Unter der Asche
Kalt und matt funkelnd erhellten die Silberadern im groben Fels den Weg, der lange Zeit für verschollen galt. Für verloren. Für vergessen.
Ein seltsames Glühen lag auf dem Relief der Wände, die sich einengend und doch hoch und bedrohlich zu dem Tunnel vereinten, den sie durchschritten. Ihre Augen huschten ohne ein Wort unruhig von einem Fleck zum nächsten, blieben mal an einer Stelle hängen, die verdächtig dunkler wirkte als der Rest des Gesteins, nur um kurz darauf zu bemerken, dass es nicht der Schatten einer Kreatur, sondern nur eine Nische im Fels war. Und das Glühen blieb. Als hätte jemand Leben in den toten Stein gehaucht und einen funkelnden Schleier darübergehangen. Erst hatten sie angenommen, kleine Spinnen hätten ihre dünnen Netze darübergesponnen, die nun durch die Feuchte von glänzenden Tropfen besetzt waren, doch als sie diesen seltsamen Schimmer genauer in Augenschein genommen hatten, waren sie überrascht, dass das Glühen vom Fels selbst ausging.
Kili hatte gemeint, es wäre wie ein Hoffnungsschimmer, denn ihre Fackeln würden nicht mehr lange halten - zu dünn war die Luft in diesen Tiefen - und sollten ihre Lichter erlöschen, so würde sie wenigstens das sanfte bläuliche Glimmen der Felswände begleiten und sie müssten nicht blind durch die Dunkelheit irren.
Thorin hatte eine Weile darauf nichts zu sagen gewusst, doch als sie nach vielen Biegungen und seltsamen Verzweigungen des Weges noch immer nicht an ihrem Ziel angelangt waren und das bläuliche Funkeln langsam bedrückend wirkte, hatte er gemurmelt, es wären vielmehr Lichter der Warnung. Als würden sie sagen wollen: Geht zurück, dorthin, wo die Lichter heller scheinen, und ihre Quellen warm sind. Hier unten wirkte alles unnatürlich, wie von einem Schleier belegt, kalt, nass und unbehaglich.
Fili und Bilbo hatten nichts gesagt und ihre Gründe waren unterschiedlicher Natur.
Letzterer ging nun, nach etwa einer halben Stunde Fußweg im Schein der Silberquellen, neben Thorin, hörte den schnellen Atem durch die dünne und klamme Luft und wünschte sich mit ihm weit weg, ans Helle, irgendwohin, wo man sich wieder lebendig fühlte. Denn hier unten war man nur ein Schatten. Ein Schatten unter vielen.
Das lange schwarze Haar unter der Krone wippte bei jedem Schritt auf und ab. Die Schritte wurden je länger sie gingen größer, schneller, hastiger. Bilbo ahnte warum, doch wagte schließlich, die Stille zu brechen.
"Würde es dir etwas ausmachen, ein wenig langsamer zu gehen?"
Thorin zuckte kurz zusammen und auch Bilbo hätte es ihm fast gleichgetan, denn es war schon geradezu seltsam, nach all den Minuten des Schweigens, die sich wie Stunden angefühlt hatten, eine Stimme zu hören, selbst wenn es die eigene ist. Der Zwergenkönig nickte nur kurz und verlangsamte seine Schritte um etwas mehr, als Bilbo als notwendig erachtet hätte - ein Umstand, der seine Dankbarkeit jedoch um kein bisschen schmälerte. Als der Hobbit schon glaubte, die Kopfbewegung sei die einzige Antwort, die er erhalten würde, blieb Thorin jedoch plötzlich stehen und warf einen Blick über die Schulter zu seinen Neffen.
Der jüngere hielt den gespannten Bogen in seinen vor Nervosität zitternden Händen, bereit, ihn einzusetzen, sollten sie auf etwas Unerfreuliches stoßen. Nun ja - unerfreulich ist wohl ein zu schwacher Ausdruck. Auch sie blieben stehen, schnauften kurz und sahen ihren Onkel fragend an. Es war seltsam, dass Stimmen und Worte geradezu rar geworden waren, als würden sie alle befürchten, sie könnten die Fähigkeit des Sprechens aufbrauchen. Das lag an diesem Ort... Ein Ort, bei dem ein jeder das Gefühl verspürte, von ungebetenen Augen beobachtet zu werden. Es war, als zehrten die glimmenden Felswände von ihrer Kraft und ihrer Ausdauer, denn selbst Fili und Kili wirkten blass und schienen so müde, dass sich unter ihren Augen dunkle Ringe gebildet hatten. Ja, es war, als würde der Fels ihre Energie aufsaugen und damit dieses seltsame Funkeln nähren, das immer stärker zu werden schien, je weiter sie gingen. Doch nun standen sie und selbst dies war ausgesprochen kraftraubend.
"Ich verstehe das nicht... Wir hätten schon längst da sein sollen."
Seine Stimme war nur ein Flüstern, und dieser kratzende Ton verriet, dass selbst der sonst so starke König nicht von der Kälte verschont worden war. Als stünde er am Rande einer Erkältung wurde seine Stimme von einem rauen Schleier umhüllt, der anders und in gewissem Maße schwächer wirkte als sonst.
"Wie... wie spät ist es denn, also... also ich meine, wie lange sind wir denn schon unterwegs?", wisperte Bilbo und hatte Schwierigkeiten, ein Gähnen zu unterdrücken. Am liebsten hätte er sich hingelegt und liebäugelte in seiner müden Benommenheit schon mit dem Felsboden, doch er fasste sich noch rechtzeitig genug und sank nicht in den Schlaf.
Fili rieb sich die Augen, während er mit den Schultern zuckte und blickte daraufhin seinen kleinen Bruder durch fragende, verschlafen wirkende Augen an. Dieser blinzelte kurz und benommen, ehe er eine Schmollippe zog und die Augenbrauen hob. "Pff... Zwei Stunden? Drei?" Auch er stand am Rande des Schlafes, obgleich seine Augen recht wachsam wirkten.
Thorin schüttelte den Kopf. "Wir können noch nicht zwei oder drei Stunden gegangen sein. So lang kann der Weg zur großen Halle nicht gewesen sein, wir sind erst eine halbe Stunde unterwegs."
Jetzt schien Fili wieder hellwach. "Eine halbe Stunde? Unmöglich..."
"Das liegt an diesem Ort, oder?", fragte Bilbo mit matter Stimme. "Man verliert jegliches Zeitgefühl, wenn man hier unten ist."
Thorin nickte dieses Mal. "Seltsam, denn daran erinnere ich mich nicht. Aber selbst diese halbe Stunde bereitet mir Sorgen, denn so weit kann der Weg unmöglich gewesen sein. Ich fürchte, wir sind falsch gelaufen."
