Kapitel 19
Mottenflügel stolperte davon. Was meint Mondfeder damit? Ich bin doch keine Verstoßene. Ich bin nicht tot. Völlig aufgelöst lief sie durch den Weidentunnel aus dem Lager und schnappte nach Luft. Die angenehme Waldluft durchflutete ihren Kopf wie eine Welle. Wann soll ich denn gestorben sein? Ich- Mottenflügel wurde schwindlig. Silberfluss hat gelogen. Ich war nicht tot, ich bin tot. Schilfbart hat mich damals tatsächlich getötet. Sie taumelte weitere Schritte von dem Lager weg.
Dann muss mich ja irgendeine Katze zu den Verstoßenen geschickt haben. Aber wer? Die Gedanken in Mottenflügels Kopf fingen an sich zu drehen und sie versuchte, einen klaren zu fassen. "Das kann nicht sein.", hauchte sie jetzt laut. "Mein Leben kann doch noch nicht zu Ende sein."
Auf einmal stoben Funken vor ihr aus dem Boden und eine Katze kam zum Vorschein. "Halber Mond?", fragte Mottenflügel ungläubig. Wut regte sich in ihr. Bei der letzten Begegnung mit der weißen Kätzin hatte diese versucht etwas über Mondfeder herauszufinden. Warum macht mich das so wütend? Sie schob diese Frage beiseite. "Du scheinst nicht sehr erfreut zu sein.", schnurrte Halber Mond freundlich. "Aber das nehme ich dir nicht übel."
"Was willst du?" Mottenflügel bemühte sich, eine möglichst natürliche Stimme zu behalten und nicht in ein verärgertes Knurren umzuwandeln. Halber Mond setzte sich mit um die Pfoten geringelten Schwanz hin. "Du hast sicher schon über die Stimme am Mondstein nachgedacht.", hob sie an, doch Mottenflügel unterbrach sie. "Was haben alle ständig mit dieser Stimme?"
Halber Mond schien sich auf diese Frage vorbereitet zu haben, denn sie nickte verständnisvoll und miaute: "Nicht jede Katze kann diese Stimme hören. Nur die Verstoßenen oder die Adler." Sie zögerte. "Du weißt es bereits, oder?" Die goldene Kätzin sträubte ihr Fell und wich zurück. "Ich bin nicht tot. Ich bin keine Verstoßene.", fauchte sie. Halber Mond sah sie mitleidig an. "Es tut mir leid, aber es ist so." Langsam machte sie einen Schritt auf sie zu. "Lass dich nicht von deiner Angst oder von deiner Neugierde leiten. Manchmal ist es zu gefährlich, zu riskieren." Damit nickte sie höflich und verschmolz mit den Schatten der Bäume.
Mottenflügel blinzelte überrascht. So viele Prophezeiungen und Warnungen. Sie seufzte. Wie soll ich jetzt noch darüber nachdenken, dass ich vermutlich nie wieder meine Clangefährten sehen werde. Trauer überschattete ihre Sicht und sie legte sich mutlos ins Gras. Ich brauche einfach etwas Schlaf. Müde schloss sie ihre Augen und tauchte in eine Welt des Träumens ab.
Ein schrecklicher Alptraum suchte sie dieses Mal heim. Kämpfende und kreischende Katzen tummelten sich in einer Traube um Mottenflügel. Geschockt erkannte sie ein paar unter ihnen. Blumenfuß, die Kätzin die ihr vorhin geholfen hatte, drückte einen weiß-braunen Kater brutal zu Boden. Stachelschweif und Grünauge verteidigten sich gegen einen dunkelgrauen Kater, eine schwarz-orange getigerte und eine beige Kätzin. Der Gestank von Blut erfüllte die Luft und Mottenflügel schnappte nach Luft. Plötzlich purzelte etwas weiches an ihre Pfoten.
