Kapitel 27

Verärgert fuhr Blütenjunges ihre Krallen ein und aus. Wieso ist er so ein Mäusehirn? Erkennt er nicht, dass er nur Blödsinn erzählt? Ihr Blick schnellte zur Seite. So ein Lügner! Ich sollte sein Geheimnis aufdecken, ein für alle mal! Gerade wollte sie auf den Kater zu stapfen, als sie von einem Ruf aufgehalten wurde. "Blütenjunges? Kannst du einmal kommen?"

Genervt sog die hellbraune Kätzin mit den dunklen Streifen die Luft ein. Sie ist nicht viel besser! Schert sich denn niemand darum, wo sie ist? Mit angelegten Ohren tappte sie zu der schwarz-weißen Kätzin, die sie gerufen hatte.

"Was gibt es denn?", fragte Blütenjunges trotzig.

Mit einem Seufzen rollte die alte Kätzin mit den Augen. "Sei nicht immer so mürrisch. Hat mein Gefährte dir etwas zukommen lassen?"

Das Wort "Gefährte" spuckte sie dabei förmlich aus. Blütenjunges schüttelte den Kopf. "Nein, er ist sowieso seit Sonnenaufgang jagen." Und warum sollte er ausgerechnet mir mir sprechen? Ist ja nicht so, als wäre ich meine Mutter, die überall im Lager Freunde hat. "Ich muss jetzt auch los, Bleichgesang. Ich habe noch etwas zu tun." Wütend wandte sie sich von der Königin ab und tappte erneut auf den Kater zu, der ausgelassen mit der kleinen, hellroten Kätzin plauderte.

Als er sie sah, blinzelte er überrascht. "Blütenjunges?" Er tauschte einen Blick mit der anderen Kätzin. "Du wolltest doch-" "Ich muss mit dir reden!", fauchte Blütenjunges ihn an. Seine grünen Augen weiteten sich.

"Natürlich. Ich komme gleich, lass mich nur noch kurz das Gespräch beenden."

"Nein, ich bin nicht mein Bruder!", brauste Blütenjunges auf. Knurrend wirbelte sie herum und stürmte auf den Lagerausgang zu. Sie spürte, wie der Kater ihr hinterher sah.

Aber sie rannte weiter, bis ihre Pfoten das weiche Moos berührten. Dieses Fuchsherz! Dieser räudige Haufen Krähenfraß! Wie kann er es wagen? Sorgt er sich denn gar nicht mehr? Als sie bei der hohlen Eiche ankam, blieb sie keuchend stehen. Erschöpft presste sie sich an den Boden und kroch unter der Wurzel hindurch in den Baum hinein.

Drinnen war es düster und kühl und Blütenjunges lockerte ihre Muskeln. Sie musste sich erholen. Von den ganzen Lügen, von dem Verrat, von der Leichtgläubigkeit ihres Bruders. Ihre Kehle schnürte sich zu, als sie an Adlerjunges dachte.

Wenn er erfahren würde, was er getan hat, würde er das vermutlich nie verkraften. Ich kann es ihm nicht erzählen! Das würde alles ruinieren. Betrübt sackte Blütenjunges in sich zusammen. Tausend Gedanken rotierten in ihrem Kopf, bis ihre Sicht leicht verschwamm.

"Blütenjunges? Wo bist du?" Bei der Stimme des Katers zuckte die kleine Kätzin zusammen. Sie wollte jetzt nicht mehr mit ihm reden. Er hatte es nicht verdient.

Noch einmal rief der Kater, bis er es schließlich aufgab und davonlief.

Zufrieden rollte Blütenjunges sich zusammen. Ein falscher Schritt und jeder wird von deinem Geheimnis erfahren. Du wirst es noch bereuen, mich unterschätzt zu haben, Mondfeder!

-----

Als die Sonne unterging, tappte Blütenjunges zurück ins Lager. Sie hatte sich inzwischen etwas beruhigt und kletterte jetzt über die glatten Steine, über die sie schon so oft geklettert war, als sie sich aus dem Lager geschlichen hatte.

Der kalte Abendwind blies durch ihr Fell und sie hob ihre Schnauze. Die frische Luft tat ihr sichtlich gut.