"Ich hatte es schon befürchtet. Als wir vorhin diese Biegung nach rechts gegangen sind, hätten wir links abbiegen sollen, nicht?", grummelte Fili, doch seiner monotonen Stimmlage war es anzumerken, wie gleichgültig ihm dieser unerfreuliche Umstand war. All das hier musste erstaunlich sinnlos auf ihn wirken, denn schließlich war er anderer Haltung als sein Onkel und sein kleiner Bruder, und der Vorstellung, ein weiterer Drache könne hier unten hausen, gänzlich abgetan.
"Ja, das könnte sein. Oder bei der Verzweigung davor oder der ersten. Ich denke, wir sind schon weiter gegangen, als wir eigentlich hätten gehen müssen. Lasst uns umkehren", seufzte Thorin rau und mit gedämpfter Stimme, und Bilbo meinte für einen kurzen Moment, einen Hauch von Erleichterung und zugleich Panik in seinen Worten zu erkennen, und er war sich fast sicher, denn bei dem letzten Satz hatte beides auch sein eigenes Herz ergriffen. Erleichterung - denn umzukehren würde bedeuten, nicht tiefer hinein in diesem Labyrinth aus Stein und Silber umherzuirren und den warmen Hallen in ungreifbarer Höhe, die sie vor vielen Stunden zurückgelassen hatten, um wenigstens ein paar Minuten näher zu kommen. Panik verspürte er, weil er wusste, dass die Zeit gegen sie zu sein schien - die anderen dürften die ihnen zugewiesenen Hallen seit langem schon erreicht und erkundet haben. Und vielleicht waren sie bereits auf dem Weg zu ihnen, da sie auf eine schlafende Bestie gestoßen waren. Vielleicht, ja. Diese Ungewissheit machte ihm Angst.
"Aber weshalb gibt es hier überhaupt derart viele Gänge? Dort vorn teilt sich der Weg schon wieder, sofern das meine müden Augen erkennen können", murmelte Bilbo, während er seine Fackel mit ausgestrecktem Arm in die besagte Richtung streckte. Es war vielmehr ein ausgesprochener Gedanke und er hatte nicht damit gerechnet, von irgendjemandem eine Antwort zu erhalten, doch ehe er sich's versah, stand Thorin neben ihm und folgte mit verengten Augen seinem ausgestreckten Arm.
"Sie täuschen dich nicht, deine Augen. Und was die Zahl der Gänge betrifft... Wie ich dir sagte, mussten wir es bei den fünf Hallen belassen. Bevor dies feststand, schufen wir diese Gänge, um weiter vorzudringen, doch wie du weißt, sollte es nicht dazu kommen... Die meisten Wege, die du hier siehst, sie... sie führen ins Nichts."
Das Wort "Nichts" kam seltsam scharf und traurig über seine Lippen und unter Mühe riss sich der Schwarzhaarige von dem Anblick los, drehte sich um und schüttelte den Kopf. "Wir sollten uns beeilen, sonst finden wir den Ausgang womöglich erst, wenn es zu spät ist. Solange unsere Fackeln noch brennen, sollten wir Rast vermeiden. Sie sind die einzigen Lichter hier, denen man trauen kann."
"Einen Moment." Der jüngere seiner beiden Neffen trat einen Schritt vor und senkte den Bogen, den er bis zu diesem Zeitpunkt gespannt bereitgehalten hatte. "Wäre jetzt nicht ein guter Zeitpunkt, dieser Geheimniskrämerei ein Ende zu setzen und uns endlich einzuweihen? So, wie du es schon mit Bilbo gemacht hast?"
Der Zwergenkönig und der Meisterdieb wechselten einen kurzen, ertappten Blick, als hätten sie sich abgesprochen und richteten ihre Augen verwirrt auf Kili. "Woher weißt du, dass... dass er es bereits weiß?"
Kili zog eine Braue hoch. "Es kam vor wenigen Augenblicken über deine eigenen Lippen, Onkel - 'Wie ich dir sagte, mussten wir es bei den fünf Hallen belassen.' Waren das nicht deine Worte?" Sein Blick wechselte von erstaunt zu amüsiert und seine Lippen verzogen sich zu einem unanständig schiefen Lächeln. "Oder hast du mal wieder angenommen, ihr zwei wärt allein? Wir beide sind auch noch hier, direkt hinter euch..." Er wandte sich kurz seinem Bruder zu. "Naja, bei Fili bin ich mir nicht mal mehr so sicher. Alles gut bei dir? Du siehst verdammt müde aus..." Der Angesprochene nickte nur kurz und Bilbo wunderte es, dass er nicht den geringsten Versuch unternahm, seinen kleinen Bruder zurechtzuweisen - denn jetzt wäre eine perfekte Möglichkeit dazu gewesen.
"Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst. Obwohl du recht hast - ich hatte angenommen, ihr hättet vorhin nicht bemerkt, wie Bilbo und ich miteinander redeten." Er senkte den Blick kurz zur Seite und bedachte den benannten Hobbit mit einer kurzen Bewegung seines Kopfes, die einem Nicken nicht unähnlich war. Daher bemerkte er auch nicht, wie sich Fili und Kili kurz und unmerklich angrinsten, denn für sie war es offensichtlich, was in den Köpfen der beiden vorging. Der Moment zog sich nicht in die Länge, wohl aber ihr aller Unbehagen, und das war der Grund, aus dem das Grinsen schnell wieder verschwand und Thorin erneut zu sprechen begann.
"Ich verspreche euch, sobald wir das alles hier hinter uns haben, werdet ihr die Wahrheit erfahren, doch bis dahin müsst ihr euch damit abfinden, dass nur Bilbo und ich davon wissen. Es würde zu lange dauern, euch dies jetzt zu erzählen. Lasst uns gehen." Seine Stimme schien trotzig und erduldete keinen Widerspruch, allerdings war auch niemand seiner geringen Gefolgschaft sonderlich gewillt, ebendiesen zu leisten. Als er sich wieder in Bewegung setzte, dieses Mal in die Richtung, aus der sie gekommen waren, blickte er nicht zurück.
"Kommt!", befahl er in einem kratzend rauen Ton und die anderen folgten ihm bedingungslos, dank seiner hastigen Schritte in einigen Metern Entfernung.
Fili und Kili unterhielten sich, während sie weitergingen - flüsternd, denn offenbar war ihr Gesprächsthema zu heikel, als dass ihr Onkel es hätte hören dürfen. Sie gingen tuschelnd voran, und die Dunkelheit sponn sich schleierartig um ihre Fackeln, schluckte das Licht, je weiter sie liefen und drohte das Feuer schon bald erlöschen zu lassen. Das Licht wurde tanzend kleiner, schwächer, bald nur noch ein kleiner Fleck orange-gelben Lichts in einem Meer aus Schwärze, und irgendwann ertrank es vollständig darin.
