Zwei Blinde

"Morgen", kam es Thorin über die trockenen Lippen.
"Wir sollten es spätestens morgen tun." 

Fili nickte. "Es ist ein seltsames Gefühl, sie hier oben liegen zu haben. Sie gehören zu ihrer Mutter."

Bilbo sagte nichts und starrte weiter auf seine Zehen, auch wenn er Filis Meinung teilte. Das taten sie alle.
Er spielte wieder mit den Ärmeln seines Hemdes, ohne es zu merken, biss sich auf die Unterlippe, ohne es zu spüren. Inhalierte die kalte, vom schweren Wachsgeruch getränkte Luft und stieß sie wieder aus, während er den Blick hob und auf das glatte Holz des Tisches starrte. 

Er hatte begonnen, diesen Raum zu hassen. Dieses stickige, düstere Zimmer mit seinen unbequemen Stühlen, den trostlosen kleinen Fenstern und den rostigen Kronleuchtern, von denen das Wachs heruntertropfte. Vielleicht lag es weniger an dem Raum, sondern eher an den Erinnerungen, die er mit ihm verband, doch er war zu sehr damit beschäftigt, Thorins gestrigen Worte zu verdauen, als dass er diese Option überhaupt in Betracht gezogen hätte. 

Der Schwarzhaarige spürte, wie Bilbo ihn aus dem Augenwinkel betrachtete, hörte eine Stimme in seinem Kopf, die ihn anschrie, zu ihm zurückzusehen und eine andere, die ihn hieß, es nicht zu tun. Der Halbling schluckte, malte sich aus, was Thorin wohl tun würde, wären die anderen nicht im Raum. Würde er schweigen? Versuchen, ihm weiter klar zu machen, dass ihre Beziehung zum Scheitern verurteilt war? Dass zu viel auf dem Spiel stand? Die Nacht, die Bilbo hinter sich hatte, war die einsamste seit langem gewesen, und das sah man ihm an. 

Dass Thorin ihn nicht ansah, verletzte und beruhigte ihn, denn das Gefühl, das ihn für gewöhnlich überkam, wenn er in seine Augen sah, versetzte ihn in Tagträume und Trancen, aus denen er nicht wieder erwachen wollte, verschob seine Prioritäten und bewirkte, dass er sich selbst ein Fremder wurde. Gandalf hatte ganz recht gehabt, damals. Er war bei weitem nicht mehr der Hobbit, der er einst war. Dieses alte Ich hatte Bilbo längst begraben, und manchmal, in seltsamen, unscheinbaren Momenten, sehnte er sich danach zurück, als wäre es ein alter Freund. 

"Darin sind wir uns wohl einig", hörte er Thorin schließlich sagen und zwang sich, sich wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. "Gloin, wie sieht es mit der Seilbahn aus?"

"Wir haben uns die Seile angesehen", erwiderte der Rotbärtige, "und es ist unabdingbar, ein paar Ausbesserungen vorzunehmen. Wenn wir jetzt mit den Reparaturen anfangen, dürften wir am frühen Nachmittag fertig sein."

Bofur, der zwei Stühle von ihm entfernt saß, räusperte sich. "Was die Gondeln betrifft - wir sollten kein unnötiges Risiko eingehen und nur so wenige wie möglich dort hinab schicken. Der Transportweg ist alt."

Thorin nickte, er hatte mit etwas Derartigem gerechnet. Seine Mundwinkel zuckten, als er in die Runde blickte, mit ernstem, aber doch entspanntem Gesicht. Es gelang ihm nicht, zu verbergen, dass er Schmerzen hatte, das hatte er früh genug eingesehen, doch die Stimmen in seinem Kopf hießen ihn, es dennoch zu versuchen. Sie sahen nicht, wie er seine Hand unter dem Tisch zur Faust ballte, vielleicht, weil er den Schmerz kompensieren wollte, vielleicht, weil er versuchte, sich davon abzuhalten, an das Gespräch mit Bilbo zu denken. Beides gelang ihm nicht. 

