Kapitel 12 : Der zerstörte Stoff

„Kennst du Leonie?", fragt mich Jennifer während wir gerade unser Abendessen vom Tisch holen, welches  mal wider aus einer Scheibe trockenem Brot und Aufschnitt besteht. Bei Jennifers Frage bleibe ich jedoch kurz stehen und drehe mich in ihre Richtung. „Wieso fragst du?", möchte ich skeptisch wissen und ziehe meine Augenbrauen ein wenig zusammen.

„Nur so." Sie zuckt mit den Schultern, nimmt eine Scheibe Wurst von dem Tisch und macht sich auf den Weg zu unserem Tisch. Nur so? Das kaufe ich ihr nicht ab. Kurz vor unserem Tisch ziehe ich sie an ihrem Arm wieder zu mir nach weiter hinten. 

„Hey, was soll das?", äußert sie sich irritiert und zieht eine Augenbraue hoch. 

„Woher kennst du Leonie?", frage ich direkt. Bei dem Thema Leonie werde ich ganz nervös und fange and mit meinen Nägeln an meinem Daumen zu pulen. 

„Aus dem Kindergarten", gibt sie spöttisch wieder und ich verdrehe die Augen.

„Jennifer bleib' mal bitte ernst!", ermahne ich sie streng.

„Ist ja gut, ist ja gut!" Sie versucht sich zu beruhigen, doch ein kleines Lachen entflieht ihr noch. „Also?", hake ich erneut nach und verschränke meine Arme vor der Brust, so gut es nun mal geht mit einem Teller in der einen und einen Becher in der anderen Hand. 

„Natürlich kenne ich sie von hier. Sie sitzt neben mir bei unserer Arbeit und wir haben heute in der Mittagspause miteinander geredet. Sie ist echt nett und ich hab mich nur gefragt, ob du-" „Woah, warte!", unterbreche ich sie und schaue sie mit großen Augen an. „Ich glaube wir reden nicht von der gleichen Leonie." Nett und Leonie passen nicht in einen Satz.

„Gibt es hier noch eine andre Leonie?" 

„Nicht dass ich wüsste... Okay, wie sieht deine Leonie denn aus?" 

„Maddy, die Leute sehen hier doch alle gleich aus." 

„Haarfarbe?", frage ich genervt. Bitte sag nicht blond. Bitte sag nicht blond. Bitte sag nicht blond.

"Blond, aber eher so ein dunkelblond" Verdammt! Genervt atme ich laut aus, bis ich wieder gewinne zu sprechen.  „Okay Jennifer, pass' auf. Ja, ich kenne Leonie, aber-" „Hey, da kommt sie ja.", unterbricht mich Jenny und zeigt auf eine der offenen Türen von der Scheune, in der gerade Leonie hereintritt mit ihren 3 anderen Freunden. Sie geht ganz vorne, gefolgt von dem anderen Mädchen und den zwei Jungs. Leonie sieht uns direkt und winkt uns zu mit einem Lächeln. Ohne auch nur auf das Essen zu achten, was die anderen ihrer Gruppe jedoch tun, kommen die 4 auf uns zu. 

„Hi Jennifer.", begrüßt Leonie meine Freundin und trägt immer noch ihr viel zu übertrieben freundliches Lächeln auf den Lippen, wobei sie sich umarmen. Ist das wirklich nötig? Die beiden haben sich höchstens 20 Minuten nicht mehr gesehen. 

„Hi! Das ist meine Freundin Maddy, aber sie meinte ihr kennt euch schon?" Etwas verunsichert schaut Jennifer abwechselnd in Leonies und dann wieder in mein Gesicht. Eine kurze komische Stille breitet sich aus. Erst jetzt wird mir bewusst, dass Leonie meinen Namen gar nicht kannte und das Jennifer ihn ihr gerade preisgegeben hat. Leonies Lächeln verschwindet kurz und die anderen aus ihrer Gruppe tauschen einen Blick aus, ehe Leonie ein erneutes falsches Lächeln aufsetzt und mich ebenfalls umarmt. Nur zögerlich lege ich meine Arme um sie, während sie mich viel zu doll drückt und ungeschickt mit ihren Armen herum wedelt, wobei mein Brot fast herunterfällt. Ich bin mir 100 Prozent sicher, dass sie leicht ihre Augen verdreht, als sie kurz auf meinen Teller sieht und entdeckt, dass das Brot noch drauf war.