Das jedenfalls hätte Bilbo gesehen, hätte er sich umgedreht und ihnen nachgesehen, doch... er stand stocksteif dort, rührte sich keinen Zentimeter, stand noch am selben Platz und hatte nicht bemerkt, wie die drei Zwerge in der Finsternis verschwunden waren.
Denn... sein Blick war auf etwas anderes gerichtet.
"Thorin, was... was ist das dort oben?", flüsterte er mit ausgestrecktem Arm, den Blick auf das ferne Deckengewölbe gerichtet, die Lider angestrengt zusammengekniffen.
"Thorin?" Als er keine Antwort erhielt, und ihm langsam dämmerte, dass es beunruhigend still um ihn geworden war, senkte er den Arm wieder und blickte sich verwirrt um.
Niemand. Nur Schwärze, die sich trostlos und einengend die hohen kalten Wände emportastete und die Gänge endlos erscheinen ließ.
"Oh... verdammt." Er realisierte das Geschehene ohne ein weiteres Wort. Zwar öffnete er die Lippen, um ihnen zuzurufen, doch noch während er dies tat, erkannte er, dass er im Begriff war, eine konsequenzenreiche Torheit zu begehen und schloss ihn wieder stumm wie ein Fisch. Stattdessen entfuhr ein entnervtes Seufzen seinen Lippen und innerlich verfluchte er sich, nannte sich einen Dummkopf und rannte in die Dunkelheit, so schnell ihn seine Beine trugen. Sie können noch nicht weit sein, dachte er bei sich. Andererseits... war es gut möglich, dass ihm sein Zeitgefühl mal wieder einen Streich gespielt hatte, und er länger dort gestanden hatte als er dachte... Nein, das wäre seltsam.
Er blickte sich noch ein letztes Mal um und sah nach oben zur Decke, als wolle er sich vergewissern, dass sich seine Entdeckung in der Zwischenzeit nicht in Luft aufgelöst hatte. Natürlich hatte sie das nicht getan, und er schüttelte den Kopf über sich selbst, ehe er weiterrannte.
~~~
"Was ist, Onkel? Warum hältst du an?"
"Sag nicht, wir haben uns schon wieder verlaufen!" Kili grummelte genervt und im Ton seiner Stimme schwang ernsthafte Besorgnis mit. Sie alle wussten, warum. Sie waren schon viel zu lange unterwegs, die anderen dürften die ihnen zugewiesenen Hallen schon längst gefunden und in Augenschein genommen haben. Die Zeit rannte ihnen davon.
Thorin ging nicht auf die Frage ein, sondern blickte sich verwirrt um, als würde er nach etwas suchen. Oder nach jemandem. "Wo ist Bilbo?"
Jetzt fiel es auch den beiden Zwergenbrüdern auf. Der kleine Halbling war den bisherigen Weg immer so still und leise neben ihnen gelaufen, dass sie ihn kaum gehört hatten, zudem waren sie bis jetzt in ein angeregtes Gespräch vertieft gewesen - letzteres hatte ihr Onkel Mahal sei Dank nicht mitbekommen. Kein Wunder also, dass sie sein Fehlen erst jetzt bemerken, Hobbits sind schließlich ausgesprochen leichtfüßig und können sich so gut wie lautlos fortbewegen, wenn sie es darauf anlegten.
"Bilbo? Bilbo!" Kili erhob seine Stimme zu einem Ruf, doch sein Onkel ließ ihn mit einer Handbewegung verstummen.
"Nicht rufen! Wir dürfen sie nicht auf uns aufmerksam machen!", zischte er in einem so dramatischen Ton, dass der junge Zwerg einen Schritt zurückwich und schluckte.
"Aber was sollen wir denn dann tun?"
"Er muss noch am anderen Ende des Ganges sein, wenn er uns nicht gefolgt ist. Wir müssen umkehren."
Ohne ein weiteres Wort machte Thorin auf der Stelle kehrt und eilte in so großen Schritten zurück in die Dunkelheit, dass es fast wirkte, als würde er rennen. Die Sorge war es, die ihn vorantrieb.
Die beiden Brüder starrten sich gegenseitig für einige Sekunden unsicher an und folgten ihm schließlich.
In einigem Abstand sahen sie, wie ihr Onkel von der Finsternis umschlungen wurde.
"Wieso ist Bilbo uns nicht gefolgt?", flüsterte Kili nachdenklich, während er seinem voraneilenden Bruder auf leisen Sohlen folgte.
Fili blieb einen kurzen Moment stehen und warf einen Blick über die Schulter zu dem Jüngeren zurück, ehe er weiterging, bemüht, mit dem Schwarzhaarigen Schritt zu halten. "Weiß nicht. Du kannst ihn ihn ja selbst fragen, wenn wir ihn wiedergefunden haben."
"Nicht, dass ihm etwas passiert ist..."
"Ich bitte dich, Kili, was soll ihm hier schon passieren? Hier läuft man höchstens Gefahr, über einen Kiesel zu stolpern."
"Aber der Drache..."
"Oh, fang jetzt bitte nicht mit dem Drache an, ja? Sicher gibt es eine ganz simple Erklärung dafür. Was ist heute eigentlich los mit dir, ich dachte, ich wäre der Schwarzmaler von uns beiden."
Kili schluckte und blieb stehen. Als sein Bruder dies bemerkte, drehte er sich genervt um. "Was hast du denn? Wir werden Thorin noch aus den Augen verlieren, wenn wir in dem Tempo vorankommen..."
"Ich weiß es auch nicht, verdammt. Kommt dir das alles nicht ziemlich merkwürdig vor? Wären die Dracheneier nicht gewesen, wir hätten diese Hallen und ihre Schätze nie zu Gesicht bekommen. Und Thorin ist so anders, seit wir hier sind. So... angespannt. Als würde er bereits wissen, was hinter alledem steckt. Als hätte er Angst, es jemandem anzuvertrauen, da dies Wellen schlagen würde, die nicht mehr aufzuhalten wären."
Fili sah ihn erst nachdenklich an und seufzte dann schließlich, als er dachte, ihn verstanden zu haben. "Ich denke, du hast Grips genug, dir das wichtigste selbst herzuleiten. Irgendetwas hat sich hier ereignet, und das war der Grund, aus dem man diesen Ort geheim gehalten hat - tatsächlich scheint niemand außer Onkel davon zu wissen, mit Ausnahme von Bilbo. Und ich wette, es hat etwas mit diesem Drachen zu tun, diesem Ungeheuer, das niemand außer ihm je gehört geschweige denn hier unten vermutet hätte. Was auch immer, jedenfalls scheint die Vorstellung dieser Bestie mächtig Eindruck gemacht zu haben. Eindruck genug zumindest, um solche Reichtümer ungenutzt hier unten zu lassen. Und das war der Grund, Kili. Der Grund, aus dem geradezu alles daran gesetzt wurde, dass diese Hallen in Vergessenheit geraten. Denn... sieh dich doch einmal um."
