39. Albträume
In Jims Hotelzimmer ist massig Platz, er hat sogar ein Doppelbett in dem Schlafzimmer stehen, sowie eine bequeme Couch im Wohnraum. Nach einer kurzen Diskussion kann ich ihn dazu bringen, mich auf der Couch schlafen zu lassen, auch wenn er das missbilligt. Der Gedanke, in einem Bett mit Jim zu schlafen, behagt mir nicht so ganz, und als er den Grund erstmal verstanden hat lässt er mich in Ruhe. So kommt es dass wir getrennt Zähneputzen damit jeder sich ungestört umziehen kann und uns danach im Wohnraum noch einmal sehen. Ein Glück dass ich Jim schon öfter in Schlafsachen gesehen habe, ansonsten wäre ich wahrscheinlich in Ohnmacht gefallen weil er gleichzeitig niedlich und attraktiv aussieht, in seiner Jogginghose und dem weißen T-shirt.
"Gute Nacht."
"Gute Nacht. Bist du sicher dass ich nicht auf der Couch schlafen soll?", fragt Jim nochmal nach, doch ich schaue ihn böse an.
"Ja, bin ich. Schlaf gut."
Damit gebe ich ihm einen Kuss auf die Wange und gehe dann in den Wohnraum zurück. Jim hat mir eine Decke und ein Kissen gegeben, in denen ich es mir nun gemütlich mache. Kurz höre ich Jim noch die Tür zu seinem Schlafzimmer anlehnen, dann schlafe ich auch schon ein.
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Mitten in der Nacht schrecke ich keuchend aus einem Albtraum auf. Ich habe keine Erinnerung daran, aber ich weiß dass es ein Albtraum war, denn meine Hände zittern und Tränen laufen mir über die Wangen. Für einen Moment bin ich froh dass ich mich nicht erinnern kann, doch dann fällt mir wieder ein wo ich bin. Bei Jim im Hotelzimmer.
Es ist stockdunkel, nur ganz schwach kommt Licht durch ein Fenster herein. Leise lasse ich mich zurück in mein Kissen sinken, doch einschlafen kann ich nicht mehr. Mein Herz rast und ich habe Angst wieder einen Albtraum zu haben.
Plötzlich verspüre ich den Wunsch jemanden bei mir zu haben, jemanden der mich tröstet, der auf mich aufpasst während ich schlafe. Eine beruhigende Gegenwart neben mir und die Wärme eines anderen Menschen. Eine Weile lang ringe ich mit mir, doch dann stehe ich leise auf und gehe langsam zu der angelehnten Tür, die zu Jim ins Zimmer führt. Die angelehnte Tür ist quasi eine Einladung zu ihm ins Zimmer zu kommen. Vorsichtig öffne ich sie weiter und meine Augen gewöhnen sich an die Lichtverhältnisse. Im Bett kann ich grob Jim ausmachen, er liegt auf dem Rücken, das Gesicht zu mir gedreht und schläft.
"Jim?", frage ich leise in den Raum hinein, nur ein Flüstern in der Stille. Doch augenblicklich wacht mein Freund auf und bewegt sich. Verschlafen stützt er sich auf einen Arm und blinzelt in meine Richtung, während ich versuche meine Überraschung zu verbergen.
"Mel?"
Seine Stimme ist rau und tief vom Schlaf und seine Haare sind ganz verwuschelt.
"Was ist los?"
"Ich kann nicht mehr schlafen", sage ich leise und beiße mir unsicher auf die Unterlippe. Es ist mir unangenehm ihn wegen so etwas zu wecken, aber ich weiß nicht was ich sonst hätte tun sollen. Außerdem ist es jetzt sowieso zu spät.
Ich sehe und höre wie Jim sich hinsetzt und sich mit beiden Händen übers Gesicht fährt.
"Hattest du... einen Albtraum?", fragt er schließlich und ich nicke.
"Ja."
Meine Antwort ist kaum zu hören, doch Jim hat mich wohl verstanden, denn er winkt mich zu sich. Ein wenig steif und unsicher komme ich zu ihm ans Bett und setze mich zu ihm auf die Matratze. Nun kann ich ihn besser erkennen und er mustert mich wacher. Behutsam nimmt er meine Hand und schaut mich im schwachen Dämmerlicht an.
"Was hast du geträumt?"
"Das weiß ich nicht mehr. Aber es war etwas schlimmes. Ich... ich habe Angst dass ich nochmal etwas träume", antworte ich und Jim nickt langsam.
"Soll ich bei dir bleiben?"
Ich nicke zaghaft und er lächelt kurz.
"Okay."
Er beugt sich vor und küsst mich sanft auf die Wange, dann legt er sich wieder hin und zieht mich vorsichtig mit sich. Ich drehe mich auf die Seite und Jim legt die Decke nun auch über mich, dann streicht er mir mit einer Hand über die Wange. Zögernd kuschele ich mich enger an seinen warmen Körper und er legt einen Arm um mich, dann atmet er tief durch und ich spüre wie er sich entspannt. Und obwohl ich gerade neben einem Mann liege und zuvor noch einen Albtraum hatte, schlafe ich ein, mit Jims angenehmen Geruch in der Nase.
Ein unangenehmes Geräusch lässt mich aufschrecken und ich wirbele herum. Dunkle Gestalten stehen um mich herum, gehüllt in die Roben von Mönchen und der Geruch nach Weihrauch liegt in der Luft. Der Boden der Gasse, in der ich mich befinde, ist nass und kalt und ich sehe meinen eigenen Atem in Wolken vor mir. Plötzlich zuckt einer der Mönche vor und meine Beine klappen unter mir zusammen. Panisch versuche ich wieder aufzustehen, doch irgendetwas hält mich am Boden fest. Mit einem schnappenden Geräusch blitzt die Klinge eines Messers im unwirklichen Licht der Gasse auf und ich versuche mich zu wehren, doch ich kann nicht weg. Da saust das Messer auf mich hinunter und ich schreie.
