31. Vorspiel für Mittwoch
Tatsächlich wird die folgende Woche nicht so schön, aber das war sie bei meinem Job noch nie. Mister Wulf erwähnt mit keinem Wort die Gala, oder dass er mich dort hat stehen lassen, sondern geht sofort zum normalen Alltag über. Sofern es normal ist, Leute anzuschnauzen und schlechte Laune zu haben.
Die Mittagspause am Montag nutzen Sybille und ich um ein bisschen über Jamie zu reden, immerhin werde ich am Samstag auf die Kleine aufpassen. Allerdings habe ich Jim noch immer nichts davon gesagt. Daran muss ich unbedingt denken, sonst geht das noch böse aus.
"Wie alt ist sie denn?", frage ich Sybille, die mir gerade ein paar Fotos ihrer Tochter auf dem Handy zeigt.
"Fünf Monate", antwortet sie stolz und ich grinse.
"Sie ist echt süß."
Ich gebe ihr das Handy zurück, von dem mich ein wirklich niedliches Baby mit blauen Augen anschaut. Kurz schießt mir durch den Kopf, wie wohl das Kind von Jim und mir aussehen würde, doch dann lenke ich meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Kollegin.
"Danke."
Sie schaut lächelnd auf das Foto, dann packt sie ihr Handy weg.
Den Rest des Tages überstehen wir fast ohne Komplikationen, denn Mister Wulf bleibt in seinem Büro, sodass nur ich manchmal mit ihm interagieren muss.
Am Abend fahre ich nach Hause, telefoniere aber währenddessen mit Sam, meinem Vater. Treffen kann ich mich leider nicht mit ihm, aber trotzdem will ich natürlich mit ihm sprechen. Vorallem wegen Informationen über seine Leukämie. Diesbezüglich ist bei ihm aber noch nichts durchgedrungen.
Zu Hause wartet Jim bereits auf mich, was ein wenig untypisch ist. Allerdings merke ich recht schnell, warum er wartet.
"Na?", begrüße ich ihn grinsend und gehe in die Küche, doch er lächelt nur kurz. Er folgt mir, lehnt sich in den Türrahmen und schaut mir zu, wie ich eine Kanne Tee vorbereite.
"Ist was?", erkundige ich mich, als er keinen Laut von sich gibt.
"Ja, um genau zu sein, ich habe eine Frage", antwortet er und ich schaue ihn aufmerksam an.
"Frag."
"Naja, vielmehr hatte ich eine Idee. Da du anscheinend befürchtet hast, dass Irene Adler und ich eine Beziehung führen, könntest du bei unserem nächsten Treffen dabei sein. Natürlich nur wenn du das möchtest. Dann könntest du dich versichern und würdest außerdem einen exklusiven Einblick in meine Arbeit bekommen."
Er legt den Kopf schief während er sich auf die Unterlippe beißt. Verwirrt schaue ich ihn an bis ich verstehe was er damit meint.
"Du willst, dass ich bei deinem nächsten Treffen mit Adler dabei bin? Also, im Raum?", hake ich nach und er nickt.
"Das ist die Idee, ja."
"Aber wie kommst du darauf? Ich meine, du hast mir doch schon versichert, dass zwischen euch nichts weiter ist als eine geschäftliche Beziehung."
Außerdem bin ich mir nicht sicher ob ich das schaffe, meinen Mann bei der Arbeit zu sehen, in dem Wissen, dass er ein Krimineller ist. Ob das nicht zu viel ist, zusammen mit Sam, Mister Wulf und allem.
"Das stimmt. Um ehrlich zu sein, Irene Adler hat persönlich um deine Anwesenheit gebeten. Für den weiblichen Flair, oder so", gibt er schulterzuckend zu, doch ich richte mich unwillkürlich weiter auf. Warum um alles in der Welt will Adler mich dabeihaben? Um mich noch weiter zu verwirren und zu verunsichern? Oder um mir zu zeigen wer sie ist? Wahrscheinlich beides.
"Naja...", meine ich zögernd.
"Ich habe halt keine Ahnung ob ich das aushalte."
Da grinst Jim mich an.
"Du bist stärker als du es dir selbst zutraust."
Das bringt mich zum lächeln. Kurz überlege ich, wäge die verschiedenen Möglichkeiten gegeneinander ab.
"Okay, ich komme mit."
"Großartig. Das Treffen ist bereits übermorgen, also müsstest du dir kurzfristig freinehmen."