Ein verträumtes Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab, während er den Blick an den schimmernden Adern entlanggleiten ließ.
"Wenn man mit der Gewissheit lebt, dass sich in diesem Berg derartige Reichtümer verbergen, würdest du sie nicht auch sehen wollen? Nicht auch versuchen wollen, zu ihnen zu gelangen, entgegen aller Warnungen? Thorin hat richtig gehandelt, als er uns sagte, hier hätte man die Suche nach Erzen aufgegeben. Denn hätten wir die Wahrheit gewusst, wir hätten sie weitergegeben. Und irgendwann wäre es dazu gekommen, dass diese Geschichten hinterfragt würden, dass sich jemand erneut auf die Suche nach den verborgenen Schätzen macht. Denn Gier treibt so manch einen dazu, jedwede Moral zu vergessen, jedwede Warnung zu ignorieren. Diese Hallen wären zu verlockend gewesen. Sie mussten vergessen werden, und mit ihnen das, was darin liegt. Denn die Vergessenheit war das symbolische Schloss, das diese Bestie von der Außenwelt isoliert, uns vor ihr schützt. Und daher hat Thorin richtig gehandelt - in seinen Augen. Und was die meinen betrifft... ich sehe hier nichts, Kili, wirklich nichts, was auf die Existenz einer Feuerschlange schließen lässt. Das einzige, was ich sehe, ist ein Schatz, der völlig unbegründet zurückgelassen wurde, Silber, das heller scheint als das, was ich bislang sah. Ich verstehe nicht, wie man freiwillig auf so etwas verzichten und die Verbindung zu dieser magischen Welt einfach so kappen kann. Dass es soweit kommen konnte..."
"Du bist damals nicht dabei gewesen! Du kannst nicht wissen, ob das Handeln Thorins und Großvaters nicht doch begründet war! Hör auf, so zu reden, als wüsstest du über alles Bescheid."
Fili zuckte mit den Schultern. "Ich behaupte nicht, dass ich alles weiß, denn das wäre gelogen. Wohl aber vermag ich einen Gesunden von einem Kranken zu unterscheiden. Denn letzteres ist unser Onkel, und sein Handeln nur die Frucht seines Leidens, und das kannst selbst du nicht leugnen."
"Ich will mich nicht mit dir streiten, Fili."
"Wer redet von Streit? Nichts läge mir ferner als das. Und jetzt lass uns gehen, bitte."
Kili blieb stehen, und das verärgerte Fili, doch in all den gemeinsamen Jahren hatte er gelernt, ruhig zu bleiben. Was blieb ihm bei einem Bruder wie ihm auch anderes übrig...
"Kili?"
"Aber irgendetwas passt da doch nicht. Irgendetwas ist mit Thorin geschehen, seit wir hier unten sind. Er ist angespannter denn je, und wenn er mich ansieht, wird mir ganz kalt. Jedes einzelne Wort, das über seine Lippen kommt, klingt hohl und unehrlich wie eine Lüge."
"Eine Lüge?" Er lachte bitter und kurz auf. "Nein, ich denke, er ist einfach besorgt, dass etwas hier unten geschieht. Diese Drachendame, dann diese unterirdischen Schätze und schließlich auch noch die Tatsache, dass er uns die Wahrheit bislang verschwiegen hat. Ich denke, das sind genug Gründe, angespannt zu sein. Glaub mir, sobald wir wieder oben sind, wird sich das gelegt haben."
"Wenn wir denn überhaupt nach oben zurückkehren."
Fili ging einen Schritt auf ihn zu und setzte ein motivierendes Lächeln auf. "Das werden wir. Du hast Mutter schließlich ein Versprechen gegeben, oder etwa nicht? Genau wie ich. Und ich bin mir sicher, das hier wird nichts weiter als ein harmloser Spaziergang in einer anderen, vergessenen Welt. Na komm, lass uns weitergehen und Bilbo suchen, ich will unbedingt mehr von diesen Hallen sehen. Und Thorin stirbt sonst noch vor Sorge."
Zögerlich grinste der Angesprochene zurück, legte sich den Bogen um und ließ den Schwarzen Pfeil zurück in den Köcher gleiten, wo er ein leises Klirren von sich gab, als er mit dem anderen zusammentraf. "Nun denn... Lass uns Thorins Halbling suchen."
"Thorins Halbling?" Fili lachte.
"Meisterdieb des Königs, wenn dir die Bezeichnung lieber ist... kommt letztendlich auf das gleiche heraus." Er grinste und sein großer Bruder erwiderte es, betrachtete ihn jedoch mit einem warnenden Blick.
"Du solltest wirklich damit aufhören..."
"Ich weiß nicht, wovon du sprichst", säuselte er unschuldig.
"Diese ganzen Andeutungen solltest du lieber für dich behalten, auch wenn ich sie verstehen kann." Er unterdrückte ein Lachen, doch der Versuch artete in einem amüsierten Glucksen aus.
"Ich sage nur, was ich sehe. Komm schon, selbst du müsstest mitgekriegt haben, wie die zwei sich manchmal ansehen."
"Was heißt hier 'selbst ich'? Ich wette, ich habe die Zeichen sogar schon vor dir erkannt, Kleiner."
"Oh, wie ich es liebe, wenn du mich so nennst. Aber es stimmt schon... Denkt er, wir würden nicht sehen, wie er ihn manchmal anschmachtet? Schon irgendwie süß, oder?"
"Süß? Nicht, dass er Konkurrenz bekommt."
"Keine Bange, mein Herz ist schon vergeben. Und jetzt lass uns weitergehen, sonst finden wir die beiden Turteltäubchen nie..."
"Zu Befehl, Kleiner."
"Ich könnte dich wirklich manchmal..."
"Was denn?"
"Ach, nichts..."
~~~
Seine Schritte waren schnell, unbedacht und zugleich zielgerichtet. Nur noch wenige Schritte und er wäre an der Stelle, an dem er den Halbling das letzte Mal gesehen hatte.
Er schluckte und warf einen kurzen Blick über die Schulter, wo er die Fackeln seiner beiden Neffen nur als winzige Punkte in einem schwarzen Meer voller Dunkelheit erkannte. Er ließ sich nicht davon abhalten, dass sie nicht direkt hinter ihm waren, denn sie waren zu zweit, Bilbo allerdings war alleine.
