Kapitel 78
Nach Haydens Rückkehr ließ ich ihm etwas Zeit, um anzukommen. Ich wollte ihn nicht gleich mit meinen Fragen und allem anderen überfordern, nachdem er gerade erst wieder gesund geworden war. Na ja, so gesund, wie er nach dem letzten Mal war, als ich ihn auf dem Boden liegend und wie bekifft vorfand. Ich war erleichtert, ihn in den wenigen Tagen etwas essen zu sehen, auch wenn er mir mit seinen ausweichenden Blicken verriet, dass ihm alles unglaublich unangenehm war. Ich fand das süß.
Die Ferien waren vorbei, ich war volljährig und der Winter schien es plötzlich eilig zu haben und machte sich bereits bemerkbar. Der Klimawandel hatte also doch seinen Beitrag geleistet und die Jahreszeiten komplett durcheinandergebracht.
Vielleicht war das Chaos aber passend zur Lage. Innerlich war ich am Durchdrehen, während ich darauf wartete, dass Hayden und ich endlich das längst überfällige Gespräch führen würden.
»Oh, das gibt's nicht, sie kommt immer noch«, stöhnte Brea genervt und hakte sich bei mir unter. Rose und Anna gesellten sich ebenfalls zu uns. »Wem sagst du das, ich dachte schon, sie hätte es endlich gerafft«, flüsterte Rose, die die Augen verdrehte.
Wir alle drehten uns zu Scarlett, die freudig zu unserer Gruppe stolzierte. Sie war in den letzten Tagen immer wieder zu uns gekommen, obwohl jeder sie ignorierte. Um ehrlich zu sein, war ich wütend auf sie und wollte ihr Schmerzen zufügen, seit ich erfahren hatte, dass sie Hayden belästigte.
Statt wie geplant zu Hayden zu gehen, zog sie plötzlich an meinem Arm und klammerte sich regelrecht an mich. Aus welchem Grund auch immer, sie klebte förmlich an mir. Langsam verlor ich die Nerven und versuchte mich mit den mir bekannten Methoden zu beruhigen. Zähle bis zehn. Eins. Ganz ruhig. Zwei.
»Hi, Bestie«, quietschte die Blondine total überdosiert süß, dass es ekelerregend war.
Oh, verdammt, nein! Vergiss die Therapie. Ich bin keine Maria Theresa oder sonst irgendeine Heilige. Ich bin eher die Botin der Hölle, wenn meine Psychiaterin das so sehen will.
Ich riss mich von Scarlett los und stieß sie hart, sodass sie zurücktaumelte. Entsetzt schaute sie mich an.
»Oh, ich bin es leid, nett zu sein. Ich bin alles andere als deine ›Bestie‹, hast du verstanden. Ich habe nicht einmal eine Ahnung, wer dir das Recht gegeben hat, mich anzufassen. Sicherlich nicht ich, aber anscheinend bist du so beschränkt im Kopf, dass du nicht in der Lage bist zu verstehen, wo deine Grenzen liegen«, machte ich verärgert klar und konnte nicht verhindern, zu Hayden zu schauen. Ich bemerkte auch seinen Blick auf mir.
Scarlett kicherte nur, als ob ich einen Witz gemacht hätte.
»Aber ich war doch immer mit euch zusammen, die anderen konnten sich doch auch bei euch integrieren«, versuchte sie charmant, sich in unsere Freundesgruppe einzufügen.
Zum Kotzen.
Ich verdrehte die Augen. Blaze lehnte sich zu mir. Ich konnte sein Gesicht seitlich neben mir erkennen. »Brauchst du Unterstützung oder willst du das seit langem selber klären?«, flüsterte er mir zu. Ein Blick von mir genügte als Antwort.
Ich schnaubte lachend und warf dem Mädchen vor mir einen frostigen Blick zu. Dr. Paisley hatte versucht, diese Seite von mir loszuwerden, aber sie gehörte zu mir.
Dann bin ich manchmal grausam, aber zumindest gebe ich zu, dass ich nicht perfekt bin. Ich heuchle mir nichts mehr vor.
Du hast ihn belästigt, huh? Ich mache dich fertig.
»Oh nein, ich habe dich nur geduldet, als du dich einfach zu uns gedrängt hast. Niemand wollte dich, hast du das denn nie bemerkt? Alle anderen passen zu uns, aber wir sind keine Wohltätigkeitsorganisation, die jeden aufnimmt, auch die unterbelichteten und schlecht blondierten. Du warst und bist nie meine Freundin. Ist das klar genug, oder muss ich es einfacher ausdrücken? Es scheint mir, als würdest du es einfach nicht verstehen«, fauchte ich gereizt mit einem herablassenden Unterton.
Brea lachte laut, während Treyton versuchte, sie zu stoppen. Er selbst musste sich stark zurückhalten. Jimson wollte meinen Ausbruch aufzeichnen, aber ich senkte seine Kamera und wollte keine Show von meinem Wutausbruch machen. Ich wollte nicht erneut über meine Konflikte mit Dr. Paisley sprechen, wenn ich das Gefühl hatte, nur für mich selbst einzustehen.
Mit offenem Mund starrte mich Scarlett an, dann suchte sie hilfesuchend den Blick von Hayden. Wir hatten neugierige Schülerinnen und Schüler als Zuschauer angelockt.
»Willst du nichts sagen?«, stöhnte das platinblonde Miststück aufgebracht und richtete sich an Hayden. Seine dunkelbraunen Augen blieben auf mir haften. Ich wich ihnen nicht aus. Nicht mehr. Ich wollte sie am liebsten für mich bestimmen. Meins.
Wir hatten so viel Unausgesprochenes zwischen uns, und ich wollte es endgültig klären.
