25. Wulfs Brief
Jims Treffen mit Sherlock war wohl einerseits aufregend für ihn, andererseits nicht so ergiebig wie Jim es sich erhofft hat, zumindest hört es sich so an wenn er davon erzählt. Die restliche Woche lang redet er von dem Treffen in dem Schwimmbad, in dem damals Carl Powers durch Jims Zutun ertrunken ist, analysiert es murmelnd und arbeitet wieder länger. Das bekomme ich aber nur recht selten mit, da auch ich länger arbeiten muss, sodass wir beide kaum Zeit füreinander haben. Nur Abends, wenn ich im Bett liege, kommt mein Ehemann manchmal hinzu und wir kuscheln noch ein bisschen bevor wir schlafen.
Wenn Jim mal nicht von Sherlock und dem Treffen erzählt, will er unbedingt mit mir über meinen und Sybilles Plan, Mister Wulf loszuwerden, sprechen, egal wie oft ich ihm sage dass ich das alleine schaffe. Jedes Mal bietet er indirekt seine Hilfe an, welche ich jedoch ablehne.
Mittlerweile rückt der Abend der Gala immer näher, was neuen Gesprächsstoff mit sich bringt. Denn jedes Mal, wenn die Sprache auf die Gala kommt, wird Jim mürrischer.
"Ich will nicht dass du da hingehst, vorallem mit deinem Chef nicht", wiederholt er zum bestimmt fünften Mal am Donnerstagmorgen, bevor wir beide zur Arbeit müssen. So langsam beginnt er mich zu nerven, was ich ihm auch deutlich mache.
"Da hast du aber nichts zu entscheiden!", sage ich etwas energischer als ich es normalerweise getan hätte, sodass Jims Gesicht einen noch säuerlichen Ausdruck annimmt.
"Sollte ich aber."
Augenverdrehend stelle ich meine benutzte Schüssel vom Frühstück in die Spüle, bevor ich mich mit verschränkten Armen zu meinem Ehemann umdrehe.
"Es ist mein Job, mein Chef und meine Entscheidung ob ich auf diese Gala gehe oder nicht."
Ich versuche ihm durch einen Blick klarzumachen, dass er es dabei belassen soll, dass Diskussionen nichts bringen, doch er ignoriert das einfach. Vielleicht hat er meinen Versuch auch nicht bemerkt.
"Sag bloß du magst ihn plötzlich."
Augenblicklich starre ich Jim fassungslos an, vollkommen entsetzt von dieser Aussage.
"James Moriarty! Glaubst du ernsthaft, ich würde diesen Menschen jemals mögen können?!"
Entrüstet stemme ich beide Arme in die Seiten, meine vorherige Genervtheit ist wie weggewischt. Da beginnt Jim zu schmunzeln, anscheinend hat er das auch bemerkt.
"Es wirkt nur so, als würdest du lieber mit Wulf als mit mir auf die Gala gehen", fügt er hinzu, wie um mich zu ärgern. Sein Grinsen macht unmissverständlich klar, dass genau das sein Ziel ist.
"Wie kannst du nur so etwas behaupten?"
Gespielt beleidigt, denn ich habe seine Absicht durchschaut, drehe ich mich weg und Jim lacht.
"Ach Honey, du weißt genau dass ich sowas nicht denken würde."
"Pff."
Unsere 'Diskussion' endet schließlich damit, dass Jim mich so lange in die Seite stupst, bis ich mich zu ihm umdrehe und er mir einen Abschiedskuss geben kann.
~~~
Mein Arbeitstag ist eigentlich ausnahmsweise recht ruhig, zumindest bis zu der Zeit nach meiner Mittagspause.
Manchmal bekomme ich Aspekte von unserem Chef mit, die sein Verhalten in Ansätzen erklären könnten, oder welche einen Funken Mitgefühl in mir wecken, den Wulf aber schnell wieder erstickt.
So auch heute, als ich unangekündigt und unaufgefordert zu Wulf ins Büro kommen will, um ihm ein paar Dokumente zu bringen.
Die Verbindungstür zwischen meinem und Wulfs Büro steht ein wenig offen, sodass ich meinen Chef schon sehen kann bevor ich die Tür überhaupt richtig öffne, und ich erkenne Wulf, der in seinem Stuhl sitzt. An sich nichts ungewöhnliches, aber dieses Mal liegen vor ihm nicht irgendwelche Dokumente, und auch sein Computer ist deaktiviert. Stattdessen starrt mein sonst so mies gelaunter Chef mit trauriger Miene auf einen formell aussehenden Brief. Das Logo in der oberen rechten Ecke habe ich schon einmal an einer Hauswand als Werbung gesehen, es gehört zu einer berühmten Anwaltskanzlei, die unter anderem auch als Scheidungsanwalt tätig ist.
