Kapitel 5
Als Mottenflügel ihre Augen öffnete, war sie von der angenehmen Wärme überrascht. Die Sonne am Himmel schien kräftig und hell. Nur ab und zu zog eine schleierhafte Wolke vorbei.
Die goldene Kätzin kam schwankend auf die Pfoten. Verwirrt stellte sie fest, dass jegliche Schmerzen verschwunden und alle Wunden verheilt waren. Was...? Sie schüttelte sich. Das konnte sich sein. Dort, wo eben noch tiefe Risse von Schilfbarts Krallen gewesen waren, verliefen jetzt lange Narben.
Als Heilerin wusste Mottenflügel, dass so etwas unmöglich war. Ich muss tot sein. Ein Schauer jagte ihr den Rücken hinunter und sie kniff die Augen zusammen. Schilfbart hat mich also tatsächlich getötet.
Ihre Beine fingen vor Angst an zu zittern. Bin ich beim Sternenclan? Mottenflügel öffnete ihre Augen wieder und sah sich prüfend um.
Sie stand auf einer Lichtung, umgeben von einem dichten Kiefernwald. Ein kleiner Bach schlängelte sich aus diesem heraus und halbierte die Lichtung. Weiter hinten im Wald, so konnte Mottenflügel erkennen, war ein großer Felsen, bewachsen von Moos.
Plötzlich wehte ihr ein neuer Geruch in die Nase Einen, den sie nicht kannte.
"Sei gegrüßt, Mottenflügel.", miaute eine tiefe Stimme. Die Heilerin wirbelte herum und sah in das Gesicht eines gutaussehenden fremden Katers. Sein Fell war silber-grau mit weißen Flecken und seine Brust war komplett schwarz. Um seine grünen Augen zeichneten sich weiße Kreise und sein rechtes Ohr hatte einen Riss.
"Wer bist du?", fragte Mottenflügel ehrfürchtig. Der Kater schnurrte leicht. "Mein Name ist Mondfeder. Du brauchst dich nicht zu fürchten." Mondfeder also...
Mottenflügel stockte. Hör auf damit., tadelte sie sich. "Freut mich, Mondfeder. Woher kennst du mich?", entgegnete sie höflich und legte den Kopf schief. Der Kater sah sich kurz um, bevor er antwortete. "Ich mache es schnell, denn ich dürfte eigentlich gar nicht hier sein.", zischte er ihr zu.
Mottenflügel blinzelte verwirrt. "Warum? Bist du denn nicht vom Sternenclan? Bist du-" vom Wald der Finsternis? Sie wagte es nicht, diesen Gedanken laut auszusprechen. Stattdessen wich sie erschrocken zurück. Mondfeder schüttelte heftig den Kopf. "Nein. Ich bin weder vom Sternenclan, noch vom Wald der Finsternis. Aber das spielt keine Rolle.", erklärte er.
Mottenflügel erstarrte. Nicht vom Sternenclan und auch nicht vom Wald der Finsternis? "Das ist sehr wohl wichtig.", protestierte sie, doch Mondfeder schlug abwehrend mit dem Schwanz.
"Nein.", knurrte er. Aber in seinen Augen konnte Mottenflügel statt Wut, Angst lesen. "Du bist unsere letzte Hoffnung." Er sah sie flehend an. Die goldene Kätzin verstand nicht, was er meinte. "Wie bitte? Wovon redest du?", fragte sie weiter.
Plötzlich verwandelte sich das grün in Mondfeders Augen in lodernde Flammen. "Mottenflügel", krächzte er, ohne den Mund zu bewegen.
Mottenflügel sträubte entsetzt ihr Fell. "Ist alles in Ordnung?" Aber der Kater antwortete nicht. Nur die beängstigende Stimme hallte weiterhin auf der Lichtung wider. "Die Mutter von Adler und Blüte wird das Feuer ersticken. Doch die schwarzen Flammen werden erneut aufsteigen und die schützenden Flügel verbrennen. Erst wenn Adler und Blüte zueinander finden, kann die Dunkelheit vernichtet werden."
Mottenflügel keuchte vor Überraschung. Ihre Glieder erstarrten und ihre Augen richteten sich auf Mondfeder, der erschöpft zusammenbrach.
"Bitte", hauchte er. "Hilf uns. Die kleine Wolke der Schatten wird dich zu uns führen." Erst als der Kater langsam verblasste, löste Mottenflügel sich aus ihrer Starre. "Was meinst du? Was für ein Feuer? Wer ist die kleine Wolke?", rief sie ihm zu, doch sein Fell verblich und verschmolz mir der Umgebung. Die Mutter von Adler und Blüte wird das Feuer ersticken. Doch die schwarzen Flammen werden erneut aufsteigen und die schützenden Flügel verbrennen. Erst wenn Adler und Blüte zueinander finden, kann die Dunkelheit vernichtet werden.
Mottenflügel schüttelte sich, in der Hoffnung, diese Worte würden sich lösen. Aber nichts half. Wieder einmal fühlte sie sich allein und schutzlos. Vielleicht sollte sie all das mit Maulbeerglanz besprechen? Oder sogar mit ihrem Clan? Möglicherweise würden sie Mottenflügel dann wieder akzeptieren.
Sie schnaubte. Wollte sie das überhaupt? Plötzlich stachen zwei orangenen Augen aus dem Wald heraus. Eine Katze trat zwischen den Bäumen hervor. Ihr Fell war lang und rauchig und die ausgefahrenen Krallen kratzten über den Boden.
Mottenflügel konnte nicht einmal erkennen, ob es ein Kater oder eine Kätzin war. Mit einem ohrenbetäubenden Jaulen stürmte die fremde Katze plötzlich auf sie zu. Mottenflügel schrie auf, als dunkle Schatten sie von den Seiten umhüllten und zu Boden drückten. Vor ihren Augen wurde es erneut schwarz. Nur noch die orangenen Augen funkelten ihr entgegen.
