Kapitel 74 Teil II

Aella kam stützend an meine Seite und legte einen Arm um mich. Für besseren Halt stützte sie mich indem sie meinen Arm um ihre Schulter schlang.

Ihre Haare waren wirr, aber das schien ihr egal zu sein. Mir war es auch nicht wichtig. Ich hatte sie von der Mauer aus viel schlimmer gesehen. Für mich war all das unbedeutend.

»Ich halte das für keine gute Idee«, brummte Aella und wollte mich am liebsten wieder ins Bett schupsen. Ich hätte es beinahe zugelassen, nur damit sie mich erneut berührte und dabei schüchtern ansah. Der Blick war köstlich.

»Ich treffe immer dumme Entscheidungen«, hustete ich in meinen freien Ellbogen, »so wie der Abend, als ich dich belästigt habe.«

Damit meinte ich den Abend der historischen Veranstaltung. Ich wusste nicht, ob sie auch an den Tag dachte oder an etwas anderes.

»Welchen meinst du? Meinst du den draußen oder den in meinem Zimmer?«

Ich konnte heraushören, dass Aella etwas scherzte. Daraufhin musste ich hustend lachen. Mein Hals tat mir weh und ich konnte spüren, wie meine Energie wieder sank.

Aellas Griff an meiner Seite wurde fester, als hätte sie Angst, mich fallen zu lassen. Sie schützte mich mit allen Mitteln.

»Hayden, du hast mich noch nie belästigt, ließ Aella mich wissen, während wir uns schleppend vorwärts bewegten. Wir gingen weiter die Treppenstufen hinunter.

»Soll ich eigentlich deine Freundin anrufen, damit du ihr sagen kannst, dass alles gut ist?«, wollte sie von mir wissen. Mitten auf der Treppe blieb ich stehen und sie blieb gleichzeitig mit mir stehen. Mein Schädel pochte. »Ich habe keine Freundin.«

Irritiert blickte Aella mich an.

»Wieso behauptet Scarlett dann überall, dass es so ist? Du solltest doch etwas dagegen unternehmen, wenn es unwahr ist«, hakte Aella neugierig nach.

Ist das gut? Warum möchtest du das unbedingt wissen oder bestätigt bekommen?

»Scarlett bildet sich gerne etwas ein, besonders Dinge, die mich betreffen, selbst wenn es gegen meinen Willen ist«, versuchte ich zu erklären und spürte, wie mein Gehirn langsamer arbeitete.

Nach der letzten Stufe hielt Aella mich fest oder klammerte sich an mich.

»Ach ja, tut sie das. Also drängt sie sich dir auf...«, murmelte sie eher für sich, anstatt mit mir zu sprechen.

Mir war, als würde ich verschwommen sehen und musste mehrmals blinzeln. Aella teilte mir zu dem Zeitpunkt mit, dass sie meine Kontaktlinsen vorsichtig entfernt hatte und in dem Gefecht irgendwo verloren hatte. Für mich war das nicht schlimm.

»Es ist dämlich, dass du nichts unternimmst. Du solltest das nicht einfach auf dir sitzen lassen«, bemerkte Aella diesmal an mich gerichtet, während wir in die Küche gingen. Sie hatte recht.

»Ich tue in letzter Zeit viel Dummes«, meinte ich daraufhin und musste schmunzeln. Aellas stimmte mir nickend zu. »Ich lüge dich nicht an, das ist bescheuert von dir«, gab sie obendrauf zurück. Meine Mundwinkel zuckten erfreut.

»Das habe ich vermisst.«

Habe ich das gerade laut gesagt?

Aella setzte mich auf einen Stuhl an der Küchentheke und ging dann einmal um die Insel herum.

»Wovon sprichst du?«, fragte sie und ich spürte schon, wie ich ihre Nähe vermisste. Sie band sich ihre Haare neu zusammen und ging, um ihre Hände zu waschen.