"Ich gehe nicht davon aus, dass es jemanden unter euch gibt, der diesen Weg freiwillig antreten will?" Es überraschte ihn nicht, dass sich jeder einzelne auf diese Frage hin meldete. Er wäre selbst gegangen, hätte er nicht dazu gelernt und Bilbo versprochen, dass er sich ändern würde. Der Halbling saß noch immer mit gesenktem Kopf auf seinem Platz neben Thorin, als hätte er die Frage nicht gehört, und es kostete den Schwarzhaarigen eine große Überwindung, so zu tun, als wäre nichts. Es tat ihm weh, ihn so zu sehen, weit mehr, als ihn seine Wunden schmerzten. 

Er zwang sich mit schlechtem Gewissen, sich nicht auf ihn zu konzentrieren und ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. Sie bräuchten vier, vielleicht fünf Zwerge für den Weg nach unten; vier, um die Drachen zu tragen, und einen Fackelträger, mindestens. "Ori, Nori... Fili, Kili und Bofur. Ich denke, das dürfte genügen." 

Sein Satz ging in einem heiseren Husten unter, und die Hand, die er unter dem Tisch zur Faust geballt hatte, schnellte nach oben, um nach den Narben zu tasten, denn ihm war, als stünden sie in Flammen. Es war das erste Mal an diesem Morgen, dass Bilbo den Kopf hob. 

Da Thorin nicht fähig war, zu sprechen, sprang Balin für ihn ein und erklärte die Versammlung für beendet. "Damit wäre wohl alles geklärt", meinte er und sah mit ernstem Gesicht in die Runde. Sein Blick blieb bei Thorins jüngerem Neffen hängen, dem ganz offensichtlich eine Frage auf der Zunge brannte. "Kili?"

"Wo wir schon einmal beim Thema sind", begann er und beugte sich ein wenig vor, ehe er weitersprach. "Was genau wird nun aus den vergessenen Hallen? Ihre Wächterin ist nun tot, was hindert uns daran, unsere Arbeiten dort unten fortzusetzen?"

Es war, als hätte jeder im Raum diese Frage schon in sich getragen, ohne es zu wissen, denn mit einem Mal wanderten alle Blicke zu Thorin, der mit blassem Gesicht auf seinem Platz kauerte. Er räusperte sich mehrmals, ehe er eine Antwort gab, als wollte er einen zweiten Hustenanfall vermeiden, doch Bilbo wusste, dass er es tat, um Zeit zu gewinnen.

"Darüber werden wir später entscheiden", entkam es seinen bleichen Lippen nach einigen Sekunden, seine Stimme klang rauer und schwächer als zuvor und zwang sie dazu, sich vorerst mit dieser Antwort zufrieden zu geben. Er presste die Zähne aufeinander, stützte sich an der Tischkante ab und erhob sich, um zu zeigen, dass das Gespräch beendet war, unterschätzte die Schmerzen in seiner Brust und wäre beinahe zusammengeklappt, hätte Balin ihn nicht am Arm gepackt. 

Der Weißbärtige nickte den anderen zu, die sich auf sein Zeichen erhoben und in Richtung der Tür schlurften, mit langsamen, zögernden Schritten, die zeigten, dass sie lieber geblieben wären. Als Balin sich sicher war, dass Thorin wieder stehen konnte, folgte er ihnen, und bevor er über die Türschwelle trat, warf er Bilbo einen Blick zu, der ihm wohl irgendetwas sagen sollte, doch die Botschaft blieb dem Halbling verborgen. Für einen kurzen Moment war er versucht, ihm zu folgen. Es war ein Gedanke, für den er sich schämte.

Da waren sie nun. Zwei Blinde, gehüllt in dieses altvertraute, nichtssagende Schweigen, das sie zu fürchten gelernt hatten. 

Bilbo erlag einem inneren Kampf und hob den Kopf, um in die Augen des Schwarzhaarigen zu sehen, doch Thorin fixierte den Boden, als stünden dort Worte geschrieben, die ihm helfen würden, diese peinliche Stille zu brechen. Der Halbling legte den Kopf schief, studierte sein Profil und verlor sich in seinen Zügen wie ein blutiger Anfänger. 