Wieso war dieser Weg so verflucht lang? Er hätte gerne gerufen, denn seine Anspannung war unerträglich und er sehnte sich danach, sie zu zeigen. Was, wenn sich der kleine Hobbit verlaufen hatte?
In seinem Kopf die wildesten Theorien spinnend richtete er die Fackel nach vorn und kniff die Augen zusammen. Die schneidende Kälte des feuchten Gesteins und die unerträglich klamme, dünne Luft drang in seine Nase und selbst durch das Metall seines Kettenhemdes, selbst der mit Fell gesäumte lange Mantel schien seinen Zweck nicht zu erfüllen. Es war unsagbar kalt. Doch er spürte es kaum.
Seine Gedanken kreisten einzig und allein um den kleinen Lockenschopf, für den er gewillt war, alles zu vergessen und als Nebensächlichkeit abzutun, wenn es darum ging, ihm zu zeigen, wie viel er ihm bedeutete. Und solch ein Moment war nun wieder gekommen.
Er versank in Reue. Weshalb hatte er nicht aufgepasst? Nicht einen Blick nach hinten geworfen, um zu sehen, ob sie vollzählig waren? Ein toller König war er, der es nicht einmal schaffte, auf drei seiner Gefolgschaft gleichzeitig zu achten. Sonst hatte er es doch auch immer gespürt, wenn etwas nicht in Ordnung war.
Seine Wunde machte sich bemerkbar und er konnte ein qualvolles, kurzes Stöhnen nicht mehr zurückhalten, doch er ließ sich nicht weiter davon beirren und setzte seinen Weg fort.
Er konnte es fühlen. Konnte fühlen, wie die warmen Rinnsale seines eigenen Blutes durch den Verband sickerten und sein Hemd tränkten. Konnte fühlen, dass einer der frischen Nähte gerissen sein musste. Das zählte jetzt nicht.
Vielleicht hatte er Recht, dachte er bei sich. Vielleicht hätte ich noch warten sollen. Vielleicht schaffe ich es nicht, vielleicht schaffen wir alle es nicht. Vielleicht werde ich erneut zusammenbrechen und dann wird dies das letzte Mal sein.
Denn mein Schutzengel hat mich verlassen.
Als er diese Worte innerlich ausgesprochen hatte und aufgrund der bitteren Erkenntnis salzige Tränen hinunterschluckte, deren Geschmack sich mit dem metallischen des warmen, frischen Blutes vermischte, blieb er stehen.
Dort, von weit weg, im Schutze der Biegung, die der Tunnel vollführte, meinte er, etwas zu hören...
Ein weiteres Mal wandte er sich um, um nach seinen Neffen zu sehen, doch er erkannte weder den Schein ihrer Fackeln noch hörte er ihre vertrauten Schritte. Sie waren noch zu weit weg.
Er drehte seinen Kopf erneut und starrte in die Finsternis, aus der er glaubte, Geräusche zu hören. Kleine, kurze, tapsende Geräusche. Bare Füße auf kaltem Stein.
Ohne weiter zu überlegen rannte er auf die Kurve zu und ein Stein fiel ihm vom Herzen, als er kurz darauf ein tanzendes Licht in der Dunkelheit sah. Es war die Fackel von Bilbo, der nun auch die des Zwergenkönigs erkannt hatte und schneller auf ihn zurannte als er seinen müden Beinen zugetraut hatte.
"Bilbo!" Thorin lachte vor Freude kurz auf und für diesen kurzen Moment schien es fast, als würde er den kleinen Hobbit vor Erleichterung unter die Arme greifen und durch die Luft wirbeln wollen. Es waren nur wenige Minuten vergangen, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten, doch seine Miene sah so aus, als wären es Stunden gewesen.
"Wir haben uns schon Sorgen gemacht...", brachte er schwer atmend über die Lippen, als sie sich nun endlich wieder gegenüber standen. Bilbo brauchte etwas länger, ehe er wieder zu Atem gekommen war und seufzte schließlich erleichtert auf. "Ich... es... es tut mir leid, ich hatte einfach nicht bemerkt, dass ihr gegangen seid." Er lächelte kurz entschuldigend, erinnerte sich in der nächsten Sekunde jedoch des Grundes, aus dem es so weit gekommen war und kurz darauf sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. "Thorin, da... da, in diesem Gang." Er wies hinter sich in die Finsternis. "Dort habe ich etwas gesehen, wir... wir müssen zurück, wir waren die ganze Zeit auf dem richtigen Weg, und jetzt habe ich sogar den Beweis gefunden. Als nächstes müssen wir die Biegung nach rechts nehmen, und dann... und dann..."
"Bilbo." Thorin trat einen Schritt auf ihn zu und packte ihn sanft an den Schultern, ehe er seine rechte Hand nach unten wandern ließ und nach der des Hobbits griff. "Beruhige dich erst einmal. Du redest ganz wirr..."
Bilbo öffnete kurz die Lippen, ließ sie jedoch wieder zuschnappen, als er Thorins Blick sah. Er bemühte sich, langsam ein und wieder auszuatmen, um seinen Herzschlag zu verlangsamen, denn im Moment schien sein Herz zu rasen - er war sich tatsächlich gar nicht so sicher, ob dies an dem gerade zurückgelegten Sprint oder an der bloßen Nähe seines Freundes lag.
Als Thorin bemerkte, wie Bilbos Atemzüge ruhiger wurden, nickte er und nahm die linke Hand von seiner Schulter, ließ seine rechte Hand jedoch an ihrem Platz - sehr zur Freude des Halblings. "So, jetzt versuch es noch einmal. Was hast du gesehen?"
"Das würde uns allerdings auch interessieren!"
Bilbo drehte den Kopf, um zu sehen, woher die Stimme rührte. Sie gehörte zu Kili, der soeben neben seinem Bruder auf sie zukam und zur Begrüßung die Fackel in seiner Hand schwenkte.
"Na da haben wir aber Glück gehabt, wenn du dich hier verlaufen hättest, dann hätten wir dich womöglich nie wiedergefunden."
"Also, sprich - weshalb bist du zurückgeblieben?", fragte Fili.
Bilbo schüttelte kurz den Kopf, um seine Gedanken zu sammeln, und antwortete dann schließlich, versuchte die neugierigen Augenpaare auf ihm zu ignorieren und seine Gedanken geordnet und ruhig in Worte zu fassen.
"Ich habe etwas gesehen, weiter hinten, an der Stelle, wo wir vorhin standen und beschlossen, wieder umzukehren. Nun, dorthin müssen wir wieder zurück, denn... dieser Weg war der richtige."
Fili zog nur eine Braue hoch und wollte dieselbe Frage stellen, die auch Thorin und Kili auf der Zunge brannte, doch er wurde von seinem Onkel unterbrochen.
