19. Wut, Vergeltung und Mord
Ich stehe vor der Kirche und schaue mit in den Nacken gelegten Kopf hinauf zur Spitze des Kirchturms. Die alte Uhr zeigt viertel vor sechs, aber sie ist bereits seit Jahren kaputt. Mein Blick schweift wieder nach unten und zu dem Seiteneingang der Kirche, durch den ich gehen werde. Doch noch stehe ich hier, im Schatten einer Gasse, und beobachte nur. Ich weiß genau was ich tun werde, ich habe lange für diesen Tag recherchiert und geplant, aber ich lasse mir Zeit. Hektik macht die meisten Fehler.
Die Straßen sind menschenleer, keiner ist mehr unterwegs und die Nacht bricht langsam über die Stadt herein. Mit einer Bewegung streife ich mir die Kapuze meiner Jacke über und überquere die Straße bis zum Seiteneingang. Kurz lausche ich auf eventuelle Schritte oder sonstige Geräusche, aber die Umgebung bleibt still. Aus meiner Jackentasche hole ich ein schwarzes Bündel hervor und beginne mit einem Dietrich das Türschloss zu knacken, was mich nur wenige Sekunden kostet. Meine behandschuhten Hände öffnen vorsichtig die Tür und ich schlüpfe durch den Spalt ins dunkle Innere des Gotteshauses. Nur wenige Kerzen erhellen den Raum vor dem Altar, doch dahinter kann ich ein Licht in einem der Hinterzimmer erkennen. Leise durchquere ich den weiten, hallenden Raum und bleibe neben der angelehnten Tür zum Hinterzimmer stehen um zu lauschen. Im Innern kann ich leises Gemurmel von einer Person hören, eine Männerstimme, sowie das Rascheln von Papier. Dem Klang der Stimme nach zu urteilen ist der Mann schon älter, so in den späten 50-ern. Leise greife ich nach meiner Pistole hinten im Gürtel und betrete den Raum durch die angelehnte Tür.
Der beleibte Priester sitzt auf einem Stuhl an einem Tisch und sieht einige Papiere durch, noch hat er mich nicht bemerkt. Sofort kocht Wut in mir hoch, denn ich erkenne den Mann von den Fotos wieder. Wegen ihm bin ich hier.
"An ihrer Stelle würde ich jetzt ganz still sein."
Der Priester erschrickt und will aufspringen, doch da ziele ich mit meiner Pistole auf ihn.
"Ein Mucks und ich puste Ihnen ihr mickriges Hirn aus dem Kopf."
Ich deute auf den Stuhl.
"Setzen."
Geschockt folgt der Priester meiner Anweisung und ich schließe die Tür hinter mir zweimal ab. Mit einem angedeuteten Grinsen schaue ich den verängstigten Priester an, die Pistole noch immer auf ihn gerichtet.
"Wir wollen doch nicht dass uns jemand stört."
Mit Genugtuung sehe ich die Angst in den Augen des Mannes und muss mich zurückhalten nicht laut zu lachen. Dann fessele ich den Priester auf seinem Stuhl fest und knebele ihn grob mit einem Tuch, was ich auf einem Regal finde. Dürfte wohl ein Putztuch sein.
Mit einer groben Bewegung schiebe ich den Tisch weg, sodass ich nun ungehindert um den Priester herumgehen kann. Verächtlich mustere ich ihn, und mit jeder Sekunde wächst mein Ekel vor diesem Mann.
Er ist dick, schon fast fettleibig, und seine kleinen Augen beobachten mich voller Angst. Wenn ich daran denke dass er...
Meine Hand ballt sich zur Faust und ich gehe um den Stuhl herum, wohl wissend dass ich dieses Schwein dadurch noch mehr ängstige.
"Erinnern Sie sich noch an Melody? Melody Grand?", frage ich ohne Umschweife und schaue den Mann kalt an, der sich nicht traut auch nur einen Muskel zu rühren. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn und ich kann seine Angst förmlich riechen.
"Ich will eine ANTWORT!", schreie ich und mache einen drohenden Schritt auf ihn zu.
Der Priester zuckt zusammen und beginnt gedämpft zu wimmern während er wie wild nickt. Doch das befriedigt mich keineswegs. Ich hole aus und schlage den Mann ins Gesicht, woraufhin er zurückzuckt und mich entsetzt anschaut. Hasserfüllt starre ich ihn an und beuge mich zu ihm vor.
"Ich weiß was Sie ihr und anderen Mädchen angetan haben, ich weiß was Sie für ein widerwärtiger Mensch sind. Sie haben Melody das Leben zur Hölle gemacht, und genau das ist der Ort wo ich Sie hinschicken werde."
