24. Aufgeregter Jim

"Smith!"
Die Stimme von Mister Wulf hält mich auf meinem Weg zu meinem Büro auf und ich verfluche innerlich meinen Chef. Eigentlich wollte ich jetzt Feierabend machen, aber daraus wird wohl nichts.
"Ja Sir?", frage ich, sobald ich wieder in seinem Büro stehe und er dreht sich in seinem Stuhl zu mir herum.
"Haben Sie am Freitagabend schon etwas vor?"
Überrumpelt von dieser Frage starre ich ihn erstmal an bevor ich eine Antwort geben kann.
"Nein Sir, ich denke nicht... wieso fragen Sie?"
"Sehr schön, dann werden Sie mich am Freitag auf eine wichtige Gala begleiten", beschließt Wulf und steht auf.
"Bitte?", rutscht es mir verwirrt heraus und er verzieht verärgert den Mund.
"Muss ich Ihnen eine offizielle Einladung schreiben oder was? Sie gehen mit mir am Freitag Abend um 19 Uhr auf eine Gala im neu eingeweihten Maritim Hotel hier in London."
"Ähm, in Ordnung..."
Normalerweise würde ich mich wahrscheinlich über so eine Einladung freuen, aber wenn sie von meinem Chef kommt, macht jede Freude sich aus dem Staub. Hoffentlich wird die Gala besser als die letzte auf der ich war. Naja, wenn man es recht bedenkt, kann sie nur besser werden, solange niemand in die Luft fliegt oder so.
"Einzelheiten bekommen Sie später", teilt Wulf mir mit und ich nicke.
"Gibt es noch etwas zu tun für mich Sir?", erkundige ich mich der Höflichkeit halber, doch mein Chef schüttelt nur den Kopf, sodass ich mich schleunigst auf den Weg in mein Büro mache.
"Hey, Melody!"
Sybille kommt zu mir als ich gerade anfangen will meine Tasche wieder zu packen, und ich lächle sie erfreut an.
"Hey Sybille! Machst du auch für heute Schluss?"
"In fünf Minuten ja."
Sie kommt zu mir herein, schließt die Tür hinter sich und vergewissert sich, dass die Tür zu Wulfs Büro ebenfalls geschlossen ist. Dann gibt sie mir einige Blätter in einer braunen Mappe.
"Weitere Berichte", meint sie mit gedämpfter Stimme und ich nehme die Mappe an mich.
"Sehr gut. Wenn wir so weitermachen, haben wir spätestens bis Ende nächsten Monats genug Material", stelle ich fest, während ich die Mappe in meiner Tasche verstaue. Aufgrund der Gefahr, dass unser Chef diese Mappe auf meinem Schreibtisch entdeckt, nehme ich alle Berichte der anderen Angestellten über ihn mit nach Hause. Das alles gehört zu unserem Plan, Mister Wulf wenn möglich durch einen besseren Chef zu ersetzen, oder zumindest diesen Tyrannen ein wenig zurechtzustutzen.
"Das hoffe ich doch, es war echt schwer Trevor davon zu überzeugen seinen Bericht zu schreiben. Der Arme fürchtet seinen Job zu verlieren, sollte etwas schiefgehen", erzählt Sybille mit mitleidsvoller Miene. Trevor ist einer derjenigen, die den Job dringend brauchen, aber gleichzeitig sehr unter Mister Wulf leiden, meist wegen zu vieler Aufgaben, oder auch wegen anderer Schikanen.
"Traurigerweise kann uns allen das passieren", gebe ich leise zu bedenken, doch Sybille schüttelt den Kopf.
"Ne, das glaube ich nicht. Die können ja nicht alle feuern."
Aber sehr wohl nur uns beide. Ohne jedoch meine Befürchtung zu äußern nicke ich und Sybille verlässt vor mir mein Büro. Zugegeben, dieser eine Raum ganz für mich alleine ist schon cool, aber dennoch ist meine Arbeit als Sekretärin nicht das, was ich mir ausgesucht habe.
Wenig später sitzen wir gemeinsam im Bus nach Hause und schwatzen, als Sybille mich plötzlich nervös ansieht.
"Melody, was hältst du eigentlich von Kindern?", fragt sie mich und ich schaue sie überrascht an.
"Ich mag Kinder, wieso fragst du?"