Er hatte sich geschworen, dass nicht er derjenige sein würde, der das Gespräch begann, und so musste er sich zwingen, seine wirren Gedanken nicht laut auszusprechen. 
Erinnerst du dich noch an die Zeit, in der wir Freunde waren? Freunde. Nicht mehr. Nicht weniger. Wir waren glücklich, damals, war es nicht so? Ich erinnere mich noch an dein Lächeln, an die Art, wie du von der Zukunft sprachst. Von unserer Zukunft. Nun, wir haben sie erreicht, diese Zukunft, von der wir einst träumten, doch unsere Träume haben uns getäuscht. Dein Lächeln sieht heute anders aus. Nicht echt, nicht falsch. Einfach nur anders. Und die Worte, die damals noch utopisch klangen, sind uns im Halse stecken geblieben. Warum? Warum haben wir das hier nicht kommen sehen? Es war leichter, nur ein Freund für dich zu sein. Aber das bin ich nicht mehr. Seine Mundwinkel zuckten, ohne dass er es bemerkte. Und ich möchte nichts daran ändern.

Und nach einer kurzen Weile öffnete auch Thorin die Lippen. Er wollte ihm etwas sagen, eine Art "Danke, dass du geblieben bist", doch in seiner Brust wurde es eng und der bloße Gedanke ans Sprechen ließ ihn im Schmerz erzittern. 

"Ich war ein Narr", kam es ihm heiser von der Zunge, nachdem ein paar Sekunden verstrichen waren. Es war der einzige Satz, der ihm in diesem Moment einfiel. 

"Ja", flüsterte Bilbo irgendwann, erhob sich langsam von seinem Platz und schob den Stuhl zurecht. "Ja, das warst du."

Thorin fuhr sich über das Gesicht, als wollte er die Müdigkeit hinfort wischen, die ihm das Denken erschwerte. Natürlich brachte es nichts. "Bitte verzeih mir. Ich... ich hätte nicht zweifeln dürfen, das war ein Fehler. Ich wünschte, ich wüsste, was gestern mit mir los war."

Der kleine Hobbit nickte. "Ich hatte eine ganze Nacht Zeit, darüber nachzudenken und... und ich glaube, ich weiß es." 
Der Schwarzhaarige sah zu, wie er von der Stuhllehne abließ und mit langsamen, lautlosen Schritten auf ihn zukam. Er wagte es erst, in seine Augen zu sehen, als er direkt vor ihm stand, den Kopf schief legte und die Lippen öffnete, die er jetzt gerne geküsst hätte. Die Art, wie er ihn ansah, brachte sein Herz zum Rasen und seine Gedanken zum Stillstand. Als er schließlich sprach, begann etwas unter seinen Lidern zu brennen, doch das war in Ordnung. Er hatte gelernt, es zu verbergen.

"Ich bin noch nie jemandem begegnet, der ein größerer Kämpfer war als du es bist, und dafür bewundere ich dich, doch du solltest dir klar darüber werden, wogegen du eigentlich kämpfen willst, Thorin. Du sprachst gestern von Dämonen, aber ich glaube, du meintest etwas Anderes. Etwas sehr viel Naheliegenderes." Vorsichtig trat er einen weiteren Schritt auf ihn zu. Thorin hätte ihn berühren können, hätte er den Mut dazu gehabt.

"Du bist geheilt", fuhr Bilbo fort, "und du kannst deinen Kopf noch so oft schütteln wie du willst, das wird nichts daran ändern. Weshalb verschanzt du dich so sehr hinter der falschen Gewissheit, du könntest rückfällig werden? Weshalb willst du nicht einsehen, dass die schwarzen Kapitel längst hinter uns liegen? Das, was du fürchtest, sind keine Dämonen, Thorin. Das, was du fürchtest... ist das hier."
Er streckte die Hand aus und berührte die Stelle, an der Thorins Herz schlug. 

Die Lippen des Schwarzhaarigen bebten. Bilbo konnte spüren, wie er im Bann seiner Berührung erstarrte, und als er fühlte, wie die Herzschläge des Größeren schneller und intensiver wurden, überraschte ihn der Drang, zu lächeln. Er ließ die Hand wieder sinken, ehe er weitersprach.

