Kapitel 6

Fahles Sonnenlicht sickerte zu Mottenflügel durch und ließ helle Flecken vor ihren Augen tanzen. Sie wollte sich wegdrehen, doch auf einmal schoss ein grauenhafter Schmerz durch ihren Körper. Sie riss die Augen auf. Vor ihr bildete sich ein dichtes Gestrüpp. Unter sich spürte sie kühles Gras, welches sich in in ihr Fell bohrte. Der bittere Geruch von Blut drang ihr in die Nase und sie verzog angewidert die Nase.

Mit verzerrtem Gesicht erhob sie sich, obwohl die Schmerzen sie zu zerreißen schienen. Wütend fauchte sie auf. Die Sonne stand inzwischen sehr niedrig und warf blutrote Schleier über den Himmel. Wie lange habe ich geschlafen? Benommen drehte Mottenflügel den Kopf, wobei sie das Gefühl hatte, dass ihre Halswunde wieder aufging.

"Hallo Mottenflügel.", miaute eine freundliche Stimme hinter ihr. Überrascht riss die goldene Kätzin die Augen auf, aber wagte es nicht, sich noch mehr zu bewegen. Dumpfe Pfotenschritte auf ihrer linken Seite ertönten, dann verklungen sie. Die Katze muss sich hingesetzt haben., dachte Mottenflügel verärgert und schielte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen.

"Mein Name ist Silberfluss. Vielleicht hast du schon einmal von mir gehört." Die Pfotenschritte ertönten wieder und eine silbergraue Kätzin kam zum Vorschein. Mottenflügel blinzelte verunsichert. "Bist du schon tot?", fragte sie, denn aus Silberfluss Fell stoben glitzernde Sterne.

Die Kätzin nickte. "Ja, schon seit einiger Zeit.", schnurrte sie. "Ich kam bei der Geburt meiner Jungen ums Leben." Mottenflügels Augen weiteten sich mitfühlend. "Das tut mir leid." Doch Silberfluss hob abwehrend eine Pfote. "Das muss es nicht. Ich fühle mich im Sternenclan sehr wohl." Dann wurde ihr Blick ernst. "Ich muss dir etwas erzählen.", gestand sie und setzte sich ordentlich vor die Heilerin.

Mottenflügel spitzte interessiert die Ohren. "Aber bitte erschrick nicht.", fügte Silberfluss hinzu. Mottenflügel runzelte verwirrt die Stirn. Warum sollte ich mich erschrecken? "Du warst tot.", sagte Silberfluss knapp. Mottenflügel wich erschrocken zurück, wodurch ein neuer Schmerz sie durchschoss. Sie schrie kurz auf, dann verschwand er wieder und sie beruhigte sich.

"Du solltest dich doch nicht erschrecken.", miaute die silbergraue Kätzin sanft, aber ihre Schwanzspitze zuckte missbilligend. "T-tut mir leid.", stotterte Mottenflügel sich zusammen. "Ich bin wirklich tot?" Panik machte sich in ihr breit, vermischt mit Angst. Ich hatte geahnt, dass ich tot bin, aber bis eben... "Nein.", entgegnete Silberfluss. "Du warst tot, aber du bist es nicht." Mottenflügel legte verwirrt den Kopf schief.

"Wie bitte? Ich war tot?" "Genau." Silberfluss neigte zustimmend den Kopf. "Das wichtigste jedoch ist, dass du weiterhin überlebst." Die goldene Kätzin fauchte wütend. "Wie soll ich überleben, wenn ein Krieger mich unbedingt töten möchte?", konterte sie.

"Dein Tot ist ihm nicht so wichtig, wie sein Clan.", entgegnete Silberfluss ruhig, als ob sie sich auf diese Frage vorbereitetet hätte. "Soll mich das jetzt etwa freuen?", blaffte Mottenflügel und schlug so gut wie es ohne Schmerzen ging mit dem Schwanz. Sie wusste, dass Silberfluss nichts dafür konnte. Aber wie konnte sie sich vor sie stellen und munter sagen, dass Mottenflügels Tot erst an zweiter Stelle kam?

