40. Ein Grund zum Feiern

Die Woche vergeht, ich gehe jeden Tag arbeiten und genieße die Tatsache, dass ich momentan nicht unter Druck stehe. All die Dinge, die mich bedrückten, sind fort, nur die Krankheit meines Vaters bereitet mir noch Sorgen. Doch ich muss mich damit abfinden, dass ich überhaupt nichts dagegen tun kann. Ich kann nur Dinge mit Sam unternehmen und hoffen, dass ihm noch genügend Zeit bleibt, oder doch noch eine Heilung gefunden wird.
Es ist Freitag, ich sitze in meiner Mittagspause und bin gerade dabei, mit Jim wegen Sonntag zu schreiben. Er findet die Idee, meinen Vater zum essen einzuladen, sehr gut und bietet mir sogar an, mir beim kochen zu helfen, oder Sam abzuholen. Abgesehen davon, dass ich diese Geste wirklich süß und hilfreich finde, werde ich langsam misstrauisch was sein Verhalten angeht. Ich hätte gedacht, dass diese Phase schnell wieder vorbeigeht und er bald wieder lange arbeitet, aber stattdessen kommt er fast jeden Tag früh nach Hause und ist so lieb wie noch nie. Keine Ausbrüche des Psychopathen, keine Diskussionen und auch keine schlechte Laune. Wenn das noch länger so weitergeht, werde ich ihn ansprechen müssen, obwohl ich die letzten Tage sehr genossen habe.
Gerade will ich ihm schreiben, dass er mir durchaus beim kochen helfen kann, ich aber meinen Vater wenn dann schon selbst abholen möchte, da erreicht mich ein Anruf von Sam.
"Hey Sam", melde ich mich, innerlich verwundert über den Anruf.
"Guten Morgen Melody. Störe ich dich gerade bei etwas wichtigem?"
Mein Vater klingt ein wenig aufgeregt, aber nicht panisch.
"Nein, ich habe gerade Pause und schreibe mit Jim wegen Sonntag. Hast du eigentlich irgendwelche Allergien?"
"Was? Nein, keine Allergien. Hör zu, ich habe gerade einen Anruf von meinem Arzt bekommen und musste dich einfach anrufen. Es ist unglaublich!"
Stirnrunzelnd versuche ich den hektischen Wortschwall Sams zu verstehen, doch bei seinem letzten Satz hellt sich meine Miene auf.
"Was meinst du damit?"
Noch nie habe ich so sehnsüchtig und nervös auf eine Antwort am Telefon gewartet wie jetzt. Verkrampft sitze ich da, die eine Hand in meiner Hose vergraben, als stünde mein Körper unter Strom.
"Sam?"
"Er hat einen Anruf aus dem Gefängnis erhalten. Der Mann hat sein Einverständnis gegeben."
Geschockt verarbeite ich die Information, doch dann steigen mir Tränen in die Augen. Ich muss mir die Hand vor den Mund pressen um nicht zu laut zu atmen oder gar zu schluchzen, so dankbar und erleichtert bin ich.
"Melody?"
Ich schaffe es nicht zu antworten, so überwältigt bin ich von dem Gefühl der Freude. Mittlerweile laufen mir die Tränen die Wangen herunter und ich kann ein Lächeln nicht aufhalten.
