5. Ein Treffen

Die nächsten drei Tage verlaufen ähnlich, nur bin ich nicht mehr so müde wie am ersten Tag. In meinem Job finde ich mich schnell zurecht und beginne mich fast schon zu langweilen. Doch ich reiße mich zusammen und halte durch.
Abends spreche ich noch mit James und wir lernen uns immer besser kennen, jedoch bin ich immernoch vorsichtig.
Auf der Arbeit schließe ich mit meinen neuen Kollegen Bekanntschaft und merke recht schnell, mit wem ich gut klarkomme und mit wem eher nicht.
Am Freitag Abend spreche ich wieder mit James und trinke einen Tee.
"Waren Sie heute eigentlich auch bei einem Klienten?"
"Ja, in der Tat."
"Es würde mich echt mal interessieren was Sie eigentlich so machen."
"Ach, das ist nichts besonderes, nur Bürokram. Was machen Sie denn gerade?"
Ich bemerke sehr wohl dass er vom Thema ablenken will, doch ich gehe darauf ein.
"Auf der Ablage sitzen und Tee trinken."
"Mhm, Earl Grey?"
"Nein, Roibos Vanille."
"Ah, den mag ich auch gerne. Ich hätte da mal eine Frage an Sie, wenn Sie nichts dagegen haben."
"Natürlich nicht, fragen Sie ruhig", antworte ich und höre ihm zu.
"Ich bin gerade auf dem Weg zurück nach London, und ich dachte mir, vielleicht würden Sie mich ja gerne morgen treffen. In einem Café oder so."
Ich überlege kurz und schweige. Keine Ahnung ob ich dafür schon bereit bin.
"Melody? Sind Sie noch da?"
"Ja, bin ich."
"Und, was meinen Sie?"
Ich wiege unsicher den Kopf hin und her, doch dann entscheide ich mich.
"Ich würde mich freuen Sie wiederzutreffen."
"Sehr schön."
Ich höre die leise Erleichterung in seiner Stimme und schmunzele.
"Dann sagen wir, morgen um zwei im Café Maurice? Ich schicke Ihnen die Adresse, das ist ein nettes kleines Café mit ausgezeichnetem Kuchen."
"Das hört sich gut an. Morgen um zwei, gerne James."
"Wunderbar. Dann sehe ich Sie morgen."
"Gute Nacht."
"Gute Nacht Melody."
Damit legt er auf und ich lasse das Handy sinken. Ein merkwürdiges Kribbeln breitet sich in meinem Bauch aus wenn ich an morgen denke, aber gleichzeitig habe ich auch etwas Angst. Ich versuche meine Nervosität zu unterdrücken und mache mich zum Schlafen fertig.
Schließlich liege ich in meinem Bett und starre an die Decke, bis die Müdigkeit mich übermannt und ich einschlafe.

~~~

Die Nacht bleibt albtraumfrei, wie bisher jede Nacht in der ich mit James telefoniert habe. Er scheint wirklich eine beruhigende Wirkung auf mich zu haben.
Am Morgen werde ich von hellen Sonnenstrahlen geweckt, die zum Fenster in mein Zimmer scheinen. Langsam öffne ich die Augen und seufze vor Wohlbehagen. Ich fühle mich pudelwohl, auch als meine Gedanken zu heute Nachmittag wandern. Bis dahin habe ich ja noch Zeit.
Ich drehe mich noch einmal herum und döse vor mich hin, bis mein Magen sich bemerkbar macht. Nur deswegen wickele ich mich aus der Decke, stehe auf und gehe in die Küche, um mir etwas zu essen zu machen.
Eine halbe Stunde später dusche ich mich ausgiebig und ziehe mir mein Lieblingsshirt an, dann mache ich mein Handy an und gebe meinen Pin ein.