Mit klarem Kopf sprang sie von den Felsen und lief auf den Gehheimgang zu, den sie schon seit zwei Monden nutzte. Erleichtert duckte sie sich unter der Brombeerhecke durch und glitt ins Lager. Die Lichtung war leer und kein Mucks regte sich. Auf einmal trat eine graue Kätzin aus dem Kriegerbau. Blütenjunges begegnete ihrem Blick. "Was ist hier los?", rief sie ihr zu. Weidenkralle blinzelte verwirrt.

"Was machst du hier draußen?"

Blütenjunges trat unsicher von einer Pfote auf die andere. "Ich will mir nur kurz die Beine vertreten.", log sie.

Weidenkralle schnaubte. "Du hörst echt nie zu, oder?", miaute sie vorwurfsvoll und sah auf den Boden. Die hellgraue Kätzin mit den dunklen Streifen folgte ihrem Blick. Verwundert stellte sie fest, dass viele kleine Kuhlen den Sand zierten, in manchen lagen Stöcker, in manchen nicht. Vor jeder Kuhle befand sich ein Fellbüschel. Eins erkannte Blütenjunges sofort. Das auffällig weiß-grau getupfte ihres Anführers.

"Was ist das?", fragte sie die Kriegerin mit großen Augen.

"Das hat Eulenstern doch alles erklärt.", sagte sie schnippisch. "Das sind die Wahlen. Siehst du das denn nicht?"

Blütenjunges erstarrte. Die Wahlen? Es war soweit? Hastig stolperte sie an Weidenkralle vorbei und rief ihr noch ein schnelles: "Ach ja. Tut mir leid." zu, ehe sie in der Kinderstube verschwand. Der braun-gescheckte Kater mit den langen Beinen, der scheinbar schon auf sie gewartet hatte, kniff die Augen zusammen. "Wo warst du?", fragte er sie misstrauisch.

"Stell dir vor, ich unternehme ab und zu auch mal was für mich!", blaffte sie und legte sich in ihr Nest. Adlerjunges stöhnte genervt, ließ sie aber in Ruhe.

Eingebildete Fellkugel. Es dreht sich nicht alles nur um dich. Müde schloss sie ihre Augen. Die Wahlen...Wer wohl ausgewählt wird? Hoffentlich Brandwind oder Morgennebel. Dann bin ich wenigstens eines dieser Mäusehirne los.

-----

Blütenjunges träumte. Sie saß im Heilerbau und stritt mit Tauspitze. "Lass mich rein! Ich muss sie sehen!", fauchte sie ihn an. Doch der Heiler schüttelte hartnäckig den Kopf. "Sei nicht albern. Sie braucht Ruhe." Die kleine Kätzin sträubte ihr Fell. "Sie ist immer noch meine Mutter! Ich muss wissen, wie es ihr geht!", erwiderte sie aufgebracht und wollte sich an ihm vorbeischieben, doch der Kater versperrte ihr den Weg.

"Es geht ihr gut. Bald ist sie wieder gesund." Seine Stimme wurde weicher. Blütenjunges sah kläglich zu ihm auf. "Das weißt du nicht. Seit drei Sonnenaufgängen regt sie sich nicht mehr. Atmet sie überhaupt noch?"

Tauspitze zögerte. "Natürlich."

"Du hast keine Mutter mehr. Du weißt wie schmerzhaft es ist, sie zu verlieren. Bitte, lass mich durch.", flehte Blütenjunges, wobei ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch war. Geschlagen machte Tauspitze Platz. "Du hast recht.", miaute er.

Dankbar tappte Blütenjunges an ihm vorbei, doch als sie in dem Nebenraum des Heilerbaus ankam, fand sie nicht wie erwartet ihre Mutter vor. Nein, da war niemand!

Blütenjunges schlug die Augen auf. Sie zitterte am ganzen Körper und ihr Herz raste. Immer wieder habe ich den gleichen Traum., dachte sie verdrossen. Die Erinnerungen an das seltsame Verschwinden ihrer Mutter plagten sie schon seit jenem Tag, an dem diese plötzlich verschwunden ist. Wo ist sie nur?

-----

Freut mich, dass so viele Lesen sich für meine Geschichte interessieren. :) Ich habe heute etwas mehr Zeit und kann daher (wie man wahrscheinlich merkt) mehr schreiben. Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top