22. Mein Vater
Das erste, was ich am Samstagmorgen mache, ist nach meinem Handy zu greifen, kaum dass ich aufgestanden bin. Jim bleibt, irgendetwas murmelnd, im Bett liegen während ich die Treppe runter und ins Wohnzimmer gehe. Ich bin noch immer aufgeregt wegen der Tatsache, dass ich gestern Abend meinen Vater kennengelernt habe, wer wäre das nicht.
Katies Nummer einzugeben dauert nichtmal drei Sekunden, aber deutlich länger braucht es bis meine Freundin am anderen Ende abnimmt.
"Ja?", brummt sie verschlafen klingend ins Telefon und ich muss unwillkürlich grinsen. Gleich ist sie definitiv wach.
"Habe ich dich geweckt?", frage ich lachend und Katie murmelt zustimmend.
"Wir wollten gerade schlafen gehen..."
"Tut mir leid, obwohl, eigentlich eher nicht, denn ich muss dir etwas unglaublich wichtiges erzählen!"
"Schieß los."
Ich hole tief Luft, dann sage ich ruhig ins Telefon:
"Jim und ich haben meinen Vater gefunden."
"IHR HABT WAS????"
Der Schrei von Katie ist so laut, dass man sie wahrscheinlich noch drei Meter von mir entfernt gehört hat. Grinsend halte ich das Handy ein wenig weg von mir während sie sich mit hoher, schneller Stimme zu beruhigen versucht.
"Oh mein Gott Mel, warum hast du das nicht früher gesagt???"
"Ich habe ihn erst gestern getroffen, davor habe ich auch noch nichts gewusst", antworte ich vergnügt und Katie schreit schon wieder aufgeregt ins Telefon.
"Du hast ihn schon getroffen?!"
"Oh ja, und er ist toll. Also, zumindest während der vier oder fünf Stunden, während denen ich ihn kennenlernen durfte."
"Wie heißt er? Wie sieht er aus? Hat er sich gefreut dich zu sehen? Och Mel, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!"
"Er heißt, kurioserweise, Sam Michael Smith, war Soldat im Irak, hat grüne Augen und braune Haare mit grauen Strähnen und ist sehr nett. Allerdings war er überrascht mich zu sehen, und zu erfahren dass ich seine Tochter bin."
"Und wie habt ihr ihn gefunden? Du musst mir alles erzählen, jedes einzelne Detail!"
Katies anfängliche Müdigkeit ist tatsächlich wie weggeblasen und ich setze mich glücklich lächelnd aufs Sofa.
"Naja, eigentlich war Jim es, der ihn gefunden hat. Es war einen Überraschung für mich, aber er musste mich erstmal dazu überreden noch am selben Nachmittag hinzufahren. Ich war furchtbar nervös, dass er mich nicht mögen würde und so. Aber diese Sorge bewies sich zum Glück ja als unbegründet."
"Natürlich mag er dich! Du bist seine Tochter und noch dazu ein wundervoller Mensch, er muss dich mögen!"
"Aww Katie, du bist so süß, danke dir!"
"Ach Papperlapapp, wenn es doch stimmt."
Lachend erzähle ich ihr weiter von der ersten Begegnung mit meinem Vater, und Katie kann sich nur schwer zusammenreißen um nicht vor Freude loszuheulen.
"Ich würde ihn so gerne kennenlernen!"
Da höre ich im Hintergrund plötzlich Dave, der Katie irgendetwas unverständliches sagt, dann meldet sich meine beste Freundin wieder.
"Sorry Mel, aber es ist wirklich spät und Dave will jetzt ins Bett gehen. Sam schläft in letzter Zeit unruhig, wir müssen nachts immer wieder aufstehen wegen ihm."
"Kein Problem, geht ihr ruhig schlafen. Wenn ich morgen von meinem nächsten Treffen mit meinem Vater wiederkomme, können wir ja nochmal telefonieren."
"Auf jeden Fall! Bis dann."
"Bis morgen Katie."