"Dir bleibt nichts anderes, als mir zu vertrauen.", seufzte Silberfluss. Damit wandte sie sich zum gehen. "Warte!", rief Mottenflügel. Die Sternenclan-Katze drehte sich um. In ihren Augen lag ein Hauch von Hoffnung. "Ich vertraue dir, wenn", fing Mottenflügel an, doch die Kätzin hob den Schweif. "Dein Vertrauen sollte nicht an Bündnisse geknüpft sein." Sie lächelte noch einmal, dann glomm sie auf und rieselte als feiner Sternentaub zu Boden. Mottenflügel starrte auf die Stelle, wo eben noch Silberfluss stand.

Ich muss wirklich zurück? Sie schluckte. Und was mache ich, wenn Schilfbart mich wieder töten möchte? An den Gedanken wollte sie gar nicht erst denken, aber sie wusste, dass es nichts ungeschehen machen würde. Mottenflügel senkte den Blick. Zu ihrer Überraschung wurde sie nicht von Schmerzen übermannt.

Der tiefe Biss an ihrem Nacken verschmolz mit ihrem Fellton, bis er komplett verschwunden war. Aber? Sie schüttelte sich. Auch ihre Bauchwunden schlossen sich langsam, genau wie die auf dem Rücken. Neue Energie durchströmte sie und Mottenflügel bäumte sich auf. Der frische Wind durchwehte ihr Fell und sie streckte ihre Nase in die Luft. So sollte es immer sein. Sie landete wieder. Doch jetzt muss ich ins Lager.

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Der Weg ins Lager fiel Mottenflügel schwerer als sonst. Mit jedem Pfotenschritt vergrößerte sich die Angst vor Schilfbart. Wenn sie nur an diese mordlustigen Augen dachte... Sie schüttelte sich. Er wird mich nicht vor meinen Clangefährten angreifen. Und wenn ich wieder aus dem Lager muss? Sie schob diese Gedanken beiseite. Sie durfte einfach nicht. Schließlich war Maulbeerglanz auch noch da.

Maulbeerglanz!, schoss es ihr durch den Kopf. Ihr musste sie doch alles von dem Angriff erzählen, oder etwa nicht? Vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Mottenflügel beschloss, es damit auf sich beruhen zu lassen. Ohne weiter darüber nachzudenken, kam die goldene Kätzin bei dem Eingang des Lagers an.

Nervös spähte sie durch die dicken Ranken. Mehr als viele verschiedene Felle konnte sie nicht erkennen. Nur der laute Ruf von Leopardenstern drang zu ihr. "Ich fordere jede Katze, die alt genug ist, um Beute zu machen, auf, sich zu einem Treffen vor dem Weidenstamm zu versammeln."

Mottenflügel sträubte ihr Nackenfell. Was sie wohl besprechen möchte? Zögernd überquerte sie die kleine Steininsel, die den Weg zum Lager bot. Die Anführerin stand auf dem Weidenstamm und sah auf ihren Clan herab. "Also, wer möchte sich an-" Sie stockte, als ihr Blick auf Mottenflügel fiel. "Du bist wieder da.", hauchte sie überrascht. Alle Augenpaare drehten sich zu der Heilerin, die beschämt von einer Pfote auf die andere trat.

Ein erleichtertes Murmeln ging um, bis Maulbeerglanz zum Himmel hoch sah. "Dem Sternenclan sei Dank.", miaute sie laut genug, sodass jeder es hören konnte. Da entdeckte Mottenflügel Schilfbart, der sie mit offenen Mund anstarrte. In seinen Augen kämpften Wut und Verwirrung.

Mottenflügel nickte ihrer Anführerin zu, dann tappte sie zu Maulbeerglanz. "Wo warst du?", zischte die grau-getigerte Kätzin ihr zu. Mottenflügel schüttelte abwehrend den Kopf. "Nicht jetzt.", antwortete sie knapp. "Ähm, wir freuen uns, dich wiederzusehen, Mottenflügel.", brachte Leopardenstern mühevoll hervor. "Ich möchte dich in meinem Bau sprechen."

Mottenflügel sah ihr nach. Dann wandte sie sich an Maulbeerglanz. "Versprochen", flüsterte sie ihr noch schnell zu. Anschließend folgte sie der Anführerin zu ihrem Bau. Die verwirrten Blicke ihrer Clangefährten brannten auf ihrem Pelz und sie richtete den Blick starr vor sich. Sie spähte nur einmal kurz in die Richtung von Schilfbart. Der Kater funkelte sie feindselig an. Er schien inzwischen zu wissen, was vorgefallen war.

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