Schlag 3


Ein kalter Satz Wasser in seinem Gesicht. Das bringt es dann. Seine Wangen glühen und seine Augen sind glasig.

Er versucht sich zu beruhigen.

Er hatte nicht erwartet, dass es so stark wirkt.

„Alles okay da drin?", ruft eine Stimme von draußen.

Matthew schaut sein zerzaustes Abbild im Spiegel an und holt einmal tief Luft. „Vielleicht."

„Du hättest mir sagen sollen, dass du das nicht so oft machst. Ich hätte dir nicht so viele Züge erlaubt", sagt die gleiche Stimme.

Noch ein Satz kaltes Wasser. Dann richtet sich Matthew seinen dunklen Haaransatz und schließt die Tür des Badezimmers wieder auf.

„Ich hätte auch einfach ehrlich sein können", murmelt er und reibt sich die trockenen Augen. Seine Kehle fühlt sich an als wäre sie mit dem Luftsauger beim Zahnarzt trocken gesaugt worden.

„Wann war das letzte Mal, dass du gekifft hast?", erkundigt sich Theresia und lehnt sich, als hätte sie nicht doppelt so viel intus wie Matthew, gegen die nächstbeste Wand.

„Ich glaube das war in meiner Schulzeit", antwortet Matthew und muss sich ebenfalls an der Wand abstützen.

Ihm ist plötzlich so warm. Also öffnet er seine Jacke. Dann seufzt er in Theresias Richtung.

Sie kichert. „Was ist los?"

„ich merke nur gerade, wie sehr ich das brauchte."

„Was genau?", runzelt sie mit der Stirn.

„Alles das hier!" Matthew zeigt um sich herum. Er ist etwas orientierungslos, aber als er im Wohnzimmer die paar bekannten Gestalten sieht, weiß er wieder wo er ist.

„Drogen sind schlecht", sagt er dann und schüttelt den Kopf. „Aber ich bin eh schon verloren."

„Nein, nicht du auch noch", jammert die Frau vor ihm. „Ich habe schon genug Personen in meiner Umgebung, die so negativ drauf sind und quasi schon tot."

„Vielleicht bin ich ja tot. Ich meine, woher wissen wir, dass wir leben?" Matthews Blick schweift zu einer Vase, die auf einer Kommode auf der anderen Seite des dünnen Flurs steht.

„Das ist eine gute Frage. Und was passiert nach dem Tod? Und würde es das Leben schöner machen, wenn wir es wüssten?", fragt Theresia zurück.

Mathew schaut wieder hinüber zu ihr. „Dieser Job wird mein Ende sein."

„So langweilig ist er nicht", wehrt sich Theresia und schmollt übertrieben.

„Er ist grausam! Man steht nur rum, wartet darauf, dass etwas passiert und wischt Staub von den Sachen."

„Gestern war mehr los. Da hattest du aber frei. Du arbeitest eben nicht die guten Schichten", zuckt sie mit den Schultern und verschränkt die Arme vor der Brust. Die Bierflasche, die sie schwankend in der einen Hand hält, geht dabei fast zu Boden.

Matthew muss über diesen Vorgang und über ihre Bewegungen sehr lachen.

„Lach mich nicht aus. Ich bin hier nicht die Witzfigur. Du wohnst bei deinen Eltern, Loser", ärgert sie ihn spaßend und stößt seinen Arm mit ihrem Ellenbogen an.

„Ich bin hergekommen, um nicht über die zwei Personen zu reden, mit denen ich mir das Haus teile."

„Zu viel Testosteron an einem Ort, ja?"

„Nein, sie sind meine Eltern. Natürlich gehen sie mir auf den Sack."

„Hast du nur einen? Zu viel Information."

Matthew schnaubt vor Lachen. „Danke der Nachfrage. Aber mir geht es da unten sehr gut."

„Du bist so nett, wenn du geraucht hast. Das muss ich mir merken", witzelt Theresia weiter und zwinkert.

„Ach komm, du liebst es, wenn ich dich niedermache."

„Ich lebe für nichts anderes", nickt sie und nimmt einen Schluck des Bieres.

Matthew lässt sich auf den Boden gleiten und umarmt seine Beine mit den Armen.

Theresia braucht, dank ihres fehlenden Gleichgewichts einige Zeit, aber dann sitzt sie neben Matthew und rückt näher an ihn heran.

„Fünf Monate", sagt Matthew dann, ohne großartig darüber nachzudenken.

Theresia runzelt erst mit der Stirn, dann fällt ihr ein was Matthew damit meint.

Fünf Monate seitdem William und er Schluss gemacht haben.

„Wieso könnt ihr nicht einfach wieder zusammen kommen? Er hat sich doch für dich interessiert. Oder läuft das zwischen Subs und Doms anders als bei uns Normalos?", fragt Theresia nach und lehnt ihren Kopf an die kalte Wand hinter sich.

