Kapitel 46

Vorsichtig folgte Mottenflügel den Wächtern in die Sternenhöhle. Was würde sie jetzt erwarten? Sie hatten ihr nicht erzählt, wie genau dieses Ritual ihrer Ahnen aussah, mit dem sie zurück in die Zeit gelangen und ihr damaliges Leben fortsetzen würde. Vor Aufregung fing ihr Pelz an zu kribbeln. Gleich werde ich meine Clangefährten wiedersehen! Sie beobachtete, wie Schwinger Schwinge ein Zeichen gab und anschließend um den See herum zu einer kleinen Niesche tappte.

Als er zurückkam, hielt er im Maul eine seltsame Blüte. "Das ist Edelweiß.", erklärte er und legte sie vor Mottenflügel ab. "Du musst sie schlucken, nicht kauen."

Unsicher musterte die goldene Kätzin die Blüte. Ihre weißen einzelnen Blätter waren wie kleine Zacken in alle Richtungen gestreckt und gelbe Kügelchen zierten ihren Kopf. Mottenflügel zog angewidert ihre Nase kraus. Das riecht schlimmer als Schafsgarbe! Jetzt weiß ich, wie sich die anderen immer fühlen, wenn ich ihnen Kräuter vorsetze. "Danach", fügte Schwinge hinzu, "Musst du in den See steigen und dich bis zum Grund sinken lassen. Den Rest werden wir erledigen."

Mottenflügel beugte sich skeptisch über das Ufer des kleinen Sees. "Das Wasser geht mir kaum bis zum Hals.", stellte sie fest und warf den Wächtern einen fragenden Blick zu.

Schwinger neigte zustimmend den Kopf. "Vertrau uns einfach." Damit deutete er auf das Edelweiß und forderte die ehemalige Heilerin dazu auf, es zu schlucken. Mottenflügel nickte zögerlich.

Sie werden schon wissen, was zu tun ist. Im schlimmsten Fall wird mein Fell eben etwas nass. Rasch leckte sie die Blüte und schluckte sie in einem Zug hinunter. Sie erwartete, dass sie genau so bitter schmecken würde, wie sie roch - stattdessen war sie süß und erinnerte Mottenflügel an Mohnsamen oder sogar Honig.

"Mach schon", murrte Schwinge, während sie die goldene Kätzin grob in Richtung des See stupste. "Wir haben nicht ewig Zeit."

Mottenflügel verkniff sich eine bissige Bermerkung. Sie hatte es aufgeben, gegen Schwinge und ihr ständiges Gemecker anzukämpfen. Also hob sie vorsichtige ihre Pfoten an und watete in das kühle Wasser. Wellen wurde aufgescheucht, die ihr bis an die Schultern schwappten. Schwinger schnippte zufrieden mit der Schwanzspitze. "Genau so! Nur noch ein kleines Stück- Und, Mottenflügel?" Sie drehte sich zu ihm um. "Danke, für alles."

Die Kätzin lächelte dem alten Kater zu und nickte. War das Trauer in seinen Augen? Vielleicht bereut er ja doch das ein oder andere. Schnell wandte sie sich wieder ab und ging entschlossen ein paar Schritte weiter, als sie plötzlich ins Leere trat. Hektisch ruderte sie mit ihren Pfoten, als ihr klar wurde, dass sie keinen sicheren Halt mehr hatte. "Lass dich hinuntersinken.", rief Schwinge ihr zu.

Mottenflügel knurrte frustriert. Das ist doch Wahnsinn! Doch statt zu protestieren, holte sie tief Luft, schloss ihre Augen und ließ sich vom Wasser in die Tiefe ziehen. Quälend langsam strömte das kühle Nass an ihr vorbei, während sie immer weiter hinuntersank. Wie lange bin ich wohl schon unter Wasser? Sie spürte, wie die Luft langsam aus ihren Lungen entwich und ihr Hals antfing zu brennen. Ich muss atmen! Verzweifelt ruderte Mottenflügel mit ihren Beinen, um schneller zu werden, doch vergebens. Sie schien endlos lange zu sinken. Was, wenn ich ertrinke?

Panik machte sich in ihr breit und langsam wurde ihr schwarz vor Augen und sie kniff sie fest zusammen. Ihre Bewegungen wurden schwächer, bis sie sich reglos treiben ließ. Das kann nicht mein Ende sein. Ich muss zurück...

