Kapitel 37

Blütenpfote starrte auf die feuchten Steine. Wasser tropfte von der Decke und landete mit einem "Platsch" am Boden, welches in der gesamten Höhle widerhallte. Sie tappte näher an eine Pfütze heran, die bereits von dem fallenden Wasser entstanden war. Ihr Spiegelbild sah sie mit leerem Blick an. Was mache ich hier? Wie betäubt ging sie weiter und betrachtete den kleinen See, der eher einem Tümpel ähnelte. Wo Adlerpfote wohl bleibt?

Wie aufs Kommando ertönte ein benommenes Stöhnen. Erschrocken wirbelte die hellbraune Kätzin mit den dunkelgrauen Streifen herum und sah ihren Bruder an, der sich verwirrt aufrappelte. Erst nach ein paar Herzschlägen schien er zu begreifen, wo er war.

Als er Blütenpfote sah, veränderte sich etwas in ihm. "Du bist schon hier." Die Schülerin ignorierte seinen kalten Ton und lief schweigend auf den See zu. Warum ist er sauer auf mich? Ich sollte sauer auf ihn sein. Verärgert dachte sie daran, wie Adlerpfote sich von Mondfeder hatte manipulieren lassen. Doch heute Nacht sollte es den Geschwistern zum Verhängnis werden, es soweit kommen gelassen zu haben.

Blütenpfote schob ihre Gedanken beiseite. Sie hatte einen Befehl bekommen und wenn sie nicht erneut für ewig in ihrem eigenen Kopf gefangen sein wollte, musste sie gehorchen.

"Und jetzt?" Adlerpfotes plötzliche Frage riss sie in die Gegenwart zurück.

"Was meinst du mit >und jetzt<? Hat dir Dachsfang nichts erklärt?", schnaubte Blütenpfote und sah den braun-gescheckten Kater missbilligend an.

Dieser warf empört den Kopf zurück. "Doch, natürlich hat er das. Wir sollen...ähm, uns jetzt gegenseitig töten?" Blütenpfote seufzte. Ihr Bruder würde sich nie verändert, egal wie viele Monde vergangen wären. "Wer den anderen zuerst in dem See dort ertränkt, hat gewonnen.", erklärte sie mit einem Nicken zu dem kleinen Gewässer.

Adlerpfote legte den Kopf schief, als würde er versuchen zu verstehen. Dann trabte er auf sie zu. "Also gut, ich-" Jetzt oder nie! Ohne ihn ausreden zu lassen, sprang sie auf ihn zu. Adlerpfote fauchte überrascht auf, als ihre Krallen durch sein Gesicht fuhren.

Doch Blütenpfote hatte keine Zeit, die kleinen roten Striche zu betrachten. So schnell sie konnte, griff sie erneut an und stieß ihren Bruder mit einem Tritt beiseite. Dieser stolperte ein paar Schritte, dann wirbelte er herum.

"Du willst es doch nicht anders, oder?", knurrte er. "Wie lange wartest du schon?" In seinen Augen lag ein Ausdruck, den sie noch nie an ihm gesehen hatte.

"Du weißt nicht, was du da sagst! Ich habe keine Wahl, aber das würdest du sowieso nicht verstehen." Blütenpfote seufzte und machte ein paar Schritte rückwärts, bis ihre Pfoten nicht mal eine Schwanzlänge vom See entfernt waren. Die Wut wich aus Adlerpfotes Gesicht. "Was machst du da?" Seine Augen wurden größer.

Blütenpfote starrte zu Boden. Die ganze Zeit gab sie vor, eiskalt und taub gegenüber Gefühlen zu sein, doch manchmal wünschte sie sich, sie könnte sich einfach öffnen. Egal bei wem. Hauptsache sie tat es. Bald., sagte sie sich. Halte noch etwas durch, dann kannst du alles hinter dir lassen.

Adlerpfote sprang entsetzt vor. "Du gibst auf?!", rief er ungläubig. Die hellbraune Kätzin mit den dunkelgrauen Streifen erwiderte den Blick ihres Bruders und schluckte. "Nicht wirklich." Bitte mach, dass es funktioniert.

