Kapitel 36

Adlerpfotes Herz schlug schneller, als er über die Lichtung zum Heilerbau lief. Ein paar Schwanzlängen hinter ihm Blütenpfote. Zu seiner Rechten tappte Dachsfang, die Ohren aufgeregt aufgestellt. Ich kann nicht glauben, dass das hier passiert.

Vor ihnen liefen Dämmerwolke und Blütenpfote. Die junge Schülerin hielt deutlich mehr Abstand als Adlerpfote zu seinem Mentoren, was diesem wirklich seltsam vorkam. Ist sie ihr etwa immer noch böse? Es war ja schließlich ihre Schuld, nicht die von Dämmerwolke. Warum musste sie sie auch zu Unrecht beschuldigen? Ein merkwürdiges Gefühl der Abneigung stieg in Adlerpfote auf, was er noch nie zuvor für seine eigene Schwester empfunden hatte.

Schnell schüttelte er seine Gedanken ab und sah zu Dachsfang. "Was passiert jetzt?", flüsterte er, damit niemand hören könnte, dass er sich Sorgen machte. Sein Mentor zuckte mit den Schulter. "Ich weiß es nicht. Ich glaube, sie werden dir etwas geben, damit du in einen Schlaf fällst, wo du und Blütenpfote dann kämpfen werdet."

Adlerpfotes Beine wurden weich. Nie hätte er gedacht, dass er einmal gegen seine eigene Schwester kämpfen müsste. Er erwartete, von einer Welle des Entsetzens überschwemmt zu werden oder sogar von Scham, dass er das Ganze nicht sofort abbrach. Doch es kam nichts.

Das Einzige, was er spürte, war Angst; Angst um ihn selbst. Er wusste, wie Blütenpfote war. Schon als Junges hatte sie das Kämpfen im Blut und ihr Ziel vor Augen gehabt. Nur selten bekam sie nicht das, was sie wollte. Aber in letzter Zeit stimmt etwas nicht mit ihr. Sie ist so zurückhaltend und abwesend. Was ist nur mit ihr passiert? Ob sie irgendetwas angegriffen hat, als sie verschwunden war?

Plötzlich wurde der braun-gescheckte Kater von Dachsfang in die Gegenwart zurück gerissen. "Gleich geht es los."

Überrascht sah Adlerpfote dabei zu, wie Tauspitze ihm ein Blatt vor die Pfoten legte. Es war grün, so wie fast jedes andere auch. Aber über die glatte Oberfläche schlängelte sich weiße Linien, die gar nicht zum Kontrast der Pflanze passten. "Korbmarante.", sagte der Heiler knapp. "Ihr müsst sie nur schlucken, es sei denn ihr mögt bitteren Saft, der aus Kräutern fließt."

Adlerpfote verkniff sich einen bissigen Kommentar. Seit wann war der Heiler so grimmig geworden? Er wusste noch genau, wie Mottenflügel ihm immer von dem freundlichen alten Kater erzählt hatte, der sie bei ihrer Ankunft willkommen geheißen hatte.

Dachsfang stupste den Schüler sanft an. "Viel Glück, du schaffst das schon." Adlerpfote erwiderte seinen Blick dankbar, dann sah er sich nach seinem Vater um. Doch Mondfeder war nirgends zu sehen. Auch Dämmerwolke war bereits verschwunden. Neben ihm hockte Blütenpfote, die ihn nicht zu beachten schien und das Blatt ohne zu zögern aufleckte.

Zu Adlerpfotes Entsetzen verdrehten sich ihre Augen, bis sie fast komplett weiß waren. Schockiert sah er Tauspitze an, doch der starrte nur mürrisch auf den Boden. Ob er um Mottenflügel trauert?

Das Herz des Schüler schlug nun immer schneller. Er spürte, wie sein Fell sich vor Anspannung sträubte. Wenn er das jetzt tat, gab es kein Zurück mehr.

