14 | Rebellion

2.133 Worte

Das Bild von mir als Cartoonfigur verfolgt mich noch den restlichen Schultag, selbst als ich mit Sammy auf dem Weg nach Hause bin. Seiner Planung für den morgigen Abend höre ich nur mit halbem Ohr zu.

Meine Aktion war hochgradig peinlich. Ginger braucht mich nicht zu demütigen, das schaffe ich ganz alleine. Anstatt mich normal zu benehmen und wie alle anderen den Raum zu verlassen, ziehe ich lieber die Aufmerksamkeit der versammelten Schülerschaft auf mich und springe wie ein Elefant in die Luft.

Beschämt vergrabe ich das Gesicht in meinen Händen und würde am liebsten die Zeit zurückdrehen. »Ich bin so ein Idiot!«

Sammy hält abrupt in seiner Planung inne. »Ähm, okay ... Ich schätze mal, du hast mir nicht zugehört, oder?«, stellt er von der Seite fest und seufzt. »Was ist los?«

»Ginger hat ihre Ruhephase anscheinend beendet. Vor dem Englischunterricht ist sie wieder auf mich los.«

Sammy wirft mir einen entgeisterten Blick zu. »Warum erzählst du mir erst jetzt davon? Was hat sie gemacht?«

»Was sie gemacht hat, ist egal. Viel schlimmer ist meine Reaktion darauf.« Wieder schlage ich mir die Hände vors Gesicht und widerstehe dem Drang, meine Knie an die Brust zu ziehen, denn dann würde ich mit meinen Schuhen Sammys Sitz verdrecken.

»Und?«, fragt er vorsichtig, nachdem ich nicht weiterrede.

Ich hole tief Luft und lege den Kopf in den Nacken, während ich die Flecken im Stoff der Autodecke zähle. Es auszusprechen, macht die ganze Aktion noch peinlicher als sie sowieso schon ist. »Sie hat gesagt, ich würde jedes Mal, wenn ich einen Schritt mache, Erdbeben auslösen. Deshalb habe ich mich nach dem Unterricht so leichtfüßig wie möglich bewegt. Das ist ihr natürlich aufgefallen. Wahrscheinlich hat sie genau auf diese Reaktion abgezielt. Als ich ihr zufriedenes Gesicht gesehen habe, ist dann irgendwie eine Sicherung bei mir durchgebrannt. Wütend habe ich den Stuhl an den Tisch geknallt und gefragt, ob sie die Erschütterung schon spürt. Dann bin ich wie eine Bescheuerte einmal auf der Stelle gesprungen und aus dem Raum gerauscht.«

Die kleinen, dunklen Sprenkel an der Decke, die von einer Coladose stammen, erregen meine Aufmerksamkeit. Sie sind da gelandet, nachdem Sammy und ich bei Mc Drive Essen bestellt haben und noch in einen Supermarkt gefahren sind, um zwei Dosen Cola zu kaufen, weil die Sirupcola von Mc Donalds einfach nicht schmeckt.

Sammy hat meine Dose auf dem Weg zum Auto geschüttelt, ohne dass ich es mitbekommen habe und als ich sie dann geöffnet habe, gab es eine riesige Sauerei. Die Decke war voll, ich war voll, der Sitz war voll – und er saß neben mir und hat sich kaum noch halten können vor Lachen.

Diese Erinnerung vertreibt für einen kurzen Moment die Bilder des heutigen Tages.

Sammy stellt das Auto vor meinem Haus ab und wendet sich mir zu. »Weißt du, Gio, das, was du gemacht hast, mag dir zwar peinlich vorkommen ... «

»Es ist peinlich«, unterbreche ich ihn und starre weiter an die Decke.

»Lass mich ausreden. Es mag dir zwar peinlich vorkommen, aber du widersetzt dich Ginger. Du nimmst nicht mehr alles an, was sie sagt, sondern rebellierst dagegen.«

Ich lache verächtlich auf. »Tolle Rebellion.« Doch dann besinne ich mich und schaue zu Sammy. »Tut mir leid. Ich bin unmöglich.«

»Stimmt«, sagt er, doch sein Lächeln zeigt, dass er es nur zur Hälfte ernst meint.