"Melody, bist du noch da?"
"Ja Sam, ja das bin ich. Ich bin nur..."
Glücklich, überrascht, freudig, dankbar, überrumpelt, verblüfft, überwältigt; all diese Möglichkeiten schießen mir durch den Kopf, doch keine davon trifft meinen Gefühlszustand.
"Ich weiß nicht was ich sagen soll, Sam. Das ist so..."
Wieder fehlen mir die Worte, aber mein Vater weiß was ich sagen will.
"Ich weiß Melody, es ist fantastisch. Mehr als das sogar. Es ist ein Wunder."
Auch seine Stimme klingt erstickt, so als würde er die Tränen zurückhalten. Nur vage kann ich mir vorstellen wie er sich gerade fühlen muss. Noch vor einem Tag hat er geglaubt, er müsse bald sterben, und nun gibt es plötzlich eine hell leuchtende Hoffnung auf Heilung.
"Das stimmt. A-aber wie...? Wie ist das möglich?"
"Keine Ahnung, aber ich bin diesem Menschen so unendlich dankbar. Er hat sein Gewissen also doch noch gefunden."
"Was auch immer da passiert ist, es ist gut so."
Da fällt mir noch etwas anderes ein.
"Wenn er jetzt einverstanden ist, wann ist denn dann die Operation für dich?"
"Am Dienstag wollen sie mit der Therapie beginnen um das Knochenmark später einsetzen zu können. Mein Arzt hat mir das bereits ganz genau erklärt als noch nicht klar war dass der Typ Nein sagen würde. Ich muss dafür mehrmals ins Krankenhaus um eine Chemo- und eine Strahlentherapie zu machen."
"A-aber... ich dachte du hasst Krankenhäuser?"
Für einen kurzen Moment herrscht Schweigen, dann höre ich ihn am anderen Ende der Leitung seufzen.
"Eigentlich schon, aber dieses Mal werde ich es tun. Ich will nicht, dass du mich verlierst, ohne dass ich noch eine lange Zeit mit dir verbringen konnte."
"Heißt das, du tust das für mich?"
"Auf eine gewisse Art, ja."
"Oh Sam... dann haben wir am Sonntag ja einen Grund zum feiern."
"Und wie. Allerdings wird das in der nächsten Zeit nicht mehr so möglich sein. Die Chemo wird sich ziemlich auf meinen Körper auswirken."
"Immerhin dauert sie nicht so lange, oder?", erkundige ich mich, in der stillen Hoffnung dass ich Recht habe.
"Ein paar Monate, ja."
"Besser als jahrelang zu versuchen den Krebs allein mit Medikamenten und Chemos zu bekämpfen."
Plötzlich fällt mein Blick auf eine Uhr an der Wand; meine Pause ist fast vorbei.
"Du Sam, ich muss aufhören, bei meinem neuen Chef will ich nicht gleich einen schlechten Eindruck machen indem ich meine Mittagspause überziehe."
"Oh, natürlich Mel. Viel Spaß bei der Arbeit."
"Danke dir. Bis Sonntag!"
"Bis Sonntag", verabschiedet auch er sich und ich meine, ein Lächeln in seiner Stimme zu hören.
Kaum habe ich aufgelegt, blinken mir mehrere Nachrichten von Jim entgegen.

