Kapitel 7 : Die Wahrheit
Schweigend sitzen wir uns gegenüber. Seit einer Weile hat keiner mehr ein Wort gesprochen und wir haben die heiße Schokolade still ausgetrunken. Wie paralysiert sieht Gordon aus dem großen Fenster in die Dunkelheit, die die kahle Landschaft schon längst verbirgt.
"Ich möchte dich nicht drängen, aber ich muss es wissen.", betone ich und breche die Stille.
Etwas geschockt von dem plötzlichen Laut meiner Stimme zuckt Gordon kurz zusammen, bis er langsam seinen Blick mit emotionslosen Augen auf mich richtet. Mein Hals fühlt sich trocken an, doch trotzdem muss ich schlucken.
"Wo soll ich anfangen...?", sagt er schließlich, wobei ich nicht ganz sicher bin, ob er mich das fragt, oder ob er zu sich selber spricht. Als er mich immer weiter anstarrt bemerke ich, dass er wirklich mich gefragt hat.
"Ich weiß es nicht... Es ist für mich selber alles sehr verwirrend.", gebe ich zu und beginne mit meinen Beinen zu wippen.
Gordon atmet tief durch und schließt die Augen. "Das, was ich dir erzählen werde, ist auch nicht so einfach erklärt." Er öffnet seine Augen und blickt direkt in mich hinein. "Ich habe dir das nie einfach so verschwiegen, Madeline. Es gibt einen Grund, weshalb niemand es weiß. Es soll dich und die anderen schützen, aber vor allem soll es meinen Vater schützen."
Ich nicke langsam aus reflex, doch ich weiß nicht einmal wieso. Er redet so verschlüsselt, dass ich immer noch nichts verstehe.
"Vielleicht ist es sinnvoll, wenn du damit beginnst, weshalb Mountry existiert, damit ich einen bessern überblick habe.", äußere ich mich so Wortgewand wie möglich. Ihn zu verängstigen möchte ich nicht. Gordon scheint sich überwinden zu müssen mir das zu erzählen, aber ich erkenne daran wenigstens, dass ihm etwas an mir liegt.
"Na gut.", erwidert er, richtet sich auf, platziert seine Hände zusammengefaltet auf den Tisch und lehnt sich etwas nach vorne. "Mountry existiert schon seit 18 Jahren. Mein Vater hat Mountry gegründet und das nicht einfach über Nacht. Er hat sein Leben hier für auf den Kopf gestellt und er bereut keine Sekunde davon."
Bei dem Gedanken jetzt gleich die Wahrheit zu erfahren beginne ich leicht an zu zittern. Nervös ziehe ich die Ärmel meines Oberteils über meine Hände und fange an an dem Saum rum zu zupfen, um meine Finger nicht noch kaputter zu machen. Ich versuche dabei Gordons intensiven Blick entgegen zu halten.
"Mein Vater ist verwandt mit der Königsfamilie in England, genauer genommen ist er der Cousin von Prinz Philip, der Ehemann der Königin. Er war schon immer scharf auf einen Adelstitel und hat alles getan, um die Beziehung mit ihm und seinem Cousin aufrecht zu erhalten. Doch anders als mein Vater es sich erdacht hat wurde er nicht so angesehen, wie er sich es gewünscht hat. Prinz Philip hatte sich nie eigenständig nach meinem Vater erkundigt und er bekam nie einen Adelstitel oder ähnliche Auszeichnungen oder ansatzweise Anerkennung."
Für einen Moment macht er eine Pause und scheint zu grübeln. Ich setze mich auf und lehne mich etwas nach vorne, um jedes Wort von ihm richtig aufzunehmen.
"Eines Tages", fährt er fort," hatte mein Vater es nicht mehr ausgehalten. Er fuhr zum Kensington Palace und fragte seinen Cousin um eine Rolle im Palast und um eine gewisse Macht, die er ausüben könne. Die Ankunft am Palast gestaltete sich für ihn schon schwierig, weil niemand der angestellten einen Cousin von Prinz Philip kannte und sie ihn nicht rein lassen wollten. Ein Alter Offizier hat ihn jedoch erkannt und hineingelassen. Als er dann vor seinem Cousin stand wurde er bitter enttäuscht. Prinz Philip nahm sich kaum Zeit für meinen Vater und hatte gedacht, dass die Bitte meines Vaters ein Witz war. Von da an hat es ihm gereicht. Er hat sich so verraten gefühlt, dass er keine andere Wahl sah, als sein eigenes Imperium zu erschaffen, in dem er die Macht hat und auch nur er das Sagen hat."
Wie gebannt schaue ich auf Gordons Lippen und nehme jede Silbe auf, die von ihnen kommen.
"Und dann hat er einfach Mountry gegründet?", hake ich nach, als er aufgehört hat zu sprechen.
Kopf schüttelnd fährt er fort. "Das ist einfach gesagt. Als er die Entscheidung gefällt hat war es noch ein weiter Weg, bis zur Errichtung. Erstmal musste er einen Ort finden und Menschen, die ihn unterstützen. Du musst wissen, dass mein Vater sehr gut im manipulieren ist. Er hat Versprechungen aufgestellt, die er nie einhalten würde. Zudem hat er erzählt, dass er ja Kontakte zu der königlichen Familie hat. Natürlich hatte er die. Er hat nur verschwiegen, wie eng der Kontakt mit denen war."
