Keine Wahl
"Ich bat um ein Gespräch unter sechs Augen."
Die Stimme des Elbenkönigs war ruhig und bedacht, doch ihr Klang war scharf. Kili, der sehr wohl wusste, an wen diese Worte gerichtet waren, sah erst verständnislos zu der Tür, vor der sie stehen geblieben waren, dann zu Bilbo und schließlich erneut zu Thranduil, der ihn noch immer ansah wie ein Vater, der seinen Sohn über etwas maßregelte.
Es dauerte wenige Sekunden, ehe er verstand.
"Wenn Ihr glaubt, ich würde ihn mit Euch allein lassen, dann-"
Thranduil hob eine Hand und der junge Zwerg hielt inne, ohne, dass er wusste, weshalb. "Geht zurück zu Eurem Onkel, er wartet sicher schon."
Der Klang dieser Stimme machte Kili zornig, und Bilbo sah, wie er seine Haltung verkrampfte, in seiner Empörung die Lippen erst aufeinanderpresste und schließlich öffnete. Bevor er etwas sagen konnte, räusperte sich der Halbling in der bösen Ahnung, dass die Antwort des jungen Zwerges nicht unbedingt bedacht gewesen wäre.
"Ist schon in Ordnung, Kili."
Der Angesprochene sah ihn an, mit Augen, die verständnisloser nicht hätten sein können. Es schien, als wollte er etwas sagen, doch etwas in Bilbos Blick hielt ihn davon ab, und vielleicht war das auch ganz gut so. Er senkte den Kopf ein wenig, als er erkannte, dass es zwecklos war, und antwortete dem Halbling mit einem Nicken, schwach, und kaum zu sehen.
"Was soll ich ihm ausrichten? Wie lange werdet ihr brauchen?" Er hob den Kopf wieder und sah zu Thranduil, und als er daraufhin weitersprach, wirkten seine Worte beharrend und flehend. "Ich kann Euch versichern, dass alles, was gesagt werden musste, bereits gesagt wurde. Bilbo wird Euch nichts sagen können, was Ihr nicht schon wisst."
Er sah den Elben und den Menschen an, als würde er damit rechnen, mit seinen Worten auf taube Ohren zu stoßen. Bard sagte nichts. Er wirkte seltsam blass und reserviert seit dem Moment, in dem er die Dracheneier zu Gesicht bekommen hatte. Es war erneut der Elbenkönig, der ihm eine Antwort gab.
"Das werden wir sehen. Wenn es stimmt, was Ihr sagt, weshalb versucht Ihr dann, dieses Gespräch zu verhindern? Wenn Ihr die Wahrheit sprecht, gibt es doch nichts, wovor Ihr Euch fürchten müsst. Oder?" Bei dem letzten Wort beugte er sich ein winziges Stückchen zu ihm hinab, wohl wissend, dass er von dem Zwerg keine Antwort erhalten würde. Und genau das war der Fall. Kili richtete seinen Blick stur auf den Boden und presste die Lippen aufeinander. Thranduil richtete sich wieder auf und nickte schwach. "Geht zurück zu Eurem Onkel. Wie lange wir brauchen werden, hängt ganz allein von der Redseligkeit Eures Meisterdiebs ab."
Kili atmete betont aus und starrte nun wieder Bilbo an, und in seinem Blick konnte der Halbling dasselbe erkennen, was er zuvor in den Augen seines besten Freundes ausgemacht hatte. Er war genau so durchdringend, genau so zweifelnd. Bevor er eine Deutung wagen konnte, spürte er, wie der junge Zwerg einen Schritt näher kam und ihm eine Hand auf die Schulter legte.
"Ich hoffe, du weißt, was du ihnen gleich sagen musst, Bilbo."
Er warf ihm einen letzten Blick zu, von dem Bilbo ahnte, dass er ihm irgendetwas sagen sollte, doch seine Gedanken standen still für diesen Moment und die Botschaft blieb ihm verschlossen. Schließlich drehte sich Kili um und ging zurück in die Richtung, aus der sie zuvor gekommen waren, und ließ einen Hobbit zurück, der sich von aller Hoffnung und von allem Mut verlassen fühlte. Das hoffe ich auch, schoss es ihm durch den Kopf, als er ihm hinterher sah, und vor Anspannung meinte, sein Herz hätte aufgehört, zu schlagen.