Also gut, Blütenpfote. Ich komme. Einer von uns beiden muss heute sterben und das werde nicht ich sein.

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Gähnend betrachtete Mottenflügel die untergehende Sonne. Ihre letzten Strahlen trafen auf die Oberfläche des kleinen Sees. Sein tiefes Blau ähnelte dem des Himmels, der an diesem Abend besonders klar war. "Kann ich dich etwas fragen?" Kieseljunges plötzliches Interesse an ihr verwirrte Mottenflügel, doch sie nickte höflich. "Natürlich, was möchtest du wissen?"

Der getigerte Kater setzte sich und sah sie mit großen Augen an. "Wo kommst du her?" Mottenflügel blinzelte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sie gerade das fragen würde. Sie hatte eher vermutet, dass er etwas über das Leben als Krieger - oder bei ihnen Verteidiger und Sammler - wissen wollte. "Wie meinst du das?", hakte sie nach. Kiesel seufzte und ringelte seinen Schweif um seine Pfoten. "Das weißt du. Ich möchte wissen, wo du herkommst. Du bist nicht wie die anderen Katzen, die hierher kamen. Also?"

Mottenflügel starrte ihn überfordert an. Er ist definitiv reifer als die anderen Jungen. Seine Schwester Glanz ist auch das komplette Gegenteil von ihm. >Der Wirbelwind, der die Pfleger auf Trapp hält.< So nannte Asche sie immer.

"Das kann ich dir nicht erklären. Du würdest es eh nicht verstehen." "Versuch es doch.", erwiderte Kiesel und legte den Kopf schief.

Seufzend nickte Mottenflügel. "Also gut. Ich komme von den Clans - nein, von den Verstoßenen. Obwohl, genau genommen aus einer Scheune. Aber meine letzte Heimat war bei den Verstoßenen und trotzdem habe ich am längsten bei den Clans gelebt." Sie blinzelte das Junge entschuldigend an. "Tut mir leid, aber mehr kann ich dir dazu nicht sagen. Ehrlich gesagt möchte ich das auch nicht."

Damit erhob sie sich und tappte tiefer in die Höhle. Sie konnte Kiesels neugierigen Blick spüren, doch der kleine Kater musste sich mir einer klaren Antwort gedulden.

Plötzlich erschien Asche vor ihr. "Mottenflügel, da bist du! Ich habe schon den ganzen Abend nach dir gesucht.", rief die rote Kätzin mit den schwarzen Punkten und Pfoten aus. Mottenflügel lächelte gequält. "Ach wirklich? Was ist denn los?" Asche lief aufgeregt um sie herum und erklärte: "Busch hat mir erzählt, dass er von Gipfel gehört hat, dass sie von Federflug gehört hat, dass Schwinge eine Prophezeiung hatte."

Mottenflügel sah sie verwirrt an und versuchte in ihrem Kopf die Katzen durchzugehen, die irgendwas von irgendwem gehört hatten. "Wer hat nochmal etwas von Federflug gehört?"

"Mottenflügel!" Asche schüttelte energisch den Kopf. "Hast du mir denn gar nicht zugehört? Schwinge hatte eine Prophezeiung. Und wenn Busch recht hat, dann kommt bald eine neue Katze an!"

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Die Gedanken in Mottenflügels Kopf rannten umher wie ein aufgescheuchter Mäusebau. Wer kann die nächste Katze nur sein? Etwa Mondfeder? Schwinge meinte ja, dass er bald kommen würde. Was mache ich dann? Laut Schwinge will er etwas stehlen, aber ich kann ihr ja nicht mehr vertrauen als meinem Gefährten! Und wenn sie die Wahrheit sagt...

Mit dröhnendem Kopf sah die goldene Kätzin der Gruppe von Katzen hinterher, die sich über den Anstieg in Richtung Höhle des Lebens begab. Wenn es wirklich stimmte, was ihr die Wächterin der Adler erzählt hatte, dann könnte es zu mehr, als nur einem Kampf kommen.

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