschließe mit der Arbeit für heute aufzuhören, zumal es bald Essen geben wird und ich nicht mehr sitzen kann. Die Schmerzen von meinem Unterleib und meinem Daumen, sowie meine Rücken- und Gesäßschmerzen machen mir sehr zu schaffen.
Ich lege meine Materialien mit meinem Stoff an einen sicheren Ort im Schrank. Enttäuscht muss ich Festellen, dass mein Verband schon wieder total abgenutzt ist, als ich drauf schaue, weshalb ich beschließe Judith wieder einen Besuch abzustatten. Eigentlich möchte ich ihr nicht auf die Nerven gehen und ich gehe auch nicht unbedingt zu ihr, nur weil mein Verband wieder etwas zerstört ist. Vor allem gehe ich zu ihr, weil ich sie mag und ich nich bei ihr wohl fühle.
Gedankenversunken schlendere ich an den Häusern vorbei und erreiche Judiths Haus. Durch das Fenster kann ich Moritz erkennen, wie er gerade etwas aus einer Schüssel isst. Erst jetzt bemerke ich, dass ich Judith und Moritz noch nie in der Scheune zum Essen gesehen habe. Warum? Weil Judith ein Kind hat? Sind Kinder in der Scheune verboten? Das kann eigentlich nicht sein, weil ich letztens Kinder an der Scheune gesehen habe, jedoch nie beim Essen.
Judith sitzt neben ihrem Sohn und isst ebenfalls etwas aus einer Schüssel. Sie bringt gerade ihren Löffel zu ihrem Mund, als sie aus dem Fenster guckt und mich entdeckt. Etwas beschämt, da ich sie und Moritz beobachtet hatte, lächle ich etwas verdattert und lasse meinen Blick um die Umgebung schweifen, bis ich bemerke, wie die Tür von Judiths Haus auf geht.
„Madeline, was machst du denn hier?", fragt Judith überrascht, die nun im Türrahmen steht. „Ich..ähm..also..", so genau weiß ich nicht, was ich sagen soll, weshalb ich schlussendlich einfach nur auf meinen Daumen mit dem Verband weise.
„Oh.. Komm doch rein." Sie öffnet die Tür nun weit um mich hinein zu lassen.
„Danke.", entgegne ich im vorbeigehen, „Tut mir leid, dass ich störe." Mein Blick fällt auf den Tisch, an dem Moritz sitzt und wo das Essen auf dem Tisch steht. Jetzt erkenne ich auch, was die beiden Essen. Es scheint eine Kartoffel-Gemüse-Suppe zu sein. Bei dem Geruch zieht sich mein Magen schon zusammen. Wie gerne ich doch etwas von der Kartoffel abhaben würde. In der Scheune gibt es immer nur Gemüsesuppe und die ersten, die an das Essen kommen, holen sich meistens schon das ganze Gemüsse, sodass fast nur noch Flüssigkeit übrig bleibt.
„Kein Problem. Wir sind nur gerade am Essen. Setz dich gerne.", spricht sie während sie nach hinten geht, um den Verbandskasten zu holen. Ich setze mich an den Eckplatz des Tisches und gucke zu Moritz, der mich schon die ganze Zeit ansieht, seit dem ich das Haus betreten habe. Ich lächle ihm zu, was er mit einem kleinen Lächeln seinerseits erwidert, ehe er sich einen Löffel mit Essen in den Mund schiebt.
„Schmeckt's?", frage ich, um die Stille ein wenig zu füllen. Als Antwort bekomme ich ein nicken von ihm. Judith kommt zurück und legt den Verbandskasten auf den Tisch. Sie öffnet diesen und holt die Materialien heraus. Während sie meinen Daumen behandelt fragt sie mich, ob es denn schon besser wurde, was ich bejahe. Mein Daumen sieht tatsächlich auch schon besser aus.
„Mama, darf ich spielen gehen?", fragt Moritz, nach dem er anscheinend fertig gegessen hat. Seine Mutter nickt ihm zu und er geht in die rechte Ecke des kleines Hauses, wo sich ein paar Spielsachen befinden.
„So, fertig!", äußert sich Judith und betrachtet zum letzten Mal meinen neuen Verband, ehe sie auch schon die Sachen zurück in den Kasten legt.
„Ähm, Judith?", frage ich etwas scheu und sie schaut mich erwartungsvoll an,„Hast du möglicherweise auch Schmerztabletten oder so etwas?" Man kann mir anhören, dass ich mich etwas für die Frage schäme, da meine Stimme sehr brüchig und leise klingt.
