Kapitel 41

Kaltes Wasser tropfte auf Brennnessels Brustfell, als sie das nasse Stück Moos beim Kopfschütteln hin und her schleuderte. "Nein, musst du nicht.", nuschelte sie Kiesel zu, der ihr erneut seine Hilfe anbot. Ihre zugeteilte Mentorin Brand hatte sie damit beauftragt, Federflug Wasser zu bringen, mit dem die Seherin Rankes Husten lindern konnte. Doch jedes Mal, wenn Brennnessel über ihre eigenen Pfoten stolperte, eilte Kiesel zu ihr, um ihr zu helfen. Was will er eigentlich von mir?

"Bist du sicher?" Der weißgrau getigerte Kater sah sie eindringlich an.

Verwirrt legte Brennnessel das Moos ab und seufzte. "Was ist los, Kiesel? Hast du schon wieder so eine böse Vorahnung?" Sie war erst seit einem Sonnenaufgang hier, dennoch hatte der weißgrau getigerte Kater ihr bereits mehrmals davon abgeraten, die gewöhnlichsten Dinge zu tun, da sonst etwas schlimmes passieren könnte. Kiesel blinzelte überrascht. "Nein, aber..." Er überlegte. "Kann ich mit dir sprechen?"

Zu Brennnessels Überraschung wartete er nicht einmal auf ihre Antwort, sondern lief direkt auf den Höhlenausgang zu. "Komm schon.", rief er zu, ohne sich umzudrehen.

Verblüfft folgte sie ihm. Als sie gemeinsam mit dem Jungen das Tageslicht erreichte, fiel ihr Blick sofort auf Löwe und Federflug, die sich aufgewühlt unterhielten. Löwe schien wütend und wollte davonlaufen, doch die Seherin versperrte ihm den Weg. Plötzlich änderte sich die Haltung des braungescheckten Katers. Neugierig machte Brennnessel einen Schritt in ihre Richtung, aber Kiesel schüttelte entschieden den Kopf. "Du kannst nachher mit ihm sprechen. Komm jetzt mit." Damit drehte er sich um und tappte den Abhang auf der anderen Seite hinunter.

"Darfst du überhaupt draußen sein?", hakte Brennnessel nach, während sie gelassen zu ihm aufholte.

Kiesel zuckte mit den Schultern. "Wenn ich sterbe, ist es meine Schuld." Der unbekümmerte Ton des jungen Katers entsetzte Brennnessel für einen kurzen Moment, doch sie ließ sich nicht lange beirren und stellte weiter Fragen. "Was willst du denn jetzt von mir?"

Seufzend hielt Kiesel an. "Es geht um die Prophezeiung."

Brennnessel tat es ihm gleich. Was für eine Prophezeiung? Hat dieses Junge Bienen im Hirn! Sie öffnete den Mund, um ihn damit zu konfrontieren, aber er kam ihr zuvor.

"Die Mutter von Adler und Blüte wird das Feuer ersticken. Doch die schwarzen Flammen werden erneut aufsteigen und die schützenden Flügel verbrennen. Erst wenn Adler und Blüte zueinander finden, kann die Dunkelheit vernichtet werden." Kiesels Stimme war ernst. Für Brennnessels Geschmack zu ernst für sein Alter. Sie schnaubte belustigt. "Du hast wirklich eine lebhafte Fantasie. Lass uns wieder hoch gehen, bevor jemand merkt, dass wir weg waren."

Kiesels grüne Augen formten sich zu Schlitzen. "Das ist kein Spiel, Brennnessel.", knurrte er. "Oder sollte ich besser Blütenpfote sagen?"

Brennnessel blinzelte irritiert. Warum hatte sie das Gefühl, dass sie den Worten des Katers glauben sollte? "Blütenpfote?", brachte sie nur ungläubig hervor. Kiesel nickte. "Ich kann manchmal Dinge sehen, die sonst keiner sieht. Das mag seltsam klingen, aber ich weiß einfach, dass du die Blüte der Prophezeiung bist." Er machte eine Pause, um der hellbraunen Kätzin mit den dunkelgrauen Streifen die Chance zu geben, ihm gedanklich zu folgen. Brennnessel schluckte. "Das ist verrückt, Kiesel. Aber zu verrückt, um es sich auszudenken. Erzähl mir alles."

_____

Mottenflügel schlug die Augen auf. Ihr kopf dröhnte und sie hatte das Gefühl, als hätte ein Fuchs sie hin und her geschleudert. Langsam erhob sie sich, während die Erinnerungen nach und nach zurückkamen. Unerträgliche Schmerzen. Blut. Finsternis. Sie schüttelte sich. Was war nur passiert? Unsicher prüfte sie ihre Flanke, doch zu ihrer Überraschung konnte sie nicht einmal einen Kratzer erkennen.