»Danke.« Aufgemuntert lehne ich mich über die Mittelkonsole und umarme meinen besten Freund zum Abschied. Als ich mich wieder von ihm löse, deute ich zur Decke und meine: »Das bekommst du übrigens immer noch zurück. Auch wenn es schon zwei Monate her ist, habe ich das nicht vergessen.«

Er lacht. »Mist, ich hatte es gehofft. Dann nehme ich mich ab jetzt besser wieder in Acht.«

»Besser ist das.« Ich habe die Tür schon in der Hand und will sie wieder zuwerfen, da fällt mir noch etwas ein. »Ach übrigens, mein Dad holt morgen das Auto aus der Werkstatt und fährt mich dann morgens ab sofort wieder zur Schule.«

»Cool. Aber ich nehme dich weiterhin nachmittags mit heim, oder?«

»Wenn du das auch weiterhin möchtest«, schmunzle ich ihn an und verabschiede mich entgültig von ihm. »Wir sehen uns morgen Abend.«

Als ich die Tür aufschließe und ins Haus trete, steigt mir eine Wolke an köstlichen Essensdüften in die Nase. Freitags ist Dad früher zu Hause als an den anderen Tagen in der Woche, weshalb er schon mit dem Kochen für das Abendessen beginnt.

Neugierig, aber auch ein bisschen ängstlich, was es heute gibt, stelle ich meine Tasche ab und gehe in die Küche. Ich möchte nicht, dass es zu einer erneuten Auseinandersetzung wegen des Essens kommt. Meine Sorgen lösen sich jedoch in Wohlgefallen auf, als ich hinter Dad an den Herd trete, auf dem verschiedenes, in Scheiben geschnittenes Gemüse in einer Pfanne vor sich hinbrutzelt.

»Das duftet herrlich.«

Dad dreht sich zur mir herum. Um seine Hüften baumelt eine Kochschürze, auf der Darth Vader eine Grillgabel mit einem aufgespießten Würstchen in der Hand schwingt. Darunter steht der Spruch ›Ich bin dein Brater‹. Ein Jahr nach Mums Verschwinden haben Sammy und ich ihm diese Schürze geschenkt. »Hey Schatz«, sagt er und gibt mir einen Kuss auf die Stirn. »Wie war die Schule?«

»Nicht anders als sonst«, weiche ich seiner Frage aus und nehme einen Löffel aus der Schublade, um mir etwas von dem Essen aus der Pfanne zu stibitzen. »Mhh, lecker«, seufze ich. »Was kochst du?«

»Gemüsecurry mit Hähnchenstreifen und ein bisschen Reis. Extra für dich.«

Mir wird warm ums Herz und ich lehne mich an ihn. Diese versöhnende Geste löscht alles Negative, das an diesem Tag passiert ist, aus. »Und wo ist das Hähnchen?«

»Bereits fertig geschnitten und gewürzt im Kühlschrank.« Dad nimmt die Pfanne vom Herd, schichtet das Gemüse auf einen großen Teller, füllt etwas Öl in die Pfanne und beginnt das Hähnchenfleisch anzubraten. »Ich habe sogar extra Olivenöl gekauft, weil ich gelesen habe, dass es gesünder sein soll als Bratöl«, sagt er beiläufig und schiebt mit einem Kochlöffel das Fleisch in der Pfanne umher, damit es gleichmäßig braun wird.

»Ich liebe dich, Dad.« Glücklich drücke ich ihm einen Kuss auf die Wange und beginne damit, den Tisch zu decken.

Das Essen schmeckt wahnsinnig gut. Ich stürze mich auf die Gemüsepfanne und das Hähnchen, während mein Dad sich und mir einen Esslöffel Reis auf den Teller schichtet. Nach dem bisschen Salat, das ich heute in der Schule gegessen habe, bin ich vollkommen ausgehungert und esse über die Hälfte der Gemüsepfanne auf.

