34. Unverhofftes Wiedersehen

Kaum fällt die Tür hinter der Frau ins Schloss, drehe ich mich zu meinem Ehemann um.
"Ist irgendwas passiert während ich weg war?", erkundige ich mich mit hochgezogener Augenbraue.
"Sagen wir Mal so, ich habe ihr deutlich gemacht was ich von ihren Avancen halte", erwidert er mit einem düsteren Lächeln, bevor er auf mich zukommt.
"Aber jetzt ist sie weg und die ganze Sache ist erledigt", murmelt er und legt mir eine Hand an die Taille.
"Also musst du sie nie wiedersehen?"
"Ganz genau", beantwortet Jim meine Frage, dann lehnt er seinen Kopf gegen meinen. Seine Nähe und die Tatsache dass er so plötzlich wieder normal ist, machen meine Verwirrung nicht besser. Ganz zu schweigen von meinen Kopfschmerzen.
Ich schließe die Augen, genieße für einen Moment die Stille, bevor das Pochen in meinem Kopf mich zurückholt.
"Ich nehme an, du bleibst noch?"
"Ja, ich arbeite noch weiter. Wieso, gehst du nach Hause?"
Er bewegt den Kopf zurück um mich wieder anschauen zu können und ich öffne die Augen, dann nicke ich.
"Na dann..."
Er zögert, sein Blick wandert über mein Gesicht und er runzelt leicht die Stirn.
"Ist alles okay?"
Am liebsten würde ich ihm alles sagen, dass Irene mich sehr aufgeregt hat, dass ich mich nicht wohlfühle, dass ich Sorgen habe, die er nicht im geringsten verstehen würde, ganz einfach weil er sich nicht so viele Gedanken um solche Dinge macht, aber ich schweige. Stattdessen zucke ich mit den Schultern.
"Mehr oder weniger. Ich habe ein bisschen Kopfschmerzen, sonst geht's."
Mit einem Lächeln versuche ich ihn zu überzeugen, doch Jim wirkt nicht wirklich beruhigt. Etwas liegt in seinem Blick, so als wolle auch er mir ein paar Dinge mitteilen, aber er schweigt ebenfalls. Lediglich dieses Glitzern in seinen Augen bleibt.
"Dann geh und ruh dich aus", meint er schließlich mit einem liebevollen Lächeln. Nach kurzem Zögern lehnt er sich wieder vor und gibt mir einen sanften Kuss auf die Wange.
"Danke, das mache ich."
Jim bleibt hinter mir zurück als ich zur Tür gehe und mich winkend von ihm verabschiede. Er hebt kurz die Hand, dann drehe ich mich um und verlasse den Raum. Obwohl ich seinen Blick im Rücken spüre, drehe ich mich nicht nochmal herum.
Im Gang vor der Tür ist niemand, auch Seb ist weg, wahrscheinlich bringt er Adler nach draußen. Nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen habe, gehe ich schnurstracks zum Aufzug, damit ich so schnell wie möglich nach Hause kann. Zum Glück habe ich heute morgen noch an meinen Busausweis gedacht, sodass ich recht einfach zurückfahren kann. Zwar sind Busfahrten nicht unbedingt das beste bei bohrenden Kopfschmerzen, aber ich kann ja schlecht zu Fuß gehen.
Kaum bin ich aus dem Gebäude raus, fühle ich mich besser, freier. Die Atmosphäre rund um Jims Büro ist stets angespannt und aufmerksam, was auf die Dauer ziemlich nervenzehrend ist.
Nach kurzer Orientierung stelle ich fest, dass ich mich etwas außerhalb der Innenstadt befinde, in einem Stadtteil den ich noch nie besucht habe. Das ist auch der Grund warum ich erst mein Handy zu Rate ziehen muss, bevor ich mich in Richtung der nächsten Busstation mache. Auf dem Weg zu Fuß durch die leeren Straßen fällt mir ein, dass Jim mich auch hätte nach Hause bringen lassen können und ärgere mich dass ich ihn nicht danach gefragt habe. Stattdessen muss ich nun mit Kopfschmerzen sehen wie ich alleine nach Hause komme.