Plötzlich verändert sich Judiths Gesichtsausdruck. Von ihrer Ausgeglichenheit kann man nichts mehr erkennen. Stattdessen erkennt man Besorgnis.
„Wegen deinem Daumen?", fragt sie langsam und deutlich. Wahrscheinlich ist ihr klar, dass es sich nicht um meinen Daumen handelt, da ich vorhin auch nicht zusammengezuckt bin, als sie sich darum gekümmert hatte. Als Antwort schüttele ich meinen Kopf und schaue nach unten auf den Boden.
Ruckartig setzt sich Judith wieder hin und nimmt meine Hand, welche sie vorhin noch verarztet hat. „Maddy, was ist passiert?" Man kann deutlich heraushören, wie besorgt sie ist. Ein Kloß bildet sich in meinem Hals und die Tränen kommen wieder. Es ist das erste Mal, dass ich es sagen werde. Ich werde keine Details nennen, denn soweit bin ich noch nicht, aber bei Judith fühle ich mich sicher und geborgen. Sie drängt mich nicht, wie es meine Freunde tun. Ein unerwartetes schluchzen kommt von mir und Judith verstärkt ihren Griff um meine Hand.
„Ich habe meine erste Strafe bekommen.", sage ich schließlich leise.
„Vom Meister?", fragt sie mich. Ich hebe meinen Kopf um ihr ins Gesicht zu schauen. Ich nicke und beiße mir auf die Unterlippe, damit ich nicht sofort anfange komplett loszuweinen. Vor allem möchte ich auch nicht, dass Moritz davon etwas mitbekommtt. Mitfühlend sieht sie mich an. „Ich bin mir nicht sicher, aber ich schaue mal, was ich finden kann, okay?"
Sie streicht ein paar Haare aus meinem Gesicht und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln, bis sie aufsteht und in den Schlafraum verschwindet. Ich atme aus und streiche mit meiner Hand über mein Gesicht. Schnell versuche ich die Erinnerungen an die Nacht wieder verschwinden zu lassen, die sich wieder in meine Gedanken gedrängt haben.
Ich bin Judith sehr dankbar, dass sie mich nicht weiter ausfragt. Wie oft muss sie so etwas schon erlebt haben, um zu wissen, wie es mir geht? Mein Blick schweift zu Moritz, der immer noch in der Ecke sitzt und spielt.
Schließlich stehe ich auf und gehe zu Moritz, damit ich mich ein wenig ablenken kann. Ich bleibe vor ihm stehen und Moritz schaut mich erwartungsvoll, aber auch ein wenig ängstlich, an.
„Kann ich mitspielen?", frage ich mit einem kleinen Lächeln. Moritz nickt zögerlich und ich setze mich neben ihm auf dem Boden. Erst jetzt erkenne ich womit er überhaupt spielt. In seiner Hand hält er etwas aus Stock gebasteltes, was wohl einen Menschen darstellen soll. Der Stock hat am Ende jeweils zwei gegenüberliegende kleine Stöcke, welche die Beine sein sollen. Fast ganz obensind zwei weitere kleine Stöcke, die die Arme darstellen. Oben ist ein sturupur Ball befestigt, auf dem ein Gesicht gemalt wurde.
Auf dem Boden liegen noch drei weitere. Eine, die genauso groß ist und zwei kleinere. Die liegen unter eine Art Haus, welches aus drei Holzstücken besteht, die jeweils an den Seiten und hinten angebracht wurden. Darauf befindet sich ein Stoff, der aber auch schon sehr ausgefranst ist. Die Figuren in dem Haus liegen auf weiteren kleinen Stoffausschnitten, die wahrscheinlich das Bett darstellen.
„Was spielst du denn schönes?", frage ich und er zeigt auf das Haus. „Ist das eine Familie?"
Der kleine Junge nickt und legt seine Figur neben die anderen. Moritz traut sich nicht so ganz zu spielen, seit dem ich bei ihm bin. Ich kenne da einen guten Trick, um die Stimmung aufzulockern; sich zum Affen machen. „Gehen die alle schlafen?"
Moritz nickt erneut auf meine Frage. Schnarch. Ich fange einfach an die bescheuertsten Schnarchgeräusche von mir zu geben. Etwas erschrocken und skeptisch sieht mich Moritz an, aber schnell schleicht sich ein Lächeln auf seine Lippen.
Ich nehme eine der Figuren, welche die Frau ist, da sie lange Haare gemalt bekommen hat, und stelle eine Konversation zwischen dieser und dem Mann dar, indem sie sich beschwert, dass er so laut schnarcht. Dabei mache ich alles ziemlich albern und plötzlich kann ich ein süßes Kinderlachen hören.
