Kapitel 10 : Konflikte

Verschwitzt werde ich nach einem langen Albtraum wach. Verschlafen setze ich mich auf und reibe mir die Augen. Die Szenen meines Traumes schweben weiter in meinem Kopf und verkrampft versuche ich diese zu vergessen. Doch zu gut kann ich mich an den leblosen Körper erinnern, den ich sowohl in meinem Traum als auch in echt gesehen habe.

Ich versuche den schrecklichen Anblick aus meinen Gedanken zu verbannen, doch erfolglos schnaufe ich aus und lege meinen Kopf wieder auf das Kissen. Die Nacht mit Kissen und Decke war wirklich viel angenehmer als ohne, jedoch ist es nicht wirklich viel bequemer. Mein Kopf liegt zwar gemütlich auf dem Kissen, doch mein Körper wird weiter durch den steinigen und harten Boden gefoltert.

Erschöpft schaue ich hoch in den blauen, wolkenlosen Himmel, während ich Coles gleichmäßigen Atem lausche. Ich wünschte ich könnte auch so ruhig schlafen, wie er. Obwohl ich jeden Tag so erschöpft bin, habe ich dennoch Probleme beim schlafen. Wenn ich suchen mich Albträume heim, sowie in dieser Nacht. 


Nach einem kurzen Moment der Stille erklingen die Trompeten, wie jeden Morgen. Das plötzliche laute Geräusch lässt mich zusammenzucken und mein Puls erhöht sich von der einen Sekunde auf die andere. Niemals werde ich mich an dieses schreckliche Geräusch gewöhnen. 

Ohne groß nachzudenken stehe ich auf und streife mein graues Kleid zurecht, welches auch schon sehr mitgenommen aussieht. Mittlerweile fallen wir auch nicht mehr so auf, da wir alle genau so erschöpft aussehen, wie die anderen. Ohne ein Wort zu sprechen legen wir alle die Decken und Kissen an den Zaun und machen uns auf den Weg zur Scheune. 

Wie jeden Morgen gehen wir mit einer großen Masse von grau gekleideten Menschen in die Scheune, holen uns eine Scheibe Brot mit unserem Aufschnitt, eine Tasse mit Wasser und setzen uns an unseren Tisch. Durch die kleinen Portionen an Essen ist mein Magen schon sehr geschrumpft und ich merke auch, dass mir meine Kleidung schon zu locker geworden ist. Noch nie war ich so froh, dass nirgendwo Spiegel um mich herum sind. Den Anblick von mir möchte ich mir gerne ersparen, aber zu gut kann ich mir vorstellen, wie mager und zerzaust ich aussehen muss. 

Immer noch kein Wort sprechend essen wir alle unser Frühstück, weshalb ich die Konversationen der anderen Tische belausche. Die Lautstärke ist allerdings viel gesengter als sonst. Trotzdem kann man Leute spechen hören, wessen Thema nicht an mir vorbei geht. 

„Sie sah echt schlimm aus." Höre ich eine weibliche Stimm sprechen, die von zwei Tischen vor mir kam. 

„Das ist ja nichts neues.", ertönt noch eine weitere weibliche Stimme und mehrere Stimmen fangen an gemeinsam zu lachen. 

Misstrauisch schaue ich nach vorne, in die Richtung aus der die Stimmen kommen. 

„Meint ihr sie wurde geschubst?", fragt ein Junge mit braunem Haar. 

„Ach, was weiß ich. Hauptsache sie ist nicht mehr unter uns und kann uns nicht mehr nerven.", spricht ein Mädchen mit dunkelblondem Haar. 

„Aber Leonie, meinst du nicht die Aktion ging ein bisschen zu weit?", fragt ein ebenfalls blondes Mädchen, dass neben der mit dunkelblondem Haar sitzt, die anscheinend Leonie heißt. 

„Oh mein Gott Sarah, sei mal nicht so eine Bremse, oder soll das auch mit dir passieren?." 

Mir klappt die Kinnlade herunter. Das ist also die besagte Gruppe und die allzu berühmte Leonie, von der Judith mir erzählt hat? Ich hab keinen Namen fallen hören, aber da Maike sowieso Gesprächsthema im Moment ist, denk ich mal, dass sie über sie reden. Wie kann man so über eine tote Person reden? 

