5. Sebs Besuch

Ich vertreibe mir die Zeit mit Musik hören, lesen und chatten, auf dem Sofa sitzend und ungestört von Jim oder irgendjemandem sonst. Nur einmal war ich nochmal oben bei Jim um nach ihm zu sehen, doch da hat er gerade geträumt, anscheinend einen Fiebertraum. Immer wieder hat er meinen und Sebs Namen gemurmelt, die Stirn gerunzelt und sich unruhig bewegt, allerdings habe ich keine Ahnung warum.
Nach wenigen Stunden klingelt es an der Haustür und ich stehe auf um zu öffnen.
"Hallo Seb, schön dich zu sehen", begrüße ich ihn und er kommt herein.
"Finde ich auch. Wie geht's Jim?", fragt er nach und hängt seine Jacke an die Garderobe.
"Naja, er jammert ein bisschen, und momentan schläft er, aber eigentlich geht es ihm besser als heute Morgen. Er ist nur heiser, ich weiß also nicht ob ihr werdet reden können."
Daraufhin winkt Seb nur ab.
"Viel zu bereden gibt es zum Glück nicht, er muss sowieso nur zuhören."
"Okay. Willst du was trinken?"
"Gerne, danke."
Wir gehen in die Küche und ich mache Seb ein Glas Wasser, was ich ihm reiche während er sich gegen die Ablage lehnt.
"Und, wie läuft es zwischen dir und Jim?", erkundigt er sich und ich zucke mit den Schultern.
"Wie immer, er verschweigt mir etwas, aber eigentlich sehr gut."
"Ah."
Er macht ein wissendes Gesicht und trinkt aus dem Glas, dann schaut er mich fragend an.
"Hast du es ihm gesagt?"
Ich weiß dass er auf meine Albträume anspielt und verdrehe die Augen.
"Nein, habe ich nicht und werde ich auch nicht! Jim muss davon nichts wissen, er würde sich nur schlecht fühlen. Außerdem haben wir abgemacht dass du ihm das auch sagst."
Da verzieht er das Gesicht.
"Mel, das haben wir doch schon besprochen. Das ist etwas zwischen dir und mir, und genau dort soll es auch bleiben. Jim würde ausrasten."
Wieder erinnere ich mich daran dass ich Jim angelogen habe und fühle die Last dieses Geheimnisses auf mir liegen.
"Mag sein, aber ich werde davon noch ganz verrückt! Er hat ein Recht es zu erfahren, immerhin ist er mein Ehemann. Aber wenn du es ihm nicht sagen willst, dann mache ich das eben."
"Untersteh dich! Ich warne dich Mel, tu das nicht!"
Mich geschlagen gebend werfe ich die Arme in die Luft, so wie Jim das manchmal macht wenn er aufgebracht ist, und seufze.
"Okay okay, ist ja gut. Ich sage nichts. Ich finde nur dass wir es ihm sagen sollten."
"Ist ja auch in Ordnung dass du das findest. Übrigens verhältst du dich schon manchmal wie Jim."
Ich schaue ihn böse an.
"Wechsle bloß nicht das Thema!"
Doch er zuckt bloß mit den Schultern und trinkt sein Glas aus.
"Ich sage nur was ist."
Mit einem Kopfschütteln gebe ich es auf und mache mir ein Glas Saft fertig, da kommt Jim in die Küche.
"Hey, du bist wach!", bemerke ich erfreut und er nickt langsam während er sich die Stirn reibt.
"Mehr oder weniger", murmelt er heiser zurück, sodass man ihn nur schwer verstehen kann.
"Eher weniger. Hi Seb."
"Boss", antwortet der Sniper mit einem Nicken und ich schmunzele, dann gieße ich Jim noch etwas von dem Tee, den ich für ihn gemacht habe, in eine Tasse. Mein Mann setzt sich an den Küchentisch und stöhnt leise, wahrscheinlich weil er Kopfschmerzen hat. Ich streiche ihm durch die Haare als ich ihm die Tasse hinstelle und bemerke dass sein Fieber noch immer da ist.