Verwirrt sah die goldene Kätzin sich um. Sie stand auf einer hochgewachsenen Wiese, deren weiches Gras ihr Fell streifte, während sie sich sich langsam auf den umliegenden Wald zubewegte.

Die schmalen Stämme der Kiefern wogen im Wind leicht hin und her und verstreuten ihre dunkelgrünen Nadel über den Moosboden.

Mottenflügel sog den muffigen Geruch von Sumpf ein, den sie schon des öfteren im SchattenClan-Territorium vernommen hatte. Sie ging am Wald entlang, bis sie einen kleinen Bach bemerkte, der nahezu geräuschlos vor sich hin plätscherte. Die Kätzin näherte sich dem sprudelnden Wasser, das die Wiese in zwei Hälften teilten und reckte sich vorsichtig über die Kante.

Das goldene Flimmern ihres eigenen Fells fand sie auf der Wasseroberfläche wieder, nur dass es dort unscharf war und fast wie Sonnenlicht aussah. Wo bin ich hier?

Da fiel Mottenflügel ein Hügel auf, der sich aus dem Erdboden erhob. Neugierig kniff sie ihre Augen zusammen, um mehr zu erkennen. War das ein Tunnel, der einen Eingang in das unterirdische Höhlensystem bot? Vor Aufregung fingen ihre Pfoten an zu kribbeln. Sie hatte bereits von WindClan-Katzen gehört, die manchmal in Kaninchenbauen jagten. Sie selbst hatte sich immer davor gefürchtet, von zwei feuchten Wänden tief in der Erde eingeengt zu sein, doch sie musste zugeben, dass es spannend klang.

Plötzlich strömte ihr ein weiterer Geruch in die Nase. Er roch weder nach frischem Gras, noch nach einer anderen Pflanze - eher wie eine Katze.

Erschrocken wirbelte Mottenflügel herum und sah direkt in ein Paar dunkelgrüne Augen. Sie blinzelte überrascht, wurde jedoch gleich von Zorn überschwemmt. Halber Mond! Was will sie von mir? Hat sie mich angegriffen? Und wenn nicht: Wer oder was war es dann?

"Hallo, Mottenflügel.", schnurrte die weiße Kätzin freundlich. "Wir haben uns lange nicht gesehen."

Die ehemalige Heilerin schnaubte abfällig. "Das letzte Mal hast du mich in einer Höhle ausgesetzt. Ich sehe keinen einzigen Grund, dir auch nur zuzuhören." Damit schob sie sich grob an Halber Mond vorbei, die enttäuscht seufzte.

"Es tut mir leid, aber das musste sein.", sagte sie nachdrücklich und lief ihr hinterher. "Sonst hätte die Prophezeiung sich nicht erfüllen können."

Mottenflügel hielt ruckartig an. Seit Mondfeder sie vor all den Monden im Traum besucht und ihr die rätselhafte Prophezeiung überbracht hatte, zuckte sie jedes Mal allein bei ihrer Erwähnung zusammen. "Sie ist erfüllt?", hauchte sie. Eigentlich hatte sie sich geschworen, den SternenClan mit seinen verschlüsselten Botschaften aus ihrem Leben zu verbannen, doch in diesem Moment konnte sie nicht einmal das Zittern in ihrer Stimme unterdrücken.

Halber Mond legte nachdenklich den Kopf zur Seite. "Fast. Als Mondfeder dich getötet hat, hat alles angefangen."

Jedes einzelne ihrer Worte traf Mottenflügel wie ein unsichtbarer Schlag. Mondfeder hat mich umgebracht? Das ist unmöglich! Das würde er nie tun! Trotz all der Warnungen der Wächter konnte sie es nicht verstehen. Nicht akzeptieren! "Du lügst!", fauchte sie die weiße Kätzin an, doch diese schnippte abwehrend mit der Schwanzspitze. "Welchen Grund sollte ich dazu haben?"

Mottenflügel schüttelte verzweifelt den Kopf. Das kann einfach nicht sein! Ich bin zum dritten Mal tot? Unsicher schielte sie zu Halber Mond, die ihren Blick ausdruckslos erwiderte.

"Da siehst du es!", entgegnete sie trocken, ehe sie mit einem Kopfnicken in Richtung des seltsamen Hügels deutete. "Das ist der Tunnel des Lebens. Du musst ihn durchqueren, um das Tal der flüsternden Stimmen zu verlassen. Dann kannst du das beenden, was du begonnen hast." Mottenflügel starrte den dunklen Eingang des Hügels an. Zu viele Fragen gingen ihr durch den Kopf. Hat Mondfeder mich wirklich verraten? Was muss ich machen, um endlich allem ein Ende zu bereiten? Will ich es überhaupt wissen?