Ein Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus und ich muss ein Kichern unterdrücken. Es ist ungeahnt anstrengend mich im Zaum zu halten, immerhin projiziert sich mein gesamter Hass auf diesen Mann und ich will ihn leiden sehen.
Ich bewege mich von ihm weg und ziehe meine Jacke aus und lege sie auf den Schreibtisch, zusammen mit meiner Pistole und zwei der Messer, die ich mitgenommen habe. Meine Handschuhe ziehe ich nun auch aus und nehme eins der Messer in die Hand. Nachdenklich spiele ich damit während ich den zitternden Priester betrachte.
"So, was mache ich jetzt mit dir."
Ich lege den Kopf schief, lasse den Arm sinken und drehe das Messer weiterhin zwischen den Fingern. Da kommt mir eine Idee und ich gehe auf den gefesselten Mann zu. Dies werden die letzten Stunden seines Lebens sein.
~~~
Mittlerweile ist mein ehemals graues T-shirt blutbeschmiert und von dem Priester kommen nur noch schwache Lebenszeichen. Unruhig gehe ich auf und ab, einerseits zitternd vor Wut und Hass, andererseits erschrocken über mich selbst. Es ist das erste Mal dass ich jemanden vorhabe zu töten weil ich jemanden anderes liebe, und genau diese Mischung macht mich fertig.
Gerade bleibe ich vor dem Mann stehen und hebe das Messer zum letzten Mal, da halte ich inne. Mühsam halte ich mich selbst zurück und überlege was ich hier gerade tue. Allerdings hat er es nicht besser verdient, er hat meine Freundin vergewaltigt und auch noch andere Mädchen! Nichts an ihm weckt meinen Mitleid.
Mit einer ruckartigen Bewegung führe ich das Messer zur Seite und schlitze dem Mann die Kehle auf. Röchelnd schnappt er nach Luft und langsam verschwindet das Leben aus seinen Augen. Ich schaue seinem Todeskampf zu, bis sein Körper erschlafft, seine Augen blicklos werden und kein Geräusch mehr an meine Ohren dringt. Dann nehme ich meine Sachen und gehe, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen.
Nachdem ich meine Hände und mein Messer im Weihwasser der Kirche gewaschen habe, ziehe ich mir wieder meine Jacke an und verstaue alles so dass man es nicht sieht.
Wie ein dunkler Schatten schleiche ich aus der Kirche und über die Straße ohne dass ich gesehen werde. Es ist noch immer niemand unterwegs, und so hat niemand mitbekommen was gerade passiert ist. Welches Verbrechen gerade begangen wurde. Von mir.
Genugtuung durchströmt mich als ich daran denke dass Melody nun wieder ruhig schlafen kann, dass ihr Leid und ihre Angst endlich gerächt ist. Doch gleichzeitig nagen Zweifel an mir, Zweifel ob das, was ich getan habe, richtig war. Ich habe es für Melody getan.
Allmählich beginnt es zu regnen und ich beschleunige meine Schritte. Die Hände in den Jackentaschen vergraben, die Kapuze gegen den Regen aufgesetzt, laufe ich quer durch die Stadt zu meinem Auto. Ich bin in einem ganz anderen Stadtteil als sonst, hier hat Melody einmal gelebt. Auf diesen Straßen ist sie großgeworden, hat sie gespielt und ist mit ihrer Mutter einkaufen gegangen. Wenn ich sie fragen würde, würde sie mir bestimmt davon erzählen, aber das mache ich nicht. Ich spüre jedes Mal dass ihr diese Erinnerungen wehtun und sie nicht gerne darüber spricht, auch wenn es zum Teil schöne Dinge sind.
Fröstelnd komme ich an meinem Auto an und hole die Autoschlüssel hervor, dann setze ich mich auf den Fahrersitz. Der Regen tropft unaufhörlich herunter und lässt sie Sicht nach draußen verschwimmen. Plötzlich fühle ich mich wie in einem Käfig, in einem kleinen, dunklen Raum, und bemerke den leichten Geruch von Blut der an meinem T-shirt haftet. Ich beiße die Zähne zusammen und starte den Motor, dann fahre ich los. In mir drin tobt ein Kampf, denn einerseits könnte ich fast grinsen über den Tod des Priesters, doch andererseits freue ich mich auch nicht darüber. Es ist mir noch nie so schwer gefallen einen Mord zu begehen.
An einer roten Ampel bleibe ich stehen und starre hinaus in die verregnete Stadt, beide Hände auf dem Lenkrad.
Morgen kommt Melody wieder. Sie wird von alledem nichts wissen, aber ich bin gespannt wie sie darauf reagiert.
Hoffentlich so wie ich glaube.
×××
Und der nächste OS, und das erste Mal aus Jims Sicht :D
Wie fandet ihr ihn? ^^
Naja, bis zum nächsten Mal :)
Bye ^^
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