8. Versöhnung und Plätzchen
Melody
Es dauert viel zu lange bis ich irgendein Lebenszeichen von einem der beiden bekomme, aber sobald mein Handy in der Tasche klingelt, hole ich es heraus.
Seb: Du kannst wieder zurückkommen, Gefahr vorbei.
Me: Und wie geht es dir?
Seb: Ich lebe noch.
Mehr schreibt er nicht, aber ich merke dass er nicht besonders gut drauf ist.
Me: Okay... dann komme ich jetzt wieder.
Ich stecke das Handy wieder weg und mache mich auf den Rückweg nach Hause. Während Jim und Seb miteinander gesprochen haben, bin ich ziellos durch die Gegend gelaufen, ohne zu wissen was ich machen soll. Und jetzt habe ich sogar ein bisschen Angst wieder zu Jim zu gehen.
Schon bald kommt unser Haus in Sicht und ich bemerke dass Sebs Auto weg ist. Unwillkürlich mache ich mir Sorgen um den Sniper, aber momentan kann ich sowieso nichts für ihn tun. Stattdessen sollte ich mir Sorgen um mich selbst machen, immerhin habe ich keine Ahnung wie wütend Jim noch ist.
An unserer Haustür angekommen hole ich meinen Schlüssel heraus und schließe auf, um dann leise in den Flur zu treten. Ich schließe die Tür hinter mir und öffne meinen Mantel, behalte ihn aber vorsichtshalber an. Falls ich schnell flüchten muss oder so.
Jim sitzt im Wohnzimmer und dreht den Kopf zu mir als ich hereinkomme. Unsicher bleibe ich stehen und mustere sein Gesicht. Er wirkt noch angespannt, aber nicht mehr so wütend wie vorher, außerdem hat er seine Krawatte gelockert, was meist ein Zeichen ist dass er entspannter ist.
"Du wusstest es also?", fragt er mich ruhig, aber dennoch aufmerksam und ich nicke.
"Ja."
"Seit wann?"
"Seb hat es mir am Tag unserer Hochzeit gesagt."
Er nickt und steht von dem Sessel auf, um auf mich zuzukommen.
"Deswegen warst du also so bedrückt in den letzten Tagen?"
Ich nicke wieder und er bleibt zwei Meter vor mir stehen.
"Ich fand es nicht richtig es dir nicht zu sagen, aber Seb hat darauf bestanden. Es tut mir leid dass du dachtest ich würde dich mit deinem besten Freund betrügen."
Meine Stimme wird leiser und er seufzt.
"Ich muss zugeben dass ich mich getäuscht habe, aber verletzt hat es mich schon. Nicht zu wissen was du mir verheimlichst und nur die Zeichen deuten zu können."
Er schaut mich ernst an und ich erkenne dass er enttäuscht und traurig war bei dem Gedanken dass ich ihn betrügen könnte.
"Wie gesagt, es tut mir leid", wiederhole ich unbeholfen und er nickt.
"Ist okay."
Wir schweigen einen Augenblick, bis ich schließlich wieder das Wort ergreife.
"Und... wie seid ihr verblieben, du und Seb?"
"Seb hat mir alles erklärt, auch dass du kaum eine Nacht bei ihm, sondern in einem nahen Hotel verbracht hast."
Da muss ich schmunzeln, werde aber schnell wieder ernst als Jim tief Luft holt.
"Wir sind freundschaftlich auseinander gegangen. Allerdings denke ich dass er Zeit brauchen wird", meint er und vor Erleichterung muss ich lächeln.
"Gott sei Dank."
Er erwidert das Lächeln kurz, schaut mich dann aber fragend an.
"Er hat mir aber auch gesagt dass du mir jetzt etwas erzählen müsstest."
Dieser Mistkerl. Ich weiß genau was Seb damit meint und kann es nicht fassen dass er das jetzt bringt.
"Das stimmt. Seb will dass ich dir von meinen Albträumen erzähle, dafür dass er dir erzählt hat dass er bi ist."
Sofort ist Jim wieder ernst und runzelt die Stirn.
"Albträume?"
"Ja. Jedes Mal wenn ich nicht zu Hause übernachtet habe, hatte ich Albträume von meiner Entführung, und auch welche in denen du mich... nicht mehr geliebt hast", erzähle ich zögernd und nun schaut Jim mich mit großen Augen an, so als wäre er sich nie im Klaren darüber gewesen dass es mir wehtut wenn er mich wegschickt.
"Solche Träume hast du?", fragt er leise nach und seine ganze Anspannung ist plötzlich weg.