Trotzig hob sie ihr Kinn. "Zuerst bist du mir einige Erklärungen schuldig."

Halber Mond seufzte und neigte zustimmend den Kopf. "Ausnahmsweise hast du recht. Was willst du wissen?"

Unsicher sah Mottenflügel zum Tunnel des Lebens. "Sag mir die Wahrheit: Hat Mondfeder mich wirklich getötet?", hob sie mit brüchiger Stimme an. Die weiße Kätzin blinzelte mitleidig und nickte. Ein tiefer Schmerz bohrte sich in Mottenflügels Herz. Warum? Auch wenn so viele Katzen ihr schon gesagt hatten, dass man ihm nicht trauen könnte, traf sie dieser Verrat schlimmer als jeder andere. Er hatte damals dafür gesorgt, dass sie sich bei den Verstoßenen wohl fühlte. Sie hatten gemeinsam Junge. "Wie hat er das geschafft? Wir waren doch allein."

"Mit der Macht der Tiefen.", erklärte Halber Mond. "Sie erlaubt es ihm, unsichtbar zu sein."

Mottenflügel starrte sie ungläubig an. "Macht der Tiefen? Das klingt wie ein Jungenmärchen. Wie hat er es wirklich gemacht?" Die magere Kätzin zuckte genervt mit den Ohren. "Genau so!", beharrte sie. "Es gibt fünf Mächte, die einst alle von den Wächtern bewacht wurden. Doch jedes Mal, wenn ein Wächter im Kampf stirbt, wird seine Macht an eine zufällige Katze weitergegeben. Es könnte jeden treffen."

Wütend schlug Mottenflügel mit dem Schweif und formte ihre Augen zu Schlitzen. "Das ist Fuchsdung! Ich-" "Glaub es oder glaub es nicht. Es ist wahr und ob du daran glaubst, ändert nichts.", unterbrach Halber Mond sie forsch. "Noch weitere Fragen?"

Die goldene Kätzin blinzelte verblüfft. Sie hatte nicht mit so einer direkten Antwort gerechnet. Macht der Tiefen...Was für ein Fuchsdung! Doch sie wagte nicht, erneut zu widersprechen, denn sonst würde Halber Mond vermutlich ihre Geduld verlieren. "Was muss ich tun, um die Prophezeiung zu erfüllen?"

Die SternenClan-Katze schnurrte belustigt. "Das weißt du immer noch nicht? Du bist die Flügel, die das Feuer ersticken. Du bist die Flügel, die von dem Feuer verbrannt werden. Hast du dich damals nicht gefragt, warum deine Jungen Blütenpfote und Adlerpfote heißen?" Ohne auf eine Antwort zu warten, fügte sie hinzu: "Tief in dir wusstest du bereits, was die Prophezeiung bedeutet."

Mottenflügel erstarrte.

Nach und nach begriff sie, dass Halber Mond recht hatte. Ich bin Teil der Prophezeiung! Meine Jungen sind Teil der Prophezeiung! Und Mondfeder ist das Feuer. Schockiert schüttelte sie den Kopf und schluckte. Ich muss träumen.

Unsicher sah sie die weiße Kätzin an. "Was wird passieren, wenn ich zurückkehre?"

Die SternenClan-Kätzin zuckte mit den Schultern und sagte: "Das hängt von den Entscheidungen ab, die du triffst." Ihre Augen blitzten erwartungsvoll auf, als sie einen Schritt zurücktrat. "Ich vertraue darauf, dass du es schaffst."

Mottenflügel schluckte hart. Das Schicksal meiner Familie liegt in meinen Pfoten. Auch das von Mondfeder. Gehört er überhaupt noch zu meiner Familie? Nach allem, was er mir angetan hat? Seufzend sah sie zu Boden. "Bist du dir da sicher?" Doch zu ihrer Überraschung antwortete Halber Mond nicht. Verwirrt sah sie auf und musste feststellen, dass von der weißen Kätzin jegliche Spur fehlte. Typisch...

Unsicher näherte Mottenflügel sich nun dem Tunnel des Lebens. Sein Eingang war so schwarz wie der tiefste Grund eines Sees und dennoch verspürte die ehemalige Heilerin keinerlei Furcht. Der schwache Wind brach sich an den Höhlenwänden und heulte laut auf, als würde er versuchen, ihr etwas zu zurufen. Das Kribbeln in Mottenflügels Pfoten wurde stärker. Wenn das hier funktioniert, werde ich Mondfeder angesicht zu angesicht sehen...Und dann werde ich ihn töten müssen! So sagt es die Prophezeiung. Trauer überschwemmte ihre Gedanken. Ob ich das überhaupt kann?

Allein die Vorstellung jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Jetzt ist es sowieso zu spät. Ich komme, um dir dein Leben zu nehmen. So wie du mir meines nahmst!

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