Damit legt meine beste Freundin auf und ich lege das Handy zum aufladen in die Küche, danach gehe ich leise wieder nach oben. Jim liegt noch immer im Bett, auf dem Bauch, die Arme weit von sich gestreckt und das Gesicht in seinem Kissen vergraben, döst er leise schnaufend vor sich hin.
Vorsichtig krabbele ich zu ihm aufs Bett und beuge mich lächelnd über ihn, woraufhin er leise seufzt. Sanft küsse ich seinen Nacken und lege mich halb auf, halb neben ihm hin.
"Morgen", murmelt er ins Kissen, öffnet aber blinzelnd die Augen. Er dreht den Kopf zu mir und schmunzelt leicht.
"Wo warst du?"
"Hab mit Katie telefoniert", antworte ich und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.
"Achso."
Er zieht mich mit einem Arm an sich und wickelt uns gemeinsam in die Decke, sodass wohlige Wärme uns beide umgibt.
"Bist du so müde?", frage ich grinsend und er schaut mich mit halb geschlossenen Augen an.
"Sie haben mich gestern Abend ziemlich geschafft, Melody Moriarty."
Lachend schmiege ich mich an ihn.
"Ich dachte, ich heiße Smith?"
"Für mich wirst du immer Moriarty bleiben", antwortet er leise und küsst mich sanft auf die Lippen. Ein angenehmes, warmes Gefühl durchströmt mich bei diesen Worten und ich gebe ihm einen Kuss auf die Nasenspitze.
"Danke dass du da bist", flüstere ich und Jim lächelt mit geschlossenen Augen zurück.
"Was dagegen wenn wir den Tag im Bett verbringen Honey?"
"Nein, überhaupt nicht."
Zufrieden grummelnd kuschelt Jim sich an mich und auch ich döse wieder ein.
~~~
Sam am Sonntag zu treffen ist viel einfacher als noch zwei Tage davor, denn nun weiß ich was mich erwartet. Allerdings bin ich dennoch aufgeregt, denn ich lasse Jim dieses Mal zu Hause und fahre alleine zu meinem Vater.
Mein Vater. Es hört sich noch immer komisch an das zu denken und zu sagen. Ich wünschte meine Mutter würde noch leben und ihn wiedersehen. Das wäre mega schön.
Jim ist nicht unbedingt so froh alleine zu Hause zu sein, aber er protestiert nicht wirklich als ich mich dann aufmache. Ich schnappe mir die Autoschlüssel sowie meine Jacke von der Garderobe.
"Komm aber nicht zu spät wieder", bittet er mich noch an der Haustür und ich schaue ihn grinsend an.
"Keine Sorge, ich lasse dich nicht zu lange alleine."
Mit einem letzten Kuss auf die Lippen verabschiede ich mich von ihm und er schaut mir noch hinterher.
"Tschüß Honey."
"Ciao Jim!"
Gut gelaunt schließe ich das Auto auf, lasse mich hinters Lenkrad auf den Sitz fallen und starte den Motor. Wann bin ich das letzte Mal mit so guter Laune in einem Auto gewesen? Vielleicht als ich Jim vor dem Flughafen geküsst habe.
Die Fahrt dauert nicht allzu lange, doch dieses Mal bekomme ich keinen Parkplatz vor Sams Haustür, sondern etwas weiter die Straße runter. Der kleine Fußweg wird mich nicht umbringen.
Kaum habe ich bei meinem Vater geklingelt, geht auch schon die Tür auf und Sam lächelt mich erfreut an. Heute hat er ein etwas farbenfroheres Hemd an, in dunkelrot mit hellen Streifen drauf.
"Und ich hab mich schon gefragt wann du kommst", meint er lachend und ich nehme ihn zur Begrüßung kurz in den Arm.
"Wieso, bin ich etwa zu spät?"
"Nein."
Im Flur ziehe ich mir Schuhe und Jacke aus, dann folge ich meinem Vater ins Wohnzimmer, wo er schon Tee und Kekse bereitgestellt hat.
"Ich hoffe du magst sie, ist recht selten dass ich Besuch habe."
Wir setzen uns hin wie am Freitag, aber dieses Mal mache ich es mir gemütlicher.
