1. Ein Fremder

Das Leben ist nicht einfach. Das musste ich schon früh und oft feststellen, vorallem während der letzten zweieinhalb Jahre. Denn damals lernte ich Jim kennen, den einzigen Consulting Criminal der Welt und gleichzeitig auch der gefährlichste Mann von ganz London. Naja, das wusste ich aber erst viel später.
Wie sich herausstellte ist er ein Psychopath, und das macht das Zusammenleben mit ihm manchmal etwas kompliziert, auch nachdem ich nun mehr als zwei Jahre mit ihm zusammen bin und ihn sogar geheiratet habe. Obwohl ich die Befürchtung hatte, dass ich irgendwann langweilig für ihn sein würde. Doch zum Glück ist dies nicht der Fall.
Es ist allerdings manchmal echt anstrengend mit Jim und das muss ich erneut feststellen als ich eines Abends von der Arbeit nach Hause komme.
Ich schließe die Haustür auf und trete ein, doch schnell merke ich dass etwas komisch ist. Jims Mantel ist zwar da, aber er liegt am Boden und es scheint als wäre irgendjemand darübergelaufen.
Vorsichtig komme ich herein und schließe leise die Tür, dann gehe ich langsam in den Flur.
"Jim?", rufe ich leise, da höre ich von oben einige Geräusche die mich zusammenzucken lassen. Es klingt so als würde zwei Menschen kämpfen und es ist nun auch ein schmerzvolles Stöhnen zu hören. Gerade will ich zur Treppe und nach oben laufen, als plötzlich ein erstickter Schrei ertönt und etwas mit lautem Poltern die Treppe herunterstürzt. Ich kann einen erschrockenen Aufschrei nicht zurückhalten und zucke zusammen. Unwillkürlich fürchte ich dass es Jim ist, der nun regungslos am Fuß der Treppe liegt, aber da kommt er die Treppe herunter und stoppt als er mich entdeckt.
"Oh, Honey..."
Unsicher streicht er sich durch seine schwarzen Haare und schaut mich an. Sein Anzug ist zerknittert und er atmet schwer, doch er ist offensichtlich noch lebendig.
"Ähm, tut mir leid dass du das hier mitbekommen musst", meint er und geht die Treppe herunter.
Nachdem ich den ersten Schreck überwunden habe komme ich ihm entgegen, knie mich aber neben den Mann hin und drehe ihn auf den Rücken. Von einer Platzwunde an seiner Schläfe rinnt Blut herunter und seine Unterlippe ist aufgeplatzt. Vorsichtig fühle ich seinen Puls und atme erleichtert auf.
"Er lebt noch", meine ich und richte mich wieder auf.
"Ich auch, danke der Nachfrage."
Jim klingt ein bisschen beleidigt und ich drehe mich zu ihm herum. Nun sehe ich, dass auch Jim ein paar Verletzungen davongetragen hat: eine blutende Nase und eine kleine Wunde an der Augenbraue, außerdem verfärbt sich sein Auge schon ein wenig blau.
"Er ist eine Treppe hinunter gestürzt, während du hier seelenruhig stehst und immerhin noch bei Bewusstsein bist", antworte ich und er hört meine Anspannung.
"Wie gesagt, es tut mir leid", meint er und kommt zu mir, ans Ende der Treppe.
"Das solltest du nicht mir sagen, sondern ihm."
"Was kann ich dafür wenn er mir bis hierher folgt und versucht mich mitzunehmen?"
Entrüstet bleibt Jim vor mir stehen und runzelt leicht die Stirn.
"Außerdem, warum kümmerst du dich zuerst um einen Fremden anstatt um deinen Ehemann?"
Nun zieht er einen Schmollmund und ich muss schmunzeln.
"Na schön. Armer Jim."
Ich tätschele ihm den Kopf und er verdreht die Augen.
