Schlag 7
Er weiß nicht wie er hier hingekommen ist. Oder besser gesagt, weiß er es schon. Er kann es nur nicht glauben.
Er starrt auf die Flaschen, die hinter der Bar von einem orangenen Licht beleuchtet werden und liest die Aufschriften. Martini. Wodka. Bourbon. Whiskey. Likör.
Seine müden Augen fliegen über all die verschiednen Sorten, Firmen, Variationen, Farben und Größen.
In seinem Kopf brummt es und es scheint unmöglich, sich zu entscheiden.
„Was darf's sein, William?"
Jetzt sollte er antworten. Genau jetzt. Jetzt sollte er wissen was er haben will und wie viel und wie serviert, aber aus seinem Mund kommen nur stammelnde Worte, die zu einem verwirrten Blick des Barkeepers führen, der wie immer dort in seinem Leder-Harness steht und abwesend eines der Gläser putzt.
Normalerweise weiß William was er trinkt. Aber gerade scheint jede Auswahl zu viel.
„Ähm."
„Ich bringe dir erst einmal ein Bier", sagt der Barkeeper und geht an die andere Seite der Bar, wo er aus einem Kasten eine Flasche Bier nimmt, sie öffnet und dann für William in ein großes Glas füllt.
In Williams Kopf summt immer noch alles. Da ist dieses Pfeifen, dass nicht zur Musik im Club gehört.
Aber dann trinkt er ein paar Schlucke des Bieres und schließt seine Augen.
„Ist alles in Ordnung?"
„Super", schießt es diesmal aus William heraus und er reibt sich seine rot unterlaufenden Augen.
Der Barkeeper scheint zwar nicht überzeugt, nickt aber und widmet sich dem nächsten Gast.
William bleibt wie angeklebt auf seinem Barhocker sitzen und stürzt das Bier herunter als sei es ein Contest.
Als dann seine Hose vibriert, zuckt er zusammen, zieht dann aber sein summendes Telefon hervor.
Matthew.
Es gibt gerade keinen Menschen, mit dem er lieber nie wieder ein Wort in seinem Leben sprechen möchte als mit Matthew.
Nicht nach diesem Abend.
William ignoriert also den Inhalt der drei Nachrichten, die Matthew hintereinander geschrieben hat und steckt sich das Handy wieder zurück in die Hosentasche. Dann rauft er sich durch seine Haare, die eh schon vom Wind ruiniert wurden.
„Noch eins", sagt er dem Barkeeper unterstrichen mit einer hebenden, winkenden Hand. Dieser nickt und öffnet sogleich die zweite Flasche.
Die Musik im Club wird zu einem einzigen, störenden Geräusch, als er auch die erste Hälfte seines zweiten Bieres ausgetrunken hat. Diesmal direkt aus der Flasche. Es ist ein Summen eines Schwarmes Bienen gepaart mit dem ewigen Dröhnen eines Presslufthammers und der sanften Brise einer Kettensäge. Es ist zu laut und nicht mehr auszuhalten.
William hält sich kurz die Ohren zu, aber dann beschließt er sich in eines der Zimmer zurück zu ziehen. Er würde gern nach Hause fahren, aber in seiner jetzigen Verfassung sollte er das nicht tun. Jetzt, wo er so durch den Wind ist, schlägt ihm der Alkohol direkt ins Blut. Er sticht sich unangenehm und extrem in seine Adern und sorgt dafür, dass William etwas übel ist.
Dennoch nimmt er sich die Flasche mit in eines der hinteren Zimmer.
Er nimmt ein kleines, in dem sich nur ein paar Dinge wie Peitschen, Handschellen und Seile befinden. Nicht viel und extra für kleine Sessions gemacht.
Er setzt sich auf den Stuhl, der in der Mitte wie auf einem Präsentierteller steht und setzt die Bierflasche erneut an.
Er trinkt drei Schlucke und schaut sich dann weiter um.
In seinem Kopf tobt ein Sturm und seine Hände zittern. Das ist keine Panikattacke, dass ist nicht einmal ein milder Angstanfall.
Das ist Scham.
Das ist Verwirrung.
Das ist Wut.
William spielt mit einer der Gerten, die an einem Haken hängen. Er berührt apathisch das Material, fühlt die Textur genau mit seinen Fingerkuppen nach, obwohl er die Gerte nicht einmal ansieht.
Er weiß nicht wie es dazu kommen konnte. Er will es ein wenig wissen, um zu wissen, ob er verrückt ist.
Aber er möchte es eigentlich nicht wissen. Er will es um keinen Preis wissen. Er will es vergessen und es hinter sich lassen.
