Kapitel 24
Der Mond schien hell und klar am Himmel. Seine Strahlen warfen lange Schleier über die tiefgrünen Wipfel der Bäume und ließen die schwarzen Schatten am Boden tanzen. Ein Kater trat aus einem Schilfgebüsch hervor. Sein Fell war braun-gescheckt und seine gelben Augen funkelten.
Wo bin ich hier? Diese Frage beschäftigte ihn schon die ganze Zeit. Er irrte schon eine ganze Weile durch das seltsame Stück Land, welches aus Sümpfen, Seen und Lichtungen bestand. Zusätzlich standen an manchen Orten viele Bäume und Büsche, an manchen so gut wie keine. Der Kater sah zum Himmel hoch. Er hatte keine Ahnung davon, wie er wieder nach Hause kommen sollte. Er hatte keine Erfahrung in solchen Situationen. Seine Schwester, seine Mutter, sein Vater, sie alle mussten sich wahnsinnig um ihn sorgen. Dabei wusste er nicht einmal, wie er hier her gekommen war.
Aber irgendwie muss ich doch von hier weg. Er lief weiter, ohne zu wissen wohin. Seine ungewöhnlich langen Beine trugen ihn immer schneller, bis er vor einem Fluss hielt.
Der Fluss entpuppte sich als See, der von einer Insel gespalten wurde. Diese war von den zwei Abzweigungen umflossen. Ein langer Holzstamm zog sich von dem Ufer an Land zu dem Ufer an der Insel. Der braun-gescheckte Kater sah an den Bäumen zu seiner linken hoch. Sie waren gigantisch. Ungefähr fünfmal so groß wie er selbst, und das, wenn er sich aufbäumte.
Sein Blick wanderte am Land-Ufer entlang, bis er bei einem dichten Wald etwas weiter entfernt hängen blieb. Neugierig spitzte er die Ohren. Er durfte noch nicht so lange die Welt da draußen sehen, aber er wusste, wie gefährlich es dort war.
Doch er liebte Gefahr.
Auf einmal knackte es hinter ihm. Erschrocken und ängstlich wirbelte herum. Er stellte drohend sein Fell auf, obwohl er niemanden sah. Bei den Adlern, was ist denn jetzt los? Seine Mutter hatte ihm von den mysteriösen Katzen erzählt, die weiter entfernt von ihnen lebten. Sie waren frei oder sowas in der Art...
Plötzlich knackte es erneut. Ein Schauer lief ihm den Rücken herunter.
Da trat eine schlanke Kätzin mit weißem, langem Fell aus einem Gebüsch hervor. Ihre Augen leuchteten freundlich. "Sei gegrüßt, kleiner Krieger. Mein Name ist Federflug." Sie deutete auf den Boden. "Du kannst dich ruhig setzen."
Bei dem Wort "Krieger" zuckte der Kater zusammen. Sein Vater erzählte oft von seinen Abenteuern als Krieger und er bettelte jedes Mal, mit ihm zu kommen. Doch er musste ihn auch jedes Mal enttäuschen. Er konnte erst ein Krieger werden, wenn er seine Schülerausbildung bestanden hatte. Wie lange das wohl dauerte? Ein Kater namens Roggenpfote - er besuchte ihn, seine Schwester und Mutter häufig in der Kinderstube - hatte ihm gesagt, er sei schon seit vier Monden Schüler. Und jetzt nannte diese Kätzin ihn Krieger?
"Weißt du, wo du bist?", fragte diese und stellte die Ohren auf.
"Ähm, nein.", gestand der Braun-gescheckte vorsichtig. Er wollte nicht zu viel verraten. "Weißt du es denn?"
"Allerdings. Du befindest dich im Flussclan-Territorium, dem Herkunftstort deiner Mutter." Die Fremde sah auf den See hinaus. "Du kennst mich nicht, das weiß ich. Doch du musst mich auch nicht kennen, um zu verstehen."
Der Kater legte den Kopf schief. Wie sollte er sie verstehen, wenn er nicht einmal das verstand? "Was meinst du damit?", hakte er nach. "Du darfst nicht den Schatten vertrauen.", miaute die Kätzin zur Antwort und ihre Augen nahmen ein seltsames Funkeln an. "Sie versuchen dich zu täuschen, für ihre eigenen Zwecke." "Schatten? Was für Schatten?" Der Kater kniff die Augen zusammen. Vielleicht war er jung, aber er erkannte eine Warnung. Seine Baugefährtin war ziemlich rabiat.