Plötzlich fuhren Mottenflügels Krallen durch feinen Sand und bohrten sich in die Erde. Vor Überraschung riss sie ihre Augen auf. Doch vor ihr war nicht die die Dunkelheit der Tiefen des Sees - stattdessen erblickte sie eine weite Landschaft mit kargem Boden und ein paar verstreuten Bäumen, die unter der Hochsonne Schatten warfen. Als Mottenflügel realisierte, dass sie nicht mehr unter Wasser war, schnappte sie sofort nach Luft. Der Atem strömte durch ihre Lungen und sie seufzte erleichtert.

Dann ließ sie ihren Blick über das Moor um sich herum schweifen. Wo bin ich hier? Neugierig tappte sie ein paar Schritte nach vorn, als ihr ein Loch auffiel, das unter einem der Laubbäume in die Tiefe führte.

Ein Tunnel! Wo er wohl hinführt? Vorsichtig schnupperte sie am Eingang des Tunnels, doch sie konnte nur den Geruch von kalter, trockener Erde ausmachen. Das kann kein Kaninchenbau sein. Auf einmal ertönte ein belustigtes Schnurren und Mottenflügel fuhr herum. Vor ihr stand ein dunkelgrauer Kater mit braunen Sprenkeln im Gesicht. Seine hellgrünen Augen musterten sie skeptisch. "Wohnst du unter der Erde oder was hattest du vor?"

Mottenflügel spürte, wie ihr die Wärme ins Gesicht schoss. "Nein, ich-" Sie stockte und blinzelte. "Egal, was willst du von mir? Und wer bist du?"

Der fremde Kater lächelte freundlich. "Ich bin Schwinger der hohen Berge, neunter in der Generation der Wächter. Und die bessere Frage lautet: Was willst du von mir?" Mottenflügels Augen weiteten sich verwirrt. "Neunter in..." Sie zögerte. Konnte dieser Kater ein verstorbener Wächter sein? Würde er ihr helfen, die Zeit in der Vergangenheit zu verlassen? "Ich bin Mottenflügel und möchte zurück zu jenem Tag, an dem ich zu den Verstoßenen gekommen bin.", erklärte sie.

Schwinger der hohen Berge nickte langsam. "Ich weiß"

Die goldene Kätzin blinzelte irritiert. "Und warum fragst du dann?", hakte sie nach und sah zu, wie der ehemalige Wächter sich umdrehte und auf den Tunnel zuging. "Es ist nur jedes Mal schön, zu hören, dass man noch gebracht wird." Er schwieg für einen Moment, ehe er auffordernd mit dem Schweif wedelte. "Komm schon her oder willst du doch nicht zurück?"

Hektisch stolperte Mottenflügel an seine Seite. "Natürlich will ich das! Was muss ich machen?", rief sie und scharrte aufgeregt mit ihren Pfoten im Sand, die vor Erwartung pochten, als wären sie ein Kopfschmerz.

Der dunkelgraue Kater mit den braunen Sprenkeln deutete auf den Tunneleingang. "Du musst einfach diesem Gang folgen, mehr nicht. Wenn du am Ende wieder rauskommst, bist du in deiner Wunschzeit. Aber- eine Sache noch!" Mottenflügel spitzte ihre Ohren.

"Wenn du zurück im Wald der Clans bist, wirst du dich an nichts erinnern können. Alles hier wird wie ein seltsamer Traum sein; die Verstoßenen, die Adler, deine Jungen und sogar unsere Unterhaltung hier wirst du nur noch wage oder gar nicht mehr in Erinnerung haben. Auch dein Glaube zum SternenClan wird verschwinden, zu deiner und unserer Sicherheit. Sonst könntest du ihnen wohlmöglich von uns erzählen und das dürfen wir nicht wieder riskieren."

Mottenflügel hatte jedem seiner Worte konzentriert zugehört, doch jetzt erst verstand sie, was er meinte. "Ich werde...alles vergessen? Wirklich alles? Aber-" Ihre Stimme erstickte und sie starrte Schwinger der hohen Berge fassungslos an. "Mein Jungen! Ich kann meine Jungen nicht vergessen! Und Mondfeder? Nein, ich darf nicht alle Erinnerungen verlieren. Ich habe zu viel durchgemacht, um jetzt alles einfach hinter mir zu lassen wie irgendeinen Traum, den jedes Junges haben kann! Und meinen Glauben? Das ist doch- das ist-" Sie schnappte nach Luft.

