48. Im Krankenhaus
Ich weiß nicht mehr, wie wir zum Krankenhaus gekommen sind, noch was genau passiert ist, als wir ankamen. Ich weiß nur noch, dass Jim in einem dieser fahrbaren Betten weggebracht wurde und ich bei Seb blieb, ohne genau zu verstehen was gerade passierte. Und das ist schon etwa zwei Stunden her.
Jetzt sitze ich mit dem Sniper in einem Wartebereich des Krankenhauses, einen Pappbecher Tee in der Hand, und warte darauf, dass etwas passiert. Auf Sebs Rat hin habe ich mir meine Hände und mein Gesicht gewaschen, anscheinend klebte an beidem Jims Blut. Mein Bein wibbelt unruhig auf und ab, vom leisen Tappen meiner Schuhsohle auf dem Linoleumboden begleitet. Alles hier erinnert mich an meinen letzten Aufenthalt in einem Krankenhaus, der zum Glück schon Jahre her ist. Damals wurde ich eingeliefert, nachdem Katie mich auf der Straße gefunden hatte. Allein der Gedanke an diese dunkle Zeit meines Lebens, bringt mich zum erschauern.
Seb spricht nicht mit mir, er sitzt einfach nur da und starrt auf seinen Kaffee, ab und zu umherblickend. Wir brauchen nicht zu reden, er hat mir bereits mitgeteilt was ich wissen muss, um die Geschichte glaubhaft zu machen. Immerhin hat Seb den Ärzten nicht gesagt, dass Jim entführt wurde und wir ihn gerade auf eigene Faust gerettet haben, das wäre ja auch schön blöd. Auch die Namen von uns Dreien hat er geändert, sogar falsche Ausweise hat er dabei. Woher er die hat weiß ich nicht.
Momentan bin ich Amy Meister, die feste Freundin von Richard Brook, der momentan in irgendeinem dieser Räume liegt und versorgt wird, und Seb ist unser Freund, Owen Hardy. Laut dem, was Seb den Ärzten erzählt hat, kam Jim, oder Richard, letzten Abend nicht nach Hause, und auch die gesamte restliche Nacht nicht. Da er und ich uns schließlich Sorgen machten, orteten wir sein Handy mit einer App, die er darauf installiert hatte um es im Falle eines Raubes wiederfinden zu können. Danach sind wir losgefahren und haben ihn in einer Seitenstraße gefunden, offenbar war er auf seinem Heimweg verprügelt worden.
Das ist die Geschichte, mit der ich antworten soll falls mich jemand danach fragt.
Plötzlich kommt ein Arzt in den Wartebereich, in dem außer Seb und mir noch zwei ältere Menschen sitzen, doch der Arzt kommt direkt auf uns zu. Augenblicklich stehe ich auf und Seb tut es mir gleich.
"Sind Sie die Angehörigen von Richard Brook?", fragt der Arzt und ich nicke.
"Ja das sind wir", antwortet Seb ebenfalls.
"Wird er wieder gesund?", platze ich heraus, ich schaffe es nicht diese Frage länger für mich zu behalten. Der Arzt vor mir lächelt sanft.
"Ja, das wird er, vollständig sogar. Auch wenn er sich nicht so fühlen dürfte wenn er aufwacht, er hat einige gebrochene Rippen, eine gebrochene Nase und eine leichte Gehirnerschütterung, außerdem hat man ihm die Handfläche mit einem Messer durchbohrt. Aber ich denke, dass er nach ein paar Tagen wieder gehen kann, es sei denn es kommen weitere Beschwerden auf."
Unwillkürlich seufze ich leise auf vor Erleichterung und fühle, wie ich mich ein wenig entspanne. Auch Seb neben mir wirkt erleichtert über diese Nachricht.
"Können wir zu ihm?", erkundige ich und der Arzt nickt.
"Er schläft zwar momentan, sollte aber bald wieder aufwachen. Bis zum Ende der Besuchszeit können Sie gerne zu ihm gehen."
"Vielen Dank."
"Keine Ursache", erwidert er, dann führt er Seb und mich durch einen Korridor zu einem Krankenzimmer. Der Sniper neben mir lässt es zu, dass ich seine Hand nehme und drückt sanft meine Finger, dann betreten wir den Raum.
Es ist ein kleines Zimmer, nur Jims Bett befindet sich darin, und zu meiner großen Erleichterung ist er an keine seltsamen Geräte angeschlossen. Lediglich der Schlauch einer Infusion für sein Schmerzmittel führt zu seinem Handgelenk. Jim selbst sieht nun ein bisschen besser aus als noch vor wenigen Stunden, man hat ihm das Blut von der Haut gewaschen und seine Wunden versorgt, außerdem trägt er einen dieser blauen Krankenhausüberwürfe. Mit geschlossenen Augen liegt er da, seine Brust hebt und senkt sich in regelmäßigen Abständen. Jetzt sehe ich allerdings wie fertig er aussieht, wie eingefallen seine Wangen sind und dass er dunkle Ringe um die Augen hat.