"Du musst nicht dagegen kämpfen, du musst dich nicht verstellen. Es ist in Ordnung, du selbst zu sein. Und es ist in Ordnung, Fehler zu machen. Wir werden nicht durch unsere Fehler definiert, sondern durch die Art, wie wir mit ihnen umgehen. Vergiss das nie.
Manchmal trifft man die richtige Person zur falschen Zeit, das waren deine Worte. Aber weißt du was? Wir mussten lange genug warten, wenn nicht jetzt, wann dann? Ich hatte dir einmal gesagt, ich würde ein Buch schreiben, weißt du noch? Und - nun ja - die letzten Wochen werden es um ein paar Kapitel länger machen als ich ursprünglich dachte, auch das Ende wird ein anderes sein. Wie, meinst du, soll der Schlusssatz lauten? 'Sie hätten glücklich werden können, doch sie entschieden sich dagegen, weil sie sich zu sehr fürchteten' - das ist nicht unbedingt die Geschichte, die ich gerne erzählen würde."

Thorin seufzte. "Und du meinst, es liegt in meiner Hand, über das Ende zu entscheiden?" Als er blinzelte, rann eine Träne über seine Wange und er senkte den Blick, so als würde er sich schämen.
"Es klingt so leicht, wenn du es sagst."

"Weil es so leicht ist", entgegnete Bilbo mit einer Entschlossenheit, die ihn selbst überraschte. "Los doch. Sieh mir in die Augen und sag mir, wie unsere Geschichte enden soll."

Wie unsere Geschichte enden soll? Der Schwarzhaarige hob den Kopf, erkannte, dass Bilbo die Antwort schon kannte, ehe sie ihm selbst überhaupt in den Sinn kam. Und während er in seine Augen sah, wurde er von dem Drang übermannt, nach seinen Händen zu greifen, und er beschloss, sich nicht länger dagegen zu wehren.
"Wenn... wenn es nach mir ginge... dann würde sie niemals enden", flüsterte er, als sich ihre Finger ineinander verschränkten.

"Richtige Antwort", hauchte Bilbo. Auf seinen Lippen erschien ein blasses, bitteres Lächeln, und nicht einmal er selbst war sich sicher, ob es ein ehrliches war. Das war nicht von Belang.

Die zitternden Hände des Zwergenkönigs zogen ihn ein wenig näher, in einer zögernden Bewegung, so schwach, als wollte er Bilbo die Freiheit lassen, sich dagegen zu wehren. Doch Bilbo ließ es mit sich geschehen, im Bann eines unstillbaren Verlangens, getrieben von demselben bitteren Wunsch nach Nähe, der auch Thorins Herz erfüllte. Sie lächelten nicht mehr, als sie sich in die Augen sahen, denn ein Lächeln hätte sich falsch angefühlt; falsch wie eine Lüge. Fast zeitgleich öffneten sie die Lippen, als wollten sie etwas sagen, entschieden sich im letzten Moment dagegen und erstickten ihre Gedanken in einem benommenen Kuss, der sich irgendwie anders anfühlte als sonst.

Der Kuss war sanft und lang und erlöste sie von einem Hunger, den sie erst bemerkten, als sich ihre Lippen trafen. Er schmeckte nach Tränen und Reue, und einer Prise Trauer; es war kein Kuss aus Freude und das spürten sie, es war das Ergebnis eines stummen Bedürfnisses; dem Wunsch, sich lebendig zu fühlen und für diesen einen Moment so zu tun, als wäre ihr Innerstes noch ganz. Als stünden sie auf keinem Scherbenhaufen.

Der Zauber, den Berührungen wie diese mit sich brachten, war wie kaltes Wasser auf einer Wunde, wie Regen nach einer Dürre, wie Licht nach einer langen Zeit erbarmungsloser Finsternis. Hat man ihn einmal erfahren, braucht man ihn ein Leben lang, um sich wirklich lebendig zu fühlen, es ist wie eine Sucht, wie eine Versuchung, der Bilbo nur allzu gerne verfiel. Zwischen Thorins Armen fühlte er sich schwach, und doch bemächtigt durch eine Flamme, die ihm unvernünftig erschien, bemächtigt durch den Glauben an ein gutes Ende. Bemächtigt durch den Zauber von Liebenden.