"Melody!"
Jemand rüttelt mich energisch an der Schulter und ich reiße die Augen auf. Meine Hand schnellt vor und ich packe das Handgelenk desjenigen, der mich geweckt hat. Mein Atem geht schnell und keuchend, aber ich habe das Gefühl, als bekäme ich nicht genügend Luft.
"Au, Mel. Ich bins, Jim."
Ich versuche mich zu beruhigen und schließe die Augen, aber nun spüre ich die Tränen auf meinem Gesicht. Da berührt Jim vorsichtig meine Hand und löst meine verkrampften Finger von seinem Handgelenk.
"Shhh, ganz ruhig. Alles okay, ich bin da", flüstert er und streicht mir mit der Hand über die Wange und den Kopf, während ich leise weine. Geduldig wartet er bis ich mich beruhigt habe und wischt mir dann die Tränen von den Wangen. Ich öffne die Augen und schaue ihn im Dämmerlicht des Zimmers an, dann vergrabe ich mein Gesicht an seinem T-shirt. Sanft nimmt er mich in den Arm und ich atme seinen angenehmen Geruch ein.
"Erzähl mir was du geträumt hast", verlangt er leise und ich schniefe kurz, dann berichte ich stockend von meinem Albtraum. Eigentlich war es nicht viel, doch jetzt wo ich Jim davon erzähle fühle ich mich gleich besser. Nun bin ich froh um meine Entscheidung mitten in der Nacht zu ihm ins Zimmer zu gehen.
Als ich geendet habe schweigt Jim eine Weile lang, zieht mich aber enger an sich. Ich spüre die Anspannung in seinem Körper und auch dass er mich beschützend festhält. Dabei achtet er darauf, dass ich mich jederzeit wegdrücken oder abwenden kann wenn es mir zuviel wird, aber das habe nicht vor.
"Tut mir leid dass ich dich geweckt habe und dich damit belaste", murmele ich als er nach fünf Minuten noch immer nichts gesagt hat und schaue ihm in die Augen. Doch er schaut mich hellwach und leicht überrascht an.
"Entschuldige dich nicht dafür. Bitte. Ich bin froh dass du mich geweckt hast, allerdings frage ich mich warum ausgerechnet jetzt die Albträume wiederkommen."
Sein Blick wird traurig und ich weiß sofort was er denkt.
"Ich glaube nicht dass es mit dir zu tun hat. Eher mit der Tatsache dass ich seit langem wieder einen festen Freund habe", beruhige ich ihn und er runzelt verwirrt die Stirn.
"Wieder? Ich dachte..."
...dass ich dein Erster bin. Doch er spricht dies nicht aus, sondern schaut mich nur schweigend und neugierig an.
"Ich weiß dass ich dir anfangs etwas anderes erzählt habe, aber zwei Monate vor diesem Vorfall hatte ich eine Beziehung mit einem Jungen aus meiner Stufe. Allerdings hörte das auf als ich... als das passierte. Ich habe keine Ahnung was jetzt mit ihm ist", erkläre ich.
"Oh."
Jim sieht nun irgendwie missmutig aus, verkniffen, ja fast eifersüchtig. Doch schnell ist dieser Moment vorbei und er lächelt mich an.
"Ich hoffe unsere Beziehung dauert länger als zwei Monate", meint er und küsst mich ganz vorsichtig auf den Mund. Zögernd erwidere ich den Kuss und schließe die Augen um mich ganz dem Gefühl seiner Lippen auf meinen hinzugeben. Schließlich lösen wir uns wieder voneinander und Jim stützt sich auf einen Unterarm.
"Was ist eigentlich mit deinem Vater?", fragt er leise während er mein Gesicht betrachtet und gedankenverloren mit einer Haarsträhne spielt. Überrascht hebe ich eine Augenbraue, doch dann antworte ich.
"Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Meine Mutter hat nie von ihm gesprochen, geschweige denn dass sie mir ein Bild von ihm gezeigt hätte; ich habe sogar die Vermutung dass ich vielleicht ein Unfall gewesen bin. Wenn überhaupt dann aber ein liebevoll aufgenommener Unfall."
Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen und Jim erwidert es kurz, dann schaut er wieder ernst.
"Ich für meinen Teil bin unendlich dankbar dass es dich gibt", flüstert er und ich schaue ihn mit großen Augen an. Schweigend betrachten wir einander, dann beugt sich Jim über mich und schenkt mir einen liebevollen Kuss auf die Lippen, der ein starkes Kribbeln in meinem gesamten Körper auslöst. Doch danach muss ich gähnen und Jim grinst.
"Vielleicht versuchst du noch ein bisschen zu schlafen", schlägt er vor und ich kuschele mich wieder an ihn. Mit geschlossenen Augen lausche ich seinem gleichmäßigen Atem, als mir noch etwas einfällt.
"Gibt es eigentlich auch Sachen die ich nicht über dich weiß?", frage ich schläfrig und meine zu spüren wie Jim sich kurz anspannt. Er zögert, während ich immer weiter in einen Halbschlaf abdrifte.
"Nun ja...", murmelt er leise.
"Es gibt da wirklich Dinge. Aber das werde ich dir erst viel später erzählen."
Den letzten Satz flüstert er kaum hörbar und ich bekomme ihn schon nicht mehr richtig mit, da schlafe ich schon komplett ein.
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