"Kein Problem, Jim und ich bekommen auch selten Besuch", antworte ich grinsend und nehme mir einen Keks vom Teller.
"Die sind übrigens gut."
"Dann bin ich ja beruhigt. Wie geht es dir?", erkundigt sich Sam und nimmt sich ebenfalls einen Keks. So beginnen wir eine angenehme Unterhaltung, bevor wir wieder ins erzählen reinkommen, denn Sam weiß längst nicht alles von mir, und ich nicht alles von ihm.
"Ich hätte da mal eine Frage", fängt er etwas verlegen an und dreht seine Teetasse in beiden Händen.
"Hat... Rachel nochmal eine Beziehung gehabt?"
Mit einem unguten Gefühl im Magen stelle ich meine Tasse wieder auf den Couchtisch zum Keksteller und atme tief durch. Mein Stiefvater ist noch immer eine äußerst unangenehme Episode in meinem bisherigen Leben.
"Ja, das hat sie. Er hieß Barry, und sie haben sogar geheiratet. Ziemlich überstürzt wenn du mich fragst."
"Hat er euch gut behandelt?"
Unwillkürlich spannt sich Sam an, als er mein Zögern sieht.
"Nein, hat er nicht", antworte ich schließlich leise und Sams Miene verdunkelt sich.
"Was ist passiert?"
Seine Stimme klingt fest, aber angespannt und lässt keinerlei Ausflüchte zu. Er will die Wahrheit wissen, aber ich weiß nicht, ob ich sie ihm erzählen kann. Nachdem wir uns erst seit zwei Tagen kennen.
"Er war... eigentlich ein netter Kerl, irgendwie. Hat meine Mutter zum lachen gebracht. Aber nach der Hochzeit... wurde er anders. Er trank, spielte und schien plötzlich auch eine Art Interesse an mir zu haben. Als wir auch noch rausfanden, dass er Unmengen an Schulden mit sich brachte, war es schon zu spät. Ich war sechzehn als er sturzbetrunken beschlossen hat mich... zu verkaufen um an Geld zu kommen."
Unsicher schaue ich Sam an, doch dieser sagt keinen Ton. Er starrt mich nur an, die Teetasse in seiner Hand so fest umklammernd, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten.
"Naja, er hat es nicht geschafft, dafür aber meiner Mum den Arm gebrochen. Ich bin abgehauen und zur Kirche gerannt, denn dort wäre er nie hingekommen."
Ich breche mit einem Schlucken ab und Sam atmet tief durch.
"Dieser Mistkerl, wenn ich den in die Finger bekomme, dann kann der was erleben!"
Mit einem etwas lauteren Knallen stellt er seine Teetasse hin und ich schaue ihn traurig lächelnd an.
"Wenn das der einzige Mistkerl wäre, der sowas verdient hat...", murmele ich und Sam stockt.
"Willst du etwa sagen dass es da noch mehr gibt?"
"Ja, durchaus. Weißt du, ich habe das bisher nur... zweieinhalb Leuten erzählt, und ich bin mir unsicher ob ich es dir auch erzählen soll. Ich will nicht dass du falsch von mir denkst, oder unser Kennenlernen irgendwie... beeinflusst wird."
Aber trotzdem muss ich es ihm erzählen, es wäre ungut unsere Vater-Tochter-Beziehung sofort mit einer Lüge oder einem Verschweigen dieser Art zu beginnen.
"Warum sollte ich falsch von dir denken?", holt Sam mich aus meinen Grübeleien und ich atme tief durch.
"Weil ich ein paar Dinge falsch gemacht habe."
Damit erzähle ich ihm von der Kirche, dem Priester, den Jungen an meiner Schule, unserem Umzug, meiner Angst, wie ich Katie kennenlernte, von Mums Tod, den Drogen und schlussendlich davon, wie Jim mir geholfen hat. Ich lasse nichts aus, außer Jims Beruf und die andere Seite seiner Person, die Sam hoffentlich niemals kennenlernen wird.
"Die Verbindung zwischen Jim und mir ist eine besondere, er war der erste Mann, dem ich wieder so vertrauen konnte."