"Nun ja, mein Mann und ich müssen demnächst auf eine wichtige Veranstaltung und sind deswegen zwei Tage nicht da... aber wir können Jamie unmöglich mitnehmen. Und meine Schwester, die sonst auf die Kleine aufpassen würde, kommt erst sehr spät abends. Also brauchen wir jemanden, der auf Jamie für einen Abend aufpasst. Würdest du, ich meine, könntest du das vielleicht machen? Ich weiß, wir kennen uns eigentlich nicht so gut, aber du würdest mir damit einen riesigen Gefallen tun und du bist die einzige die dafür infrage käme."
Erwartungsvoll schaut Sybille mich an und ich lege den Kopf schief.
"Im Prinzip... spricht nichts dagegen. Ich muss nur meinem Freund Bescheid sagen. Wann wird das denn sein?"
Augenblicklich atmet Sybille erleichtert auf und nimmt meine Hand.
"Vielen Dank Melody, du hast was gut bei mir. Die Veranstaltung ist am Wochenende in einer Woche, und du müsstest nur den Samstagabend auf Jamie aufpassen."
"Klar, ich denke das ist kein Problem", meine ich mit einem Schulterzucken, da nimmt mich die junge Frau in den Arm.
"Nochmal danke, aber ich muss jetzt raus. Bis morgen!"
Schon hält der Bus an und sie steigt aus, bevor ich etwas erwidern kann. Stattdessen winke ich ihr noch zu, dann fährt der Bus brummend weiter. 

~~~

Zu Hause nutze ich meine Freizeit dazu, mit Katie zu schreiben, meinen Vater anzurufen und mich auch mal wieder bei Seb zu melden, also im Allgemeinen meine Kontakte wieder aufzufrischen. Danach arbeite ich ein wenig an der Beschwerde, die wir bei Wulfs Chef einreichen wollen, bis Jim nach Hause kommt. Er ist sogar recht früh wieder da, früher als sonst manchmal.
"Honey? Bist du schon da?", erkundigt er sich, da entdeckt er mich im Wohnzimmer am Laptop.
"Jap, schon seit einer Stunde."
Grinsend klappe ich den Laptop zu während Jim zu mir kommt. Seine leicht angespannte Miene erinnert mich an das Spiel, das er für Sherlock begonnen hat, und ich nehme noch sitzend seine Hand.
"Bist du nervös?", frage ich sanft, da lächelt er leicht.
"Du kennst mich zu gut."
Eigentlich stimmt das ja nicht ganz, ich habe ihn noch nie wirklich als Psychopathen erlebt, oder bei der Arbeit.
"In der Tat, aber ich bin zuversichtlich dass alles nach meinen Vorstellungen laufen wird."
Mit einem verträumten Ausdruck schaut er aus dem Fenster während ich noch immer seine Hand halte. Einen Moment lang schaue ich zu ihm auf, betrachte seine schwarzen, kurzen Haare und sein so vertrautes Gesicht.
"Hast du Hunger?", erkundige ich mich, da sieht er zu mir runter.
"Ein bisschen."
"Dann mache ich uns etwas zu essen", beschließe ich, stehe auf und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.
"Ich kann dir helfen wenn du willst", bietet Jim mir an, doch ich schüttele schmunzelnd den Kopf.
"Nein, das geht schon, wir wollen doch nicht dass dein Anzug schmutzig wird."
Verwirrt schaut er an sich herunter, so als hätte er vergessen dass er seinen dunkelblauen Lieblingsanzug noch immer anhat, dann sieht er mich wieder an.
"Wenn du meinst."
Ein Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus, anscheinend ist er froh nichts machen zu müssen.
"Obwohl, du könntest den Tisch decken", überlege ich, da seufzt er leise.
"Okay."
Gemeinsam gehen wir in die Küche um das Abendessen vorzubereiten. Doch im Endeffekt steht Jim an den Küchentisch gelehnt da, und erzählt mir von dem geplanten Treffen mit Sherlock. Vielmehr dass er weiß wo Sherlock sich mit ihm treffen will, und auch wann.
"Es ist alles vorbereitet", meint er vergnügt und folgt mir ins Wohnzimmer.
"Hört sich ja super an", antworte ich geistesabwesend, denn der Gedanke, dass Jim schon wieder so von Sherlock besessen ist, gefällt mir überhaupt nicht.
Bevor wir anfangen zu essen, stellt Jim seinen Laptop auf, damit er die Nachricht von Sherlock sehen kann wenn sie eintrifft. Auch wenn er sowieso schon weiß was Sherlock vorhat.