Dieser Abend ist das beste Beispiel eines Desasters.
-
Matthew rennt in seinem Zimmer auf und ab. Er starrt auf sein Telefon, schmeißt es dann wieder aufs Bett, nur um es dann doch wieder in die Hand zu nehmen.
Bitte melde dich.
Ich mache mir Sorgen.
Wo bist du jetzt?
Er erhält keine Antwort. William liest die Nachrichten nicht einmal.
Matthew ist wütend aber besorgt und er ist verwirrt und auch ein Stück weit durch den Wind.
„Scheiße", zischt er vor sich hin. „Fuck."
Sein Handy vibriert einmal, dann ein zweites Mal.
Aufgeregt nimmt er sich sein Handy wieder in die Hand, nur um enttäuscht und frustriert feststellen zu müssen, dass es nur Miranda ist.
Lass uns mal wieder etwas unternehmen. Wie wäre es mit morgen?
Matthew ignoriert die Nachricht und schmeißt sein Handy wieder aufs Bett.
Er trinkt etwas Wasser, welches er sich vorhin schon auf sein Zimmer geholt hat.
Als er das alles noch verarbeiten musste.
Als er dachte, dass sich William sicherlich gleich melden wird.
Was tut William, wenn es ihm schlecht geht? Wo geht er hin? Redet er dann mit jemanden? Geht es ihm überhaupt schlecht?
Matthew versucht die Zeichen und Rätsel in seinem Kopf alle gleichzeitig zu lösen.
Aber er kriegt es nicht hin und wenn er an den heutigen Abend denkt, ist da nur dieses Brummen.
Als es William damals schlecht ging, nachdem sie die Wahrheit erfahren hatten, hatte sich William in seine Arbeit gestürzt.
Das ist es. Seine Arbeit! William ist bei seiner Arbeit.
Also sucht sich Matthew die Nummer seiner Firma heraus und landet auf dem Anrufbeantworter. Sie sind gerade leider nicht erreichbar und morgen kann er gern wieder anrufen.
Morgen will er nicht anrufen. Er muss jetzt mit William reden!
Er versucht William noch einmal zu erreichen. Er ruft ihn an und landet auch da auf dem Anrufbeantworter, auf dem William selbst sagt, dass er ihn sobald wie möglich zurückruft.
Ja, aber wann wird er ihn zurückrufen?
Matthew ist wütend und traurig und verzweifelt.
-
Ein paar Stunden zuvor
-
William Handler richtet sich seine Haare noch in dem Moment, in dem er die Tür öffnet. Er hat ein großes Lächeln auf dem Gesicht.
Matthew hat gerade noch seine Hände in seinen eigenen Haaren, als die Tür aufgeht. Er muss fast schon grinsen.
„Komm rein", meint William und öffnet die Tür weiter.
„Hallo William", sagt Matthew.
Es ist komisch das Haus jetzt zu betreten und es tut auch ein bisschen weh.
„Es riecht hier sehr gut. Steht das Essen etwa schon auf dem Tisch?" Matthew schlendert in die Richtung der Küche und zieht den Duft des Currys in seine Nase.
„Noch nicht ganz. Es fehlt noch etwas." William quetscht sich peinlich berührt an Matthew vorbei und streut noch eine Priese Chili auf das Gericht, dass immer noch in der Pfanne vor sich hin köchelt.
„Ich hoffe du hast Milch oder Brot da, weil ich kann Schärfe überhaupt nicht ab", warnt Matthew und setzt sich an die Kochinsel, an der William für zwei Personen gedeckt hat.
„Das weiß ich, Matthew", grinst er und rührt das Curry ein letztes Mal um, bevor er es vom Herd nimmt und Kelle für Kelle in zwei Teller aufteilt.
Schon ein paar Sekunden später steht das Essen vor Matthew auf dem Tisch und er reibt sich die Hände. „Ich habe mich heute schon den ganzen Tag darauf gefreut", lächelt er. Es ist ein ehrliches Lächeln, die Art, die William am liebsten bei ihm sieht.
Beide essen stillschweigend.
„Wie war dein Tag?"
-
Als die Tür des Playrooms aufgerissen wird, schreckt William hoch und lässt die Gerte fallen, die er die ganze Zeit abwesend in der Hand gehalten hat.
Zu seiner Verwunderung steht dort nicht ein verärgertes Paar, dass ihn aus dem Playroom verscheuchen will, weil dieser offensichtlich nicht als Rückzugsort des Selbstmitleides gedacht ist.
Stattdessen steht Matthew in der Tür. Er ist außer Atem, seine Brust hebt und senkt sich immer wieder und er schüttelt langsam mit dem Kopf. Schließlich sagt er krächzend. „Hab ich dich."