Erwartungsvoll, aber auch nervös schaue ich meinen Vater an, der mit ernstem Gesicht auf seinem Sessel sitzt und mich ansieht. Er hat noch kein Wort dazu gesagt, noch nicht darauf reagiert und sich auch sonst nicht bewegt. Dann bricht er das Schweigen.
"Ich hätte da sein sollen", sagt er leise und ich erkenne Schmerz in seiner Stimme. Betroffen beobachte ich, wie er die Augen schließt und tief durchatmet.
"Ich hätte stärker versuchen sollen, euch zu finden, dann wäre das alles nicht passiert."
"Sam..."
"Ich hätte all das verhindern können! Du hättest eine glückliche Kindheit gehabt, einen Vater, und wärest niemals mit solch abscheulichen Dingen konfrontiert worden!", unterbricht dieser mich lauter werdend und steht ruckartig auf.
Aufgebracht und durcheinander rauft er sich die Haare, da stehe ich auch auf, gehe zu ihm und nehme ihn in den Arm.
"Vater sein überfordert", murmele ich nach einer Weile und atme den fremden Geruch meines Vaters ein.
"Das kannst du laut sagen", antwortet er gedämpft und schiebt mich sanft von sich.
"Aber es macht mich stolz, zu sehen dass du trotzdem zu so einer schönen, klugen jungen Frau geworden bist. Und auch, dass du jemanden gefunden hast, der dich liebt und den du liebst."
Er lächelt schwach.
"Außerdem bist du doch jetzt für mich da, und darum bin ich froh. Es ist toll nach all der Zeit doch wieder etwas Familie zu haben."
Damit nehme ich ihn erneut in den Arm und Sam seufzt leise.
"Wenigstens etwas."
Danach setzen wir uns wieder hin und sprechen über wesentlich erfreulichere Dinge, bis irgendwann mein Handy klingelt. Es ist eine Nachricht von Jim.
Jim: Honey, ich will ja nicht quengeln, aber ich vermisse dich :(
Jim: Außerdem habe ich Hunger. FÜTTERE MICH!
Mit einem Lachen bemerke ich die Doctor Who Anspielung und stecke das Handy kopfschüttelnd wieder weg.
"Sorry Sam, aber mein Ehemann braucht mich zu Hause, sonst verhungert er mir noch", teile ich meinem Vater grinsend mit und er lacht auch.
"Na dann beeil dich lieber, sonst fällt noch über dich her sobald zu zu Hause bist."
Er zwinkert mir zu und ich erröte kichernd.
"Wenn du meinst. Wollen wir uns nächste Woche wieder treffen?"
"Klar. Wann hast du denn Zeit, so jobmäßig?"
"Leider nur am Wochenende."
Sam begleitet mich in den Flur zu meinen Sachen und ich ziehe mir meine Schuhe wieder an.
"Dann halt nächsten Samstag", schlägt Sam vor und hält mir meine Jacke hin, damit ich sie mir nehmen kann.
"In Ordnung. Übrigens, hast du ein Handy?"
"Ne, ich hab nie eins gebraucht, aber ich hab ein Telefon."
Schnell schreibt er mir noch seine Nummer auf einen Zettel und gibt mir diesen.
"Danke, dann bis Samstag!"
Ich schlüpfe in meine Jacke, nehme Sam zum Abschied in den Arm und verlasse dann seine Wohnung. Mein Vater schaut mir noch hinterher während ich den Weg zum Auto entlanggehe, dann höre ich wie er die Tür schließt.
Obwohl wir heute über ein recht unerfreuliches Thema gesprochen haben, fühle ich mich gut und bin glücklich, meinen Vater heute getroffen zu haben.
~~~
Sorry dass das Update so 'spät' kommt, hatte nicht so viel Zeit XD
Und am Samstag wird das Kapitel entweder sehr früh, oder so wie heute kommen, je nachdem wann ich es schaffe. Ich bin nämlich den Tag über in Bonn unterwegs, falls da einer auch ist kann er/sie sich ja melden xD
Bye! :3
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