»Ich schätze mal, das bedeutet, es hat geschmeckt.«

»Und wie.« Zufrieden lehne ich mich auf dem Stuhl zurück und lege meine Unterarme auf meinem Bauch ab. Ich bin satt, aber nicht voll. Hätte ich die gleiche Menge an Pommes oder Nudeln gegessen, würde ich platzen und mich fünf Kilogramm schwerer fühlen. Doch das Gemüse und das Hähnchen sind leicht im Magen.

So habe ich mir Dads Unterstützung vorgestellt. Zusammen mit meinem Sportprogramm steht dem Ziel abzunehmen jetzt nichts mehr im Weg.

🍭🍭🍭🍭🍭

Am Samstagabend holt Sammy mich für die Party ab, die bei Etienne stattfinden soll. Da ich ihm am Freitag während der Heimfahrt nicht wirklich zugehört habe, haben wir heute Vormittag nochmal telefoniert, und er hat mir erzählt, bei wem wir uns überhaupt treffen.

Wahnsinnig aufgeregt sitze ich ausgehfertig auf der Treppe im Flur und warte darauf, dass Sammy klingelt.

Ich habe bestimmt eine halbe Stunde mit mir gerungen, ob ich es wagen soll, nochmal eine Jeans zu tragen statt der Jogginghose. Und eine weitere halbe Stunde habe ich damit verbracht, abwechselnd Jeans oder Jogginghose anzuziehen und mich zu betrachten.

Ein paar Mal war ich kurz davor, mich für die weite Hose zu entscheiden, aber schlussendlich siegte der Mut und der Gedanke daran, wie herzlich Vero, Etienne und Jonah mich in ihrer Gruppe aufgenommen haben.

Sie werden mich nicht auslachen.

Und zwar nicht, weil sie mir nicht sagen würden, dass die Hose nicht gut an mir aussieht, sondern weil ich darin besser aussehe, als Ginger mich glauben machen möchte.

Einen etwas weniger weit geschnitten Pullover anzuziehen, habe ich mich dann aber doch nicht getraut.

Das Schellen der Klingel reißt mich aus meinen Gedanken und ich springe zur Tür, um meinem besten Freund zu öffnen.

»Hey, kann's losgehen?«, fragt er, während er mich kurz in seine Arme schließt.

»Ja, ich denke schon.«

»Du siehst hübsch aus. Ich mag es, wenn du Jeans trägst.«

»Danke.« Etwas unbehaglich ziehe ich mit den Daumen die Pulloverärmel über meine Hände. Dann rufe ich ins Haus, dass ich jetzt weg bin und es heute Abend wahrscheinlich spät wird.

🍭🍭🍭🍭🍭

Sammy parkt direkt vor Etiennes Haus, das sich in einem der gehobeneren Viertel von Brownsville befindet. Ein Kieselweg, gesäumt von bunt blühenden Azaleen, führt vom Bürgersteig zum Haus. Ein SUV und ein Mittelklassewagen, wahrscheinlich Etiennes, stehen links neben dem Haus unter einem Carport.

Vero und Jonah sind vermutlich schon da, da außer Sammys Auto noch zwei weitere vor Etiennes Grundstück parken.

Als ich meine Hand zum Türgriff ausstrecke, merke ich erst, wie nervös ich bin. Ein kaum wahrnehmbares Zittern erfasst meinen Körper, während mein Herz aufgeregt gegen meine Rippen klopft.

Addison ist nicht da, trotzdem frage ich mich, wie der Abend verlaufen wird. In der Schule zusammen zu essen, ist etwas ganz anderes als einen gemeinsamen Abend zu verbringen. Vielleicht bin ich ihnen zu langweilig oder nicht lustig genug.

Sammy bemerkt mein Zögern und legt beruhigend seine Hand auf mein Knie. »Hör auf, dir Gedanken zu machen, Gio.«

Das sagt sich so leicht.

»Weißt du, warum das meine Freunde sind?«

Ich schüttle den Kopf. Meine Hand ruht immer noch auf dem Türgriff.

»Weil sie einen genau so nehmen, wie man ist. Du musst dich nicht verstellen, damit sie dich mögen. Nein, sie mögen dich, weil du eben so bist, wie du bist.« Sanft streichelt er mit seinem Daumen über mein Knie. Dankbar für seine Worte lege ich meine Hand auf seine und drücke sie.