Toll. Hoffentlich geht das so einfach, bei meinem Chef weiß man ja nie.
"In Ordnung", antworte ich und Jim nickt zufrieden.
"Da das geklärt wäre, ich müsste noch ein bisschen arbeiten und bin deshalb oben."
Er deutet die Richtung mit einer Hand an, lässt diese aber sinken als er meine Reaktion bemerkt. Ich bin nicht so begeistert, im Gegenteil, ich hatte mich schon auf einen schönen Abend gefreut. Das ist auch der Grund warum meine Schultern ein wenig nach unten sacken und ich mir mit einer Hand durch die Haare streiche.
"Wenn's denn sein muss", murmele ich resigniert, da kommt Jim auf mich zu. Er legt mir die rechte Hand an die Taille, gibt mir erst einen Kuss auf die Wange und dann einen auf den Mund. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, verlässt er die Küche und geht nach oben. Mit einem leisen Seufzen wende ich mich wieder meiner Teekanne zu. Wer weiß ob ich heute überhaupt noch mit Jim reden kann.
~~~
Ich habe leider recht mit meiner Befürchtung, dass ich heute nicht mehr mit Jim reden kann, denn er kommt nicht mehr aus seinem Arbeitszimmer hervor.
Auch am nächsten Tag sehe ich ihn morgens nur flüchtig, danach gar nicht. Er fängt schon schon wieder an so ewig zu arbeiten, nur wegen Sherlock. Und dieser Irene Adler.
Bei dem Gedanken an das bevorstehende Treffen wird mir ein wenig mulmig zumute. Immerhin habe ich keine Ahnung was Adler von mir will, noch wie Jim normalerweise auf der Arbeit drauf ist. Ich kenne zwar den Psychopathen, aber nur von zu Hause. Als Consulting Criminal ist er wahrscheinlich nochmal schlimmer.
Glücklicherweise schaffe ich es tatsächlich mir für das Treffen am Mittwoch den Tag freizunehmen, auch wenn mein Chef nicht begeistert wirkt. Im Notfall hätte ich mich halt krankgemeldet und gehofft dass mich niemand draußen sieht.
Der einzige Nachteil an meinem kleinen Erfolg heute ist, dass Wulf mich noch mehr und länger arbeiten lässt, damit ich schonmal für morgen vorarbeite.
Als ich endlich nach Hause komme, muss ich feststellen dass Jim noch nicht da ist. Keine SMS, kein Zettel am Kühlschrank teilt mir mit wo er steckt oder wann er nach Hause kommt.
Selbst als er spät heimkommt, geht er noch nach oben, ohne ein Wort zu sagen und verlässt schon wieder sein Arbeitszimmer nicht. Ich kann nur hoffen dass er etwas gegessen hat, denn das letzte Mal, dass ich das mitbekommen habe, war vor zwei Tagen.
So verbringe ich meinen Abend alleine im Wohnzimmer, bevor ich nach oben gehe um einmal nach Jim zu schauen.
Überrascht muss ich feststellen dass er die Tür abgeschlossen hat. Dann halt nicht.
Hoffentlich redet er morgen mit mir, immerhin müssen wir gemeinsam zu diesem Treffen fahren.
~~~
Nachdem ich mitten in der Nacht verschwommen mitbekommen habe, dass Jim zu mir ins Bett gekommen ist, finde ich es nicht verwunderlich als ich am nächsten Morgen von seinem pustenden Atem geweckt werde.
Schläfrig strecke ich mich während mein Mann hinter mir liegt und mir in den Nacken atmet. Sein Arm liegt locker um meine Taille geschlungen, sodass ich mich noch gut bewegen kann. Doch das habe ich gar nicht vor.
Lieber genieße ich diesen Moment, in dem Jim einfach nur bei mir ist ohne zu arbeiten. In dem ich einfach nur entspannen kann.
Doch plötzlich bewegt Jim sich und dreht sich murmelnd auf den Rücken.
"... müssen aufstehen", verstehe ich gerade noch bevor er gähnt.
"Warte kurz", bitte ich ihn als er sich aufsetzen will und er hält inne. Ich drehe mich zu ihm um und gebe ihm einen sanften Kuss auf den Mund. Mit einem Seufzen erwidert er ihn und legt seine Hand an meine Wange.