Die fast schon gequält aussehende Miene meines Chefs erinnert mich daran, dass auch er nur ein Mensch ist, der aufgrund seiner Erfahrungen zu dem geworden ist, was er heute nun mal darstellt. Frank, einer meiner Kollegen, hatte ja erzählt dass Mister Wulfs Frau ihn mitsamt ihren gemeinsamen Kindern verlassen hat, und es seitdem mit seinen Launen schlimmer geworden ist. Anscheinend ist die Scheidung jetzt offiziell.
In diesem Moment tut es mir irgendwie, in einer Ecke meines Herzens, leid dass wir ihn auf eine so vernichtende Art und Weise loswerden wollen, doch sobald ich an die Tür klopfe, ändert sich das wieder.
"Was wollen Sie?", blafft mein Chef mich an, wobei seine Trauer sich so schnell zu Aggressivität umwandelt, dass ich kaum blinzele da schaut er mich schon verärgert an. Fast ist es, als hätte ich ihn gerade beleidigt, so wie der guckt.
"Ich wollte nur diese Dokumente abgeben Sir", antworte ich wahrheitsgemäß und halte besagte Papiere hoch.
"Und was ist mit den Berichten, die ich bereits gestern angefragt habe?!"
"Sir, dafür hatte ich noch keine Zeit, es gab-"
"Hören Sie auf mit den Ausreden! Sie sind meine Sekretärin und haben zu tun was ich sage, und wenn ich sage, dass ich die Berichte haben will, dann fertigen Sie sie an!", unterbricht mein Chef mich laut und ich lasse die Hand mit den Dokumenten langsam wieder sinken.
"Mister Wulf, Sie haben mir so viel Arbeit gegeben, dass ich damit heute unmöglich komplett fertig werden kann", erwidere ich mit einem scharfen Unterton, durch den Wulf sich sofort angegriffen fühlt.
"Wollen Sie sich etwa beschweren?!"
Nein, wo denken Sie hin, ich doch nicht.
"Nein Sir, ich möchte nur anmerken dass die Arbeiten, die Sie mir aufgeben, zu viele für eine Person sind", antworte ich so ruhig wie möglich.
Daraufhin beginnt Wulf wüst zu schimpfen, er hält mir vor, wie unfähig und unkooperativ ich doch sei, dass ich nichts auf die Reihe kriegen würde und er schon froh sei, wenn ich es schaffte meinen Computer hochzufahren. Während er auf diese Art seinen Frust an mir auslässt, überlege ich schonmal wie ich meinen Bericht über diese Sache formulieren soll. Angriff auf persönlicher Ebene klingt gut.
Schließlich lege ich die Dokumente mit einem Klatschen auf seinen Schreibtisch und verlasse sein Büro ohne noch ein Wort zu sagen, obwohl ich innerlich bebe vor Wut. Was fällt diesem Kerl eigentlich ein? Und ich habe auch noch zugesagt wegen der Gala morgen!
Naja, wahrscheinlich hätte ich sowieso mitkommen müssen, selbst wenn ich schon etwas vorgehabt hätte.
Genervt setze ich mich an meinen Schreibtisch, auf dem die von Wulf angesprochenen Berichte warten. Am liebsten würde ich den ganzen Stapel nehmen und einfach aus dem Fenster werfen, aber ich reiße mich zusammen. Stattdessen beginne ich mit meiner Arbeit, in Gedanken schon zu Hause, wo ich den Bericht endlich schreiben kann.
Nur wenige Stunden später, so gegen vier, bin ich endlich fertig. Gerade überlege ich, ob ich jetzt Feierabend machen soll, da klopft es an meiner Bürotür. Bevor ich irgendetwas sagen kann, öffnet sie sich schon und ich starre den Menschen an, der mich nun grinsend anschaut.
"Jim?!"
"In Person Honey."
Die schwarzen Haare genauso frisiert wie heute morgen und den selben Anzug tragend, steht mein Ehemann tatsächlich in der Tür zu meinem Büro. Nun schaut er sich neugierig um, ohne von der Stelle zu weichen.
"Nett hast du es hier..."
"Ähm, danke... aber was machst du hier?", gebe ich verwirrt zurück, woraufhin Jim mich wieder anschaut.
"Na, weswegen bin ich wohl hier, hm? Ich habe keine Lust dass du nochmal so überzogen lange arbeiten musst, weswegen ich dich abholen will. Außerdem war ich gerade sowieso in der Nähe."
Er zuckt mit den Schultern.
"Das ist ja super, ich wollte sowieso für heute Schluss machen", meine ich und sofort grinst Jim mich an.
"Klasse, dann pack dein Zeug und wir fahren nach Hause."