Nach einer Weile Fußweg komme ich in etwas belebtere Straßen, in denen sich nun auch Geschäfte befinden. Menschen auf ihren alltäglichen Unternehmungen kommen mir entgegen oder laufen mit mir ein Stück des Wegs. Manche von ihnen sehen mürrisch aus, andere nachdenklich, und manche lächeln sogar. Keiner weiß was für Geschäfte nur ein paar Straßen von ihnen entfernt abgeschlossen werden, dass dort Morde und Entführungen geplant werden. Mir läuft es kalt den Rücken herunter wenn ich daran denke.
Ich komme an einen Kreisverkehr und schaue gerade nach in welche Richtung ich gehen muss, da entdecke ich jemanden nur ein paar Meter von mir entfernt. Sherlock Holmes. Der Typ, der dachte ich sei der Sponsor eines mordenden Taxifahrers, und von dem Jim besessen ist.
Schnell wende ich meinen Blick von ihm ab und setze meinen Weg fort als wäre nichts gewesen. Wenn ich Glück habe, hat er mich gar nicht bemerkt.
"Melody Smith, schön sie wiederzusehen."
Ich muss mich zusammenreißen um nicht frustriert die Augen zu schließen als die tiefe Stimme mich von hinten anspricht. Heute ist echt nicht mein Tag, erst Irene Adler, dann Kopfschmerzen und jetzt Sherlock Holmes. Doch dann fällt mir etwas anderes ein: Woher kennt er meinen neuen Nachnamen?
Ich versuche, weder zu abweisend, noch erschlagen oder traurig oder wütend auszusehen als ich mich zu dem großen Mann umdrehe, was ganz schön schwierig ist, so wie ich mich fühle. Die grau-blauen Augen mustern mich mit einem stechenden Blick, der in mir unwillkürlich den Wunsch weckt, mich zu verstecken. Gleichzeitig bemerke ich, dass er alleine ist. Kein John Watson der seinen Kumpanen noch zügeln kann, na toll.
"Guten Tag, Mister Holmes", antworte ich mit einem höflichen Lächeln und halte seinem Blick stand. Garantiert kann er erkennen wie es mir geht, und wahrscheinlich weiß er auch warum es mir so geht. Hoffentlich ist es aber für den Rest der Welt nicht allzu offensichtlich.
"Interessant, nur kurz nach unserem ersten Treffen wechselten Sie Ihre Arbeitsstelle und darüber hinaus auch Ihren Nachnamen. Darf ich Ihnen zur Hochzeit glückwünschen?"
Damit streckt er seine rechte Hand aus, doch seine Mimik verrät mir dass er nur spielt. Er weiß dass ich schon vorher verheiratet war, er hat den Ring gesehen.
Ich entscheide mich, seine Hand nicht zu ergreifen, wer weiß was er damit bezweckt.
"Was wollen Sie von mir?"
Ich kann den leicht genervten Unterton meiner Stimme nicht zurückhalten, denn Holmes raubt mir jetzt schon jeden Nerv, der nicht schon durch meine Kopfschmerzen zerstört wird.
Er zieht die Augenbrauen zusammen und lässt seine Hand sinken.
"Ich möchte Ihnen helfen."
Ehrlich überrascht schaue ich ihn an.
"Bitte was?"
Sherlock Holmes will mir helfen? Wobei? Und warum? Will er denn nicht unbedingt Jim schnappen?
"Sie brauchen Hilfe. Vielleicht wissen Sie es noch nicht, aber Sie stecken in großer Gefahr. Er ist nicht so wie es scheint, nicht wahr?"
Allerdings erwartet er keine Antwort, sondern fährt einfach fort.
"Er ist sehr gefährlich und ich sehe dass Sie das ebenfalls schon bemerkt haben. Lassen Sie mich Ihnen helfen, ich kann dafür sorgen dass Sie wieder frei Ihr Leben leben können."
Unschlüssig was ich nun tun soll, schaue ich ihn an. Offensichtlich hat er alle Zeichen falsch gelesen, meine Erschöpfung, meine Verzweiflung, alles. Aber ist das überhaupt möglich? Immerhin habe ich hier Sherlock Holmes vor mir, einen Mann den Jim schon fast als ihm ebenbürtig betrachtet. So jemand macht doch keine Fehler, oder?
Erneut deutet Holmes mein Verhalten falsch, denn er nickt nur leicht und holt dann eine kleine Karte aus seiner Manteltasche.
"Hier sind meine Kontaktdaten. Wenn Sie sich entschieden haben, reicht ein Anruf und ich werde Ihnen helfen."
Ich nehme ihm das Kärtchen aus der Hand.

