Schlag 6
Es ist merkwürdig, wieder hier zu sein. In diesem kleinen Café in der Nähe das Campus der Universität.
Es riecht immer noch wie vor einem halben Jahr und der Kaffee schmeckt noch genauso wie damals.
Es ist ein komisches Gefühl jetzt hier zu sitzen und den Kaffee zu trinken als sei nichts passiert. Als sei er immer noch Student, würde in einer kleinen Wohnung leben und den Tag über mit Miranda und ein paar anderen über das Universitätsgelände streifen.
„Du bist in Gedanken", stellt der Mann vor ihm fest. Er sitzt ihm gegenüber, trägt einen langen Coat und darunter ein weißes Hemd. Die Krawatte hatte er sich wohl nach der Arbeit entfernt und die ersten zwei Knöpfe von oben aufgeknöpft.
Seine Augen sind müde, aber doch hellwach und er hat eine Tasse Hibiskustee vor sich stehen, weil er versucht weniger Kaffee zu trinken.
Dass hatte ihm William vor ein paar Tagen gesagt.
„Ein wenig vielleicht", meint Matthew und knetet seine Hände in seinem Schoß zusammen.
William nickt und lächelt.
Sie sitzen hier jetzt seit fünf Minuten und schweigen sich an.
„Bist du gut hergekommen?", fragt William dann und nimmt den Teebeutel ein Stück weit aus der Tasse, um ihn dann wieder hinein gleiten zu lassen. Wahrscheinlich, um einfach etwas mit seinen Händen zu machen.
„Ich habe ein Taxi genommen", sagt Matthew. „Ich glaube, ich weiß jetzt wieso Nicht-Reiche die nicht so oft nehmen."
William schüttelt den Kopf und lächelt immer noch in sich hinein.
Allgemein scheint das Lächeln auf seinem Gesicht davon abzulenken wie überarbeitet und fertig er aussieht und sich verhält.
„Hast du gut hergefunden?", äfft Matthew William nach.
Dieser schnaubt. „Ja, ich habe es tatsächlich geschafft, die drei Straßen mit meinem Wagen weiterzufahren."
„Gratulation", murmelt Matthew.
Er versucht schon die ganze Zeit, William nicht zu sehr und nicht zu häufig in die Augen zu sehen. Und er versucht es wirklich hart und nicht gerade unauffällig.
So auffällig, dass es auch seinem Gegenüber auffällt. „Hast du was im Auge?", runzelt William die Stirn und beugt sich ein Stück weiter nach vorne.
Da sie in einem kleinen Café sind und ein kleines Café kleine Tische hat, ist Williams Gesicht jetzt nur noch zehn Zentimeter von Matthews entfernt.
„Einen Dorn", antwortet Matthew.
Erst will William sich wundern und Matthew fragen wie das nur passieren konnte, aber er braucht nur wenige Sekunden, um zu verstehen, dass Matthew das natürlich nicht ernst gemeint hat. Na ja, vielleicht ernst aber jedenfalls nicht wörtlich.
William hebt eine Augenbraue. „Ich habe dir gesagt, dass wenn du mich nicht sehen willst, wir das hier nicht machen müssen."
Matthew schaut William nun zum ersten Mal wirklich an. Wirklich in die Augen und jetzt erst sieht er Williams verwirrtes Gesicht. Er sieht geschafft, gekränkt und verzweifelt mit der Situation aus.
„Nein, ich will dich sehen. Ich habe nur Angst, was ich tue, wenn..." Matthew schließt kurz seine Augen. „Das ist hart", flüstert er dann nur.
Williams Gesichtszüge werden weicher und er nickt. „Wir müssen das nicht tun, Matthew. Wir können telefonieren."
„Nein", schüttelt Matthew den Kopf. „Ich will mehr. Das habe ich dir doch deutlich gemacht, oder?"
„Was? Wie mehr? Wie meinst du das?"
„Ach, stell dich nicht dumm", zischt Matthew. „Du weißt ganz genau wie ich das meine."
Und ja, William weiß in etwa wie er das meint, aber er will es nicht aussprechen. Denn ihm wird schwindelig.
Er lehnt sich in dem Sessel zurück, auf dem er sitzt und schließt kurz die Augen.
Matthew braucht nicht mal zwei Sekunden, um zu erkennen was passiert. Er sieht die Schweißtropfen, die sich auf Williams Stirn bilden.
Der Stress, ihr Treffen, all das und das ganze Drama haben Williams Körper mal wieder signalisiert, in Panik auszubrechen.
Matthew nimmt ohne großartig darüber nachzudenken, Williams Hand, die immer noch auf dem Tisch vor ihm liegt in seine und drückt sie. „Wo sind deine Medikamente?"
„Ich habe keine mit", murmelt William und versucht seine Atmung zu regulieren.
Dein Ernst? Wie dumm kann man sein, will Matthew sagen, aber er weiß zu genüge, dass das nicht helfen würde. Es würde alles nur noch schlimmer machen.