"Dann lasst uns ihm folgen. Tut, was er sagt."
"Aber Onkel, du warst dir vorhin doch sicher, dass wir -"
"Ich bin schon lange nicht mehr hier gewesen. Ich kann mich geirrt haben. Was haben wir schon zu verlieren?" Er nickte Bilbo zu und dieser war froh, dass das Licht der Fackeln nicht hell genug war, um sein Gesicht zu erhellen, denn er konnte spüren, wie die Röte in seine Wangen stieg.
Kili zog seinen Bruder am Ärmel. "Na komm, gehen wir diesen Weg. Er hat recht, wir haben nichts zu verlieren."
Fili zuckte schließlich mit den Schultern, als wäre es ihm gleichgültig und stimmte letztendlich nickend zu. "Schon gut, bringen wir es hinter uns."
Ohne ein weiteres Wort setzte sich Thorin in Bewegung, allerdings nicht, ohne dem Halbling einen sanftmütigen Blick zuzuwerfen, der ihm signalisieren sollte, ihm zu folgen. "Ab jetzt gehst du immer neben mir. Noch einmal werde ich dich nicht verlieren."
Sie gingen nicht lange. Getrieben von der Angst und der Sorge um die verrinnende Zeit waren sie nach wenigen Minuten an der Stelle angekommen, der sie zuvor verzweifelt den Rücken gekehrt hatten.
Bilbo sagte kein Wort, sondern deutete nur mit ausgestrecktem Arm auf das ferne Deckengewölbe, und die anderen folgten der zugewiesenen Richtung.
Wenn Fili zuvor gedacht hatte, er könnte hier unten von nichts mehr überrascht werden, so hatte er sich deutlich geschnitten. Sein Gesicht wurde unnatürlich blass, als seine Augen auf das trafen, was seine Ansichten schwanken und erschüttern ließ.
"Das... das ist unmöglich", stammelte er tonlos, und unmöglich schien es auch.
Über ihren Köpfen, die gesamte Länge des Tunnels entlang, zogen sich gigantische Kratzspuren durch den silbergerpägten Fels der Gewölbe. Es waren Abdrücke von scharfen Klauen, so scharf, dass sie selbst Metall und Stein zu durchdringen vermochten.
Kili schluckte, griff - ohne den Blick von den tiefen Furchen im Gestein abzuwenden - in den Köcher und legte einen der Pfeile in die Sehne, als wäre es ein natürlicher Reflex.
"Was bedeutet das?", murmelte Fili noch immer fassungslos, diesmal jedoch gut hörbar.
"Dieser Tunnel ist eng. Zwängt sich eine Feuerschlange durch solch einen Gang, hinterlässt das Spuren..." Thorin folgte dem Verlauf der tiefen Kerben mit wachsamen Augen. "Und Bilbo hat recht. Sie enden dort hinten, wo sich der Gang erneut verzweigt. Die Spuren liegen mehr rechts als links, ich würde wetten, sie hat diesen Weg eingeschlagen, so wie Bilbo es sagte." Er wies auf das rechte Tor und drehte dann den Kopf zu dem benannten Halbling, der neben ihm stand. "Gut gemacht, Meisterdieb."
Er lächelte und Bilbo hätte es gern erwidert, doch die plötzliche Gewissheit, dass sie nun wirklich und wahrhaftig auf dem Weg in die sprichwörtliche Hölle waren, hielt ihn davon ab.
Thorin nickte seinen Neffen zu und setzte sich in Bewegung. Kili zog Fili leicht am Ärmel, da dieser wie in einen Tagtraum versetzt noch immer fassungslos die Spuren an der Decke fixierte, und gleich darauf folgten sie ihrem Onkel in die Finsternis.
"Thorin... Wir... wir gehen jetzt da hinein? Ich meine... wollen wir nicht erst die anderen holen?" stammelte Bilbo, der unwillkürlich mit ihnen lief.
"Wozu? Nachdem wir dieses Tor hinter uns gelassen haben, stehen uns noch gute fünf Minuten Fußweg bevor, ehe wir zum Eingangstor der großen Halle kommen. Ja, so langsam kommen meine Erinnerungen wieder... Wenn wir dort sind, und den Drachen gefunden haben, können wir den anderen Bescheid geben, alles andere wäre voreilig - diese Spuren, die du gefunden hast, könnten auch nichtssagend sein, vielleicht hat sie die Feuerschlange vor langer Zeit in den Fels geprägt, und ist nun schon wieder ganz woanders. Wir haben noch immer keine Gewissheit, dass wir auf dem richtigen Weg sind."
Nun - das sah Bilbo anders. Es wäre ihm lieber gewesen, mit acht anstatt mit zwei Pfeilen einer Bestie wie dieser gegenüberzutreten, und selbst wenn sie sich nicht sicher sein konnten, sie hier zu treffen, so befand er diese Vorangehensweise als ziemlich töricht und überflüssig waghalsig.
Er blickte sich schweren Herzens ein letztes Mal um, als würde er hoffen, in der Finsternis die hoffnungsspendenden Fackeln der anderen zu sehen, doch sie waren weit weg, an einem Ort, der mit Sicherheit sicherer war als dieser hier.
Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch folgte er dem Schwarzhaarigen.
~~~
"Meinst du, das könnte sie sein?"
Thorin trat einen Schritt näher, als wolle er sichergehen, dass er es mit keiner Sinnestäuschung zu tun hatte, und Bilbo meinte, ein leichtes, wehmütiges Lächeln auf seinen Lippen zu sehen. Es war die Art von Lächeln, die man sonst bei jenen erkennen konnte, die nach einer langen, langen Zeit die Hügel und Wälder ihrer Heimat wiedersahen, oder die Art von Lächeln, die erscheint, wenn man in den Sonnenuntergang blickt und sich alter Zeiten erinnert, an ein Stück Kindheit, an ein Stück Zeit, in der Wünsche und Träume noch von Bedeutung gewesen waren. Ein wunderschönes Lächeln. Aber ein trauriges.
Er drehte sich zu seinen beiden Neffen um und senkte seine Stimme zu einem tiefen, eindringlichen Flüstern. "Darf ich euch vorstellen, meine Schwestersöhne..." Er wies in die vom bleichen Licht durchbrochene Dunkelheit. "Dies sind die Tore zur größten der vergessenen Hallen. Ich erkenne sie wieder... ich erinnere mich..."
Die beiden, die erst jetzt eintrudelten (sie waren ihnen den gesamten Weg in einigen Metern Sicherheitsabstand gefolgt, um sich ungestört unterhalten zu können), blieben fast zeitgleich stehen und betrachteten mit vor Erstaunen offenen Mündern die riesigen Ausmaße der kunstvoll in den groben Fels geschlagenen Tore.