So langsam begreife ich, dass das alles eine viel tiefere Bedeutung hat, als ich es mir je hätte vorstellen können.
"A-Aber... Aber wieso der Name Mountry?", möchte ich wissen.
"Prinz Philip heißt mit Nachnamen Mountbatten. Mein Vater war sehr neidisch auf diesen Nachnahmen, da er einen Titel mit beiträgt. Somit hat er sich einige Kontakte beim Standesamt gesucht, diese auf seine Art manipulieren könne und hat mal wieder leere versprechen gemacht. Kurz danach hieß er offiziell Mountbatten mit Nachnamen. Das Mount in Mountry steht daher für Mountbatten. Das dahinter folgende r und y steht für die beiden Vornamen meines Vaters. So hat er sich noch bedeutender und machtvoller gemacht, weil dieser Ort nach ihm benannt ist. Er hat alles stets durchdacht."
Wie verbittert kann ein Mensch sein, all diese Vorkehrungen zu treffen und diese Hölle zu erschaffen, nur um Macht und Anerkennung zu gewinnen? Ein bitterer Geschmack kommt in meinem Mund auf, der nicht vor hat zu verschwinden.
"Ich habe diese Sachen noch nie jemandem erzählt, weißt du?", sagt Gordon und sieht mich sanft an. "Ich weiß diese Gesichte auswendig mit jedem kleinsten Detail. So wurde sie mir ständig von meinem Vater eingetrichtert, doch ich habe sie noch nie erzählt."
Mitleidig sehe ich den Mann an, der mittlerweile mit zusammengesackten Schultern vor mir sitzt und auf seine Hände hinunterschaut. Es kommt mir fast so vor, als würde er sich für diese Geschichte schämen.
"Ich weiß das sehr zu schätzen.", erwidere ich darauf und lege behutsam meine Hände auf seine. Unerwartet blickt er zu mir. "Und ich möchte dich nicht zwingen hier und jetzt alles zu erzählen. Es reicht mir schon zu wissen, dass du es mir Stück für Stück erzählst, in deinem Tempo. So weiß ich, wie sehr ich..."
Ich breche ab, da ich nicht so wirklich sicher bin, wie ich diesen Satz beenden soll. Irgendwie fühle ich mich ihm so nah und doch so fern. Aufgenommen und doch weggestoßen.
"Du bedeutest mir etwas, Madeline.", äußert er sich kurz danach mit rauer Stimme. Seine Daumen streichen über meine Hände und hinterlassen eine brennende Wärme. "Ich möchte dir zeigen, wie viel."
Meine Hände umgreifen seine fester und ich schaue ihn voller Sehnsucht und Anerkennung an.
"Du musst mir nicht sofort alles erzählen, aber darf ich dich noch eine Sache fragen?"
Ein Glanz der Unsicherheit erscheint in Gordons Gesichtsausdruck. Er richtet sich auf, wobei er allerdings nicht unsere Hände trennt. Langsam nickt er.
"Wenn Mountry vor 18 Jahren errichtet wurde, dann warst du ja schon auf der Welt. Hat deine Mutter das alles unterstützt?", frage ich vorsichtig mit sanfter Stimme. Gordons Daumen hören auf sich zu bewegen und er spannt seinen Kiefer an. Er scheint sichtlich damit zu kämpfen, ob er diese Frage beantworten soll. Bin ich zu weit gegangen? Immerhin ist er schon einen großen Schritt auf mich zu gegangen. Es sollte ich sein, die den nächsten Schritt geht.
Doch der Gedanke an seine leibliche Mutter hat mich nicht verlassen, seit dem ich seine Stiefmutter kennengelernt habe. Ich möchte wissen, wer sie ist und warum sie nicht hier ist.
"Meine Mutter hat die Pläne meines Vater nicht unterstützt. Sogar ganz im Gegenteil. Sie fand es absolut bescheuert.", beginnt er nach einer Weile der Stille zu sprechen. Mit großen Augen sehe ich ihn an und warte auf jedes Wort, dass von ihm kommen wird, während er auf unsere Hände starrt. "Als mein Vater sich dafür entschieden hatte Mountry zu errichten ist meine Mutter ungeplant Schwanger mit mir geworden. Die grausamen Pläne meines Vaters hat sie versucht zu ignorieren und sie hat sehnlichst gehofft, dass er zur Besinnung kommt und sich auf deren kleine Familie konzentriert, doch das ist nie passiert. Er hat nie aufgehört von seinem Plan zu reden."
Ungewollt fängt er an meine Finger zwischen seinen zu zerdrücken. Unglaublich viel Wut und Unbehagen muss in ihm aufsteigen, so sehr er sich in seiner Position verkrampft.
