- eins -


|Kapitel 1|
S O P H I A

Alarm - Ann Marie

"A happy soul is the best shield for a cruel world."
- Atticus -

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„Collister, wer stört?", murrte ich verschlafen in mein Handy, das mich vor wenigen Sekunden aus meinem Schönheitsschlaf gerissen hatte.

„WO ZUR HÖLLE STECKST DU?! Wir warten hier seit einer Viertelstunde! Moment, liegst du noch im Bett?!" Schnell zog ich das Telefon von meinem Ohr weg, als ich die Stimme meiner ‚Chefin' aus dem Apparat plärren hörte.

„Wie spät ist es?", stöhnte ich und rieb mir über meine Augen, um den Schlaf zu vertreiben.

„Du fragst ernsthaft wie spät es ist?! Verdammt Sophia, es ist 9:43 Uhr!"

Scheiße.

Die Müdigkeit war mit einem Mal wie weggeblasen und ich riss meine Augen auf.

„Man, Carol, warum hast du mich nicht schon früher angerufen?!" Hektisch stellte ich mein Handy auf Lautsprecher und sprang aus meinem Bett.

„Ist das dein Ernst? Du bist vierundzwanzig Jahre alt und ich bin nicht deine Mutter! Falls du es vergessen hast, Hi, dein Boss ist am Hörer, der übrigens dazu befugt ist dich zu feuern!", hörte ich ihre Stimme in meinem Zimmer widerhallen, als ich mir gerade meine Zahnbürste in den Mund steckte.

„Du kannst misch nischr feuern Carol und das weißt du genau so gut wie ich und alle andern Mädels. So sehr es eusch wurmt, isch bin quasi ein Kunden-Magnet und bringe dir definitiv die meischte Kohle. Obwohl du grade mal 10% bekommst. Isch leg jetzt auf,  iscg beeil' mich auch, versprochen!", nuschelte ich so laut ich mir Zahnpasta im Mund konnte in den Raum, während ich, ohne auf ihre Antwort zu warten, auf den roten Knopf drückte und weiter zu meinem Ankleidezimmer hastete.

Man verdiente als Escort wirklich nicht wenig und die meisten Sachen hier drin waren sowieso so was wie Arbeitsoutfits. Also Abendkleider, Cocktailkleider, elegante Hosenanzüge, sowie Handtaschen jeglicher Marke, Farbe und Ausführung.
Von Prada, über Jimmy Choo, bis hin zu Marc Jacobs war wirklich so gut wie alles in meinem ‚Kleiderschrank' vertreten. Ein wahres Heiligtum für Liebhaber und Sammler.

Besonders stolz war ich auf meine Highheel und Pumps Sammlung, die sich über die halbe rechte Wand erstreckte.
In meiner Freizeit waren mir Sneaker jedoch deutlich lieber, weshalb für sie jedes Mal bestimmt ein Viertel meines Gehalts drauf ging und sie die andere Hälfte der rechten Wand für sich beanspruchten.

Man konnte schon sagen, dass sich in diesem Zimmer ein kleines Vermögen befand, auch wenn man nur meine Arbeitsklamotten zählte.
Diese Sachen waren selbst für mich zu teuer, als dass ich mir so viele hätte leisten können, aber oft bekam ich für einen Job ein Outfit vom Kunden gestellt. Natürlich nur Abendgarderobe. Leider.

Schnell nahm ich mir aus meinem Nicht-Arbeits-Teil des Schrankes eine schwarze Skinny-Jeans, ein ebenfalls schwarzes Top mit V-Ausschnitt und weiße Sneaker.

Die Zahnbürste immer noch im Mund, schlüpfte ich in das Top, warf die Schuhe in mein Zimmer und hopste ins Bad, um die Hose anzuziehen.

Nachdem ich schnell ausgespuckt hatte sah ich auf die Uhr: 9:50 Uhr. Für Kaffee war jetzt keine Zeit mehr.

- • -

New York war wie immer wunderbar hektisch.
Und natürlich, wie sollte es anders sein, steuerte ich meinen Teil dazu bei, schließlich rannte ich selbst wie eine Irre die 43. runter, wich Touristen, sowie Kinderwagen aus, nur um noch vor 10 Uhr bei ‚Escorts' anzukommen. Ja, der Name war wirklich die Ausgeburt der Kreativität.

Das große Gebäude in dem drei Etagen von Carol und ihrer Partnerin gemietet wurden, sah ich schon von Weitem.

Schwer atmend erreichte ich den Aufzug und drückte auf die Nummer 20. Während die Klaviermusik im Aufzug erklang normalisierte sich auch langsam meine Atmung wieder und mein Puls beruhigte sich allmählich.

Mit einem 'Pling' gingen die Aufzugstüren auf und ich huschte schnell zu der Glastür, hinter der sich einer der vier großen Konferenzräume befand.

Als ich die modernen Räumlichkeiten und die auf Hochglanz polierten Möbel damals zum ersten Mal sah, war ich ziemlich eingeschüchtert gewesen. Alles hier vermittelte diskrete Kontrolle, Macht und Ordnung. Nach vier Jahren in diesem Business und vor allem in dieser Agentur, hatte sich das Eingeschüchtert-sein erledigt und ich hatte festgestellt, dass die Menschen hier eigentlich gar nicht so schlimm waren.

Ich war wirklich froh ‚Escorts' gefunden zu haben, beziehungsweise von ihnen gefunden worden zu sein, denn die meisten Begleitagenturen vermittelten Frauen und Männer, die den Kunden ‚besondere' Gesellschaft boten. Im Grunde waren es also Prostituierte mit höherem Gehalt.