Hatten sie zu Beginn noch geglaubt, nach den beeindruckenden Schatzhallen in hunderten von Metern über ihren Köpfen von nichts mehr derart überrascht zu werden, so erkannten sie nun, dass sie falsch gelegen hatten. Gründlich falsch. Denn das, was sich ihren ungläubigen Augen nun bot, überstieg alles ihrer - dank diesem Ort etwas eingeschränkten - Vorstellungskraft.
Waren die silbernen Erze bisweilen ungleichmäßig und aufgrund ihrer Natur in rein zufälligen Mustern den Fels entlanggeflossen, so waren sie hier vor langer Zeit von Zwergenhand in Szenerien und Verzierungen gezwungen worden, die den hoch emporragenden Rand des massiven Tores säumten.
Ein bleicher, sich den gesamten Torbogen entlangschlängelnder silberner Drache mit langen dünnen Flügeln, einem elegant geschwungenen Schwanz und krummen, geöffneten Klauen, so scharf wie Speere, thronte weit oben über ihren Köpfen und blickte mit verengten Augen auf sie hinab.
Seine Schuppen schillerten verführerisch durch die glatte Beschaffenheit des vergessenen Silbers und loderten gespenstisch auf, als Thorin seine Fackel erhob, um dieses Meisterwerk des Schaffens zu erhellen.
"Ein Drache... wie passend", murmelte Kili, war jedoch noch zu eingenommen von der unfassbaren Schönheit der vergessenen Hallen, weshalb er es so leise aussprach, dass nur sein neben ihm stehender Bruder fähig war, es zu verstehen.
Thorin wandte sich nun wieder dem Halbling zu. "Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll... ohne dich würden wir jetzt noch durch die Finsternis irren. Ein Glück, dass du dich meinem Willen widersetzt und uns begleitet hast." Sein Lächeln war so herzzerreißend, dass Bilbo gar nicht mehr anders konnte, als es zu erwidern.
"Du musst dich nicht für etwas Selbstverständliches bedanken. Gerade jetzt noch nicht, denn... Ich fürchte, das Schlimmste steht uns noch bevor."
Sie richteten ihre Blicke erneut auf den silbernen Drachen, der in seiner rein schimmernden Schönheit auf sie hinabstarrte, die Zähne in seiner Angriffslust gebleckt.
Dann nickte er dem Meisterdieb und seinen Neffen zu.
Sie gingen voran, durchquerten das massive Tor und ließen es schließlich hinter sich.
Von nun an würden sie auf ihr Glück vertrauen müssen.
~~~
"Was ist das? Ein unterirdischer See?"
"Gab es den hier früher auch schon, Onkel?"
Thorin befahl ihnen mit einer gebieterischen Handbewegung zu schweigen und schüttelte, nachdem die ersehnte Ruhe eingekehrt war, den Kopf.
"Er muss durch die Wasservorkommen in den alten Grotten entstanden sein. Seit wir die Wasserversorgung für die Bergarbeiten wieder in Gang gesetzt haben, fließt es unaufhörlich auch in tiefer gelegene Höhlen und Gänge. Dieser See kann noch nicht sehr alt sein."
Sie standen vor einer glatten, spiegelgleichen Oberfläche eines flachen Gewässers, auf das sie nach wenigen Minuten Fußweg gestoßen waren.
Bilbo beugte sich am Ufer darüber und betrachtete sein eigenes Spiegelbild in dem glasklaren Wasser. Wie ein unbekannter Sternenhimmel über einem fremden Planeten reflektierten sich auch die hell leuchtenden Adern der Erze darin, die über ihren Köpfen in den fernen Deckengewölben zusammenflossen und sich zu skurrilen Formen und Mustern vereinten.
Er riss sich davon los und begann, zu flüstern, nachdem er die Halle ein weiteres Mal in Augenschein genommen hatte. "Wir müssen weiter hinein... bis jetzt sieht es für mich noch nicht danach aus, als würde hier ein Drache hausen. Wenn wir bis dort hinten gehen würden...", er wies auf das andere, kaum einsehbare Ende der gigantischen Halle, "... dann hätten wir Gewissheit."
Thorin nickte. "Ich werde vorangehen, folgt mir." Er vergewisserte sich ein letztes Mal, dass Kili den Bogen bereithielt, und schritt dann mit großen, aber leisen Schritten voran. Die Fackeln in ihren Händen brannten noch immer, doch das Holz war zum größten Teil schwarz gebrannt, und die feuchte Luft in dieser Tiefe dürfte ihrem Licht schon bald ein Ende bereiten.
Sie gingen wenige Minuten, nicht ganz bis zum Ende, sondern bis zu einem Punkt, von dem man die gesamte Halle überblicken konnte. Ab und zu hörten sie, wie sie in etwas Nasses traten, und wenn sie kurz darauf spürten, wie sich etwas Kaltes kriechend an ihre baren Füße schmiegte, so lief ihnen ein Schauer über den Rücken. Der gesamte Boden war übersät mit kleineren Pfützen, und eiskaltes Wasser verträgt sich bekanntlich herzlich wenig mit Lederstiefeln und nackten Füßen. Gegenseitig flüsterten sie sich zu, sie würden es für unwahrscheinlich halten, dass sich ein Drache gerade hier bei all der Nässe eingenistet hat, doch es waren nur Vermutungen und vor allem der Wille, diesen unangenehmen Ort zu verlassen.
Die Halle war größer, als Bilbo es sich vorgestellt hatte. Zu ihrer Linken und Rechten trugen gigantische Säulen die fernen Gewölbe, und dahinter hätte sich alles verstecken können - aber ein Drache?
"Sonderlich groß kann sie aber nicht sein, wenn sie sich hier versteckt hält...", murmelte er.
"Oh, sag so etwas nicht. Wenn sie vor dir steht, wirst du etwas anderes denken."
Es war der Moment, in dem Bilbo realisierte, dass dieser ganze Plan für seinen Geschmack zu viele Schwachstellen enthielt. Was würden sie tun, wenn plötzlich aus dem Sichtschutz der Säulen ein geflügeltes Monster herausbrechen würde - zwei Pfeile sind keine gute Absicherung gegen Feuer und einen Panzer so hart wie Eisen.
"Seht ihr irgendwas?", flüsterte Kili in die Runde - denn eine kleine Runde war es. Sie gingen in einer Art Kreis (sofern man bei vier Personen von einem Kreis sprechen kann), jeder mit dem Gesicht nach außen, sodass nichts ihren wachsamen Augen entgehen konnte.
"Nein, was soll die Frage? Hätte ich etwas gesehen, so hätte ich schon irgendwie darauf aufmerksam gemacht", murmelte Fili ein wenig angespannt und griff mit den rechten Hand nach seinem Schwert.