Nichts lieber als das. Allerdings habe ich gerade erst meine Tasche auf den Tisch gestellt, da öffnet sich unvermittelt die Tür zu Wulfs Büro.
"Smith, haben Sie-"
Wulf stockt als er Jim sieht, da reiche ich ihm die Berichte.
"Die angefragten Berichte, Sir", sage ich kühl, während Wulf und Jim sich mustern.
"Wer sind Sie, und was machen Sie hier?", blafft Wulf ungehobelt ohne mich zu beachten und Jim hebt eine Augenbraue.
"Meine Freundin abholen bevor ihr die Arbeit über den Kopf wächst", antwortet er ruhig, aber ich erkenne dass er Wulf überhaupt nicht ausstehen kann. Es ist die Art wie er das Gesicht verzieht während er spricht, zusammen mit seiner Körperhaltung und der Tatsache, dass er ganz auf Wulf fixiert ist.
Mein Chef scheint von Jim ebenfalls nicht besonders angetan zu sein, aber aufgrund Jims fast schon drohenden Präsenz antwortet er nichts. Er nickt nur, nimmt endlich die Berichte von mir entgegen und schaut mich kurz an.
"Sie können gehen, aber vergessen Sie die Gala morgen nicht! Um 19 Uhr am Maritim Hotel."
"Natürlich Mister Wulf."
Mit einem letzten Blick auf Jim verlässt mein Chef mein Büro.
"Das ist also Mister Wulf...", murmelt mein Mann und legt den Kopf leicht schief. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass er nicht nur wegen mir gekommen ist.
"Jim, kann es sein dass du eigentlich nur Wulf kennenlernen wolltest?", frage ich während ich meine Tasche zu Ende packe und Jim schaut mich überrascht an.
"Was? Ich und ihn kennenlernen? Wieso sollte ich wegen ihm hierher kommen statt wegen dir?"
Daraufhin zucke ich nur mit den Schultern.
"Wirkte nur so."
"Ich kann auch wieder gehen wenn du das willst", meint Jim leicht beleidigt, doch ich weiß dass er nicht vorhat jetzt einfach zu gehen.
"Kommt gar nicht in Frage", protestiere ich, nehme meine Tasche und gehe zu ihm hin.
"Gehen wir?"
"Klar."
Mit diesem Wort hält Jim mir die Tür auf, dann folgt er mir in Richtung Aufzüge. Ich spüre auf dem Weg einige neugierige Blicke meiner Kollegen auf mir und Jim, aber niemand sagt etwas. Außer Sybille, die fröhlich lächelnd auf mich zukommt.
"Melody! Gehst du schon nach Hause?"
Erst als sie bei mir ist, bemerkt sie Jim an meiner Seite und schaut ihn überrascht an.
"Oh, entschuldigt."
"Kein Problem. Sybille, das ist mein fester Freund Jim. Jim, das ist Sybille, wir sind Freundinnen seit ich als Sekretärin anfangen musste."
Jim streckt Sybille zur Begrüßung eine Hand entgegen, welche die junge Frau auch sogleich schüttelt.
"Freut mich", meint Jim mit einem Lächeln.
"Mich auch. Endlich habe ich auch einen Namen und ein Gesicht zu 'Melodys Freund'", antwortet Sybille und wendet sich dann an mich.
"Ich muss noch arbeiten, tut mir leid. Kommst du morgen überhaupt, ich meine, wegen der Gala?"
"Nein, Wulf hat mir für morgen 'gestattet' frei zu nehmen."
"Hm, achso. Na dann, wahrscheinlich erst bis Montag. Tschüß ihr beiden!"
"Tschüß Sybille."
Ich winke ihr noch hinterher, dann gehen Jim und ich weiter zu den Aufzügen.
"Scheint eine wirklich nette Person zu sein."
Ich schaue Jim an und lächle.
"Nicht wahr?"
Kaum stehen wir in einem Aufzug, nimmt Jim meine Hand in seine.
"Wie hast du mich eigentlich gefunden?", erkundige ich mich während wir uns nach unten in Bewegung setzen.
"Das war recht einfach, immerhin hast du ein bisschen erzählt, und ich wusste in welcher Abteilung du arbeitest."
"Aha. Nun, gelungen war die Überraschung auf jeden Fall."
Sofort grinst Jim wieder.
"Das finde ich auch. Vielleicht komme ich ja öfter vorbei."
Wir steigen im Erdgeschoss aus der Aufzugkabine und machen uns auf den Weg nach draußen.
"Wenn du mir versprichst keinen Zoff mit Wulf anzufangen, klar."
"Ich erschieß den Kerl persönlich."
Mit einem Seufzen lasse ich mich von Jim zum Auto führen.
"Bitte nicht."
~~~
Ja gut, ich übe das mit dem regelmäßig nochmal >.<
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