Penibel genau hatte ich darauf geachtet nicht bei einer solchen Agentur zu landen. Ich war lediglich eine exklusive Begleitperson zu Gala Abenden, Partys und Firmenfeiern von einflussreichen und wohlhabenden Personen, damit meine Kunden mit mir angeben konnten.

Solange sie mich nicht betatschten und ich bezahlt wurde, hatte ich nichts dagegen.

Es war sogar ziemlich angenehm und das war auch der Grund, weshalb ich nicht das Risiko eingehen konnte von Carol meine Kunden weggenommen zu bekommen und durch diese Milchglastür vor mir gehen musste.

Diese monatlichen ‚Konferenzen' waren eigentlich nur dazu da, um uns darüber zu unterrichten, wer welche Kunden wann zugeteilt bekam. Eine Art Lagebesprechung. Wieso das nicht per E-Mail funktionierte, war mir selbst schleierhaft, aber Carol hatte gesagt, dass immer noch sie die Chefin war und somit auch das Sagen hatte. Selbst wenn meine Idee besser war.

Noch einmal atmete ich tief durch, richtete meine Haare, klopfte kurz und stieß dann die Tür auf.

Circa dreißig hübsche Gesichter schauten mich an.

Ich wusste ja, dass ich gut aussah, aber etwas unauffälliger hätten sie doch glotzen können.

Okay Spaß bei Seite, wenn ich jetzt auch noch angefangen hätte zu lachen, wäre ich eine tote Frau.

„Sophia, wie schön, dass du uns mit deiner Anwesenheit beehrst. Und sieh an," -ein Blick auf die Uhr- „du hast dich nur um eine Dreiviertelstunde verspätet.", sagte Carol mit vor Ironie triefender Stimme. 

So lange hatte das gedauert? Ups?

„Sorry, kommt nicht wieder vor." Wir beide und auch alle Anwesenden wussten, dass das eine glatte Lüge war.

Pünktlichkeit war eben nicht so meins. Außer, wenn meine Bezahlung davon abhing, dann konnte ich auch schon mal zehn Minuten zu früh sein.

„Jaja, setz dich endlich." Carol war anscheinend ziemlich angepisst, doch sie wusste, dass ich gut war. Wenn nicht die Beste. Ihre blonden Haare hatte sie zu einem strengen Zopf gebunden und der schwarze Blazer hob ihre strahlenden Augen hervor.

Gemächlich schlenderte ich zu meinem Platz am Kopfende, der wie immer frei gelassen wurde.

Auf der einen Seite war es mein Stammplatz und keiner von den Mädchen wollte Ärger mit mir, aber auf der Anderen war es der einzige Einzelplatz und alle wollten lieber mit ihren Freundinnen zusammen sitzen. Ich nicht.

Hier hatte ich keine Freunde. Sonst eigentlich auch nicht. Das hörte sich vielleicht ziemlich traurig, oder sogar erbärmlich, an, aber ich blieb lieber für mich. Die meisten Menschen gingen mir einfach auf die Nerven und ich brauchte meinen Freiraum. Da waren stundenlange Telefonate, Shoppingtouren und Übernachtungspartys einfach unerwünscht.

Es war nicht so, als hätte es niemand versucht, aber ich war im Vergraulen von Menschen mindestens so gut, wie in meinem Job. Wenn das irgendwer bezweifelte, konnte derjenige einfach meine Eltern fragen, die würden das sicher bestätigen. Also den Teil mit dem Menschenvergraulen.

Carols Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

„Okay, Lucy, du hast alles. Dann bleibt nur noch Sophia.
Bei deiner Persönlichkeit ist es mir zwar ein Rätsel warum, aber du bist schon wieder voll. Die Liste liegt wie immer vor dir und falls du Fragen hast, dann raus damit. Nein? Keine Fragen? Super. Also Mädels..."

Ich hatte doch noch nicht mal auf die Liste geguckt! Bitch.
Und das mit der Persönlichkeit nahm ich einfach mal als Kompliment, auch wenn es ganz sicher kein solches sein sollte.

Es war offensichtlich, dass das Carols Art der Bestrafung für mich war, mir die Möglichkeit zu nehmen einen Termin zu tauschen oder abzulehnen, was normalerweise jeder durfte.

Diese Treffen waren trotzdem unnötig, aber es war ja zum Glück nur einmal im Monat, von daher ging das noch in Ordnung.

Dem Gerede meiner ‚Chefin' hörte ich nur mit halbem Ohr zu und widmete mich der Liste vor mir.

Die meisten Namen waren mir bekannt, ein paar von ihnen waren schon mal bei mir, doch ein Name sprang mir ins Auge.

Lucio Hernández.

Ich war mir zu neunundneunzig Prozent sicher, dass er der CEO von irgendeinem Unternehmen war, das er zusammen mit seinem Vater aufgebaut hatte. Ziemlich beeindruckend eigentlich. Leider war der Gute an die sechzig Jahre alt und auch, wenn ich eigentlich auf etwas reifere Männer stand, könnte dieser, vom Alter her, mein Vater sein.

Da er sowieso der erste Kunde war, entschloss ich mich, ihn noch am selben Tag per E-Mail zu kontaktieren, das normale Verfahren um alle Details zu besprechen.

Informiert zu sein war schließlich immer das Wichtigste.

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1428 Wörter

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