Triumphierend beißt Leonie von ihrem Brot ab und schaut jedem aus ihrer Gruppe tief in die Auge und sagt etwas, was ich jedoch nicht hören kann. 

„Was gibt es da so spannendes?", möchte Alina wissen, welche heute ausnahmsweise mal neben mir sitzt. 

„Siehst du die zwei Mädchen und die zwei Jungen da vorne, zwei Tische weiter?" Interessiert schaut Alina in die Richtung. 

„Ja. Was ist mit denen?", fragt sie skeptisch. 

„Ich bin mir nicht sicher, aber die haben irgendwas im Hut. Wegen denen wurde Maikes Stoff wahrscheinlich zerstört und jetzt machen die sich lustig über ihren Tod.", erzähle ich ihr meine Beobachtungen. Alina runzelt ihre Stirn.

„Bist du dir sicher?"

„Ja.", erwidere ich bestimmt und beginne ihr jedes Detail von dem Gespräch, welches ich belauscht habe. Dazu füge ich noch die Sachen hinzu, die Judith mir gestern erzählt hat.    

„Bitte was?", äußert sich Dennis empört, als ich aufgehört habe zu erzählen, und schaut mich mit einem misstrauischem Blick an. Anscheinend hat er unserem Gespräch gelauscht und hat sich zu uns rüber gebeugt. Dennis etwas zu lautes Auffragen hat das Interesse der anderen aus unserer Gruppe geweckt, die nun alle in meine Richtung gucken. 

„Worum geht es?" erkundigt sich Jennifer, doch ich winke ab. 

„Erzähle ich euch später, in Ordnung? Wir müssen jetzt sowieso los.", erwähne ich und weise mit meinem Kopf auf die anderen Gefangenen, die alle bereits aufstehen und sich auf dem Weg zu ihren Arbeitsplätzen machen. 

Ich schnappe mir mein Geschirr und mache mich auf zum Tisch für das dreckige Geschirr. Das Gespräch von der Gruppe geht mir nicht aus dem Kopf und somit gehe ich in Gedanken versunken zu dem besagten Platz, bis ich gegen eine blonde Person pralle und mein Geschirr vor Schreck fallen lasse. 

„Pass doch auf!", zischt die Person giftig und sofort habe ich eine Ahnung, in wen ich da gerannt bin. Ich hebe mein Geschirr auf und schaue in das Gesicht von Leonie. 

„Es t-tut mir leid... W-war nicht mit Absicht.", stottere ich vor mich hin. Warum verunsichert sie mich so sehr? 

„Keine Absicht? Du hast doch wohl zwei Augen im Kopf oder bist du blind? Mach das nochmal und du wirst es bereuen.", giftet sie mich erneut an und schaut mich mit böse glänzenden Augen an, welche mich so klein fühlen lassen. 

Da von mir keine Reaktion mehr kommt und ich sie nur verdattert anstarre, rollt sie mit den Augen und macht sich auf den Weg zu ihrer Gruppe, die mich alle schon abfällig angucken. Ein Kloß steckt in meinem Hals und ich versuche ihn herunterzuschlucken, was allerdings nicht klappt. Wie kann sie so eine Auswirkung auf mich haben? Sie ist hier genauso gefangen, wie ich es bin und hat eigentlich keine Befugnisse mir etwas anzutun, aber der Hintergedanke an Maike lässt sie für mich mehr als gefährlich wirken.

...

Verträumt arbeite ich an meinem neuen Stoff. Diesmal sind die Offiziersmänner strenger mit uns und wir müssen den Stoff viel schneller beenden, als das letzte Mal. Heute erst begonnen und übermorgen muss er fertig sein. 

Meine Hände tun schon weh von den ganzen Reibungen des Fadens. Mein Verband um meinen Daumen sieht schon total abgenutzt aus und mein Daumen hat auch erneut angefangen zu bluten. 

Die Mittagspause haben wir fast alle heute ausgelassen, da die Angst, den Stoff nicht rechtzeitig fertig zu bekommen, viel zu groß ist. Mein erneutes Magen grummeln, welches lauter als die vorigen ist, lässt mich zurück in die Realität gleiten und ich schaue zum ersten Mal seit Stunden nach oben, weg von meinem unfertigen Stoff. 