Doch die Kätzin lächelte nur noch einmal, dann verblasste sie.
Entsetzt wich der Kater zurück. "Wie...aber was?", stotterte er, obwohl er wusste, dass ihn niemand hören und antworten konnte. Aber da hatte er sich getäuscht, denn eine weitere Katze trat aus dem Gebüsch hervor.
Zuerst konnte er nichts erkennen, da es so dunkel war. Doch dann sah er einen Kater, mit dunkelbraunem Fell, welches jedoch nur durch die Finsternis so wirkte. Er schätzte, dass es eigentlich hellbraun war. Der Fremde hatte breite Schultern und seine Schnauze war von Narben entstellt. "Freut mich, dich kennenzulernen.", fing der Kater an. "Ich bin Aal und du?"
Der braun-gescheckte Kater zögerte. Woher sollte er wissen, dass er ihm vertrauen konnte?
"Ich verstehe deine Bedenken.", fuhr dieser fort und schnurrte. "Falls es dir hilft, meine Freunde nennen mich Schattenaal, weil ich mich so gut an meine Gegner anschleichen kann."
Der Braun-gescheckte wich zurück. Das hilft mir ganz und gar nicht!, dachte er für sich. Hatte Federflug ihn nicht eben vor den Schatten gewarnt? Das konnte unmöglich ein Zufall sein, auch wenn Aal so freundlich aussah. Dieser schien zu merken, dass etwas nicht stimmte. "Ist alles in Ordnung?"
Er zuckte unsicher mit den Ohren und überlegte. Schließlich war er auch nur ein Junges. Dieser Kater sah aus, als ob bereits unendlich viele Kämpfe hinter sich gehabt hätte. "Naja", hob er an. "Da war eben diese Kätzin und hat mich vor den Schatten gewarnt." Schlagartig veränderte sich Aals Blick. Seine Augen erzogen sich zu Schlitzen, er fuhr seine Krallen ein und aus. Als er bemerkte, wie sein Gegenüber nervös sein Fell aufstellte, miaute er mit weicher Stimme: "Das ist bestimmt ein doofer Zufall."
Wirklich? Ist es das?
"Mit Schatten kann doch jeder gemeint sein. Du musst nicht immer auf Federflug hören, sie erzählt oft Blödsinn."
Der kleine Kater horchte auf. Er hatte nicht den Namen der weißen Kätzin erwähnt. Sofort regte sich Misstrauen in ihm und er kniff die Augen zusammen. Aal schien zu bemerken, dass er sich verplappert hatte. "Ich mein, irgendeine Kätzin erzählt Blödsinn. Oder, nein. Du hast doch gesagt, dass es Federflug ist." Er versuchte, sich verzweifelt aus seinen eigenen Lügen herauszufinden. "Bleib hier, Adlerjunges!", rief er dem braun-geschecktem Kater nach, als der sich umdrehte und davonrannte.
Woher kennt er meinen Namen? Auch egal! Ich muss nur weg von ihm. Weg von hier! Adlerjunges stürmte durch die seltsame Sumpflandschaft, aus der angeblich seine Mutter stammen sollte. Ich will hier weg. Doch wie?
Plötzlich stolperte er über seine eigenen Pfoten und fiel keuchend hin. Matsch spritzte auf und verklebte sein Fell. Angewidert versuchte er wieder aufzustehen. Doch seine Pfoten blieben wie angewurzelt am Boden. Panisch riss Adlerjunges die Augen auf. Nein! Nein! Nein, das kann nicht wahr sein! "Wo bist du?", ertönte erneut die Stimme von Aal. Gleich hat er mich. Was wird er dann mit mir machen? Hat Federflug recht und er wird mich für seine eigenen Zwecke benutzten? Aber wie?
Der Geruch des hellen Katers wurde stärker.
Ängstlich kauerte das Junge sich hin und spähte durch die Zweige vor sich. Ich denke, ich liebe die Gefahr? Jetzt hast du deine Gefahr, Mäusehirn! Was ist los?
Doch er war noch nie richtig in Gefahr. Nur von den Geschichten der älteren Katzen kannte er welche, wie Dachse, Hunde oder Zweibeiner.
Genau als ein Rascheln ertönte, verstummte es auch wieder. Was ist jetzt passiert? Ist er weg? Das kann nicht sein!
"Adlerjunges?" Er zuckte zusammen. "Adlerjunges!" Das war nicht Aal. "Wach endlich auf!"
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