"Ich bin mir nicht sicher... Ich würde, wenn es euch nichts ausmacht, etwas weiter nach dort hinten gehen, denn diese Stelle erreicht das Licht nicht sonderlich gut", flüsterte Bilbo und ohne ein weiteres Wort waren die vier auf dem Weg dorthin.
Irgendwann hörten sie Thorin scharf einatmen. Er löste sich von der Gruppe und eilte auf leisen Sohlen zielgerichtet auf die Stelle zu, die der Hobbit beschrieben hatte, und die anderen hatten Mühe, Schritt zu halten.
"Was hast du?" Bilbos Blick verfinsterte sich vor Sorge, da er in Thorins Augen Angst sah. Die Angst, die er schon einmal in seinen Augen gesehen hatte, als Smaug im Begriff gewesen war, sie allesamt in Asche zu verwandeln.
"Ich glaube, ich..." Thorin brach mitten im Satz ab und starrte auf etwas, was in keinen fünfzig Metern Entfernung vom Boden aufragte, getarnt durch eine der bläulich-silbern schimmernden Säulen, unscheinbar für jemanden, der nicht danach suchte.
Jetzt erkannte es auch der kleine Halbling und deutete mit ausgestrecktem, zitternden Arm auf etwas, was sich am anderen Ende der langgezogenen Halle befand, im Schatten der Statuen und Säulen. "Seht doch nur, dort!"
Thorin und Bilbo blieben nach einigen Metern fast zeitgleich und so abrupt stehen, dass Fili und Kili beinahe in sie hineingelaufen wären.
"Was habt ihr gesehen?" Die beiden jungen Zwerge folgten ihrem Blick und stutzten, als ihre Augen auf das trafen, was die Unruhe in Bilbo und ihrem Onkel ausgelöst hatte.
In kurzer Entfernung sahen sie etwas Schwarzes.
Spitz, zerbrochen, verbogen und teilweise schon zu Staub zerfallen türmten sich vor ihnen Berge verbrannter Knochen auf. Knochen von Tieren, von großen und kleinen, einzelne Schädel thronten vom Qualm und Rauch schwarz gefärbt darauf und blickten durch ihre leeren Augenhöhlen kalt und tot zu ihnen zurück.
Niemand sagte etwas. Denn sie hatten gefunden, wonach sie suchten.
Zwischen den Überresten der verbrannten Seelen schimmerten bleiche Schuppen auf.
Unbeweglich, starr und ruhig atmend lag ihre Besitzerin vor ihren Augen, den Kopf unter einem ihrer gigantischen Flügel verborgen, deren Spannweite ohne Zweifel ein gutes Drittel der gesamten Halle hätte ausfüllen können.
Sie schlief.
Thorin legte sich zur Warnung einen Finger auf die Lippen, wechselte Blicke mit seinen Neffen und dem Halbling und deutete ihnen schließlich an, Ruhe zu bewahren.
Es vergingen einige Sekunden, die sich wie Ewigkeiten hinzogen, ehe Thorin von dem riesigen Geschöpf, das er einst wie Fili für ein Hirngespinst gehalten hatte, den Blick abwandte und ihn auf Kili richtete. Er fasste ohne zu überlegen einen Entschluss, nickte ihm zu und in den jungen Zwerg kam Bewegung. Er trat einen Schritt auf das bleiche Ungetüm zu, spannte den Bogen mit voller Kraft und suchte mit der Pfeilspitze nach einem verwundbaren Punkt, möglichst schnell und möglichst todbringend.
Sie hörten ihren eigenen Atem nicht, und Bilbo erkannte, dass dies daran lag, dass er das Luftholen tatsächlich eingestellt hatte. Thorins und Filis Hände wanderten langsam zu ihren Schwertern und Bilbos zitternde Finger taten es den ihren gleich. Seine Fingerknochen traten weiß hervor, als er krampfhaft den Griff von Stich umklammerte und darauf wartete, dass der erste Pfeil sein Ziel fand.
Doch dazu sollte es nicht kommen.
Das erste, was sie hörten, war ein lautes, donnerndes, rasselnd tiefes Rumoren.
Mit verängstigten Blicken und starr vor Furcht blieben sie wie angewurzelt stehen und starrten auf den sich nun langsam regenden Drachen.
Die bislang geschlossene Klaue öffnete sich mit einem metallisch schabenden Geräusch, als der Drache seinen Kopf unter dem Flügel hervorzog und sich auf den scharfen, dünnen Krallen abstützte, um seinen schwachen Körper zu erheben.
Nicht fähig, sich zu rühren, sahen die Zwerge und der Hobbit zu, wie die Drachenmutter zusehends größer wurde und sich schnaubend vor ihnen aufbäumte.
Ein feuriges Lodern hinter den bleichen Schuppen ihrer Brust verriet ihnen, dass sie sogleich ihr vernichtendes Feuer auf sie niederspeien würde.
Thorin, der als einziger seinen Verstand wiedererlangt hatte, griff alarmiert nach der Hand des Hobbits, rannte in Richtung des Tores und zog am Ärmel seines älteren Neffen, der daraufhin aus seiner Schockstarre erwachte und seinen Bruder mit sich zog.
"Lauft!"
Doch es war zu spät.
Sie hatten die Bestie geweckt.
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Doch seltsamerweise verschonte der Drache sie, und Bilbo und Thorin waren darüber so glücklich, dass sie sich vor lauter Freude ihre Liebe gestanden, am nächsten Tag heirateten und bli und bla und blubb. Es könnte so einfach sein, oder? *seufz* Aber... nö. So einfach werd ich es den beiden nicht machen. Muhaha.
Ab Mittwoch muss ich wieder zur Schule, und bin daher gerade dabei, alle möglichen Aufgaben, die sich in den letzten Wochen so angesammelt haben, fertigzustellen, denn ich war verdammt faul in letzter Zeit. Ich bin gerade voll stolz auf mich, weil ich mein Lesetagebuch zu Maria Stuart fertiggestellt hab. Wahoo.
Ich warne Euch schonmal vor - das nächste Kapitel wird komisch. Finde ich. Also 'komisch' im Sinne von 'sinnfrei'. Ich habs vorhin nochmal durchgelesen und festgestellt, dass ich da einiges umschreiben muss. Naja, was auch immer, freut euch.
Und - ich wollt es nur mal gesagt haben - Eure Kommentare (besonders zu dem letzten Kapitel) haben wirklich geholfen, ich hab so langsam wieder Lust am Schreiben. (schreibe gerade an Kapitel 25)
Danke dafür. Nicht nur für die Kommentare und Votes, sondern auch einfach für's Lesen.
Merci beaucoup.
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