Leise summend gehe ich in die Küche, mache das Radio an und setze mich mit dem Handy auf die Arbeitsfläche. Meine ungewöhnlich gute Laune ist seltsamerweise auf das bevorstehende Treffen mit James zurückzuführen. Normalerweise bin ich Männern gegenüber weniger vertrauensvoll und James kenne ich erst seit etwa einer Woche. Doch die Zeit, mich über mich selbst zu wundern bleibt mir nicht, da kommt eine Nachricht von Katie.

Katie: Hey, wir haben ja lange nicht mehr gesprochen. Oder geschrieben :D Wie geht's dir?

Schmunzelnd tippe ich eine Antwort.

Me: Das stimmt. Mir geht's prima, ich habe sogar jemanden kennengelernt. ;)

Katie: Was? O.o Kaum bin ich weg suchst du dir jemanden neues? Ich bin schockiert! Wer ist sie denn?

Me: Keine Sie, ein Er. :D

Katie: Uh, das ist ja was ganz neues :O
Sonst lässt du doch niemanden an dich heran! Ist auch alles in Ordnung?

Ihre letzte Frage klingt besorgt, was ich aber nur zu gut verstehen kann.

Me: Ich weiß. Keine Sorge, mir geht es gut.

Bei dieser Antwort schaue ich nachdenklich aus dem Fenster. Es stimmt, James ist der erste, der jemals so nah an mich herangekommen ist. Und es ist seltsam dass ich Katie so etwas sofort erzähle.
Da fällt mein Blick auf die Uhr und ich stehe auf.

Me: Sorry Katie, aber ich muss jetzt los. Lass uns heute Abend schreiben, ja?

Katie: Oh, ja okay. Gerne, aber für mich ist das eine ganz andere Zeitzone. Hier ist es erst sieben Uhr!

Me: Oh, das hatte ich ganz vergessen. Aber heute Abend um zehn hier bei mir, das ist vier Uhr nachmittags bei dir. Geht das?

Katie: Ja, auf jeden Fall. Ich freue mich schon darauf mehr zu hören ;) Bye!

Me: Tschüß

Ich stecke das Handy in die Tasche meiner alten Jeansjacke, schnappe mir meinen Schlüssel mit Ausweis und verlasse die Wohnung. Mit dem Bus sind es zwanzig Minuten bis zur Innenstadt, und von dort aus muss ich zu Fuß zu dem Café gehen.
James hat mir gestern noch schnell die Adresse geschickt und nun stehe ich an der Bushaltestelle und warte auf die richtige Linie. Dieses Mal bekomme ich einen Sitzplatz und warte bis ich aussteigen muss.
Verträumt lehne ich den Kopf gegen die Fensterscheibe und betrachte das vorbeiziehende London. Touristen sind auf der Straße zu sehen, ab und an auch ein roter Bus, und ganz London ist auf den Beinen. Bei diesem schönen Wetter sind viele Radfahrer unterwegs und auch einige Jugendliche mit Skateboards.
Nach tatsächlich zwanzig Minuten hält der Bus an meiner Haltestelle an und ich steige aus, hinein in das sonnige London. Fröhlich laufe ich durch die Straßen in Richtung des Cafés und erfreue mich der warmen Sonnenstrahlen. Gleichzeitig ergreift auch Nervosität von mir Besitz und ich überlege wie das Treffen verlaufen wird.
Gerade laufe ich an einem Mäuerchen vorbei, an dem eine kleine Gruppe junger Männer lehnen, als einer von ihnen mir anerkennend hinterher pfeift. Ich senke den Kopf und gehe schnell an ihnen vorbei, die Rufe hinter mir ignorierend.
Endlich gelange ich vor das Café und bleibe an der Straßenecke stehen.
Die orangenen Markisen werfen ihren Schatten auf die Tische und Stühle unter ihnen, an denen wenige Leute sitzen. Das Café wirkt gemütlich und sauber, und die weiße Aufschrift an den Fenstern und der Markise verkündet: Café Maurice.