Ihre Lippen waren tränennass, als sie sie voneinander lösten. Ihr Atem war schwerer als zuvor, ihre Herzen schlugen in einem schnelleren, erregten Takt, der langsam in ihren Köpfen verhallte. Bilbo spürte, dass die Arme, die ihn hielten, zitterten, hob seinen Blick und sah in die Augen des Schwarzhaarigen, strich ihm eine Träne von der Wange und ließ seine Hand auf der Stelle ruhen. Der Zwerg lächelte schwach, bevor er sie ergriff und einen sanften Kuss auf Bilbos Handfläche setzte.

Der Halbling fragte sich, ob Thorin überhaupt wusste, was er mit seinen Augen schon alles angerichtet hatte und wozu sie in der Lage waren. Vielleicht wusste er das in der Tat, und sein Blick war rein strategischer Natur. Vielleicht war dieses Lächeln nur ein Trick. Vielleicht war dieses Zittern nur das Symptom einer Lüge und der Kuss nur ein Mittel, um sein Gewissen zu beruhigen. Aber passte das zu Thorin? Eine Lüge aus Berechnung? Ein Kuss aus schlechtem Gewissen? Er entschied sich, den Blickkontakt abzubrechen, als er nach einer Antwort suchte und keine fand, legte ihm beide Arme um den Hals und zog ihn in eine vorsichtige, schuldig wirkende Umarmung. Thorin erwiderte sie, benommen, dankbar; ihm kam die Umarmung ganz gelegen, denn sie verbarg seine Emotionen vor den Augen des Halblings. Er wog sich in der Sicherheit körperlicher Nähe und geistiger Distanz.

Der Himmel gab ein raues Stöhnen von sich, das langsam in den Weiten verklang und wieder von neuem ertönte. Sachte fuhr Thorin ihm durch das Haar und schloss die Augen, lauschte dem Himmelslied und den Herzschlägen seines Halblings, die seinem Atem den Rhythmus vorgaben. Eine Träne rollte ihm über die Wange, doch er regte sich nicht, er würde es nicht wagen. Alles in ihm hielt still. 

Ein dünner Luftzug kam auf, sanft und kalt, strich ihnen über die Wangen und sickerte durch ihre Kleider, und machte den Augenblick zu einem dieser Momente, deren Bedeutung man erst erkennt, sobald sie zu Erinnerungen werden. Es war einer dieser Momente, an die sie später mit geschlossenen Lidern zurückdenken würden, mit einem blassen, bittersüßen Lächeln auf den Lippen, in einer Zeit, die sie noch nicht kannten, in einer Zeit, in der sie - vielleicht - glücklicher sein würden als in diesem Augenblick.

Hinter Bilbos Rücken schloss Thorin die Augen. Und seine Gedanken spielten das altbekannte Lied vertaner Chancen. 

Die Melodie verfolgte ihn nach wie vor, hielt ihn davon ab, die Bedeutung von Zuversicht zu erkennen, hielt ihn in ihrem Bann. Er seufzte, vergrub seine Finger tiefer in den Locken des Halblings, spürte, wie sich Bilbos warmer Körper dichter an den seinen drängte, als suchte er Schutz vor der Kälte. Behutsam strich er ihm über den Rücken, so unsicher, als besäße er kein Recht, ihn auf diese Weise zu berühren, als hätte er ihn nicht verdient.

Es dauerte seine Zeit, ehe sich Bilbo aus der Umarmung löste, um wieder in diese blauen Augen zu sehen, die er so liebte, so fürchtete. Sie hielten sich noch umschlungen, während er zu sprechen begann, ihre Gesichter so nahe beieinander, als stünden sie vor einem Kuss. 

"Wenn die anderen die Drachen dort hinab schaffen, will ich sie begleiten", flüsterte er.

Der Schwarzhaarige nickte. "Das steht dir frei." 

Er schloss die Lippen und öffnete sie wieder, und bevor er den nächsten Satz sagte, holte er tief Luft, als würde er drohen, in Bilbos Augen zu ertrinken.
"Könntest du dort unten etwas für mich tun?"