"Na komm, wir kümmern uns um deine Wunden", meine ich lachend zu ihm und nehme seine Hand um ihn in die Küche zu ziehen. Dass Jim jemanden verprügelt kommt schon mal vor, denn meistens hat dieser Jemand versucht ihm oder mir zu schaden. Nur ganz ganz selten macht Jim das ohne Grund. Und wenn das passiert, verbringe ich die Nacht nicht zu Hause, sondern 'bei Sebastian', was allerdings heißt dass ich mir ein Hotelzimmer nehme. Jim will eigentlich dass ich, wenn ich schon nicht zu Hause schlafe, wenigstens bei Seb bin, aber Seb und ich haben entschieden mir dann ein Hotelzimmer zu buchen.
In der Küche ziehe ich erstmal meinen Mantel aus, dann hole ich ein Kühlpack und wickele es in ein Handtuch um es Jim zu geben. Er hält es an sein Auge und ich kümmere mich derweil um seine blutende Nase.
"Wer ist der Typ eigentlich?", erkundige ich mich und Jim zuckt mit den Schultern.
"Keine Ahnung, aber soweit ich weiß arbeitet er alleine. Kannst du Seb sagen dass er vorbeikommen soll?"
"Klar", antworte ich, aber innerlich zucke ich zusammen. Ich habe noch immer ein schlechtes Gewissen weil Sebastian in Jim verliebt war, oder ist, und ich ihm gezeigt habe dass Jim an Männern nicht interessiert ist. Seb hasst mich zwar nicht dafür, aber ich fühle mich dennoch unwohl wenn ich daran denke. Obwohl das schon fast ein Jahr her ist.
Ich nehme mein Handy und schreibe Sebastian eine SMS, in der ich ihm mitteile dass er herkommen soll und dass es einen Typen gibt bei dem wir Hilfe brauchen.
"Ist erledigt."
Damit stecke ich mein Handy wieder ein und kümmere mich weiter um Jim, bis dieser meint dass es genug ist.
"Wie sähe das denn aus wenn Seb kommt und du umsorgst mich wie meine Mutter", scherzt er und ich boxe ihn leicht auf den Oberarm. Doch anscheinend hat er genau da auch eine Verletzung, denn er zieht zischend die Luft ein.
"Autsch."
"Oh, tut mir leid."
Ich gebe ihm als Entschuldigung einen Kuss, während dem Jim mich enger zu sich zieht.
"Danke Mel", murmelt er leise und ich lächle sanft.
"Immer wieder gerne."
Dann küsse ich ihn erneut, darauf achtend ihn nicht zu verletzen.
Als wir uns wieder lösen seufzt Jim und lehnt seine Stirn gegen meine. Schließlich schaut er mich liebevoll an, doch dann lässt er mich los und geht aus der Küche in den Flur zu dem bewusstlosen Mann.
"Was habt ihr jetzt mit ihm vor?", erkundige ich mich während Jim mit schief gelegten Kopf den Mann mustert.
"Wir werden versuchen herauszufinden was er hier wollte, warum er das wollte und vorallem wer er ist."
Nun breitet sich ein ungutes Gefühl in mir aus und ich verziehe leicht das Gesicht.
"Ich nehme an das werdet ihr nicht mit gründlichen Recherchen machen, oder?"
Grinsend dreht Jim sich zu mir um.
"Nein Honey, das werden wir tatsächlich nicht. Bei dem Burschen brauchen wir härtere Methoden."
"Aber das macht ihr nicht hier", entscheide ich und verschränke die Arme vor der Brust, denn ich weiß was jetzt kommt.
"Melody, ich mache das hier schon fast mein halbes Leben lang, da wirst du nichts dran ändern."
Jim spricht in einem seltsamen Singsang und ich verdrehe die Augen. Mittlerweile kann er mich nicht mehr damit einschüchtern. Noch vor einem Jahr bin ich immer auf der Hut gewesen wenn er so angefangen hat, aber jetzt weiß ich wie ich mit ihm umgehen kann.
"Das will ich ja nicht, ich sage nur dass ihr eure Tour nicht hier abziehen werdet."
Wenn Jim nur so reagiert, muss ich nur ein wenig energisch sein, dann gibt er meistens nach. Denn dann ist es ihn nicht ganz so ernst und er will mich nur provozieren oder ein bisschen 'spielen', wie er es nennt.