"Und wie war dein Tag?"
Ein wenig überrascht schrecke ich auf, zuvor ganz in meinen Gedanken versunken. Mein Mann schaut mich aufmerksam an, die Ellenbogen auf den Tisch gestützt und die Hände vor dem Mund verschränkt.
"Ähm, ganz gut... denke ich."
Dann erzähle ich ihm von Mister Wulfs Auftrag, ihn diesen Freitag auf eine Gala zu begleiten, auch wenn ich weiß dass das eigentlich keine gute Idee ist. Von Sybilles Bitte wegen Jamie sage ich nichts, denn Jim wäre auch davon alles andere als begeistert, es sei denn er hätte seine Meinung überraschenderweise seit der letzten Diskussion über Kinder geändert.
"Du willst mir ernsthaft erzählen du gehst da jetzt mit diesem... Wulf hin?", fragt Jim fassungslos nach und ich zucke halbherzig mit den Schultern.
"So schlimm wird es nicht werden."
"Meine Güte, ich verstehe manchmal überhaupt nicht wieso du sowas mit dir machen lässt", schnaubt er als Antwort, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und schaut mich skeptisch an.
"Wenn ich nicht so tolerant wäre, würde ich wahrscheinlich auch nicht mit dir zusammensein können", gebe ich zurück, da nickt mein Ehemann widerstrebend.
"Das stimmt."
Für eine Weile schauen wir uns nur schweigend an, beide nachdenklich und jeder in seinen eigenen Gedanken versunken. Ich bin noch immer in meine Sachen von der Arbeit gekleidet, passend zu Jims Anzug, so als wäre das hier ein geschäftliches Essen.
"Ich sollte langsam mal aufräumen und dann ins Bett gehen, morgen muss ich länger arbeiten", meine ich schließlich, stehe aber nicht auf.
"Mach das", murmelt Jim als Antwort, doch noch immer steht keiner von uns beiden auf. Es ist fast, als stünde etwas zwischen uns, etwas, das uns davon abhält einfach aufzustehen und weiterzumachen. Als müsste etwas gesagt werden, das den Bann bricht. Für mich ist es die Sache mit Sherlock, aber für Jim scheint es etwas anderes zu sein.
Schließlich unterbreche ich diesen Moment indem ich den Blick abwende, tief Luft hole und dann aufstehe. Augenblicklich erhebt auch Jim sich, sodas wir gemeinsam den Tisch abräumen.
Bevor ich allerdings einfach aus der Küche verschwinden kann, hält Jim mich am Arm auf, sodass ich ihn verwundert anschaue.
"Glaubst du, ich würde es nicht merken wenn dich etwas beschäftigt?", fragt er leise und kommt mir so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren kann.
"Sags mir."
Seine Stimme ist leise, lässt aber keinen Widerspruch zu.
"Es ist nichts, ich bin nur müde", erwidere ich mit einem Lächeln, doch Jim scheint mir nicht zu glauben, wenn er auch nichts sagt. Stattdessen gibt er mir einen sanften Kuss auf die Lippen und lächelt mich danach leicht an.
Plötzlich gibt sein Laptop ein Geräusch von sich, woraufhin er sofort aus der Küche und zum Wohnzimmertisch stürmt. Mit einer Mischung aus Belustigung und Ernüchterung gehe ich ins Bad um mich fertig zu machen.
Wenig später kommt Jim ebenfalls herein, sichtlich aufgeregt und anscheinend mit einem frischen Hemd unter dem dunkelblauen Jackett. Im Spiegel richtet er sich seinen Kragen, zupft an seinen Ärmeln und streicht sich über die Haare. Man könnte meinen er würde auf ein Date gehen.
"Alles gut?", erkundigt er sich als er meinen Blick im Spiegel bemerkt, doch ich antworte nicht wirklich. Stattdessen versuche ich nicht sauer auf ihn zu sein, gehe zu ihm und richte seine Krawatte, da er die anscheinend vergessen hat. Geduldig hält er still, bis ich einmal über sein Jackett streiche und ihm einen sanften Kuss auf die Lippen gebe.
"Viel Spaß", wünsche ich ihm mit einem kurzen Lächeln, dann verlasse ich das Bad. Müde gehe ich nach oben in unser gemeinsames Schlafzimmer, während Jim in den Flur kommt.
"Schlaf gut Honey."
Danach ertönt die zufallende Haustür und ich bin alleine im Haus.

***

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