»Okay.«

»Dann komm. Zeit, etwas Spaß zu haben.«

Meine negativen Gedanken beiseitedrängend öffne ich die Tür und steige aus. In der Schule bin ich bereits mutiger, also schaffe ich das hier auch.

Musik dringt leise nach draußen, als Sammy und ich vor der Haustür stehen bleiben. Ich höre das Schlagen und Scheppern von Blech auf Blech und Terks bekanntes ›Shooby doop dobby dop‹ aus Tarzan.

Augenblicklich muss ich lächeln. Vielleicht waren meine Sorgen tatsächlich unbegründet.

Sammy drückt auf die Klingel und wenig später öffnet uns eine singende Veronique.

»Shooby doop dobby dop«, begrüßt sie uns synchron mit Terk, »kommt rein.« Und zieht, kaum dass die Tür ins Schloss fällt, mit wiegenden Hüften wieder von dannen.

Neugierig foge ich meinem besten Freund nach links in einen riesigen Wohn-Ess-Bereich. Links vor mir steht ein riesiges Eck-Sofa, dass einlädt, sich darauf zu werfen, in Decken einzukuscheln, einen Film zu schauen und nebenbei etwas Popcorn zu futtern.

Vor dem Sofa steht ein Kaffeetisch mit jeder Menge Snacks und Knabbereien. Ich entdecke Möhrensticks mit passendem Kräuterdip dazu, Chips, Schokoriegel und Nüsse, nur leider kein Popcorn. Daneben stehen fünf verschieden-farbige Coca-Cola Gläser von McDonalds, alle aus der gleichen Edition.

»Vorsicht.« Mit einem Sixpack Cola und zwei weißen Limos unter dem einen Arm und zwei Sixpack Bier unter dem anderen taucht Etienne hinter mir auf und versucht, die Getränke-Stapel abzustellen, ohne alles fallen zu lassen. Ein Wunder, wie er das alles bis hierher getragen bekommen hat.

Ungefragt nehme ich die zwei Limos und stelle sie zu dem Sixpack Cola, das Etienne neben dem Tisch auf dem Boden platziert. »Danke.«

»Kein Ding.«

»So Leute, macht mal Platz für die wichtigste Zutat dieses Abends«, verkündet Vero, die mit einer großen Schüssel voller Popcorn ins Zimmer geschlendert kommt. Hinter ihr folgt Jonah. »Frisch aus der LeBron'schen Popcornmaschine.«

»Ihr habt eine eigene Popcornmaschine?«, rutscht es mir einfach so heraus.

Etienne zuckt bloß lässig mit den Schultern. »Nur eine kleine. Meine Großeltern haben sie mir mal vor ein paar Jahren zum Geburstag geschenkt.«

Grinsend knufft Jonah ihn in die Seite. »Er lügt, unser kleiner bescheidener Brownie. Klein ist sie nicht.«

»Sie ist jetzt aber auch nicht riesig«, verteidigt er sich.

»Aber auch nicht klein.«

»Meinetwegen.«

In mir stellt sich so etwas wie Bewunderung für Etienne ein. Seine Eltern scheinen viel Geld zu verdienen und viele Jungs – besonders Jungs mit seinem guten Aussehen – würden wohl keine Sekunde warten, damit anzugeben. Doch er versucht, das Ganze sogar noch runterzuspielen.

»Kommt Jungs, ich will endlich anfangen zu spielen und zu singen und zu tanzen. Giovanna und ich werden euch in Grund und Boden stampfen«, drängt Vero, greift sich eine handvoll Popcorn aus der Schüssel und stupst mich mit ihrer Hüfte unerwartet schwungvoll an, sodass ich zwei Schritte zur Seite stolpere, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

»Wir tun was?«, frage ich latent entsetzt, weil ich meine, gehört zu haben, dass sie ›singen und tanzen‹ gesagt hat. Ich kann nicht tanzen und schon gar nicht singen.

A./N.: Gio fängt also an, sich auch privat mit Sammys Freunden zu treffen. Was glaubt ihr, wie der Abend verlaufen wird? Ich verrate nur so viel: Ich habe noch einiges geplant und hoffe, dass es euch gefallen wird.

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