Hayden wandte sich emotionslos an Scarlett. Seine Augen verdunkelten sich, als er sie ansah. Als er mich ansah, war sein Blick weich und voller Sehnsucht. Mir war das zuvor nicht aufgefallen, da ich so sehr mit mir selbst beschäftigt war.
»Ich habe nichts zu sagen, ich ertrage nur deine Anwesenheit, weil deine Eltern mich angefleht haben. Du bist jedoch zu weit gegangen und hast überall behauptet, dass du meine Freundin bist. Dem habe ich nie zugestimmt. Du hast dir in deinem Kopf solche Fantasien ausgemalt, dass du mich sogar sexuell belästigt hast.«
Um uns herum hörte man schockiertes Aufstöhnen, gefolgt von Getuschel.
Also doch, ich mach dich fertig du Miststück.
Ich war kurz davor, ihr an die Gurgel zu gehen, als Blaze seinen Arm um mich legte und lachte. Er war es, der mich daran hinderte, gleich einen Mord zu begehen.
Scarlett wurde vor Wut rot. »Aber ich dachte, du findest mich hübsch«, rief sie frustriert aus. »Das habe ich nie behauptet, das hast du dir in deinen Selbstgesprächen selbst gesagt. Du hast so viel Unsinn geredet, dass ich nicht zugehört habe.« Hayden machte eine Pause und sah dann zu mir. Bei seinem Blick erschauderte ich. »Außerdem bist du nicht mein Typ.«
Die Worte und sein Blick trafen mich wie ein Blitz. Zuerst kribbelten meine Finger, dann prickelte jede Zelle in meinem Körper. Mir wurde warm und mein Herz begann schneller zu schlagen. Es fühlte sich an, als ob ich ein Magnet wäre und Hayden würde mich zu sich ziehen.
Ich versuchte nicht rot anzulaufen und saugte meine Unterlippe nach innen. Blaze nahm seinen Arm von mir runter uns legte seine Hand fest auf Hayden Schulter, sodass er von mir wegschauen konnte. Nein, musste.
»Ach, das war so eine wohltätige Angelegenheit. Du hättest es doch gleich sagen können«, kicherte unser sommersprossiger Freund amüsiert. Dann fing er an, laut zu lachen. Scarlett stürmte entwürdigt davon. Sie konnte sich nie wieder blicken lassen, da sie sich offiziell im gesamten Internat blamiert hatte.
Ich beschloss, sie noch schlimmer leiden zu lassen.
»Oh mein Gott, das war so lustig«, gackerte Brea und krümmte sich vor Lachen. »Wem sagst du das, aber was noch wichtiger ist, ist, dass Aella seit langem ihren Mund geöffnet hat«, meinte Treyton stolz und drückte mich an sich. Ich schüttelte ihn von mir, bevor er ganz gefühlsduselig wurde.
»Ach bitte, nur weil ich versucht habe, geduldig zu sein, heißt das nicht gleich, dass ich eine ›Sankt‹ oder so etwas bin«, schnaubte ich und überkreuzte meine Arme mit einem zur Seite streifenden Blick. Treyton lächelte nur, auch wenn ich frech zu ihm war. Normalerweise reagierte er darauf leicht grimmig, schien aber diesmal ein Auge zuzudrücken.
Die Glocke läutete das Ende der Mittagspause ein. Die letzten Unterrichtsstunden für den Tag lagen vor uns.
Nörgelnd, warum überhaupt Unterricht stattfindet, gingen alle außer Hayden und mir voran. Er kam dicht an meine Seite. Ich konnte seine Nähe spüren. Mir wurde unglaublich warm.
»Hast du heute Abend Zeit zum Reden?«, fragte mich Knopfaugen leise. Die anderen schienen nicht zu bemerken, dass wir langsamer gingen. Zumindest nahm ich das an, da meine Aufmerksamkeit ganz auf Hayden gerichtet war. Wir hielten Abstand zu ihnen, als würden wir in unserer eigenen kleinen Blase leben.
»Ja, ich habe Zeit.«
Verunsichert darüber, warum ich nicht protestierte oder ablehnte, schweifte Haydens Blick erst absichernd nach vorne und dann zu mir.
»Du und ich allein, die anderen sind nicht beteiligt«, ließ er mich ergänzend wissen. Ich nickte. »Ich weiß.« Hayden schien überrascht und rollte nervös mir den Schultern. »Ich... ich dachte, dass wir draußen reden könnten. Blaze denkt, ich müsste Unterrichtsstoff nachholen.«
Ich musste lächeln. Meine Haut fühlte sich ganz kribbelig an.
»Das Lernen als eine Ausrede hat ihn wohl abgeschreckt«, sagte ich mit einem strahlend weißen Lächeln. »Ja, das hat es«, antwortete er nach einem kurzen Moment des Nachdenkens. »Wenn es dir nichts ausmacht, treffen wir uns am Eingang der Laufstrecke. Vielleicht machen wir dabei einen kleinen Spaziergang.«
Für mich klang das nach einem guten Vorhaben.
»Okay.« Meine Bestätigung war schnell, was Hayden verunsicherte. »Ja, okay. Ich sehe dich dann.«
Noch immer irritiert betrachtete er mich und bog dann nach rechts ab, nur um gegen den Wasserspender zu laufen und peinlich berührt in dem Gang zu verschwinden. Dabei warf Hayden einen letzten Blick zu mir zurück, als ob er sicherstellen wollte, dass ich es nicht bemerkt hatte. Ich tat so, als hätte ich nichts gesehen, aber das stimmte nicht - ich hatte es sehr wohl bemerkt.
Du süßer Trottel.
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