Jim: Ich könnte auch Seb schicken, der hat sowieso nichts zu tun.

Jim: Honey?

Jim: Melody? Bist du noch da?

Jim: Deine Pause ist noch nicht vorbei, das weiß ich.

Me: Keine Sorge Jim, mein Vater hat mich nur gerade angerufen :)

Jim: Wieso? Gibt es etwa etwas neues?

Me: Der Typ aus dem Gefängnis hat doch noch sein Einverständnis für die Knochenmarkspende gegeben. Es besteht wieder Hoffnung, dass mein Vater komplett geheilt werden kann.

Jim: Hey, das ist doch super! :D

Me: Ja *-*

"Melody, die Pause ist vorbei, kommst du?", spricht Sybille mich da von hinten an und ich schrecke leicht auf.
"Klar, bin gleich da."

Me: Jetzt ist meine Pause aber vorbei, wir sehen uns nachher. Ich liebe dich ❤️

Jim: Ich liebe dich mehr ;) Dann bis heute Nachmittag.

Lächelnd und überglücklich stecke ich mein Handy weg und mache mich dann wieder an die Arbeit, die mir so leicht von der Hand geht wie schon lange nicht mehr. Die ganze Zeit über muss ich grinsen, und habe das Gefühl, beinahe fliegen zu können, so beschwingt und erleichtert bin ich.
Ich mache pünktlich Feierabend und fahre gemeinsam mit Sybille im Bus nach Hause, ohne auch nur einmal aufzuhören zu lächeln.
Als ich in unsere Straße einbiege, sehe ich dass Jims Auto bereits in der Einfahrt steht. Ein wenig überrascht es mich schon, aber ich beschließe ihn nicht darauf anzusprechen warum er denn schon so früh zu Hause ist. Am Ende fühlt er sich noch von mir kontrolliert oder so.
"Jim, ich bin zu Hause!", rufe ich in das ruhige Haus hinein und schließe die Tür hinter mir, da kommt Jim grinsend aus der Küche. Noch trägt er seinen Anzug mit Jackett und seine Haare sind noch immer so wie heute morgen.
"So ein Zufall, ich bin auch gerade erst gekommen."
Er gibt mir einen Kuss auf die Wange während ich meine Jacke aufhänge, dann umarme ich ihn ganz fest. Er legt seine Hände auf meinen Rücken und zieht mich enger an sich.
"Ich glaube ich muss dich gar nicht mehr fragen wie dein Tag war, oder Honey?", meint er an meinem Ohr und ich grinse in seine Schulter hinein.
"Nein, das musst du tatsächlich nicht mehr."
Daraufhin lacht er leise, bevor er mir einen Kuss auf die Wange gibt.
"Komm, das feiern wir heute Abend."
Er lässt mich los und ich folge ihm in die Küche, wo er aus dem Kühlschrank eine Flasche Champagner holt. Im Nu stehen zwei passende Gläser daneben und Jim gießt jedem von uns etwas ein, bevor er mir mein Glas reicht.
"Danke", meine ich mit einem Lächeln und nachdem wir angestoßen haben, nehme ich einen Schluck von dem überraschend kalten Getränk. Die Flasche hat schon länger im Kühlschrank gestanden als bloß ein paar Minuten, also hat er sie nicht heute gekauft.
"Wofür war der eigentlich gedacht?", erkundige ich mich.
"Was meinst du?", hakt Jim nach und trinkt selbst von dem Champagner. Er zieht beide Augenbrauen nach oben und schaut auf die Flasche.
"Wow, ich wusste gar nicht dass der so gut ist."
Ich schmunzele ein wenig bei diesem Kommentar, denn mir ist wohl bewusst dass Jim ganz genau weiß welcher Champagner gut ist und welcher nicht. Ob es Intuition oder Wissen ist, sei mal dahingestellt.
"Der Champagner. Immerhin muss er schon länger im Kühlschrank gestanden haben, so kalt wie der ist."
"Ach... Der stand schon im Kühlregal als ich ihn mitgebracht habe", antwortet Jim mit einem leichten Schulterzucken.
Leicht skeptisch ziehe ich eine Augenbraue nach oben. Meines Wissens nach befindet sich Champagner bei allen anderen Alkoholsorten, also nicht im Kühlregal. Aber ich beschließe es sein zu lassen, denn für einen Streit wegen so einer Kleinigkeit bin ich zu gut gelaunt.
"Ah, okay", antworte ich also und gebe ihm gleich darauf einen Kuss auf die Wange. Augenblicklich beginnt er leicht stolz zu lächeln, was in Kombination mit seinem seriös wirkenden Anzug total niedlich aussieht. Ich muss mich zusammenreißen um nicht zu kichern.
Den Rest des Abends verbringen wir damit, die Champagnerflasche zu leeren und uns bei einem angenehmen Abendessen zusammenzusetzen um uns zu unterhalten. Später liegen wir gemeinsam auf dem Sofa und schauen einige Folgen Doctor Who, was auch dringend nötig ist. Seit unserem letzten Doctor Who Marathon ist bereits wieder eine ganze Staffel rausgekommen.