Ich lasse meinen Blick einmal über die anwesenden Leute an den Tischen schweifen, da entdecke ich eine mir bekannte Person. Sie sitzt an einem Zweiertisch, ein Bein über das andere geschlagen und macht etwas an seinem Handy. Sie trägt eine schwarze Sonnenbrille, doch ich meine zu erkennen wer es ist. Vorsichtig trete ich auf ihn zu. Nervosität ergreift von mir Besitz und ich muss mich zusammenreißen um nicht einfach abzuhauen.
"James?", frage ich und sofort schaut er auf. Seine schwarzen Haare sind dieses Mal in einer etwas lockereren Frisur, er trägt Jeans, ein weißes T-shirt und darüber eine Stoffjacke.
Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, er nimmt seine Sonnenbrille ab und legt sie auf den Tisch, zusammen mit seinem Handy. Dann steht er auf und schaut mich freundlich mit seinen dunklen Augen an.
"Hallo, schön Sie zu sehen", meint er mit seinem irischen Akzent und reicht mir die Hand. Ich ergreife sie schüchtern und schüttele sie. Seine Hand ist gepflegt und warm, das fällt mir gerade noch auf, da deutet er auf den anderen Stuhl.
"Setzen Sie sich doch."
"Danke, gerne."
Wir setzen uns und James steckt sein Handy in seine Hosentasche.
"Wie geht es Ihnen?", fragt er mich und mustert mich aufmerksam. Anscheinend erinnert er sich noch an unsere erste Begegnung, bei der ich wirklich krank ausgesehen habe.
"Sehr gut, danke der Nachfrage. Und Ihnen?"
"Ebenfalls sehr gut. Zwar häufen sich meine Termine mittlerweile, aber das ist nicht so schlimm."
Er grinst, dabei kommen seine weißen Zähne zum Vorschein und bringt mich dadurch zum schmunzeln.
"Das kann ich mir vorstellen. Tragen Sie eigentlich sonst immer Anzüge? Ich meine, wenn Sie zu Klienten fahren?"
"Wie kommen Sie denn darauf?", fragt er überrascht und lacht leise.
"Naja, ich erinnerte mich an Sie vom Flughafen. Und irgendwie wirken Sie so, als würden Sie öfter Anzüge tragen. Denn Sie stehen Ihnen, aber das auch", sage ich schnell und bemerke erst dann was ich da gerade gesagt habe. James schaut an sich herunter und lächelt mich an.
"Danke, glaube ich."
"Entschuldigen Sie, ich spreche manchmal schneller als ich denke", meine ich zu ihm und spüre, wie ich erröte. Gleichzeitig mache ich mich bereit aufzuspringen und zu fliehen, je nachdem wie seine Reaktion ausfällt.
"Keine Sorge, so geht es mir auch oft. Wissen Sie, ich bemerke manche Dinge, die anderen gar nicht auffallen, und manchmal rede ich dann einfach drauf los ohne nachzudenken."
Er grinst verschmitzt und ich nicke, während ich mich wieder ein wenig entspanne.
"Genau das habe ich auch! Katie, also ich meine meine Freundin, hat das immer in den Wahnsinn getrieben", erzähle ich und muss unwillkürlich grinsen.
Da kommt eine junge Kellnerin an unseren Tisch, bewaffnet mit Stift und Block, und lächelt uns freundlich an.
"Guten Tag, was kann ich Ihnen bringen?", fragt sie und hält ihren Stift bereit.
"Oh, Hallo. Für mich bitte einen Cappuccino und ein Stück Kuchen", antwortet James und die Kellnerin notiert dies.
"Welchen Kuchen hätten Sie denn gerne, Sir? Wir haben Schokokuchen, Kürbiskuchen, Apfelkuchen, Streuselkuchen..."
"Irgendeinen, ich lasse mich überraschen."
Dann wendet sich die Kellnerin mir zu und lächelt mich an.
"Und was darf es für Sie sein?"
"Für mich einen Tee und ebenfalls ein Stück Kuchen. Aber bei mir Schokokuchen, bitte."
Die Kellnerin nickt und verschwindet wieder im Café.
"Also, wo waren wir?", fragt James und schaut mich an.

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