Überrascht drehe ich meinen Kopf in seine Richtung und sehe eins der süßesten Lachen, die ich je gesehen habe. Hinter ihm erkenne ich ein paar Beine und gucke hoch. Judith steht dort mit einem Becher in der Hand und schaut lachend zu uns hinunter.
„Da hat aber jemand spaß.", sagt sie voller Freude und streicht ihrem Sohn kurz durch die Haare. Mit einer Bewegung zeigt sie mir, dass ich ihr folgen soll. Ich lege die Figuren hin und stehe langsam auf.
„Das hat spaß gemacht!", erwähne ich noch kurz, ehe ich mich auf den Weg zum Tisch mache.„Fand ich auch.", höre ich noch seine kleine Kinderstimme.
Am Tisch angekommen reicht Judith mir einen Becher. Sie hat da wohl irgendwas hinein getan, was schmerzen lindern soll. Ich vertraue ihr einfach mal und schlucke das bittere Getränk hinunter.
„Danke!", entgegne ich ihr, während ich ihr den Becher wieder gebe. Der bittere Geschmack liegt immer noch auf meiner Zunge und ich schüttele mich leicht.
„Ich glaube du musst mal los. Es gibt gleich für euch Abendessen."
Ich mache mich auf zur Tür und Judith begleitet mich. „Danke nochmal.", sage ich und zeige auf meinen Verband.
„Ich muss dir danken.", flüstert sie und ich schaue sie verwirrt an. „Dafür, dass du Moritz zum Lachen gebracht hast." Ein Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich möchte gerade etwas erwidern, doch da schließt sie auch schon die Tür.
...
„Kann ich mich zu dir setzen?" Ich lege meinen Kopf in meinen Nacken, um zu gucken, wer mich gerade angesprochen hat. Oliver steht vor mir und schaut mich bittend an. Ich nicke und er setzt sich neben mich auf den staubigen Bogen. Der Drahtzaun gibt ein lautes Geräusch von sich, da er sich an ihm anlehnt.
„Sind die anderen immer noch in der Scheune?", frage ich bedrückt und starre in die ferne.
„Ja. Ich hab etwas schneller gegessen und bin schon mal gegangen."
Mein Kopf fällt wie automatisch auf meine Knie, welche ich hochgezogen und meine Arme drum geschlungen habe. „Es tut mir leid.", murmele ich. Oliver scheint nicht so ganz zu wissen, was ich meine, denn aus dem Winkel meines Auges kann ich sehen, dass er ein wenig verwirrt ist. „Dafür, dass wir dich damals so genervt haben mit den Fragen.", gebe ich zu und schnaufe aus.
Jetzt, wo ich in so einer Situation bin, kann ich sehr gut nachvollziehen, wie es sich damals für ihn angefühlt hat.
„Maddy, es muss dir nicht leid-" „Doch", falle ich ihm ins Wort, „Doch das muss es! Vor allem jetzt, da ich weiß, wie es sich anfühlt." Ich bin mir nicht sicher, was genau ich mit meiner letzten Aussage meine. Entweder das nervige Gefrage oder die Strafe an sich, aber das ist mir schließlich egal.
Oliver scheint sich nicht ganz sicher zu sein, was er antworten soll, doch da kommen auch schon die anderen wieder. Ich hebe meinen Kopf hoch und sehe dicht gefolgt einen Offiziersmann hinter ihnen und mein Puls schießt hoch. Was haben die angestellt? Warum kommt er zu uns?
Anscheinend haben die anderen den Mann allerdings noch nicht bemerkt, da sie fröhlich vor sich hin trällern. Oliver und ich schauen uns kurz an, ehe wir unsere Köpfe wieder in ihre Richtung drehen. Die Fünf machen sich auf den Weg zu uns und erreichen unseren Platz, da wird deren Gerede schon von einer kräftigen Stimme unterbrochen.
„Hey, ihr da!" Wir schauen alle in das Gesicht des Offiziersmannes und die Angst, von uns allen, kann man deutlich spüren. „Ja, ihr alle. Ihr habt die nächsten zwei Tage Abwaschdienst."
„Für jede Mahlzeit?", fragt Alina, die versucht so kräftig wie der Mann selber zu klingen.
„Ja, alle Mahlzeiten!", bekräftigt er ihre Frage, dreht sich um und macht sich auf den Weg zurück, wo auch immer er hin muss.
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