Matthew fühlt einen spitzen Stich in seiner Magengrube als er an eine Konversation denken muss, die er mit William geführt hatte.

Und ohne viel nachzudenken sagt er dann: „Die meisten Menschen mögen BDSM, ich bin also der Normalo hier."

„Nein, ich weigere mich das zu glauben."

„Dann bist du im Unrecht", meint Matthew kühl und nimmt sich das Bier aus Theresias Hand.

„Aber jetzt mal wirklich", sagt sie leiser, ignorierend dass ihr Getränk soeben geklaut wurde. „Kann das zwischen euch nicht einfach wieder etwas werden?"

„Nein, das kann es nicht."

„Wieso nicht? Was hat er gemacht? Hat er dich betrogen oder so?", versucht sie an die Wahrheit zu kommen.

Aber Matthew gibt sie ihr nicht. Er sagt ihr nicht was der wirkliche Grund für das Aus ihrer Beziehung war. Weil er sich schämt. Und sich jetzt, wo er bekifft und viel zu emotional ist, damit auseinanderzusetzen, wäre keine gute Idee.

„Es sind fünf Monate. Er hat sicher schon jemanden Neues", murmelt Matthew in den Hals der Bierflasche und setzt sie an.

Theresia schaut ihm nachdenkend dabei zu. „Hast du denn noch seine Nummer?"

„Was? Natürlich nicht..." Matthew macht eine kurze Pause. „Ich weiß, ich hätte sie löschen sollen. Ich bin aber ein Feigling."

„Ein verliebter Feigling", seufzt sie daraufhin und legt ihren Kopf auf seine Schulter. „Ruf ihn an, Matthew. Egal was da zwischen euch gewesen ist, wenn ihr beide für einander gemacht seid, wird sich das regeln. Lass dir keine Steine in den Weg legen. Hüpf drüber."

Theresias Anfall von Weisheit und ihre überschwänglichen Handgesten zu diesem, lösen bei beiden einen Lachanfall aus.

Und fünf Minuten später reden sie über den Zerfall der antiken Gesellschaften.

Als Theresia Matthew und sich selbst neue Getränke holt, weil Matthew ihr Bier ausgetrunken hat und immer noch einen Mund trocken wie die Wüste selbst hat, holt Matthew sein Handy aus der Hosentasche.

Er tut so als sei es ein Versehen, aber es ist keines, als er auf Williams Kontakt klickt.

Und auch keines als er „Blockieren" auf „Nicht mehr blockieren" ändern.

Dann sperrt er sein Telefon schnell und stopft es zurück in seine Hose.

Er will nicht, dass Theresia es sieht.

Denn eigentlich ist das gerade ja auch gar nicht passiert. Wer kann schon sagen was wirklich die Realität ist?

-

„Mein Terminplaner ist definitiv zu voll." Er schlürft den Rest aus seiner Kaffeetasse und stellt sie dann wieder auf den Tisch vor sich. „Ich kann es also versuchen, aber ich kann nichts garantieren. Kann nicht jemand anderes gehen?"

„William, dieses Mädchen wird der nächste Hit. Ich brauche dich. Niemanden sonst. Wenn wir nicht schnell aufpassen, landet sie bei einer anderen Agentur!"

„Erst einmal ist sie meines Wissens nach 23 Jahre alt und somit eine Frau und kein Mädchen mehr und zweitens bin ich nicht der einzige, der das Gespräch mit ihr führen kann." Er lässt sich auf seinen Schreibtischstuhl fallen und dreht sich um, um aus dem Fenster zu gucken, was ihn sonst eigentlich immer beruhigt.

Aber heute regen ihn die Autos unten auf der Straße und die Leute auf den Gehwegen nur noch mehr auf.

Also dreht er sich wieder um.

„Wir brauchen aber den Besten. Und du bist der Beste, William."

William lehnt sich zurück und rollt mit den Augen. Er ist kein Fan davon umgarnt zu werden, als sei er eine Weihnachtsroulade.

Ironie. Denn genau das macht er so unwahrscheinlich gut mit anderen. Jedenfalls wenn er es will.

Aber hier und jetzt will er es nicht und es würde auch nichts bringen.

„Ich versuche es. Und dabei bleibt es."

„Wir kriegen das hin." William hört sein Nicken am anderen Ende der Leitung.

„Ja, sicher", murmelt er und drückt auf den roten Hörer.

Er hat viel zu viel zu tun und in den letzten Monaten beißt ihn das in den Hintern, was er sich alles in dem ersten Monaten vorgenommen hatte.

nach der „Sache" mit Matthew hatte sich William in die Arbeit gestürzt und sich immer mehr auf seinen Teller geladen, bis es nicht mehr ging. Nur jetzt muss er all die Projekte, die er angefangen hat, auch zu Ende bringen und sich um alles gleichzeitig kümmern.