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Mottenflügel blinzelte. Um sie herum war es dunkel. Wo bin ich? Ächzend stand sie auf. Unter ihren Pfoten spürte sie kaltes, feuchtes Gras. Nur der Mond und die Sterne warfen fahle Lichtstrahlen hinunter und erhellten schwach das flache Tal, in dem sie stand.
Mondfeder!, schoss es ihr durch den Kopf. Ob er wirklich meine Hilfe braucht? Doch ihre Gedanken wurden von einem dumpfen Geräusch neben ihr unterbrochen. Mottenflügel drehte erschöpft den Kopf. Sie war viel zu müde, um sich noch zu wehren. Eine weiße Kätzin mit grünen Augen stand vor ihr und lächelte freundlich. Aus den Schatten neben ihr stiegen zwei weitere Katzen. Eine helle, braun-weiß getigerte Kätzin und ein rotbrauner Kater mit einer Narbe, die über seine Schulter lief.
"Schön, dich endlich kennenzulernen.", grüßte die weiße Kätzin. "Mein Name ist Halber Mond und das hier sind Funkelnder Bach und Rote Kralle." Sie deutete nacheinander auf die beiden anderen Katzen.
Mottenflügel zögerte. "Was wollt ihr von mir?", fragte sie und trat nervös von einer Pfote auf die andere. Der Kater mit dem Namen Rote Kralle trat vor. "Wir sind vom Sternenclan.", hob er an. "Wir haben gehört, dass du Besuch von einem fremden Kater hattest." Mottenflügel sträubte überrascht ihr Fell. "Woher wisst ihr von Mondfeder?" Halber Mond tauschte einen kurzen Blick mit dem Kater. Dann wandte sie sich wieder an die Heilerin.
"Mondfeder also?", hakte sie nach. Ihre Stimme war freundlich, aber in ihren Augen funkelte Zorn. Mottenflügel nickte leicht. "J-ja. Wieso?", stotterte sie irritiert. Halber Mond hob abwehrend eine Pfote. "Das ist nicht wichtig. Wichtiger ist, was er wollte.", miaute sie. Mottenflügel fauchte verärgert in sich hinein. Warum sind die wichtigsten Dinge plötzlich alle egal? "Warum sollte ich euch das verraten?", fragte sie spitz.
Halber Mond überlegte kurz, aber bevor sie antworten konnte, kam ihr Funkelnder Bach zuvor. "Du bist doch die Heilerin des Flussclans, nicht wahr?" Diese Worte trafen Mottenflügel wie ein Schlag. Sie erinnerte sich an das feindselige Fauchen, an die wütenden Blicke. "Das bin ich.", antwortete sie so natürlich wie möglich und versuchte, sich ihre Trauer nicht anmerken zu lassen.
"Dann weißt du doch auch, dass du dem Sternenclan vertrauen kannst.", fuhr Funkelnder Bach fort. Mottenflügel nickte. "Natürlich.", sagte sie höflich. "Gut.", schnurrte Halber Mond und warf der getigerten Kätzin einen dankbaren Blick zu. "Du kannst uns ruhig verraten, was Mondfeder von dir wollte."
Mottenflügel kniff misstrauisch ihre Augen zusammen. Die drei Katzen waren vom Sternenclan, das glaubte sie jetzt. Aber warum interessierte sie ihr Gespräch mit dem Kater so sehr? "Komm schon.", drängte Rote Kralle und schlug ungeduldig mit dem Schwanz.
"Von mir aus.", seufzte Mottenflügel, doch insgeheim dachte sie nicht daran, die Wahrheit zu sagen. Ihr Bauchgefühl riet ihr, den Katzen nicht zu vertrauen, und das hatte sie immerhin noch nie getäuscht. "Mondfeder hat mich vor einem Fuchs gewarnt, der in das Flussclan-Territorium eindringen wird.", log sie.
Halber Mond kniff die Augen zusammen. "Wirklich? Das hat er gesagt?", fragte sie scharf. Mottenflügel neigte zustimmend den Kopf. "Und sonst noch etwas?" Funkelnder Bach legte verunsichert den Kopf auf die Seite. Mottenflügel täuschte vor, zu überlegen. "Ja, stimmt.", rief sie aus. Rote Kralle sprang auf und sträubte aufgeregt sein Nackenfell.
"Wirklich? Was denn?", miaute er. "Der Fuchs", fing Mottenflügel an. "wird vom Pferdeort kommen und er hat mir eine Stelle verraten, an der ich Ringelblume zum Behandeln von den Wunden finden kann."
Halber Mond peitschte aufgebracht mit dem Schwanz. "Bist du dir ganz sicher, dass er das gesagt hat?", blaffte sie. Mottenflügel nickte ehrlich. "Selbstverständlich." Funkelnder Bach seufzte enttäuscht. "Uns bleibt nichts anderes, als ihr zu glauben.", zischte sie der weißen Kätzin zu. Diese verzog wütend die Lippen.
"Wir sollten gehen.", fügte Rote Kralle hinzu und musterte Mottenflügel argwöhnisch. Damit wandte er sich zum Gehen. Funkelnder Bach tat es ihm gleich. Halber Mond jedoch blieb noch stehen. Dann beugte sie sich vor. "Wehe du hast mich belogen, Tochter des Todbringers.", fauchte sie drohend. Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich ab und folgte den beiden Katzen.
Nur noch einmal drehte sie sich um und ihre grünen Augen stachen ihr warnend entgegen, bevor sie gemeinsam mit Funkelnder Bach und Rote Kralle in den Schatten verschmolz.
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