Sherlock Holmes
221b Bakerstreet

Darunter steht eine Telefonnummer, anscheinend seine Handynummer.
"Danke", sage ich mit leiser Stimme und schaue ihn wieder an. Fast könnte man glauben er wolle mir tatsächlich nur helfen weil ich es wert bin, dass man mir hilft, doch noch im nächsten Augenblick wird mir bewusst dass Sherlock keineswegs meinetwegen handelt. Sein einziges Ziel ist es, Jim zu schnappen.
"Dann Ihnen noch einen schönen Tag, Melody."
Mit diesen Worten nickt er noch einmal und geht an mir vorbei. Ich widerstehe der Versuchung mich nach ihm umzudrehen und stecke stattdessen im Weitergehen die Visitenkarte in die kleine Tasche an der Hülle meines Handys. Dann erst setze ich meinen Weg fort, in Richtung Bushaltestelle.
Mein Kopf schwirrt vor Verwirrung über diese überraschende Begegnung und meine Kopfschmerzen werden dadurch nicht besser.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich Jim davon erzählen sollte, aber gleichzeitig halte ich das für keine gute Idee. Wahrscheinlich würde er sich darüber kaputtlachen dass Sherlock Holmes zu so einem falschen Entschluss gekommen ist, oder er wird besorgt weil er glaubt, dass an Sherlock's Vermutungen wohl etwas dran sein könnte.
Nur kurze Zeit später komme ich an meinem Ziel an, wo ich Glück habe, denn mein Bus fährt in wenigen Minuten ab.
Da bekomme ich plötzlich eine Nachricht auf mein Handy.

Jim: Hey Honey, ich hoffe dir geht es ein bisschen besser. Mir ist erst zu spät eingefallen dass ich dich hätte bringen lassen können... tut mir leid. Ich mach's wieder gut, okay?

Schmunzelnd tippe ich eine Antwort und steige danach in den Bus.

Me: Und wie möchtest du das wieder gut machen?

Jim: Ich dachte da an Kuchen wenn ich in zwei Stunden nach Hause komme, zusammen mit einem gemütlichen Abend auf der Couch... oder im Bett ;)

Me: Das hört sich ausgezeichnet an :D Ich freu mich schon auf dich ❤️

Jim: Und ich mich erst. Bis später Mel.

Me: Bye Jim.

Die Busfahrt geht zum Glück schnell vorbei, sodass ich schon bald zu Hause ankomme.
Erleichtert schlüpfe ich aus meinen Schuhen, mache mir ein Glas Wasser und spüle damit eine Kopfschmerztablette hinunter, bevor ich nach oben gehe und mir etwas bequemeres anziehe. Es ist so angenehm zu wissen dass nun erstmal alles vorbei ist und man eine Sorge weniger hat, um die man sich kümmern muss.
In Gedanken gehe ich noch einmal durch, was ich die nächsten Tage erledigen muss. Sybille, Jamie, der Bericht wegen Wulf, Anruf und Besuch bei meinem Vater... und natürlich Jims Launen.
Mit einem Seufzen lasse ich mich aufs Sofa fallen und schließe für einen Moment die Augen. Wie schön es doch wäre wenn alles einfach vorbei wäre.

~~~

Und da kommt ein neues Kapitel :D Vielleicht schaffe ich es ja jetzt wieder regelmäßiger zu updaten... eventuell.
Ach ja, außerdem habe ich sämtliche Kapitel dieses und des ersten Teils von der wörtlichen Rede her korrigiert... also uninteressant xD

Danke übrigens dass ihr hier weiter dranbleibt und hier schon über 3K Views sind! Beim ersten Teil sind es sogar schon 17K! ❤️ Hab euch lieb :3

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top