„Es ist nur eine Panikattacke", sagt er und rutscht mit seinem Stuhl näher an William heran.
William bewegt sich nicht. Er sitzt nur stumm da, schwitzt und atmet schwer.
Matthew nimmt sich drei Servietten aus dem Halter, der zuvor das einzige war, dass sie noch räumlich voneinander getrennt hat. Er presst sie gegen Williams Stirn und tupft ihn ab.
„Nacken", sagt William.
„Zieh deinen Coat aus", sagt Matthew in einer ruhigen Stimme.
Und das hat er früher nie sagen dürfen.
Aber in diesem Moment denkt er nicht an Sex und er denkt nicht daran was einmal war. Er denkt nur an William und daran, dass er ihm helfen muss.
William zieht seinen Coat aus und Matthew nimmt sich ein paar Servietten, um sie in Williams verschwitzten Nacken zu legen.
Dann beschließt er mit William auf die Toilette zu gehen. Hier sind zu viele Menschen und zu viel Rauschen.
Also stehen sie auf, Matthew hält immer noch Williams Hand und gemeinsam gehen sie auf die Toilette, wo zum Glück keiner ist.
Matthew reißt Papier aus dem Spender, hält die Fetzen unter den Wasserhahn und gibt William, der auf einem geschlossen Klodeckel in einer offenen Kabine sitzt, die eingenässten Stücke.
William kriegt noch ein Danke heraus und schließt dann wieder die Augen.
Innerlich ist er gerade am Explodieren.
Alles geht zu schnell und doch zu langsam und Matthew ist der einzige, der ihn gerade am Boden der Tatsachen hält.
Es ist nur eine Panikattacke, aber die Gedanken in seinem Kopf überschlagen sich trotzdem und katastrophisieren alles.
Es war ein Fehler.
Ich hätte nicht fragen sollen.
Das zwischen uns ist vorbei.
Es geht nicht.
Ich kann nicht mehr.
Bitte, lasst es vorbei sein.
Und bei dem letzten Gedanken ist William sich nicht sicher, ob er die Panikattacke meint oder etwas anderes.
Aber die Schleife an sich wiederholenden Gedanken bricht nicht und der Strudel zieht ihn immer weiter hinein.
Als er wieder wirklich da ist, kniet Matthew vor ihm und hält beide seiner Hände mit einem starken Griff. Die nassen Tücher liegen neben William auf dem Boden und sein Blick wird klarer, als er sagt: „So hast du dir das erste Treffen sicher nicht vorgestellt."
Matthews gesamter Körper entspannt sich, als er diese Worte hört.
Er lacht etwas. „Es geht dir anscheinend besser."
Und es hört sich vielleicht irre an, aber William geholfen zu haben, ist ein tolles Gefühl und seit langer Zeit oder vielleicht auch zum ersten Mal, fühlt Matthew Wellington sich erwachsen.
-
Als die beiden in das Café zurückkehren, sind ihre Getränke kalt. Also bestellt Matthew einen neuen Tee und einen Espresso. Nach der Aufregung braucht er etwas stärkeres. Er will in Williams Gegenwart nicht rauchen, deshalb muss Koffein jetzt reichen.
William fragt sich innerlich währenddessen was die Angestellten und einige der immer noch hier sitzenden Gäste denken müssen. Sie sind immerhin zusammen auf die Toilette verschwunden, Hand in Hand und nun kommen sie beide fertig und mit roten Köpfen wieder.
Ja, er weiß was sie denken.
Leider liegen sie mit ihren Vermutungen falsch.
„Wenn du so überfordert mit deiner Arbeit bist, nimm dir halt Urlaub", schlägt Matthew vor, als er mit ihren Getränken an den Tisch zurückkommt und die schon kalt gewordenen an die Seite schiebt.
„So einfach geht das nicht. Ich habe feste Termine, zu denen ich erscheinen muss und ich habe die wichtigsten Klienten zur Agentur gebracht."
Matthew rollt spaßig mit den Augen. „Da ist sich jemand aber sehr sicher über seine Wichtigkeit."
William spielt mit dem Band an dem der Teebeutel von seinem zweiten Tee befestigt ist und zuckt mit den Schultern. „Das sagt mir zumindest mein Chef, wenn er mir gerade in den Arsch kriecht."
Es ist ein Wunder aber irgendwie auch nicht, dass sich beide so natürlich miteinander unterhalten. Matthew schaut William an, William lacht über Matthews schäbige und manchmal etwas fiese Witze und nach dem Hibiskustee und dem Espresso bestellen sie sich noch einen großen Keks und ein Stück Kuchen, weil Matthew Hunger hat.
Sie reden und manchmal tun sie es nicht und sitzen sich nur schweigend gegenüber. Schauen anderen Menschen zu oder sehen auf die Straße.
Es ist ein angenehmes Schweigen und jedes Mal, wenn sich ihre Blicke während dieser Zeit kreuzen, lächelt William etwas, traurig, Matthew hingegen wird rot.
