2. Nacht bei Seb
Mitten in der Nacht wache ich durch ein Geräusch auf und drehe mich schlaftrunken von der Seite auf den Rücken. Da kommen leise Schritte in den Raum und dann senkt sich die Matratze als jemand zu mir ins Bett krabbelt. Kurz darauf dringt der vertraute Geruch zu mir und dieser Jemand legt sich neben mich.
"Jim", murmele ich und kuschele mich enger an ihn, dabei merke ich wie kalt er ist. Mit einer Bewegung ziehe ich meine Decke auch über ihn und er legt einen Arm um mich.
"Bist du also nicht mehr sauer auf mich?", flüstert er und ich seufze.
"Halt die Klappe und schlaf ein", grummele ich und kuschele mich an ihn. Ich kann sein Grinsen spüren als er mir einen Kuss auf die Stirn gibt, dann schlafe ich auch schon wieder ein.
~~~
Am nächsten Morgen werde ich vom Piepen meines Weckers geweckt, den ich mit einem ausgestreckten Arm zum Schweigen bringe. Jim liegt noch immer neben mir und wird nun langsam auch wach.
"Guten Morgen", begrüße ich ihn und er streckt sich einmal gähnend.
"Morgen Honey", murmelt er zurück und lässt gleich darauf ein trockenes Husten hören.
"Huch, hast du dich etwa erkältet?", frage ich nach und erinnere mich gleichzeitig daran wie kalt Jim war als er ins Bett gekommen ist.
"Nein", antwortet Jim und hustet prompt erneut. Ich ziehe eine Augenbraue nach oben und stehe auf um mich für die Arbeit fertig zu machen.
"Wenn du das sagst."
Mit diesen Worten gehe ich nach unten um mich zu duschen während Jim ebenfalls langsam aufsteht.
Die Dusche lässt mich vollständig aufwachen und ich komme kurze Zeit später in die Küche um mir einen Tee zu machen. Dort treffe ich auf Jim, der gerade einer Tablette zusieht wie sie sich sprudelnd in einem Glas Wasser auflöst. Er sieht wie gerädert aus, und ein Blick auf die Verpackung der Tabletten sagt mir, dass er gerade etwas gegen Kopfschmerzen nimmt. Außerdem hat er noch immer ein blaues Auge aber die Platzwunde an seiner Augenbraue sieht schon besser aus.
"Du bist krank. Willst du nicht lieber zu Hause bleiben?", frage ich besorgt, doch Jim schüttelt den Kopf und trinkt das Glas aus.
"Nein."
Jetzt klingt er schon fast wie ein trotziges Kind und ich verdrehe die Augen. Dann verschwindet mein Mann im Bad und ich mache mir meinen Tee.
Wenig später kommt Jim wieder, in einen dunkelgrauen Anzug gekleidet und bindet sich gerade die Krawatte. Er tut so als ginge es ihm super, aber ich sehe wie er sich einige der Kopfschmerz-Tabletten einpackt.
"Tschüß Honey", verabschiedet er sich schließlich und gibt mir einen Abschiedskuss.
"Tschüß Jim, bis heute Abend."
Er lächelt, dann geht er aus dem Haus und zu Sebastian, der bereits mit einem Auto an der Straße wartet. Ich winke dem Sniper noch kurz zu, dann schließe ich die Haustür und setze mich noch kurz ins Wohnzimmer aufs Sofa bis ich zum Bus gehen muss.
~~~
Am späten Nachmittag gehe ich von der Bushaltestelle die Straßen entlang nach Hause. Die Luft ist kalt und mein Atem ist in Wolken vor meinem Gesicht zu sehen, der Winter ist definitiv schon da, und in einem knappen Monat steht Weihnachten vor der Tür. Dann hat Jim die ganze Woche von Heiligabend bis Silvester frei.
Doch nun bin ich mal gespannt ob Jim zu Hause ist oder nicht, und falls ja, ob er krank ist oder so tut als ginge es ihm gut.
Doch schon als ich in unsere Straße einbiege sehe ich dass die Einfahrt leer ist und seufze innerlich. Schade, dann halt kein lustiger Jim nach der Arbeit.
Müde lasse ich meinen Rucksack an den Fuß der Treppe fallen und ziehe mir meine Jacke aus. Da klingelt mein Handy, ich hole es aus meinem Rucksack und schaue auf das Display, dann nehme ich das Gespräch an.
"Hallo Katie!", begrüße ich meine beste Freundin fröhlich und gehe währenddessen ins Wohnzimmer, wo ich mich auf das Sofa setze.