"Wenn du öfter einen Kuss kriegen möchtest, musst du aufhören so lange zu arbeiten", meine ich sanft zu ihm während meine rechte Hand sich einen Weg in seine Haare sucht.
"Keine Chance."
Mit diesen zwei Worten richtet er sich auf, sodass ich die Hand sinken lassen muss. Entschuldigend schaut er mich an.
"Ich kann nicht anders, Honey. Tut mir leid."
Bevor ich etwas sagen kann, schlägt er die Decke zurück und steht auf, während ich noch einen Augenblick liegenbleibe. Er kann nicht anders...
"Komm, wir müssen uns fertig machen."
Jim geht zum Schrank um sich einen Anzug für heute auszusuchen, dabei öffnet er auch gleich meinen Schrank.
"Du solltest etwas passendes anziehen."
Er beginnt meine Klamotten durchzusehen, da stehe ich auch auf.
"Ich schaff das gut allein, danke."
Mein Tonfall klingt etwas bissig, sodass Jim eine Augenbraue hochzieht, aber er lässt meine Sachen in Ruhe.
Kaum höre ich seine Schritte auf der Treppe, lasse ich mich mit einem leisen Seufzer aufs Bett sinken. Warum ist Jim plötzlich so? Habe ich was falsch gemacht? Ist er wütend? Aber worauf, falls das der Fall ist?
Kurz vergrabe ich mein Gesicht in den Händen, dann reiße ich mich wieder zusammen. Heute muss ich durchhalten, auch wenn es schwer werden könnte. Heute muss ich meine Gefühle unter Kontrolle haben, ich darf mich nicht ablenken lassen. Ein Fehler in Jims Gegenwart während wir bei seiner Firma sind, und er geht hoch. Das spüre ich.
Entschlossen stehe ich auf und bereite mich auf den heutigen Tag vor. Das Gefühl, ich würde in eine Schlacht ziehen, lässt sich dabei nur schwer abschütteln.
Als ich nach unten in die Küche gehe, mit Kleidung die angemessen für ein geschäftliches Treffen ist, höre ich leise Geräusche aus dem Bad. Es klingt als würde Jim summen.
Routinemäßig bereite ich Kaffee vor, mache mir einen Tee und etwas zum Frühstück, bis Jim aus dem Bad zurückkommt. Er richtet sich gerade die dunkelblaue Krawatte als er zu mir in die Küche kommt, gekleidet in einen dunkelgrauen Anzug.
"Hab dir was zu essen gemacht."
Ich deute auf einen Teller mit Toast auf dem Küchentisch und Jim nickt.
"Danke."
Kurz hält er inne, als würde er überlegen, dann gibt er mir einen sanften Kuss auf die Wange.
"Ich entschuldige mich schonmal im Voraus für diesen Tag", flüstert er an meinem Ohr während er leicht seinen Kopf gegen meinen lehnt.
"Besonders für meine Launen und meine fehlende Aufmerksamkeit für dich. Du weißt dass ich dich trotz allem liebe, oder?"
"Ja das weiß ich", antworte ich, wobei ich ein Schmunzeln nicht zurückhalten kann. Es erleichtert mich dass er noch immer so niedlich sein kann.
Nachdem wir unser Frühstück gegessen haben, ist mein Mann allerdings wieder ziemlich emotionslos und ernst. Außerdem scheint es fast als würde er mich ignorieren.
Wahrscheinlich ist das normal. Oder so.
Ich bemerke gerade noch, dass es Punkt 7:30 Uhr ist, da muss ich Jim schon nach draußen, zu einem Auto in der Einfahrt folgen. Er spricht kein Wort mit mir, sodass ich selbst schauen muss dass ich mitbekomme was ich tun soll.
Wir steigen in die Limousine ein, die auch sofort losfährt um uns zu einem mir unbekannten Ziel zu bringen. Jim holt sein Handy aus seiner Jacketttasche und beginnt damit zu hantieren, während ich aus dem abgedunkelten Fenster schaue.
Die Straßen von London ziehen an mir vorbei, zusammen mit ihren Bewohnern. Häuser, Bäume, Autos, alles verschwimmt zu einem Strom vor meinen Augen, ohne dass ich sie wahrnehme. Ich bin zu sehr in Gedanken versunken um irgendetwas zu bemerken.
Wie dieser Tag wohl werden wird? Warum Adler mich wohl sehen will? Werde ich das aushalten?
Hoffentlich wird heute nicht so schlimm wie ich es fast schon befürchte.
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