Anfangs war es das, was ihm morgens aus dem Bett half: Stress, Stress, Stress. Aber mittlerweile ist die Euphorie für so viel Arbeit verflogen. Und immer öfter sitzt er verzweifelt an seinem Schreibtisch oder zu Hause auf der Couch und fragt sich wie er das alles schaffen soll.

Gedankenverloren klickt er sich durch die Apps auf seinem Handy und beschließt dann die Kontakte aus seinem Telefonbuch zu löschen, die er nicht mehr braucht.

Zum Beispiel...

Er seufzt und scrollt durch die ersten Buchstaben.

Dann wird er ungeduldig und klickt auf das W.

Er muss Matthews Nummer löschen.

Unbedingt. So kann das nicht weitergehen. Matthew und er sind Geschichte. Vorbei. Aus. Fenito.

Also klickt er auf Matthew Wellingtons Kontakt, will oben am Rand auf Löschen drücken.

Doch da sieht er ein grünes Ausrufezeichen hinter seiner Nummer.

„Dieser Benutzer blockt Sie nicht mehr."

Williams Herz klopft schneller. Seine Spucke verschwindet schlagartig aus seinem Mund.

Es ist wie ein kalter Stoß Wasser ins Gesicht.

Und dann fühlt es sich so an, als würde er in ein warmes Becken fallen.

Plötzlich umgibt seinen ganzen Körper ein Schleier.

Der Stress ist augenblicklich vergessen.

Er schluckt.

Dann drückt er auf „Anrufen".

Er dreht seinen Stuhl wieder in Richtung der Fensterfront und blickt hinaus. Dann hebt er sein Handy an sein Ohr.

Es brummt dreimal.

Dann hört es auf.

Es ist kurz ruhig.

„Hallo?"

Williams Gesichtszügen schmelzen zu einem breiten grinsen. Er sollte so wütend sein, sich so ärgern, Matthew kindisch oder sonst etwas nennen. Aber er kann es einfach nicht.

Er muss einfach nur grinsen.

„Hallo?", wiederholt die Stimme.

„Hallo", sagt William mit kratziger Stimme.

„Hallo", sagt Matthew. Seine Stimme hört sich ebenfalls etwas aus der Bahn geworfen an.

„Du blockst mich nicht mehr", stellt William neutral fest.

„Das hast du wohl richtig gesehen."

„Interessant."

„Ja, ich bin sehr interessant", antwortet Matthew.

William muss leise lachen. Er schüttelt den Kopf.

„Ich wollte dich anrufen."

„Da bin ich dir zuvor gekommen", meint William und legt sein eines Bein quer über das andere. Dann lehnt er sich bequem in seinem Sitz zurück.

„Hm ja, stimmt."

William hört etwas rascheln. Vielleicht eine Bettdecke.

„Was machst du heute?"

„Arbeiten", kommt es schnell aus Matthews Mund. William hört das Öffnen einer Tür.

„Du hast einen Job?"

„Ja, ich stehe professionell rum. Also voll mein Ding."

William will am liebsten die ganze Zeit über Matthews merkwürdige Kommentare lachen, aber er fürchtet, dass vielleicht das nächste Lachen das letzte in Matthews digitaler Gegenwart sein könnte, wenn Matthew plötzlich auflegt und William sagt, dass er ihn doch nicht mehr sehen will.

„Wo arbeitest du?"

„Wo arbeitest du?", fragt Matthew zurück. William sieht die gehobene Augenbraue quasi vor sich.

„Du weißt wo ich arbeite, Matthew. Wo arbeitest du?"

„In diesem Laden. Der verkauft Dekozeug und Sachen, die kein Mensch braucht."

„Klingt spannend."

„jeden Tag wieder ein Vergnügen", seufzt Matthew.

Es ist anders. So anders. Matthew verhält sich, als hätten sie sich vor drei Tagen auf einer Party kennengelernt, sich fast geküsst und Nummern getauscht. Er flirtet nicht weniger als mit anderen, aber trotzdem spürt William, dass Matthew aufgeregt ist und versucht zu tun als sei er desinteressiert und eigentlich gerade lieber woanders.

So hat William Matthew schon lang nicht mehr erlebt. Aber er erlebt ihn lieber so, als gar nicht mit ihm zu reden.

Es tut so gut, Matthew am anderen Ende der Leitung zu hören.

Oh,  was haltet ihr von der Wendung?

Wie ihr vielleicht gesehen habt, mache ich mit Most People bei den #Wattys2019 mit. Bin gespannt, ob da diesmal was bei raus kommt, haha.

Jasper

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