"Leider ja", antworte ich, da kommt er auf mich zu und nimmt mich sanft in den Arm. Für einen Moment bin ich überrumpelt, doch dann erwidere ich die Umarmung und schließe die Augen. Ich fühle wie seine Hände unter meinen Mantel schlüpfen und mich enger an ihn ziehen, dann halten wir beide still. Eine Weile lang höre ich nur Jims ruhigen Atem und meinen eigenen, aber mich stört die Ruhe nicht. Sie ist angenehm nach dem ganzen Stress mit Seb und Jims Wut, und ich bin erleichtert dass Jim und ich uns wieder so umarmen können.
"Du weißt dass ich dich nur zu Seb schicke damit dir nichts passiert, oder? Ich könnte es mir niemals verzeihen wenn ich dich verletzen würde", sagt er leise und ich öffne die Augen wieder.
"Das weiß ich", antworte ich und schaue ihn an. Aber ich kann nicht verhindern dass es mir wehtut wenn er mich wegschickt.
Mein Ehemann nickt langsam und scheint kurz nachzudenken, dann lehnt er sich leicht vor und schenkt mir einen liebevollen aber vorsichtigen Kuss auf die Lippen.
"Lass uns etwas essen, ich habe Hunger", meint er schließlich und lehnt seine Stirn gegen meine. Der Themenwechsel ist mir willkommen, aber ich spüre dass wir noch detaillierter über diese Sache reden werden.
"Okay", stimme ich zu und wir gehen gemeinsam in die Küche. Noch bin ich etwas zurückhaltend Jim gegenüber, immerhin hat er mir ganz schön Angst eingejagt, aber auch er ist vorsichtig. Uns beiden ist bewusst dass dies das erste Mal war dass ein Konflikt so ausgeartet ist, und auch dass Jim noch nie so kurz davor war mir körperlich wehzutun.
***
Nur wenige Tage später ist Weihnachten, und zwischen Jim und mir ist alles wieder in Ordnung. Wir haben den restlichen Abend am Tage des Streits genutzt um uns gegenseitig genauer zu erzählen was passiert ist. Ich habe Jim erklärt warum ich so selten wirklich bei Seb übernachtet habe, und ich habe von ihm erfahren dass er gar nicht auf Geschäftsreise war, sondern nur wissen wollte ob Seb und ich uns hinter seinem Rücken treffen. Er hat uns beobachten lassen und wurde informiert als ich dann öfter bei Seb übernachtet habe.
Mittlerweile hat sich die Situation wieder beruhigt, aber manchmal ist Jim besonders ruhig und sanft, und dann weiß ich dass er sich noch immer für seinen Ausraster entschuldigt. Auf meine Frage hin hat er widerstrebend bestätigt dass er kurz davor war auf mich und Seb loszugehen, was mir unwillkürlich Angst macht. Aber Jim ist ganz vorsichtig und tastet sich erstmal wieder vor nachdem er sich komplett beruhigt hat, und danach ging es auch wieder.
Ich stehe gerade in der Küche, die von einem leckeren Duft nach Plätzchen erfüllt ist und bereite das nächste Blech zum Backen vor. Anfangs wollte ich dass Jim mir hilft, doch nachdem er nur Teig genascht und fertige Plätzchen gemopst hat, habe ich ihn aus der Küche verbannt.
Da kommt Jim wieder in die Küche, die Hände in den Taschen vergraben und schaut mich mit schiefgelegtem Kopf an, doch ich lache nur.
"Du kannst betteln soviel du willst, du kriegst keins mehr."
Mit einem Seufzen kommt er zu mir und bleibt hinter mir stehen.
"Schade, wo sie doch so lecker sind."
Ich verdrehe grinsend die Augen und drehe mich nicht um, auch als Jim seinen Kopf gegen meinen lehnt und seine Lippen meinen Hals streifen.
"An deiner Stelle würde ich mich nichtmal in die Nähe der Plätzchen lassen", flüstert er und ich spüre sein Grinsen, da verschwindet er schnell aus der Küche.
"Jim!", rufe ich empört aus als ich merke dass eine Handvoll Plätzchen fehlen und er lacht irgendwo im Wohnzimmer. Kopfschüttelnd mache ich weiter, ein Lächeln auf den Lippen. Immerhin konnte ich meinen Mann dazu überreden den Rentierpulli, den ich ihm bei unserem ersten Weihnachten geschenkt habe, anzuziehen, da darf er meinetwegen auch Plätzchen klauen.
Allerdings knuffe ich ihn in die Seite als ich mich später zu ihm ins Wohnzimmer auf seinen Schoß setze und er grinst, dann schlingt er seine Arme um mich.