"Hey Melly! Lang nicht gesprochen."
"Naja, eine Woche ist jetzt nicht so lange, aber ich freue mich dich wiederzuhören."
"Ich mich auch! Wie geht's dir?"
"Super! Ich bin gerade von der Arbeit zurück und warte auf Jim. Und wie geht es euch?"
"Ganz gut, Sam hatte letztens eine Erkältung, aber mittlerweile ist er schon wieder munter."
"Oh. Ich hoffe er hat euch nicht angesteckt."
"Nein, keine Sorge, wir sind noch fit."
"Na, wenigstens das. Jim kränkelt ein wenig, will es aber nicht zugeben. Jedenfalls, weswegen rufst du an, oder willst du nur plaudern?"
"Naja, ich wollte nur hören wie es dir geht, und ein bisschen reden. Dave und Sam sind gerade beim Kinderarzt, eine Routine-Untersuchung."
"Ach so, na dann."
Wir reden noch eine ganze Weile, und zwar solange bis Katies Telefon droht den Geist aufzugeben, erst dann hören wir auf. Aber nicht ohne uns zu einem nächsten Gespräch zu verabreden.
Ich stecke mein Handy weg und gehe dann in die Küche um etwas zu Essen vorzubereiten. Aus Erfahrung weiß ich dass Jims Laune immer besser ist wenn er nach Hause kommt und ich gekocht habe, außerdem habe ich selbst Hunger.
Doch eine halbe Stunde später höre ich wie ein Schlüssel im Schloss der Haustür gedreht wird und Jim hereinkommt.
"Melody!", ruft er sofort und ich höre dass er nicht besonders gut gelaunt ist. Ich gehe auf den Flur hinaus und will Jim gerade begrüßen, doch er hebt die Hand und unterbricht mich. Seine Haare sind noch immer nach hinten gegelt und sein dunkelgrauer Anzug sitzt perfekt.
"Bevor du etwas sagst, ich habe keinen Nerv für diese Hey-Honey-Geschichte, ich muss dringend noch etwas erledigen. Und dafür brauche ich absolute Ruhe."
Er geht ohne ein weiteres Wort die Treppe nach oben und lässt mich einfach hier im Flur stehen. Geknickt lasse ich die Schultern hängen.
"Dann also wieder eine Nacht bei Seb", murmele ich niedergeschlagen und prompt kommt ein Ruf von oben.
"Ich habe doch gesagt, ich brauche absolute Ruhe!"
Fast möchte ich etwas erwidern, aber ich halte mich zurück. Wenn Jim so drauf ist, riskiere ich mit Widerworten dass er sehr wütend wird. Ich mag es überhaupt nicht wenn das passiert, aber es kommt schonmal vor dass Jim keinen guten Tag hatte. Nur manchmal schaffe ich es seine Laune zu verbessern, aber heute lässt er mir keine Chance dazu.
So leise wie es geht nehme ich meinen Rucksack, meinen Mantel und mein Handy, dann gehe ich aus dem Haus. In der Einfahrt ziehe ich mir meinen Mantel über und rufe eine ganz bestimmte Person an.
"Hallo?"
"Hi Seb."
"Ach du bist's. Ich hatte schon überlegt ob ich dich anrufen und vorwarnen soll. Hat er dich also rausgeschmissen?"
"Dreimal darfst du raten. Dieses Mal durfte ich ihm nichtmal Hallo sagen. Holst du mich ab?"
"Klar, in 'ner Viertelstunde bin ich bei dir. An der Bushaltestelle, wie immer."
"Danke Seb."
Damit legt er auf und ich stecke mein Handy in die Manteltasche, dann mache ich mich auf zu der besagten Bushaltestelle.
Schon beim ersten Mal als es vorkam, dass Jim so drauf war, habe ich eine Tasche mit meinen Sachen bei Sebastian gelassen damit ich etwas zum anziehen habe. Auch wenn ich versuche es zu akzeptieren und das Gefühl wegzuschieben, es tut mir jedes Mal weh wenn Jim mich so behandelt. Manchmal verstehe ich nicht mal warum ich das mit mir machen lasse. Wahrscheinlich liebe ich ihn zu sehr. Außerdem sind seine Entschuldigungen immer besonders liebevoll und aufrichtig. Mal bleibt er nur still bei mir und wir kuscheln auf dem Sofa vorm Fernseher, mal führt er mich zum Essen aus oder macht andere Sachen für mich, sodass ich gar nicht anders kann als ihm zu verzeihen.