Die Sonne ist schon auf der anderen Seite, sodass ich sie nicht sehe, sondern sie nur auf meinem Rücken spüre. Ich schaue auf die Scheune und erkenne zum ersten Mal, wie Kinder dort herumlaufen und etwas in der Hand tragen. Was es ist kann ich nicht erkennen. Dafür ist die Scheune zu weit weg. Wie konnten mir Kinder hier vorher nie aufgefallen sein? 

Mein Blick schweift nach links zu Judith, die neben mir an ihrem Tisch sitzt. Konzentriert arbeitet sie an ihrem Stoff und erneut muss ich an ihren Sohn denken. Dieser süße kleine Junge muss in so einer schrecklichen Welt aufwachsen. Belastet das Judith sehr? Ich denke Mal, sie hat sich mit ihrem Schicksal arrangiert. Sie sieht so Seelen ruhig aus. Ich möchte echt gerne wissen, wie sie das macht. 

Judith scheint mein regelrechtes starren bemerkt zu haben und dreht ihren Kopf in meine Richtung. Ein leichtes Lächeln umspielt ihre Lippen und ich lächle ihr ebenfalls zurück. 

Ihr Blick wandert zu meinem rechten Daumen , auf meinen Verband. Mittlerweile ist die eine Hälfte schon in rot eingetaucht und so mehr ich darauf achte, umso mehr spüre ich das Pochen von meinem Daumen. Ich zucke mit meinen Schulter und Judith sieht mich mitfühlend an. Mit einem Zeichen gibt sie mir zu verstehen, dass ich nachher wieder zu ihr kommen soll und dankend nicke ich ihr entgegen.

Ich wende mich meinem Stoff wieder zu und versuche das schmerzende Gefühl in meinem Daumen zu ignorieren.

„Das Abendessen befindet sich nun in der Scheune. Legt euer Material wieder an die vorgesehenen Stellen und begebt euch zum Essen.", unterbricht ein Mann in Uniform unsere Arbeit. 

Ich atme einmal aus, schaue mir meinen Stoff an und bin definitiv nicht zufrieden, aber ich habe ein Glück noch zwei weitere Tage Zeit um daran zu arbeiten. 

Ich sammle meinen ganzen Kram ein und laufe mit voll gepackten Händen zum Regal, in dem die Sachen verstaut werden. Natürlich laufen gerade alle gleichzeitig hin und es bildet sich eine lange Schlange davor. 

Genervt und magengrummelnd stelle ich mich hinten an und warte eifrig, dass es schnell voran geht. 

Plötzlich rempelt mich jemand von hinten an. Durch den Aufprall lasse ich meine Materialien fallen, wobei eine der Nadeln meinen Verband streift und ihn aufschlitzt. 

Perplex und überfordert mit der Situation schaue ich nach hinten, zu der Person, die mich angerempelt hat. 

„Tut mir leid. W-war nicht mit Absicht.", äußert sich Leonie leicht lachend und anhand ihrer ironischen Stimme bemerke ich, dass sie mich von unserer vorherigen Situation nur nach äfft.

Mit offenem Mund starre ich sie an und sehe zu, wie sie lachend mit ihrer vierköpfigen Gruppe zum Essen geht. 

Tränen steigen in meinen Augen auf, aber ich wende mich direkt zu meinem Material, welches auf dem staubigen Boden liegt. Ohne über die Situation weiter nachzudenken hebe ich die Materialien auf und muss mir dabei einen schmerzvollen Aufschrei verkneifen. Durch meine nun offene Wunde am Daumen kommt der ganze Dreck vom Boden und von den Materialien in diese hinein.

Ich ziehe ein schmerzerfülltes Gesicht und merke, wie die Tränen langsam über meine Wangen rollen. Schnell, und ohne Blickkontakt zu jemandem aufzubauen, lege ich meine Sachen in die dafür vorhergesehenen Kisten und verschwinde von dort ganz schnell. 

Ohne auf meine Freunde zu achten laufe ich weg von der Menschenmenge. Rennend verstecke ich mich hinter einen der vielen Container, lasse mich mit dem Rücken daran heruntergleiten und fange an zu weinen.

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