„Aber natürlich, Maddy! Wir haben uns gestern kennengelernt.", erzählt Leonie freudig, aber ich kaufe ihr dieses aufgesetzte nicht ab. 

„Wirklich? Warum hat du mir nichts erzählt?", fragt mich Jennifer und Leonie schaut mich auffordernd an. 

„I-Ich..." 

„Hey, ihr da. Das ist kein Platz zum plaudern. Setzt euch gefälligst hin!", unterbricht uns ein wütender Offiziersmann. Stumm nicken wir und wir bewegen uns zu unserem Essensplatz. Ein klein wenig spüre ich eine Erleichterung in mir aufkommen, da ich mich nicht mehr zu erklären brauche. 

„Ach Leonie?", beginnt Jennifer erneut zu reden. Ich bleibe stehen, drehe mich um und schaue genervt in ihre Richtung. Was will sie denn jetzt noch von ihr? Leonie schaut sie fragend an.

„Möchtest du mit deinen Freunden vielleicht bei uns heute sitzen?" Bitte was? Habe ich mich gerade verhört? Hat Jennifer gerade ernsthaft die Leonie gefragt, ob sie bei uns sitzen will? Mit offenem Mund und verdattertem Ausdruck schaue ich abwechselnd zu Jennifer und zu Leonie. Ein verschmitztes Lächeln bildet sich auf Leonies Lippen, als sie mir in die Augen schaut und sagt; „Liebend gern."

Genervt setze ich mich an meinen Platz neben Cole. Ich lasse mich auf meinen Platz fallen und schnaufe zornig aus. „Was ist los?" Cole sieht mich skeptisch an. 

„Drei Mal darfst du raten wen Jennifer zu uns an den Tisch eingeladen hat und wer gerade mit ihrer Gruppe zu uns auf dem Weg ist. " Er schaut in die Richtung, in die meine Augen schauen. „Und das ist...?" Verwirrt schaue ich Cole an. Hab ich ihm nicht gestern von Leonie erzählt und habe ich nicht gestern am Tisch schon auf sie gezeigt? 

Ich öffne meinen Mund und will etwas sagen, doch schnell schließe ich ihn wieder. Gestern beim Frühstück saß doch Alina neben mir und Cole kennt Leonie somit nur aus meinen Erzählungen von gestern.

„Leonie", fletsche ich schließlich zwischen meinen Zähnen hervor. Die 4 grau gekleideten Menschen machen es sich an unserem Tisch bequem. Durch die neuen Leute an unserem Tisch müssen die anderen Rücken, von denen wir genervte Blicke abbekommen, aber keiner sagt etwas dagegen. Leonie sitzt genau gegenüber von mir. Cole durchlöchert sie mit seinem Blick. Leider tut er das nicht ganz ungeschickt, denn Leonie bemerkt es, lächelt und winkt ihm spielerisch zu. Versucht sie gerade zu flirten oder was wird das? Ich glaub das echt nicht! 

Ich rücke näher an Cole heran, hake mich bei ihm in der Seite ein und greife nach seiner Hand.

Etwas erschrocken von meiner plötzlichen Aktion zuckt Cole zuerst, aber lässt seine Hand schließlich in meiner bleiben. Ich sehe Leonies skeptischen Blick, welcher auf unseren Händen liegt. Sie hebt ihr Kinn und beginnt zu essen, wobei sie jedoch immer wieder Blicke zu uns hinüber wirft.

...

Zum ersten Mal werde ich nicht vor der Trompete wach, sondern werde von ihr geweckt. Total müde und erschöpft raffe ich mich auf, um wie gewohnt mit den anderen zum Frühstück zu gehen. Wir haben schon eine Routine entwickelt die wir meistens schweigend antreten, außer von einem „Guten Morgen" von Cole, was er zu mir jeden Morgen sagt, womit er unser Schweigen für eine Sekunden unterbricht.

Wie gewohnt gibt es Brot, Aufschnitt, Wasser, eine Menge grau gekleideter Menschen und ein paar Männer in Uniform. Die Lautstärke hat wieder ihren normalen Ton angenommen, nach dem sich jeder von dem Schreck mit Maike erholt hat. Ich selber denke daran nur noch selten, was mich selber auch sehr erschreckt, da das Geschehene ja auch nur ein paar Tage her ist.