Doch davor tut es weh.
Leise seufzend bleibe ich schließlich an der Bushaltestelle stehen und warte auf Sebastian.
Kurze Zeit später fährt er vor, in einem älteren roten Auto, mit braunen Ledersitzen und sorgfältig geputzten Armaturen. Seb liebt dieses Auto, aber ich habe keine Ahnung warum.
"Brauchen Sie eine Mitfahrgelegenheit?", fragt er grinsend und ich lächle während ich die Beifahrertür öffne.
"Lass den Quatsch Seb."
"Die Dame scheint heute ja mal gar nicht gut drauf zu sein", neckt er mich während er losfährt und ich schüttele den Kopf.
"Das kannst du laut sagen. Aber egal, wie geht es dir? Du wirkst sehr zufrieden."
"Bin ich auch. Ich war letztens in einem Club und habe jemanden kennengelernt."
Ich hebe beide Augenbrauen und schaue ihn an.
"Mann oder Frau?"
"Ein Mann. Ein verdammt heißer Mann."
Er grinst mich an und ich muss lachen.
"Das freut mich für dich. Wie heißt er denn?"
"Stan. Wir haben Nummern ausgetauscht und schonmal geschrieben, aber sonst nichts."
Er gibt vor einer orangenen Ampel plötzlich Gas und schafft es noch gerade so über die Kreuzung bevor uns das rote Ampellicht hinterherleuchtet.
"Hört sich doch super an", meine ich und bin innerlich ein wenig erleichtert. Stan wird ihm helfen über Jim hinwegzukommen, solange er kein One-Night-Stand ist.
"Ach ja, ein kleines Problem gibt es noch wegen heute Abend", fängt Seb an und ich schaue ihn wieder an.
"Das Hotel bei mir um die Ecke ist voll, da findet wohl irgendeine Feier oder sowas statt. Das heißt du musst bei mir schlafen."
Er dreht kurz den Kopf und schaut mich prüfend an, und ich nicke.
"Das geht schon. Jim will das ja sowieso eigentlich."
Ich lächle kurz und Seb wirkt beruhigt, aber innerlich ist mir gar nicht zum Lächeln zumute.
"Weißt du warum Jim dieses Mal so drauf ist?", frage ich nach einer Weile leise und schaue nachdenklich aus dem Fenster.
"Ehrlich gesagt nicht wirklich, aber ich glaube ich habe eine Ahnung. Momentan scheinen ein paar seiner Aufträge nicht so wie geplant zu verlaufen und das regt ihn auf. Aber mit dir hat das nichts zu tun."
"Mhm. Ich warte immernoch auf den Tag an dem er mir sagt dass er mich nicht mehr braucht", murmele ich niedergeschlagen, da protestiert Seb entrüstet.
"Soll das ein Witz sein? Der würde sich eher selbst umbringen als dich zu verlieren."
Kurz überlegt er, dann räuspert er sich.
"Weißt du noch als du das eine Mal so sauer warst dass du ihn rausgeschmissen hast?"
"Ja."
Tatsächlich erinnere ich mich, und auch noch an den Grund weswegen ich ihn rausgeschmissen habe. Damals war sein Verhalten aber auch echt daneben.
"Er hat die Nacht bei mir verbracht und sich die ganze Zeit gefragt wie er sich wieder bei dir entschuldigen kann. Genaugenommen hat er kaum geschlafen deswegen. Er hat mich sogar gefragt was er machen könnte, und er sah vollkommen verzweifelt aus. Nichts ist für ihn so schlimm wie die Möglichkeit dich zu verlieren."
Eine Weile lang schweigen wir und es ist nur das Brummen des Motors zu hören, dann nicke ich.
"Danke Seb."
Schließlich halten wir in der Straße wo Seb wohnt und steigen aus, um danach hoch zu Sebs Wohnung zu gehen. Ich kenne Sebs Behausung schon recht gut, obwohl ich nicht oft hier war. Da gibt es aber nicht viel zu sehen: eine kleine Küche, ein Bad, zwei Schlafzimmer und ein kleines Wohnzimmer. Ich brauche nicht viel, es muss nur zum leben reichen. So hat Seb mir seine Wohnung erklärt.
"Ich bin müde Seb, ich geh ins Bett", informiere ich ihn und er nickt.
"Gute Nacht."
Mit einem kleinen Lächeln gehe ich in das Gästezimmer und schließe die Tür hinter mir. Was Jim wohl gerade macht?
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