"Na, wie geht's dir?", fragt Seb mit einem Grinsen und setzt sich Jim, der ihn böse anschaut, gegenüber an den Küchentisch.
"Wie soll es mir schon gehen? Ich bin todkrank und du machst dich über mich lustig", murrt er und ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen.
"Und du jetzt auch noch."
"Tut mir leid, nur - todkrank? Dein Ernst? So schlimm ist es noch lange nicht."
Ich gebe ihm einen liebevollen Kuss auf den Kopf und verlasse dann die Küche.
"Macht es euch gemütlich und redet, ich gehe ein bisschen spazieren. Bis später."
Damit nehme ich meinen Mantel, schlinge mir einen Schal um den Hals und verlasse das Haus. Draußen ist die Luft frostig, aber die Sonne scheint und macht das spazieren gehen nochmal schöner. Während ich durch die Straßen in Richtung des nächsten Parks gehe, merke ich dass ich schon länger nicht mehr alleine spazieren war. Sonst bin ich mit Jim unterwegs, und auch das ist weniger geworden. Er ist kein besonders Natur liebender Mensch, außerdem sieht er keinen Sinn im "einfach in der Gegend rumlaufen", wie er Spaziergänge immer nennt. Der hat keine Ahnung was er verpasst.
Im Park angekommen sehe ich eine Mutter mit ihrem Kind ebenfalls spazieren gehen, und auf einer Bank, dick eingemummelt, ein älteres Pärchen sitzen. Nachdenklich schlendere ich über die Wege und lasse meinen Blick über die Landschaft schweifen. Wiesen, auf denen man Fußball​ spielen oder ein Picknick machen kann, dazwischen kleine Baum- oder Buschgruppen, mehr ist der Park gar nicht.
Von hier aus kann man ab und zu ein Auto hören, aber sonst nur den Wind in den wenigen Bäumen hier und das Lachen des Kindes, das begeistert zu dem kleinen Spielplatz rennt, den es hier gibt. Das ältere Pärchen unterhält sich leise, doch schließlich stehen beide auf und verlassen gemeinsam den Park.
Unwillkürlich denke ich daran wie es wohl sein wird mit Jim mein ganzes Leben zu verbringen und alt zu werden. Ich kann ihn mir kaum als alten Mann vorstellen, mit grauen Haaren und einem Stock auf den er sich stützt, geschweige denn dass ich so alt werde.
Plötzlich kommt mir das Bild von Jim, wie er das Kind, das gerade auf dem kleinen Klettergerüst des Spielplatzes herumtobt, auf den Arm nimmt und lacht, in den Sinn und ich runzele leicht die Stirn. Ich habe nie über Kinder nachgedacht, und für meinen Mann war das Thema vom Tisch noch bevor wir überhaupt darüber gesprochen haben.
Ich finde kleine Kinder halt nervig. Das war Jims Meinung als ich entrüstet darüber war dass er vergessen hatte dass Katie und Dave einen Sohn haben.
Eigentlich schade, es wäre bestimmt süß wenn Jim sich um einen Sohn, oder auch um eine Tochter kümmern würde. Allerdings ist es wahrscheinlich besser wenn es kein Kind mit einem Psychopathen als Vater gibt.
Es könnte aber Probleme geben wenn Katie, Dave und Sam mal vorbeikommen...
Mit einem Blick auf mein Handy entscheide ich dass es langsam Zeit ist zurückzugehen, die Jungs sollen sich ja keine Sorgen machen. Und mir ist mittlerweile kalt.
Wieder zu Hause angekommen schließe ich die Haustür hinter mir und hänge meinen Mantel sowie den Schal wieder auf, dann suche ich die beiden Freunde.
"Da bist du ja", begrüßt Seb mich grinsend als ich ins Wohnzimmer komme und Jim dreht den Kopf zu mir. Er sitzt auf dem Sofa und neben ihm liegen einige Taschentücher.
"Hat noch jemand Hunger? Ich wollte nämlich was beim Pizzaservice bestellen", frage ich die beiden und Jim verzieht das Gesicht.