Dann passierte alles ganz schnell. Blütenpfotes Pfote schoss nach vorn. Ihre Krallen verhakten sich in Adlerpfotes Fell und rissen ihn an sie heran. Mit zusammengekniffenen Augen drückte sie sich nach hinten. Kaltes Wasser umhüllte sie und versuchte, sie und Adlerpfote in die Tiefe zu ziehen. Blütenpfote öffnete ihre Augen wieder. Im ersten Moment brannte es entsetzlich, doch nach einigen Herzschlägen verklang der Schmerz.

Ihr Bruder strampelte hektisch mit seinen Beinen, um an die Oberfläche zu kommen, doch die Schülerin hielt seinen Pelz fest.

Die Luft aus Blütenpfotes Lungen entwich. Ihre Gedanken wurden langsamer und ihr Körper schrie nach Sauerstoff. Über ihr wurden Adlerpfotes Schläge ebenfalls schwächer, bis er kaum noch eine Pfote heben konnte. Dann fielen ihr die Augen zu und alles wurde schwarz.

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"Schnell, hol Sumpf. Wir müssen sie sofort zu Federflug bringen.", rief eine Stimme panisch, doch in Blütenpfotes Ohren hörte es sich an wie ein Flüstern.

"Sind sie tot?", fragte eine weitere Stimme; vom Klang her tippte Blütenpfote auf einen Kater. "Beide atmen, aber die Kätzin wirkt ohnmächtig." Reden sie von mir? Pfotengetrappel ertönte und plötzlich spürte die hellbraune Kätzin mit den dunkelgrauen Streifen, wie jemand ihre Brust massierte. Ohne etwas tun zu können, hustete sie einen Schwall Wasser aus. Langsam öffnete sie ihre Augen. "Sie ist wach!", wisperte die erste Stimme aufgeregt.

Die Umgebung war verschwommen, sodass Blütenpfote nur erkennen konnte, dass sie sich in einer Höhle befand. Vor ihr standen vier Katzen. Eine von ihnen trat vor und neigte den Kopf. "Den Wächtern sei Dank, ihr seid beide wohl auf."

Blütenpfote drehte sich zur Seite. Neben ihr saß ein braun gescheckter Kater, der von einer weiteren Katze versorgt wurde. Sein Blick war starr zu Boden gerichtet und er zitterte.

Langsam wurde ihre Sicht klarer und sie konnte die fünf fremden Katzen erkennen. Die vorderste Katze war ein Kater mit dunkelbraunem langem Fell. Sein breites Gesicht erinnerte Blütenpfote an einen Dachs. Eine weitere Katze, eine orangene Kätzin mit grünen Augen, tippte dem Kater mit der Schwanzspitze auf die Schulter.

"Bernstein hat recht, Sumpf. Wir sollten sie zu Federflug bringen, damit wir sicher gehen können, dass es ihnen gut geht.", miaute sie sanft und drehte sich erwartungsvoll zu den anderen Katzen um, die zustimmend murmelten.

Sumpf nickte. "Einverstanden." Dann wandte er sich an Blütenpfote und lächelte freundlich. "Wir bringen dich zu unserem Lager. Dort wird man sich um euch kümmern." Die hellbraune Kätzin mit den dunkelgrauen Streifen wich panisch zurück. "Nein! Wo bin ich hier? Wer seid ihr? Wie komme ich hier her?", rief sie mit erhobener Stimme. Die orangene Kätzin wechselte einen kurzen Blick mit Sumpf, ehe sie sagte: "Das werden wir euch alles auf dem Weg erklären. Ich habe vorher nur eine Frage an dich: Wie heißt du?"

Blütenpfote blinzelte unsicher. "Ich..." Sie stockte. Wieso kenne ich meinen eigenen Namen nicht mehr? Was ist hier los? Angestrengt versuchte sie, sich zu erinnern, doch plötzlich schoss ein unerträglicher Schmerz durch ihren Kopf. Fauchend schüttelte sie sich.

"Ich weiß es nicht! Ich weiß nicht, wie ich heiße!"

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Nur eine kleine Info am Rand, damit ihr nicht verwirrt seid. Ich verwende Blütenpfotes Namen vorerst weiter als "Beschreibung" für sie, damit jeder weiß, von wem ich spreche. Zusammengefasst: Wir wissen, wie sie heißt. Sie weiß es nicht.

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