"Du musst nicht-"
"Über die Jahre haben sich die Pläne meines Vaters immer mehr verfestigt und meine Mutter hat begriffen, dass es der Ernst meines Vaters war.", fährt er fort, ohne auf meine Worte zu reagieren. "Ich frage mich, wieso sie sich nicht einfach von ihm getrennt hat. Wahrscheinlich war es wegen mir, doch deren Ehe lief absolut nicht gut. Mein Vater tat so, als wäre nichts. Er war viel zu beschäftigt damit Mountry zu errichten. Meine Mutter blieb weiterhin bei uns im Haus, da sie keinen anderen Ort hatte, wo sie hingehen könnte. Sie war abhängig von meinem Vater und sie wollte mir ein gutes Leben ermöglichen. Vor mir hat sie immer so getan, als wäre alles in Ordnung, aber ich habe in ihren Augen die vielen Sorgen gesehen, die sie mit sich herumgetragen hat. Kurz nach meinem neunten Geburtstag war Mountry komplett errichtet und die ersten Gefangenen waren schon vor Ort. Mein Vater wollte mich und meine Mutter mitnehmen, jedoch hat meine Mutter sich dagegen gestellt und ihm jegliche Dinge vor den Kopf geworfen. Sie hat all die Wut hinausgelassen, die sie die ganzen Jahre in sich gehalten hat. Meinem Vater hat es schließlich gereicht mit ihr. Er hatte sowieso schon eine Affaire und hatte somit eine Frau an seiner Seite, die ihn gut dar stehen lassen würde und ihn unterstützt hat. Meine Mutter wollte mich nicht mit ihm mitgehen lassen. Kurzerhand stürzte sich mein Vater auf meine Mutter, schlug sie und erwürgte sie vor meinen Augen."
Mit offenem Mund starre ich Gordon an. Seine Hände umklammern meine nun so fest, dass diese an den Knochen schon weiß werden. Ich bemerke den Schmerz, den er mir dadurch hinzufügt, nicht. Der einzige Schmerz, den ich wahrnehme, ist der, der aus Gordons Seele hinaustritt.
Ich ziehe meine Hände aus dem festen Griff von Gordon hinaus. Erschrocken guckt er zu mir hinauf. Langsam und bedacht stehe ich auf, gehe um den Tisch auf ihn zu. Sanft lege ich meine Hände auf seine Wangen und senke meine Stirn auf seine.
Tief durchatmend schließe ich meine Augen und höre Gordons schnellem Atemzug zu.
"Danke!", flüstere ich und versuche so viel Dankbarkeit in dieses Wort hineinzuversetzen, wie ich es nur kann. Mir fällt natürlich auf, was für ein Kampf es für ihn ist mir das alles zu erzählen.
Vorsichtig steht er auf und legt seine Hände behutsam um meine Taille. Meine Augenlider heben sich und ich sehe in seine glasigen braunen Augen.
"Du hast dich mir geöffnet, somit öffne ich mich dir.", spricht er behutsam. Ich beiße mir auf die Unterlippe, bei dem unangenehmen Gedanken an dem, was ich ihm vorhin noch gebeichtet habe. Wir beide tragen unser Päckchen mit uns rum.
Meine Hände gleiten von seinem Gesicht zu seinem kräftigen Oberkörper, bis ich meine Arme um diesen schlinge und meinen Körper an seinen drücke. Er bewegt seine Arme weiter um meinen Rücken und hält mich fest in seinem Arm.
Erneut tritt Stille auf, doch diese ist angenehmer, da sie uns beide verbindet und dem gegenüber zeigt, wie wir uns wertschätzen.
"Darf ich dich nun etwas fragen?" Der plötzlich Laut seiner Stimme zieht mich zurück in die Wirklichkeit . Ich lehne meinen Oberkörper etwas nach hinten, blicke zu ihm hoch und nicke.
"Weißt du, wer der Vater von deinem Kind war?", fragt er ruhig, doch mit Vorsicht.
Mein Herz pocht schneller und mein Atem wird schwerer. Ehrlich schüttele ich meinen Kopf. "Ich weiß es nicht..."
Seine linke Hand wandert hoch zu meinem Gesicht und mit seinem Daumen streicht er sanft über meine Wange.
"Aber ich hoffe, dass du es warst.", füge ich hinzu.
In seinen Augen kann ich erkennen, wie viel ihm diese Aussage von mir bedeutet.
Er nähert sich mit seinem Gesicht meinem immer weiter, bis unsere Lippen zueinander finden und zusammen schmelzen. Sachte bewegen sich unsere Lippen im gleichen Takt. Dies ist nicht einfach nur unser zweiter Kuss. Dieser Kuss hat viel mehr Bedeutung und er steht für so viel zwischen uns.
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Was für ein wichtiges Kapitel!
Wir haben viel mehr von der Vergangenheit von Mountry, sowie auch von Gordon erfahren. Hätte ihr so viel Bedeutung in der Geschichte von Mountry erwartet?
Steht Gordon hinter seinem Vater?
Ich freue mich so sehr, dass es mit Maddy und Gordon wieder und geht!
Viele weitere details über Mountry werden in diesem Buch noch bekanntgegeben. Seid ihr aufgeregt?
Bis nächste Woche!
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