Ich lasse Sebs Hand wieder los und trete an Jims Bett heran, meine Augen auf sein Gesicht fixiert. Behutsam lege ich meine rechte Hand auf seine, da tritt Seb neben mich.
"Wow, so schlimm sah er schon lange nicht mehr aus", murmelt er, während ich mit meiner anderen Hand Jim ein paar Strähnen seiner Haare aus der Stirn streiche.
"Ich bin nur froh, dass er noch lebt", antworte ich leise, da öffnet Jim langsam die Augen.
"Ach, bist du das?", fragt er heiser, lächelt aber schwach. Seine Hand greift nach meiner, hält sie fest.
"Jim", flüstere ich, ein erleichtertes Lächeln im Gesicht.
"Hey Mel", antwortet er und schaut mich mit halb geschlossenen Augen an.
"Wie fühlst du dich?", frage ich ihn sanft.
"Beschissen."
Daraufhin muss ich kurz lachen, doch dann werde ich wieder ernst. Eine Woche lang wusste ich nicht einmal ob ich meinen Ehemann jemals wiedersehen würde, und jetzt liegt er hier vor mir, verletzt zwar, aber lebendig. Anscheinend merkt Jim warum ich schweige, denn er streichelt sanft mit seinem Daumen über meinen Handrücken.
"Da du jetzt wieder bei uns bist, was machen wir wegen dem Typen, der dich-", fängt Seb an, doch Jim unterbricht ihn.
"Nichts."
"Wie meinst du das 'nichts'?", fragt sein Sniper schockiert nach, und auch ich bin verwirrt wegen Jims Antwort. Ich dachte, er würde etwas unternehmen sobald er da raus ist.
"Nicht jetzt", seufzt Jim, sichtlich erschöpft. Er schließt seine Augen, bevor er wieder spricht.
"Ich weiß nichtmal wer das war."
Sacht streiche ich ihm wieder über den Kopf, unsicher was ich jetzt machen soll. Seb neben mir wirkt missmutig, das war auf keinen Fall die Antwort die er erwartet hat, aber er sagt nichts.
"Wann müsst ihr weg?"
Jims Stimme wird leiser, er ist kurz davor wieder einzuschlafen.
"Schon bald leider, die Besuchszeiten sind fast vorbei", antworte ich, meine Hand noch immer in seinen Haaren.
"Aber ich komme morgen wieder, wenn du möchtest."
"Mhm... bitte..."
Vorsichtig beuge ich mich vor und gebe ihm einen Kuss auf die Schläfe, dann löse ich meine Hand aus seiner. Ein letztes Mal streichele ich seinen Arm, bevor ich von ihm wegtrete. Nun ist er ganz eingeschlafen, sein Kopf ist leicht zur Seite geneigt und man hört seinen langsamen Atem. Seb folgt mir nach einem Moment, in dem er Jim mit gerunzelter Stirn gemustert hat. Mit einem Nicken deutet er zur Tür, und wir beide verlassen leise das Zimmer.
Auf dem Weg aus dem Krankenhaus raus sagt keiner von uns etwas, aber ich weiß, dass spätestens in Sebs Auto ein Gespräch nötig wird. Neben meiner Verwirrung wegen Jims Antwort auf Sebs Frage fühle ich mich angespannt und müde zugleich. Ein Teil von mir will Jim nicht hier alleine lassen, doch gleichzeitig weiß ich, dass er hier gut aufgehoben ist. Außerdem brauche ich dringend Schlaf, und eine Dusche.
Tatsächlich habe ich recht, sobald wir in Sebs Auto sitzen, seufzt er tief.
"Ich verstehe es nicht. Du?"
Als Antwort schüttele ich den Kopf und reibe mir mit beiden Händen übers Gesicht.
"Keine Ahnung warum er nicht erpicht darauf ist, Rache zu üben. Scheint mir untypisch zu sein."
"Und wie untypisch das ist! Normalerweise würde Jim sich ja schon wehren während er da ist, alle Informationen aufsammeln die er bekommen kann und die Leute, die es gewagt haben Hand an ihn zu legen, zerschmettern sobald er die Chance dazu hat. Und nicht... sowas."
Er gestikuliert während er spricht, sichtlich verärgert.
"Irgendwas stimmt da nicht", beendet er missmutig seinen Mini-Monolog und startet sein Auto. Langsamer als auf dem Hinweg verlässt er den Parkplatz des Krankenhauses und fährt in Richtung Innenstadt.