Auf dem Herd stand ein Topf. Da meine Nase verstopft war, konnte ich nichts riechen. Ich stützte mich an der Kücheninsel ab.

»Mit dir zu reden, in deiner Nähe zu sein. Dich.«

Meine Antwort ließ Aella erstarren. Mit dem Finger auf dem Herdregler schaute sie mich an. Ich blickte mit glühenden Wangen zu ihr.

Wie viel kann mein krankes Selbst sagen?

Ich konnte schwache Schritte hinter mir hören. Ich drehte mich um und erkannte Kate und Henry in ihren Schlafanzügen dort stehen. Das Gesicht meiner kleinen Schwester leuchtete auf. Sie lief auf mich zu.

»Hayden, geht es dir gut?«, fragte sie mit ihrer hellen Stimme.

Es war mitten in der Nacht oder kurz vor dem Morgen. Mein Kopf pochte. Es fühlte sich an, als würde das gesamte Blut hindurchgepumpt.

»Ja, mir geht es etwas besser, aber du solltest nicht in meine Nähe kommen. Ich möchte euch nicht anstecken«, hustete ich mit versagender Stimme.

Meine kleine Schwester hielt auf Abstand. Henry schlenderte an mir vorbei, behielt mich aber weiterhin im Auge.

Mein Bruder meinte mit einem Siegesgrinsen und hielt sich an Aella fest: ›Ich habe doch gesagt, dass sie das schafft‹. Um ehrlich zu sein, machte mich das eifersüchtig. Ja, ich war auf meinen kleinen Bruder neidisch.

Mühsam richtete ich mich auf und schleppte mich gestützt an der Küchentheke zu ihnen. Als ich hinter Aella ankam, legte ich meine Arme um sie. Mein erhitztes Gesicht vergrub ich in ihrer Halsbeuge. Sie zuckte zusammen, da sie nicht erwartet hatte, dass ein kranker Idiot sich an sie klammern würde. Der Dummkopf konnte nur ich sein.

»Ich dachte, es soll niemand zu dir?«, folgerte Kate unsicher und warf mir einen skeptischen Blick zu. Aella war weiterhin wie versteinert. Ich hielt sie immer noch fest. Mir war so heiß.

»Du nervst sie«, nörgelte Henry und zerrte an mir, damit ich Aella losließ. Meine Kindheitsfreundin atmete schwer ein und legte kurz ihre rechte Hand auf meine.

»Du solltest dich setzen, Hayden«, flüsterte Aella und musste sich räuspern. Ihre Haare kitzelten mich, weil sie ihr Gesicht vor mir versteckte.

Henry zog an mir und ich schlurfte zurück auf meinen Stuhl, während Aella nach Geschirr suchte, was sich nicht als einfach erwies.

Wegen meines Bruders schlurfte ich zurück auf meinen vorherigen Platz. Auf dem Weg konnte ich einen Blick auf die Uhr werfen, es war gerade mal fünf Uhr morgens.

Mein Bruder setzte sich mit Abstand zu mir, nur um mich im Auge zu behalten. Seine Augen schossen kleine Feuerbälle.

Ich konnte mich kaum halten. Meine Lungen fühlten sich verschleimt an und bei jedem Husten kratzte mein Hals nur noch mehr.

Aella fragte die Zwillinge, ob sie Hunger hätten, aber sie schüttelten nur den Kopf. Also wärmte sie nur die Suppe für mich auf. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, was mich erwartete.

Nach einer Weile kochte die Gemüsesuppe und Aella füllte eine Schüssel. Mein Geruchssinn war eingeschränkt, aber meine Geschwister hoben interessiert ihre Köpfe. Kate schien positiver auszusehen als Henry, der unsicher war, ob es essbar war.