"Du bist böse. Einfach meine Plätzchen zu klauen", schmolle ich und er lacht.
"Du bist süß. Einfach es nicht zu bemerken", erwidert er und gibt mir grinsend einen Kuss auf den Mund.
"Und was machen wir heute Abend?", erkundigt er sich und ich kuschele mich enger an ihn.
"Also was wir heute Abend machen weiß ich schon, da läuft nämlich das neue Weihnachtsspecial von Doctor Who."
"Und bis dahin?"
"Bleibe ich hier sitzen und nutze es voll aus dass du nicht aufstehen kannst", gebe ich zurück und vergrabe mein Gesicht an seiner Halsbeuge.
"Toll", murmelt er ernüchtert, beginnt aber meine Wange zu streicheln und gibt mir einen Kuss auf die Schläfe.
"Wenn du mir Plätzchen gibst lasse ich das über mich ergehen", meint er nach einer Weile und ich schaue ihn lachend an.
"Nicht dass du mir noch dick wirst."
Da wird sein Blick zugleich skeptisch und vorwurfsvoll, und er zieht eine Augenbraue nach oben.
"Dein Ernst? Ich und dick? Glaub mir Honey, nicht bei meinem Job."
Mit einem leisen Seufzen stehe ich auf und gehe in die Küche um eine kleine Schüssel mit Plätzchen zu holen. Jims Gesichtsausdruck als ich diese vor ihn auf den Couchtisch stelle, ist es auf jeden Fall wert.
"Du kannst so niedlich sein", meine ich während er glücklich Kekse futtert und schmiege mich seitlich an ihn. Ich habe nämlich keine Lust seine ganzen Krümel abzubekommen wenn ich auf seinem Schoß sitze.
Es ist schön einfach mit Jim auf dem Sofa zu liegen und Kekse zu futtern, vorallem weil ich nun merke warum er mir die Kekse immer geklaut hat. Die sind aber auch verdammt lecker.
Schließlich aber hören wir auf, Plätzchen zu essen damit wir heute Abend noch Hunger haben, und mein Mann überredet mich mit ihm zu tanzen. Tanzen mit Jim im Wohnzimmer ist bis heute eine meiner Lieblingsbeschäftigungen und auch er hat eine Menge Spaß dabei. Es ist eine der wenigen Dinge die Jim und ich gemeinsam haben, aber nichtsdestotrotz lieben wir uns, auch mit den Unterschieden.
Später am Abend schauen wir gemeinsam Doctor Who und ich muss Jim zurückhalten mir jetzt schon die Auflösung zu erklären, was sich als schwieriger herausstellt als gedacht. Irgendwann bekomme ich ihn nur zum Schweigen wenn ich ihn kitzele, und dann höre ich nicht was gerade in der Folge passiert.
"Toll, jetzt habe ich keine Ahnung was zuletzt passiert ist", maule ich in einer Werbepause während Jim japsend auf dem Sofa liegt und sich den Bauch hält. Sein Kopf hängt herunter und er braucht eine Weile um sich wieder zu beruhigen, dann setzt er sich mühsam auf.
"Deine Schuld wenn du mich durchkitzelst", meint er außer Atem und grinst mich an.
"Dann hör du auf mich spoilern zu wollen obwohl du die Folge auch nicht kennst", erwidere ich nun auch lachend und er gibt mir einen Kuss auf die Wange.
"Na gut."
"Warum habe ich nur das Gefühl dass du nicht aufhören wirst?"
"Hm, keine Ahnung. Vielleicht weil ich dein Ehemann bin und du mich zu gut kennst?"
Wieder küsst er mich auf die Wange, schlingt aber dabei seine Arme um mich und ich lehne mich an ihn.
"Kann sein", antworte ich und atme seinen vertrauten Geruch ein.
"Aber ich bin froh dass es dich gibt und wir verheiratet sind", füge ich leiser hinzu und Jim brummt irgendetwas zurück während er mich enger an sich zieht.
Da ist die Werbepause zu Ende und wir schauen die Folge weiter, ohne dass Jim mich spoilert. Stattdessen kuscheln wir und er streicht mir mit einer Hand über den Kopf.
Manchmal wünsche ich mir dass wir beide einfach ein normales Paar wären, mit normalen Jobs, normalen Interessen und normalem Leben, doch dann stelle ich fest dass mir mein Leben mit Jim dem Psychopathen eigentlich doch ziemlich gefällt. Zwar ist es anstrengend und etwas komplizierter als gedacht, aber ich kann mir meinen Mann gar nicht mehr wegdenken. Schon seltsam was die Liebe mit einem anstellen kann.
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