Leicht angetrunken, zumindest auf meiner Seite, machen wir uns schließlich auf den Weg ins Bett. Zum Glück ist morgen Samstag, auch wenn ich dann noch Sachen einkaufen muss damit ich das Essen für Sonntag vorbereiten kann.
"Ach, bevor ichs vergesse, Seb kommt morgen für ein paar Stunden vorbei", informiert Jim mich nachdem wir uns für die Nacht umgezogen haben.
"Oh, gibt es einen besonderen Anlass?", erkundige ich mich, doch Jim zuckt mit den Schultern.
"Ne, eigentlich nicht. Ich glaube, er ist in letzter Zeit ein bisschen einsam, alleine in seiner Wohnung und so. Er konnte ne Weile nicht arbeiten."
"Warum denn das?"
Bei meiner Frage stockt Jim für einen Moment in seiner Bewegung, so als hätte er sich daran erinnert, dass er genau das nicht ansprechen wollte.
"Ähm... nun ja, auf seiner letzten... 'Mission' wurde er ange-verletzt und deswegen habe ich ihm... 'empfohlen' zu Hause zu bleiben", erklärt er ohne mich anzusehen.
"Du meinst, er wurde angeschossen, du hielst es nicht für nötig mir davon zu erzählen und hast ihm befohlen zu Hause zu bleiben?", frage ich genauso schockiert wie leicht beleidigt nach und Jim kratzt sich am Hinterkopf.
"Wenn du das so sagst, klingt das viel härter als in meinem Kopf."
"Armer Seb", meine ich schmollend, Jims letzte Bemerkung ignorierend, und lege mich ins Bett, während mein Ehemann nur zögernd hinzukommt.
"Es ist halb so wild, er hat schon schlimmeres erlebt."
"Du bist wirklich ein furchtbarer bester Freund", stelle ich fest und drehe mich dramatisch auf die Seite, sodass mein Rücken zu ihm zeigt.
"Aua, vielen Dank auch", antwortet Jim hinter mir, doch in seiner Stimme höre ich sein Grinsen.
"Gern geschehen."
Nun erklingt sein Lachen im Zimmer, bevor er seine Nachttischlampe ausmacht und alles in Dunkelheit getaucht wird. Dann fühle ich wie Jim näher an mich heranrückt, bis er seinen Arm sanft um meine Taille schlingt und mich enger an sich zieht. Kurz überlege ich ob ich dieses Spielchen weiterspielen soll, doch Jims Wärme und seine streichelnde Hand auf meinem Bauch überreden mich schnell dazu, mich seiner Umarmung hinzugeben.
"Dir ist klar dass Seb morgen auf jeden fall mehr Aufmerksamkeit von mir bekommen wird als du, oder?", frage ich schläfrig und er lacht leise, bevor er mir einen Kuss auf den Nacken gibt.
"Ich glaube, damit kann ich für einen Tag leben."
"Nicht zwei?"
"Nein, das auf keinen Fall. Untersteh dich allerdings ihn zu küssen, da bin ich empfindlich."
"Wieso? Immerhin wurde dein armer Sniper im Kampf verletzt und braucht menschliche Zuneigung", necke ich ihn spielerisch und er grummelt leise.
"Mein 'armer Sniper' liegt wahrscheinlich gerade in seiner Wohnung und lässt sich gehen. Bis ich den wieder in Form kriege, werde ich noch verrückter als ich ohnehin schon bin. Und wehe wenn du ihn küsst, niemand fasst dich an ohne dass ich es erlaube, du gehörst zu mir, nur zu mir", raunt er und sein Griff wird ein wenig fester, sodass ich ihn durch sanften Druck dazu bringen muss, wieder locker zu lassen.
"Keine Sorge Jim, du bist der einzige Mann den ich küsse, allerdings könnten ein paar Menschen etwas gegen das Umarm-Verbot haben", beruhige ich ihn grinsend und er seufzt leise.
"Sorry Honey. Wir sollten schlafen, gute Nacht."
"Gute Nacht Jim", flüstere ich liebevoll und streiche mit einer Hand über seinen Arm. Ich merke noch wie er seine Nase in meinen Haaren vergräbt, dann lasse ich mich von meiner Müdigkeit einlullen und in den Schlaf tragen.

~~~

Ja, shame on me 🙈
Ich habe euch mehrere Monate jetzt warten lassen... tut mir leid.
Allerdings wird auch demnächst wenig bis nichts kommen, denn bei mir beginnt gerade die Abi-Phase, das heißt ich werde lernen... oder so.
Trotzdem danke dass so viele von euch jedes Mal wieder dabei sind wenn ich update, und auch dass der erste Teil momentan sogar 22K reads hat! Ihr seid unglaublich, danke! ❤️😍

Ich versuche wieder mehr hierdran zu arbeiten, versprechen kann ich aber nichts.
Ansonsten, frohe Nach-Ostern und nochmal Danke für eure Treue ❤️💚

Bis zum nächsten Mal :) 

                                                                                                                                                                                                                                                                        

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