»Ich muss kurz ins Bad, ich habe die Suppe probiert und es ist... man stirbt nicht daran. Ich bin keine Chefköchin, also kann man nichts von mir erwarten. Wenn etwas sein sollte, ruft nach mir, ich bin gleich wieder da«, teilte Aella uns mit, nachdem sie den Herd abstellte. Ich nickte nur und schaute ihr nach, als sie ging. Da sie den Löffel vergessen hatte, brachte Kate mir einen. Kurz bevor sie ihn mir aber reichen konnte, hörte ich ein lautes Klatschen.

Kate ließ den Löffel klirrend fallen. Vor Schreck erstarrte sie. In ihren Augen stand Entsetzen. Ich rappelte mich auf und schlurfte schwer in Richtung des Geräuschs. Mir war schwindelig.

Im Flur standen Aella und meine Mutter. Sie hatte eine ausgestreckte flache Hand. Die andere hatte ein gerötete Wange.

»Ich habe dir bereits gesagt, dass ich dich hier nicht sehen will«, schrie meine Mutter lautstark, noch in ihrer gestrigen Abendgarderobe. Sie musste gerade erst gekommen sein.

Meine Ohren schmerzten wegen ihrer entsetzlich schrillen Stimme. Mein Schädel drohte zu platzen und meine Augenhöhle schien in den Hinterkopf zu sinken. Ich musste mich an der Wand abstützen.

Ein kurzer Blick zu Henry genügte, um unsere Schwester bei der Hand zu nehmen und sie sowie sich selbst vor allem zu verstecken. Ich wollte nie, dass sie etwas mitbekamen.

»Was denkst du, was du da tust?!«, keuchte ich verärgert und trat näher. »Halt dich da raus, du kannst nie etwas richtig machen. Nie machst du etwas, wie ich es will. Warum kriegst du nicht eine Sache vernünftig hin?«, schrie meine Mutter mich enttäuscht an.

Aella hob den Kopf, ihr Ausdruck verfinsterte sich und kurz darauf folgte ein weiteres Klatschen. Aella hatte meiner Mutter eine Ohrfeige gegeben.

»Niemand darf so mit ihm reden«, knurrte sie wütend.

Meine Kraft schwand rapide und ich konnte mich kaum noch aufrecht halten. Ich löste mich von der Wand und wankte fiebrig zu Aella. Mein Vater kam angelaufen und stellte sich zwischen seine Frau und uns.

»Du hast jetzt total die Kontrolle verloren!«, schrie er sie an. Ich nahm Aellas Gesicht in meine Hände. Sie war für mich so kostbar.

»Es tut mir leid, niemand darf die wehtun«, wisperte ich ihr zu und schob mich schützend vor sie. Ganz plötzlich spürte ich einen kurzen Energieschub.

»Ich habe nichts getan, sie hat mich geohrfeigt! Wie kannst du mich so enttäuschen, Hayden! Wieso hörst du nicht und wirst wegen der zum Gesindel«, brüllte meine leibliche Mutter mich an. Aella wollte für die beleidigenden Worte gegen mich die Frau angreifen. Ich hielt sie zurück.

»Das kann nur von einer alten verbitterten Schabracke kommen. Da hat jemand aber Minderwertigkeitskomplexe«, fauchte meine Freundin bissig zurück. Diesmal musste mein Vater seine Frau zurückhalten.

Ich hatte mein Mädchen, mein Vater hatte seine hoffentlich baldige Scheidungspartnerin. Mein Mädchen.

»Es reicht«, ächzte ich und Aella ließ es sein. Dennoch zeigte sie meiner Mutter den Mittelfinger. Für mich war es wunderschön. Ich konnte nicht faszinierter von ihr sein. »Es reicht mir, ich habe es so satt mit dir... deiner Art...dich überhaupt«, richtete ich mich an meine Mutter. Sie öffnete entsetzt den Mund und schüttelte fassungslos den Kopf.