Nach dem wir fertig sind gehen wir wieder unser Geschirr ablegen. 

Seit meinem sehr ungünstigen Aufprall mit Leonie bin ich sehr vorsichtig geworden und betrachte meine Umgebung und die Mitmenschen um mich herum genauer. Gestern habe ich sogar immer gewartet, bis die meisten weg waren und das Gedrängel somit aufhörte, damit ich mein Geschirr in Ruhe ablegen konnte.

Gemeinsam mit meinen Freunden mache ich mich auf den Weg zu unserer Arbeitsstelle. Der selbe Offiziersmann, der immer die 'Ansprachen' am Anfang hält, erzählt, dass wir nur noch 5 Stunden Zeit haben, um den Stoff fertig zu bekommen. Den Nachmittag über haben wir dann 'frei', nur um uns anderen Pflichten zu widmen. Bei seiner Stundenanzahl, die er erwähnt hat, muss ich schlucken. Wegen meinem verletzten Daumen kann ich nicht so schnell arbeiten und muss mehr aufpassen, damit er nicht wieder anfängt zu bluten und damit mein Verband auch nicht wieder so schnell beschädigt wird. Ich hoffe wirklich sehr, dass ich den Stoff noch fertig bekomme.

...

„Die Zeit ist um! Legt euren Stoff auf euren Tisch und bringt die Materialien weg. Legt sie in die vorgesehenen Kisten im Schrank und geht danach wieder zu eurem Tisch.", befielt der selbe Offiziersmann. Etwas enttäuscht sehe ich meinen Stoff an, den ich gerade so fertig bekommen habe. Ein paar Fäden hängen heraus, doch ich hoffe, dass das kein Problem sein wird.

Alle springen sofort auf, doch ich bleibe noch ein wenig sitzen, um nicht in dem Gedrängel zu landen. Während die anderen sich zum Schrank bewegen beobachte ich den Offiziersmann. Er ist sehr groß und schlank und aus seiner Mütze entlocken ihm ein paar blonde Strähnen. Seine Uniform hebt sich nicht von den anderen Männern ab, abgesehen von seinen Abzeichen. 

Wie ich schon mal gesehen habe trägt er ein größeres Abzeichen mit der Zahl 6 drauf. Dieses Abzeichen tragen auch die anderen Männer, die hier rum stehen. Bevor ich mich weiter auf seine Abzeichen konzentriere ziehe ich mich aus meinen Gedanken heraus. Die Schlange ist zwar immer noch lang am Schrank, aber trotzdem schnappe ich mir meine Materialien und stelle mich hinten an. 

Eine gefühlte Ewigkeit stehe ich hier schon rum und bereue es so früh aufgestanden zu sein. Endlich bin ich an der Reihe und packe meine Materialien zurück an ihren Ort. „Legt bitte einen zacken zu und geht wieder an eurem Platz.", ruft ein Wachmann. Mit schnellen Schritten gehe ich auf meinen Platz. 

Ein paar Offiziersmänner gehen schon herum und bewerten die Stoffe. Rechts neben meinem Platz steht auch schon einer und schaut sich den Stoff von meinem rechten Sitznachbar an, mit dem ich noch nie zuvor geredet habe. Die beiden beenden das Gespräch und der Mann wandert zu meinem Platz. Gleichzeitig mit ihm komme ich an meinem Platz an. Ich schaue mir seine Mimik im Gesicht an, bis mir auffällt, dass sein Ausdruck alles andere als nach Zufriedenheit ausschaut. Er schaut empört nach unten, ehe er seinen Kopf nach oben bewegt und mir zornig ins Gesicht schaut. Stören die paar Fäden doch so sehr? So schlimm ist mein Stoff doch gar nicht. 

Ich schaue nach unten, um mir nochmal selber einen Blick zu verschaffen, und traue meinen Augen nicht. Mein Stoff sieht nicht mehr so aus, wie ich ihn zuletzt hier liegen gelassen habe. Anstatt ein, zwei Fäden hängen nun hunderte von Fäden kreuz und quer. Der Stoff ist auch nicht mehr eng, sondern total lose und man kann durch ihn durchgucken.