Der Kater schüttelte mitfühlend den Kopf. "Es tut mir leid, aber das ist der Preis. Und außerdem ist es jetzt zu spät, du kannst nicht mehr zurück."

Mit einem furchtbaren Gefühl im Bauch, das sich wie ein Knoten in ihr festzog, trat sie an den Tunneleingang heran. "Was habe ich schon für eine Wahl?", presste sie hervor. "Ich habe bereits alles verloren. Warum sollte ich diesen Kummer also nicht einfach vergessen?"

Der ehemalige Wächter sah sie überrascht an, dann nickte er. "Ich wünsche dir alles gute für dein neues Leben."

Mottenflügel warf ihm nur einen dankbaren Blick zu, bevor sie ohne zu zögern in die Dunkelheit eintauchte, die sich wie eine sanfte Decke über sie legte. Die nasse Erdwand striff ihr Flanken und rückte so nah an sie heran, dass es keine Möglichkeit zum Umkehren gab. Bitte, SternenClan! Lass mich hier heil wieder rauskommen. Dieser Gedanke traf sie wie ein Schlag. Werde ich überhaupt noch wissen, was der SternenClan ist? Die anderen werden mich für verrückt halten! Ich werde nie meine Jungen im Traum besuchen können! Komme ich trotzdem nach meinem Tod in die ewigen Jagdgründe? Und wenn nicht, wohin dann?

Sie spürte, wie ihr Herzschlag immer schneller wurde, während ihre Pfoten sie immer weiter in das Innere des Tunnels führten. Nein, ich darf nicht so denken. Ich muss jetzt klar bleiben.

Angestrengt versuchte sie, sich zu beruhigen und nicht die Fassung zu verlieren. Ich muss hier schließlich wieder rauskommen. Sie lief noch eine ganze Weile weiter und hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben, den Ausgang jemals zu erreichen, als vor ihr plötzlich ein schwaches Leuchten aus der Finsternis herausstach. Licht? Der Ausgang! Aufgeregt beschleunigte Mottenflügel ihr Tempo.

Das Licht wurde immer größer und heller, bis es sie sogar blendete und sie ihre Augen zusammenkniff. Ein seltsames Gefühl durchflutete sie wie eine sanfte Welle, die all ihre Sorgen davonspülen wollte. Sie zog an ihren letzten Zweifeln, nie wieder nach Hause zu kommen, bis sie sich schließlich lösten. Zurück blieb nur sie, Mottenflügel, die mit bebenden Flanken am Erdboden lag.

Ein Zucken ging durch ihren Körper und sie schlug die Augen auf. Das gleißende Licht blendete sie, doch allmählich konnte sie die Silhouetten von Bäumen sehen, die über ihr hin und her schwankten. Ein Pochen hämmerte in ihrem Kopf und sie stöhnte schmerzhaft auf. Wo bin ich?

"SternenClan sei Dank, dir geht es gut."

Beim Klang des erleichterten Rufs fuhr Mottenflügel hoch, woraufhin ihr ein stechender Schmerz durch die Schulter schoss. Vor ihr stand ein hellbraun getigerter Kater, der sie durch seine hellblauen Augen besorgt anstarrte. "Bleib liegen, ich hol schnell etwas Kamille und Beinwell."

Mottenflügel seufzte und sank zu Boden. "Danke, Kleinwolke." Während der SchattenClan-Heiler davonlief, bemerkte sie eine Schar aus Katzen, die eilig den Kiefernwald verließen und zwischen den Schatten verschwanden. Wir haben also gewonnen! Sie ließ ihren Blick weiter über den Kampfplatz schweifen, auf dem Katzen hin und her humpelten und sich gegenseitig aufhalfen. Die goldene Kätzin starrte zu Boden. Ein beruhigendes Gefühl durchströmte sie. Seltsam...Als wäre ich ewig nicht mehr hier gewesen.

Sie lächelte. Egal! Mir geht es noch gut und wir haben die Eindringlinge des SchattenClans vertrieben. Es wird sich alles wieder zum Guten wenden. Langsam schloss sie ihre Augen und sog die frische Waldluft ein. Das seltsame Gefühl verschwand, als wäre es nur eine Einbildung gewesen - wie ein Traum, nur einen Herzschlag lang.

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Puh, es ist geschafft! Wer hätte das gedacht xD Ich hoffe, euch hat meine Geschichte gefallen. Ich würde mich über freundliche Kritik oder allgemeines Feedback freuen :)
Eure Wurzellicht

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