"Lieber nicht", antwortet er leise und ich schaue zu Seb.
"Für mich gerne, danke."
"Soll ich dir vielleicht eine heiße Brühe machen?", wende ich mich an Jim und er wiegt unsicher den Kopf hin und her.
"Okay", meint er schließlich und ich lächle ihn an, dann hole ich mein Handy aus der Manteltasche und rufe den Pizzaservice an.
Während wir auf die Pizza warten mache ich für Jim in der Küche die versprochene Brühe fertig, was ziemlich schnell geht. Es ist eine ähnliche Brühe wie die damals, als ich nach meiner Entführung bei Jim wieder aufgewacht bin und wir uns 'versöhnt' haben. Noch heute läuft mir ein kalter Schauer den Rücken hinunter wenn ich an die Entführung, die Folter und den Schmerz denke. In wenigen Monaten jährt sich das Ereignis zum zweiten Mal und ich spiele mit dem Gedanken, zu Henrys Grab zu fahren, auch wenn er gar nicht drin liegt. Ich muss nur noch Jim zum mitkommen überreden oder ihn davon überzeugen mich alleine fahren zu lassen.
Aus dem Wohnzimmer höre ich das Lachen von Seb und das Husten von Jim. Mit einer großen Tasse voller Brühe in der Hand gehe ich zurück zu den beiden und setze mich neben Jim um ihm die Tasse zu geben.
"Hier. Achtung, das ist heiß."
"Danke Mel."
Er lächelt, dann nimmt er die Tasse entgegen und trinkt einen Schluck.
"Und, schmeckt's?", erkundige ich mich und Seb grinst.
"Wenn ich etwas schmecken könnte, könnte ich dir das sogar sagen", antwortet Jim leicht säuerlich und ich gebe ihm lachend einen Kuss auf die Wange.
Den restlichen Abend verbringen wir im Wohnzimmer, wir essen dort unsere Pizza als sie ankommt und ich mache Jim noch eine zweite Tasse von der Brühe.
"Naja, ich fahre jetzt besser nach Hause. Ihr seid bestimmt müde und ich muss morgen wieder zur Arbeit", meint Seb irgendwann und steht auf.
"Oh, stimmt ja, ich auch."
Ich bringe den Sniper noch zur Tür und verabschiede ihn, dann sind Jim und ich alleine und ich gehe ins Wohnzimmer zurück. Mein Ehemann liegt mit halb geschlossenen Augen auf dem Sofa und ich beuge mich über ihn.
"Jim, wir sollten ins Bett gehen", sage ich sanft und er schaut mich mit einem leichten Nicken an.
"Ich bleibe morgen hier", krächzt er und setzt sich mit einem leisen Stöhnen auf. Gemeinsam gehen wir ins Bad um uns bettfertig zu machen und ich nehme Jims Hand.
"Soll ich mir wieder freinehmen?", erkundige ich mich, doch er schüttelt den Kopf.
"Nein, geh ruhig wieder zur Arbeit. Du kannst ja nicht die ganze Zeit fehlen weil du dich um mich kümmern musst, ich werde morgen einfach im Bett bleiben und mich ausruhen", erklärt er heiser und ich stütze mein Kinn auf seine Schulter.
"Ach, ich bleibe gerne zu Hause für dich", meine ich liebevoll und gebe ihm erneut einen Kuss auf die Wange.
"Das ist lieb, aber ich meine es ernst", erwidert er mit einem leichten Lächeln und ich zucke mit den Schultern.
"Dann komme ich morgen einfach früher nach Hause."
Später liegen wir im Bett, Jim unter seiner warmen Decke und ich mit etwas Abstand neben ihm, lediglich unsere Hände berühren sich und unsere Finger sind ineinander verschränkt.
"Ich liebe dich Jim", murmele ich schläfrig. Als Antwort drückt er meine Hand und streicht mit dem Daumen über meinen Handrücken, dann lasse ich mich von seinem gleichmäßigen, leicht schnaufenden Atmen langsam in den Schlaf tragen.

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