"Honey, willst du etwa dass ich die ganze Nacht wegbleibe?", mault er und ich runzele die Stirn.
"Jim, ich will nicht dass du einen Mann in unserem Keller verprügelst oder sogar umbringst! Ich akzeptiere viel, aber das nicht. Mach das woanders, wenn du es schon machen musst."
Da wird Jims Miene wieder normal und er senkt den Blick während er auf mich zukommt.
"Ich vergesse immer wieder dass du das nicht gewohnt bist und... dass unsere Beziehung ziemlich stark von meinem Verhalten abhängt."
Er sieht mir wieder in die Augen und ich nicke.
"Genau, du hast es erfasst."
"Seit wann denn so kühl?", fragt er neckend, doch ich lächle nicht.
"Ich habe ein gutes Vorbild", sage ich leise und gehe an Jim vorbei in Richtung Bad.
Es ist mir bewusst dass Jim keine Ahnung hat was jetzt gerade mit mir los ist, aber ich werde es ihm auch nicht erklären. Das Geheimnis von Sebastian liegt auf mir wie eine schwere Last, aber ich kann sie nicht ablegen, denn Seb muss das seinem Freund selbst sagen.
Außerdem erinnert mich dieser Vorfall mit dem unbekannten Mann wieder an meine Entführung und die Folter, an die ich ungern denke. Klar bin ich da ein wenig seltsam.
Mit einem leisen Seufzen stütze ich mich auf den Beckenrand des Waschbeckens und schaue in den Spiegel. Wenn ich mein jetziges Spiegelbild mit dem vor zweieinhalb Jahren vergleiche, fallen mir gefühlt hunderte Unterschiede auf. Meine braunen Haare sind gepflegt und leicht gewellt, außerdem war ich erst vor Kurzem beim Friseur. Genau wie den Rest meines Lebens benutze ich noch immer kein Make-Up oder ähnliches, außer vielleicht einen Lippenpflegestift. Meine grünen Augen sind klar und nicht durch Trauer oder Drogen getrübt, und ich bin besser genährt als damals. Mir geht es viel besser seit ich Jim kenne. Allerdings werde ich immer mehr so wie er, zwar nicht zum Psychopathen, aber ich stumpfe langsam Gewalt gegenüber ab. Das Training mit Sebastian und Jim, Jims Arbeit und die Leute die manchmal etwas von uns wollen. Und ich glaube noch immer dass ich verrückt bin weil ich bei Jim geblieben bin, doch ich liebe ihn.
Da klopft es sacht an der Tür und ich schrecke hoch aus meinen Gedanken.
"Mel?", fragt Jim sanft und seine Stimme ist durch die Tür gedämpft.
"Ja?"
"Seb und ich sind jetzt weg... ich wollte dir nur Bescheid sagen. Es könnte länger dauern."
"Kein Problem."
Gelogen, natürlich ist es ein Problem. Das Wissen dass Jim jemanden foltern wird um Informationen zu bekommen bedrückt mich, aber ich kann nichts dagegen tun. Und ich will es auch nicht wirklich.
Es hört sich so an als wolle Jim noch etwas sagen, doch er schweigt und geht schließlich weg. Kurze Zeit später höre ich die Haustür und atme erleichtert durch. Der Unbekannte ist fort und Jim hat nicht weiter nachgehakt was mit mir los ist. Das ist doch ein Erfolg.
Ich komme wieder aus dem Bad und gehe in die Küche um mir etwas zu Essen zu machen, da bemerke ich einen Zettel auf der Ablage.

Ich hoffe du bist mir nicht allzu lange böse Honey. Im Kühlschrank habe ich dir was hingestellt, sieh das als Friedensangebot. Ich liebe dich.

Ach Jim.
Ich öffne den Kühlschrank und entdecke einen großen Teller Tiramisu, der offensichtlich von meinem Lieblings-Italiener stammt. Ich liebe dieses Tiramisu einfach nur, und Jim weiß das.
Mit einem Lächeln schaue ich noch einmal auf die Notiz. Er kann so lieb sein wenn er sich entschuldigen will, auch wenn er nicht mal weiß was er gemacht hat.

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