William sieht ihn wirklich gerade wie ein Reh im Scheinwerferlicht an. Die Gerte liegt auf dem Boden, sein ganzer Körper ist in sich zusammengefallen und die Farbe seines Gesichts gleicht einer frisch gestrichenen weißen Wand.
Matthew geht ein paar Schritte vorwärts und schließt dann die Tür hinter sich. Währenddessen lässt er nur einmal kurz mit seinem Blick von William ab.
Dieser wagt es nicht einmal zu zwinkern.
„Steh mal auf. Ich denke, dass habe ich verdient nach diesem Abend", meint Matthew und guckt auf William im Hocker herunter.
Williams Beine, die nicht gefasst darauf waren, sich in nächster Zeit zu bewegen, zittern, als er all seine mentale und physische Kraft zusammennimmt, um aufzustehen.
Nun ist er derjenige, der auf Matthew hinabsieht. Matthew steht wirklich dicht
Es tut mir leid.
Das will er sagen.
Doch es kommt einfach nichts aus Williams Mund. Sein Gesicht ist schmerzverzerrt, als hätte er in eine Zitrone gebissen, doch dies hier ist kein Schmerz. Es ist Scham und Wut und Verwirrung.
Matthew nimmt ihm die leere Bierflasche aus der Hand und stellt sie auf den Boden.
Dann blickt er den Mann vor sich wieder an.
„Du hättest mich warnen können."
Es tut mir leid, will William immer noch sagen.
Doch er nickt nur und schaut Matthew nicht an.
Dessen Blick bohrt sich nun nur tiefer in seine Seele, als er sagt: „Wir müssen darüber reden, Will."
Will. Da ist wieder dieser Name.
William will von hier verschwinden.
„Ich will nicht darüber reden", quetscht William schließlich aus seinem Mund und hält seine Lippen fest zusammen. Das auch ja nicht die falschen Worte herausfliegen. Worte, die das alles vielleicht nur noch schlimmer machen würden.
Obwohl: Kann es schlimmer werden?
„Ich auch nicht", seufzt Matthew und nimmt Williams Hände. „Ich will nie wieder darüber reden."
Williams Herz bricht. Es bricht wie eine Mosaikschale auf dem Boden des Playrooms. Ironisch, wo es doch hier war, wo sie sich kennengelernt haben.
„Ich will einfach tun was ich will", flüstert Matthew.
William traut sich ihn kurz anzusehen. Dann wendet er seinen Blick wieder ab.
„Und ich will dich am liebsten küssen. Hier und jetzt."
William runzelt die Stirn und schaut wieder in Matthews Augen, die so voller Tiefe sind und so viele Schichten an verwirrenden Gefühlen in sich widerspiegeln.
„Bitte küss mich", haucht er dann gegen Williams Lippen.
Ohne viel Scham. Ohne andere Gefühle. Wie kann er sich auch William verbieten? Wie kann er sich selbst und William weiterhin quälen?
William beugt seinen Kopf hinunter an Matthews und lässt seine Lippen auf die des anderen landen.
Der, der in dem Moment einfach nur Matthew ist. Den Mann, den er in diesem Club auf der Toilette kennengelernt hat.
William zieht Matthews Körper weiter an seinen heran. Auch wenn er nicht weiß was das hier nun bedeutet und was als nächstes passieren wird.
Denn in diesem Moment will er die Außenwelt vergessen und wieder das tun, was er mit BDSM immer erreichen wollte: Sein anderes Leben da draußen zu vergessen. Geht es nicht darum? Einfach hier und jetzt zu sein?
Er ist hier und jetzt mit Matthew und er ist es auch noch, als er auf dem Stuhl sitzt und Matthew auf seinen Beinen hockt. Seine Erektion kann William durch den Stoff seiner Hose spüren.
Matthew entfährt ein Zittern und William stöhnt, als er sanft über sie reibt.
Wie konnten sie nur dies so lang nicht tun?
Wie konnte sie sich nur so lang verbiegen?
Für wen eigentlich? Für die gleiche Gesellschaft, die bis vor kurzem BDSM für einen sadistischen Kult gehalten hatte? Für die Gesellschaft, die schwule Männer in Gefängnisse gesteckt und verprügelt hatte?
Für diese Gesellschaft sollten sie sowieso nichts tun.
„William, wir müssen die Tür abschließen", murmelt Matthew gegen seine Lippen.
Hier bin ich wieder! Was haltet ihr vom Kapitel?
Welche der Charaktere interessieren euch eigentlich noch so neben William und Matthew? Gibt es jemandem, von dem ihr gern mehr wissen würdert?
Jasper
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