"Vielleicht ändert er seine Meinung wenn er nicht mehr auf Schmerzmitteln ist", gebe ich zu denken, da sehe ich einen Elektronikladen am Straßenrand. Mir fällt wieder ein, dass mir Jims Entführer diese Nachrichten geschickt hat.
"Eine andere Sache, ich sollte mir wahrscheinlich ein neues Handy zulegen, mit einer neuen Nummer", meine ich zu Seb und er nickt.
"Wegen der Nachrichten die du bekommen hast? Ist eine gute Idee. Wo ist dein Telefon jetzt?"
"Irgendwo auf dem Rücksitz. Ich wollte es nicht mit ins Krankenhaus nehmen."
Erst jetzt bemerke ich, dass Seb zu mir nach Hause fährt, denn er nimmt alle möglichen Querstraßen und Umwege, so als wolle er einen Verfolger abschütteln. Aber dafür fährt er zu gelassen.
"Mhm, ich kann dir ein Neues besorgen, inklusive einer neuen Nummer, aber nur wenn du das möchtest. Immerhin war dein jetziges Handy ein Geschenk von Jim, kann mir vorstellen dass du da dran hängst."
"Ja das... Moment mal, woher weißt du das?"
Verdattert schaue ich Seb an, der anfängt zu lachen.
"Na woher wohl, ich war derjenige der es besorgt hat weil Jim das nicht geschafft hat. Oder wie, glaubst du, ist er sonst an das Handy gekommen?"
"Oh... und ich hatte mich damals schon gewundert", murmele ich mehr zu mir selbst, doch Seb lacht wieder. Irgendwie ist es schön, dass er wieder lachen kann, nachdem er sich solche Vorwürfe wegen Jim gemacht hat. Von uns beiden ist eine Last abgefallen und das ist deutlich spürbar. Allerdings fährt Seb nach wie vor mehr im Zickzack als irgendwo hin.
"Verfolgt uns jemand?", frage ich unsicher nach, doch er schüttelt den Kopf.
"Ich habe zwar niemanden bemerkt, aber ich möchte kein Risiko eingehen. Keine Sorge, fürs Erste sind wir unseren Stalker wohl los, denke ich."
Mit einem Nicken schaue ich wieder aus dem Fenster. Meine Hände liegen ganz ruhig in meinem Schoß, sie zittern nicht, sie sind so ruhig wie ich mein gesamter Körper. Seltsam, nach allem was heute passiert ist. Es fühlt sich so an, als würde der heutige Tag aus zwei Tagen bestehen, meinem Arbeitstag und dem Tag an dem wir Jim gerettet haben.
Schließlich hält Seb vor der Einfahrt von Jims und meinem Haus an.
"Falls irgendetwas ist, rufst du mich sofort an, egal ob dieser Typ deine Nummer hat oder nicht, okay?", meint er und zieht eine Augenbraue hoch.
"Alles klar."
Ich steige aus und gehe zur Rückbank, um mein Handy von dort zu holen. Zwar fühlt es sich nicht gut an dieses Gerät in der Hand zu halten, einfach weil der Entführer von Jim meine Nummer hat. Wer weiß, vielleicht hört er mein Handy auch ab, oder hat meine Kamera angezapft. In Gedanken beschließe ich, mein Handy weder mit ins Badezimmer, noch mit nach oben zu nehmen, zur Sicherheit.
"Danke dass ich mitkommen durfte, Seb. Auch wenn du meine Hilfe im Endeffekt nicht gebraucht hast und dich wahrscheinlich mehr genervt habe als alles andere."
"Sag sowas nicht Mel. Ich bin schon froh dich dabei gehabt zu haben, alleine hätte ich Jim nicht so gut da rausbekommen", antwortet er mit einem leichten Lächeln.
"Dann vielleicht bis morgen. Möchtest du mitkommen Jim besuchen?"
"Nah, ich komme am Nachmittag vorbei, aber ich denke ihr zwei braucht ein bisschen Zeit zu zweit", meint er mit einem Zwinkern, wodurch er mich zum Lachen bringt.
"Okay. Komm gut nach Hause."
Mit einem Winken verabschiede ich mich endgültig von ihm und gehe zur Haustür, den Schlüssel schon in der Hand. Hinter mir höre ich ihn wegfahren während ich die Tür aufschließe, dann bin ich alleine. Erschöpfung sickert in jeden einzelnen Knochen meines Körpers als ich ins Bad gehe, das Handy lasse ich auf dem Wohnzimmertisch liegen.
Nach einer kurzen, heißen Dusche gehe ich nach oben, nur in ein Handtuch gewickelt, die Haare noch feucht. Gerade noch so schaffe ich es, mir eine Unterhose und eins von Jims T-Shirts anzuziehen, dann falle ich ins Bett.
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