»Ich hatte gehofft, dass deine gestörten Handlungen ein Ende haben, aber du bist einfach nur krank! Nicht nur hast du Kate und Henry verstört, nein, jetzt schlägst du die Person, die mir am wichtigsten ist! Du hast kein Recht, so etwas zu tun! Ich habe es so satt, nach deiner Pfeife zu tanzen, nein, ich mache da nicht mehr mit!«, brüllte ich sie an. Mir wurde ganz schwindelig.

»Aella war die ganze Nacht bei mir und hat sich um mich gekümmert. Verdammt, sie hat sogar meine Kotze ausgewischt! Und was machst du?!«, ich pausierte meinen Ausraster, weil sich alles drehte. Ich musste mir den Kopf halten.

Die Frau gegenüber schien geschockt über meine Worte zu sein, denn ich verteidigte sie nicht, wie es ein guter Sohn tun würde.

»Du bist der verabscheuungswürdigste Mensch in meinem gesamten Leben und jede einzelne Sekunde mit dir ist zu viel. Das einzig faire wäre es, wenn du dich aufrichtig bei Aella entschuldigst, die einzige Person, die sich um mein Wohlbefinden schert und an meinen Wert glaubt«, krächzte ich enttäuscht heraus. Ich hatte kein schlechtes Gewissen wegen meiner Worte.

Jeder war sprachlos und dann musste ich schwer husten. Mit mir ging es plötzlich heftig bergab. Aella stützte mich sofort, da ich kaum stehen konnte. Mein Vater stieß seine noch im Schock stehende Frau weg, und kam zu mir. Er legte seine Hand an meine Stirn und rief sofort nach Angestellten, die langsam herbeikamen. Ich wollte nicht von ihnen in mein Zimmer gebracht werden. Stattdessen wollte ich die Suppe probieren, denn ich wollte mit die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Also ging ich zurück in die Küche.

Ich muss ehrlich sein, das Essen war weder gut noch schlecht. Mir ging es nicht besonders gut, um überhaupt etwas Vernünftiges schmecken zu können. Es war schade, denn ich hätte gerne einen Witz gemacht, dass die Gemüsesuppe versalzen war, auch wenn es nicht so gewesen wäre.

Ich saß noch an der Kücheninsel, als ich meine Eltern streiten hörte. Irgendwo krachte eine Tür. Die Angestellten, die hinter mir lauerten, schickte ich weg. Nur eine Person durfte bleiben, Aella.

»Verklage sie oder mach, was immer du willst«, sprach ich fiebrig, »du verdienst es nicht, so behandelt... zu werden.« Mein Kopf fühlte sich schwer an, dennoch versuchte ich, ihn zu heben.

Aella berührte meine Stirn. Ihre Finger wanderten zu meinen Lippen, nur um meine Temperatur wieder zu spüren. Sie war mir so nah.

»Aella... ich weiß, dass es keinen schlechteren Zeitpunkt... geben könnte, aber ich hätte es dir früher sagen sollen«, hauchte ich schwer. Sie versuchte, meine Worte abzufangen, damit ich mich ausruhte, aber ich wollte es unbedingt loswerden.

»Ich habe schon lange darüber nachgedacht, viel zu lange. Ich wollte es dir schon vor Monaten sagen, aber ich hatte zu große Angst davor, dass ich mich lächerlich gemacht habe. Aber ich kann nicht länger schweigen... Ich kann mir nichts mehr vormachen. Schon viel früher... aber an dem Abend, an dem ich etwas von dir hören wollte... was ich für dich bin... das hatte einen Grund.«

Ich brauchte eine Pause und röchelte schwer. Aella hörte mir nur zu, oder vielleicht war ich nicht ganz bei Sinnen, dass ich ihre Reaktion nicht ganz erfassen konnte. Ich drehte mich dennoch zu ihr, während sie mich einfach betrachtete.

»Aella, ich will mehr als das...«, gab ich noch halb von mir, bevor ich mein Bewusstsein verlor oder nicht mehr bei mir war. Egal was es war, alles verschwamm.


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