Mit einer unscheinbaren Bewegung ließ er die rechte Hand in die Innentasche seines Mantels wandern und zog einen kleinen Gegenstand heraus, den er in einer Faust verbarg, tastete dann nach der Hand seines Halblings und legte ihn darauf ab. Verwirrt wölbte Bilbo die Brauen, sah erst in Thorins Augen und schließlich auf das rostige Etwas in seiner Hand.

"Ein Schlüssel?"

"Ich will, dass ihr auf eurem Rückweg die Tore verschließt. Zwei Drehungen, mehr nicht."
Die Dringlichkeit, mit der Thorin diese Worte sagte, verriet, wie viel ihm daran lag. Das hier war keine bloße Bitte. Es klang eher nach dem bangen Flehen eines Verzweifelten. 

Bilbo zögerte. "Woher..."

"Bitte sag mir einfach, dass du es tust."

Der kleine Hobbit brauchte nicht nachzufragen, um zu erkennen, dass Thorin sich fürchtete. Es war nicht der Klang seiner Worte, der ihn darauf brachte, es war die Art, mit der er ihn berührte, die Art, wie er ihn ansah. Er musste schlucken, ehe er fähig war, ihm eine Antwort zu geben.

"Das werde ich", hauchte er schließlich, schloss die Hand und ließ den Schlüssel in seiner Tasche verschwinden.
Und dann, ganz sachte, legte er seine Arme wieder auf Thorins Schultern und sie umarmten sich erneut, als hätte sie die Kälte dazu gezwungen, doch Bilbo wusste, dass der Grund ein anderer war.

Umarmungen sind so eine Sache. Sie machen es einem leicht, zu träumen, in der Nähe eines Freundes oder Geliebten zu versinken, Trost zu finden, Dank zu zeigen. Doch vor allen Dingen machen sie es einem leicht, sich zu verstellen.
Eine Lüge geht leichter von der Zunge, wenn man sein Gegenüber nicht ansehen muss. Gefühle lassen sich leichter überspielen, wenn man sein Gesicht verbergen kann. 

Bilbo schluckte erneut, als er das Bedürfnis verspürte, Thorin etwas anzuvertrauen, was er bislang verschwiegen hatte. Es dauerte seine Zeit, ehe er den Mut aufbrachte und die Stille brach.
"Ich hatte vor, zu gehen, weißt du? An dem Abend, an dem wir uns das erste Mal küssten. Ich dachte, ich hätte diese Entscheidung getroffen, weil ich sauer auf dich war; enttäuscht über mein eigenes Unvermögen, dir zu helfen, aber... aber..."

"Aber das war nicht der Fall?" fragte der Schwarzhaarige mit rauer Stimme und spürte, wie Bilbo langsam den Kopf schüttelte.

"Der Grund war... ist... sehr viel naheliegender." Er seufzte tonlos.

"Ich habe Heimweh, Thorin. Heimweh."

Hinter seinem Rücken starrte Thorin die Wand an, froh darüber, dass Bilbo sein Gesicht nicht sehen konnte.
Ohne es zu merken, drückte er ihn ein wenig fester an sich, so fest, dass seine Narben brannten. 

Doch er spürte es nicht.





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Hey folks <3

Ich mach es mal ganz kurz und schmerzlos: Der nächste Teil wird wohl erst im Juni kommen.

Ich hab gerade ziemlich viel Stress mit Prüfungsvorbereitungen, Bewerbungen, usw., und... naja... mir geht es auch grad persönlich nicht ganz so gut. 
Ich werde weiterhin hier online sein, auf Kommentare/Nachrichten antworten, Voten, etc., aber das Schreiben ist mir gerade viel zu zeitaufwendig. Ich weiß, dass ich dadurch ziemlich viele Leser verlieren werde, aber ich schaffe es gerade nicht anders. Tut mir echt leid. 

Bin ein bisschen überwältigt, dass ich jetzt über 100 Abonnenten habe. Überwältigt und dankbar. Ihr seid toll. Danke. <3

Fühlt euch gedrückt und genießt euer Wochenende.

Adios😘

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