Es tut weh ihn zu sehen und es tut weh zu wissen, dass die Sache mit ihnen so schön hätte sein können, wenn sie andere Menschen wären. Es tut so weh zu wissen, dass da nie eine Hochzeit oder eine gemeinsame Zukunft sein wird, weil die Gesellschaft und vielleicht auch sie selbst, nicht so weit sind.
Aber kann man nicht versuchen, Freunde zu werden?
Können sie nicht versuchen, sich einfach nicht aus den Augen zu verlieren?
Matthew fragt sich diese Fragen innerlich nicht rhetorisch, sondern ernsthaft.
Kann man das?
Können sie das?
Denn wenn nicht, sollte er aus dem Café rennen und nie mehr zurück sehen.
Er sollte sich eine neue Identität zulegen und in ein anderes Land ziehen.
Und was wenn William es könnte und er nicht?
Wenn William ihn schon längst nicht mehr als seinen ehemaligen Sub sieht, sondern als seinen...
Matthew mag das Wort nicht einmal denken.
Was ist, wenn jedes Mal, wenn er William sieht, sein Herz bricht und William es nicht einmal mitbekommt?
Wenn William sich nicht darum kümmert oder es ihn sogar ärgert?
Ist Matthew dann doch wieder der Kindliche von beiden? Der, der seinen Scheiß nicht zusammen kriegt und gegen Entwicklung resistent zu sein scheint?
Der Gedanke schmerzt. Und es schmerzt jedes Mal, wenn William ihn so ansieht.
Ihn anlächelt.
Matthew weiß nur leider nicht was William denkt.
Er hört die vielen Gedanken nicht, die gerade in Williams Kopf um seine Aufmerksamkeit ringen und Matthew weiß auch nicht, dass der Gedanke, der gerade siegt der ist, dass Matthew nun einmal Matthew ist.
Dass Matthew ein toller, wundervoller Mensch ist und William ihn immer noch so sieht wie vor mehr als einem halben Jahr.
Matthew hört das alles nicht. Er hört nur was aus Williams Mund kommt und sieht das, was William tut.
Und so schließt er darauf, dass er versucht, William als Freund zu sehen und nicht als Dom, Daddy oder sonst etwas in die Richtung.
Sie werden das schon hinkriegen und Freunde sein.
In dem Moment, in dem die beiden aufstehen wollen, betritt eine junge Frau das Café, die ihren Augen nicht traut, als sie hinüber zu den Tischen blickt.
Sie geht, anstatt etwas zu bestellen, wie sie es eigentlich vorhatte, zum Tisch, an dem Matthew sitzt.
Ihr Matthew, von dem sie glaubte, dass sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte.
„Matthew?", sagt sie fragend. Aber sie weiß natürlich, dass er es ist.
„Miranda!", leuchtet Matthews Blick auf, als er sie sieht. Er springt von seinem Stuhl auf und umarmt seine ehemalige Kommilitonin.
„Was machst du hier? Ich dachte, du wohnst nicht mehr in der Stadt?" Sie blickt ihm in die Augen.
William schaut von dem freundschaftlichen und niedlichen Moment scheu weg, muss aber lächeln.
Denn das löst Matthew eben in anderen Menschen aus: Dass man ihn liebt und bei sich haben will. Ihn am liebsten sich in seine Tasche stecken möchte.
„Ich bin nur zu Besuch hier in der Stadt. Ich arbeite ja in diesem Laden."
„Wieso meldest du dich nicht, wenn du hier bist?", neckt Miranda. „Bin ich dir nicht wichtig genug?" Sie lacht, halb ernst.
Matthews Lächeln fällt etwas. „Später via SMS", flüstert er und deutet vorsichtig mit seinem Kopf auf William.
Er hatte überlegt, ihr die ganze Wahrheit zu erzählen, es aber gelassen.
Miranda wusste nur, was er auch Theresia gesagt hatte: Dass sie sich getrennt hatten.
Matthew umarmt Miranda noch einmal.
„Ich geh dann mal wieder", meint sie dann und richtet sich kurz an William. „Schönes Date euch zwei noch."
Dann geht sie rückwärts Richtung Theke und grinst Matthew an.
Sie weiß nicht, dass es William ist.
Sie weiß nicht, dass es kein Date ist.
Und Matthew quittiert die unangenehme Situation mit einem roten Gesicht.
„Date", schmunzelt William.
„Sie ist immer so komisch", kommentiert Matthew dies und setzt sich wieder hin.
Aber er wird das Gefühl nicht los, dass das Treffen wirklich schöner wäre, wenn es ein Date wäre.
Da ich ab morgen das Wochenende nicht da bin, wird es auch bis Montag keine Kapitel mehr geben. Aber ihr werdet es sicher überleben. :D
Was denkt ihr? Matthew und William? Hot Shit oder Vorbei forever?
Jasper
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