Erschrocken sah sie, dass es ein kleines Junges mit dunkelbraunem Fell war. Seine Stirn war blutverklebt und ihm fehlten mehrere Krallen. Mottenflügel sprang zurück. Was passiert hier? Was soll ich machen? Ihre Brust zog sich zusammen und ihr Herz schien immer langsamer zu schlagen.
Auf einmal erstarrte das Getümmel um sie herum.
Verwirrt beobachtete die Heilerin, wie Mondfeder aus der Menge heraustrat, ohne jegliche Verletzung und mit einem freundlichen Gesicht. Erleichtert sprang sie zu ihm. "Es geht dir gut.", maunzte sie. Der Kater ließ großspurig seine Muskeln spielen und bedachte sie mit einem schelmischen Blick. "Mit dir geht es mir immer gut." Mottenflügel schnurrte belustigt. Doch plötzlich erstarrte Mondfeder. Sein Mund öffnete sich und ein zischendes Knistern drang aus seiner Kehle. Dann züngelte eine Flamme hervor.
Mit einem Jaulen wich Mottenflügel zurück. Die Flamme verfärbte sich pechschwarz. Als da eine Blüte herabschwebte, gemeinsam mit einem kleinen Adler. Sie umkreisten die Flamme, bis sie komplett erloschen war.
Mottenflügel fiel sofort die Prophezeiung ein. Adler und Blüte werden die Dunkelheit vertreiben. Doch dann veränderte sich Mondfeders Blick wieder und wurde klar. "Wach auf.", flüsterte er ihr zu. Sie legte den Kopf schief. "Wach auf.", wiederholte der silbergraue Kater und berührte ihre Nase mit seiner. Ein brennender Schmerz durchschoss Mottenflügel. Sofort verschwamm ihre Sicht und der wolkenbedeckte Himmel wurde zu einem funkelnden Silberflies.
"Du bist wach.", seufzte eine Stimme neben ihr. Erschrocken wirbelte sie herum. Mondfeder saß mit freundlichem Blick vor ihr und lockerte seine Schultern.
Die goldene Kätzin wich zurück. "Was willst du denn von mir?" Mondfeder riss die Augen auf. "Ist alles in Ordnung?", fragte er gekränkt. "Wieso stellst du dein Fell auf?" Peinlich berührt merkte Mottenflügel, dass sie ihr Fell gesträubt hatte und legte es rasch an. "Wolltest du mir verheimlichen, dass ich tot bin?" Er schnippte mit den Ohren. "Natürlich nicht. Ich habe dich gesucht und Dämmerwolke hat mit gesagt, dass du rausgerannt bist." Dämmerwolke? Und ich dachte, man kann ihr noch halbwegs vertrauen. "Ach ja?", krächzte Mottenflügel heiser. Sie wollte sich nicht mit Mondfeder streiten, aber diese Erkenntnis trübte ihre Sinne.
Der Krieger schmiegte seine Nase an ihre. "Ich möchte nicht, dass du sauer auf mich bist.", murmelte er und setzte sich neben sie. "Es ist spät. Ins Lager zu gehen, könnte gefährlich sein.", warf Mottenflügel rasch ein, um das Thema zu wechseln. Mondfeders Schnurrhaare zuckten belustigt. "Stimmt. Hier ist ein gutes Nest." Er deutete auf eine Kuhle unterhalb eines großen Kiefernbaums.
Mottenflügel neigte zustimmend den Kopf. Langsam ließ sie sich nieder. Mondfeder tat es ihr gleich. Sein weiches Fell streifte das ihre und sein süßer Geruch vertrieb jegliche Sorgen. Es fühlt sich richtig an., redete Mottenflügel sich ein. "Gute Nacht.", wisperte Mondfeder. "Gute Nacht." Die Heilerin legte ihren Kopf auf seinen Rücken und schloss die Augen. Es fühlte sich an, als hätte sie einen ganzen Mond nicht mehr richtig geschlafen.
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