Erschrocken, von dem Anblick meines Stoffes, lege ich die Hand auf meinen offenen Mund, welcher sich aufgrund meiner Fassungslosigkeit geöffnet hat. 

„Findest du diese Arbeit ist hier angebracht?", schnauzt mich der Mann an, wobei die anderen grau gekleideten Menschen und Offiziersmänner auf uns aufmerksam werde. 

„Nein.. das..das.. das war ich nicht!", stottere ich vor mich hin. Weitere Männer kommen zu uns und deren Augen schauen mich dunkel an. Ich fange an zu zittern und ich merke, wie meine Augen feucht werden. 

„Das ist doch dein Stoff oder?", fragt er erneut zynisch. Es ist mein Stoff, soweit ich es an der Farbe erkennen kann, aber ich habe den Stoff so nicht genäht. 

„Ja, aber-" „Dann kannst du dich auch nicht herausreden.", spricht er mir ins Wort. „Nimmt sie mit!" Ohne, dass er seinen Blick von mir ablässt kommen zwei Männer auf mich zu und packen mich jeweils rechts und links am Arm. 

Aggressiv ziehen sie mich mit sich mit, wobei ich mich verzweifelt versuche zu befreien. „Nein! Nein! Bitte nicht! Ich war das nicht!" Hilflos versuche ich der Situation zu entkommen, doch keiner der Männer reagiert. 

„Maddy?", kommt unglaubwürdig von Alina, als die Männer mich an ihr vorbeiziehen. Sofort dreht sich Cole um, der ebenfalls bei ihr steht. 

Beide schauen mich unglaubwürdig an, während ich von den Männern weggeschoben werde. Cole und Alina versuchen zu mir zu rennen, doch sie werden von weiteren Wachmännern aufgehalten. Ich kann nur noch hören, wie sie meinen Namen rufen.

Ich wehre mich immer noch gegen die festen Griffe der Männer und ich bin kurz davor vor Verzweiflung zu weinen. Wir gelangen zu der kleinen Tür zwischen der Scheune und dem großen Gebäude. Ein Mann, der davor steht, öffnet die Tür, um uns hinein zu lassen. Schnell werfe ich noch einen Blick zurück, ehe die Tür auch schon geschlossen wird. 

Wir gehen einen dunklen Flur entlang, in dem es eine Treppe und einen Fahrstuhl gibt, doch die brauchen wir nicht, da mich die Männer nach links, durch eine weitere Tür, schieben. Es ist sehr dunkel in dem Raum und nur durch kleine Fenster gelangt Licht hinein. 

Ich werde etwas weiter geschoben, bis einer der Männer ein Gitter öffnet und mich beide hinein schubsen. Unsanft lande ich auf den harten, kalten Boden, welcher aus dem allbekannten trockenem Sandboden besteht. Etwas Stroh kann ich auch unter meinem Körper fühlen. Die Männer schließen das Tor und ich höre, wie sie aus der Tür verschwinden.  

Es wird leise, sehr leise, und ich werde mir meiner Situation immer bewusster. Das hier ist der Ort, an dem sie auch Dennis und Maike hineingeschickt haben. Einer der Personen hat sich danach total verändert und die andere Person ist Tod. Ich kann die Tränen nicht mehr halten und beginne zu schluchzen. 

Erschöpft lehne ich meinen Rücken gegen eine Holzwand und beginne zu weinen, wie ich es noch nie zuvor getan habe. Ich weine um mein Leben, meine Heimat, meine Freunde, meine Familie, mich selbst. Doch immer wieder stelle ich mir die Frage; Was ist besser? Der Tod oder eine total Veränderung von mir selbst, welche nichts Gutes heißt. Ich weiß es nicht.

Hilflos ziehe ich meine Knie an mich heran und wippe vor und zurück. Die Unwissenheit frisst mich noch mehr auf, als alles andere. Was wird mit mir passieren?

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Heyy
Ich hab das Cover erneuert. Was sagt ihr? Besser als das andere?
Ich hoffe etwas längere Kapitel, wie dieses, sind kein Problem.. 🙈
Was glaubt it, wer Maddys Stoff zerstört hat? 🤔
xoxo

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