Er hörte, wie hinter ihm eine Klinke heruntergedrückt wurde, und riss sich von den kleiner werdenden Umrissen Kilis los.
~~~
Die Tür fiel ins Schloss.
Das Zimmer war dasselbe wie vor einigen Tagen, Bilbo erkannte den langen Tisch mit den Schnitzereien wieder und in dem Kronleuchter darüber waren noch immer die Wachsreste der halb heruntergebrannten Kerzen. Die Stunde war spät und das Licht verschwand von dem graublauen Himmel, der durch die kleinen Fenster auf der gegenüberliegenden Wand schimmerte. Noch war es hell, doch ein Schleier von Rot und Violett verriet, dass es nicht mehr lange so bleiben würde.
Bard war der erste, der den Raum betreten hatte, und der einzige, der sich setzte, den Kopf auf seiner Handfläche abgelegt, nachsinnend, den Schock über das Gehörte verarbeitend. Bilbo konnte es ihm nicht verübeln.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie Thranduil an das Fenster schritt und hinausblickte, er selbst wusste nicht, wohin mit sich, und blieb zwischen Bard und ihm stehen. Angespannt. Abwartend.
Schließlich hörte er den Blonden in einem tonlosen Atemzug seufzen.
"Ich muss gestehen, ich hatte nicht damit gerechnet, dass Ihr nach der Schlacht und dem Tod des Drachen noch länger hierbleiben würdet."
Bilbo drehte den Kopf in seine Richtung. Der Elbenkönig sah noch immer hinaus auf den Horizont, dorthin, wo durch die grauen Wolken ein rosafarbenes Glimmen brach. Er räusperte sich und antwortete, mit Unbehagen in der Stimme. "Ich auch nicht, um ehrlich zu sein..."
Er sah Thranduil nicken. "Ihr sagtet, Ihr hättet beschlossen, umzukehren." Langsam drehte er den Kopf in die Richtung des Halblings, seine langen Haare fielen ihm in einzelnen Strähnen über den Rücken. "Was war der Grund dafür?"
"Nun, ich..." Bilbo spürte, dass irgendetwas von seiner Antwort abhängen würde. Sollte er ihnen die Wahrheit erzählen? Wäre das das Richtige? Er wünschte sich eine innere Eingebung, doch es blieb bei einem Wunsch, und es geschah nichts. Nach einigem Grübeln in peinlicher Stille traf er schließlich die Entscheidung, vorerst noch nichts von Filis Brief und der Krankheit seines Freundes zu erzählen, auch wenn ihm irgendetwas sagte, dass eine Lüge die Situation nicht unbedingt besser machen würde, denn er war kein guter Lügner, und im Grunde war er immer stolz auf seine Vernunft gewesen. Aber vielleicht musste er gar nicht lügen. Vielleicht könnte er die Wahrheit erzählen, ohne alles bis ins kleinste Detail preiszugeben. Er schloss die Augen, atmete tief ein und wieder aus, und begann schließlich, zu sprechen.
"Es fällt mir schwer, mich von manchem zu trennen. Während des Abenteuers dachte ich immer nur daran, wie schön es doch wäre, in meiner Hobbithöhle vor dem Kamin zu sitzen, dem Knistern des Feuers und dem Singen des Teekessels zu lauschen, und über einem guten Buch Rauchringe zu blasen..." Er machte eine Pause, als er sah, wie Thranduils Mundwinkel zuckten. Nach kurzem Zögern fuhr er fort.
"Ihr könnt mir glauben, ich habe mich oft genug dafür verflucht, blind gewesen zu sein, als ich diesen Vertrag unterzeichnete und mich damit zu einem Dieb machte, und ich kann Euch sagen, dass ich das auch aus heutiger Sicht ziemlich unvernünftig von mir fand, nur sehe ich viele Dinge jetzt anders. Dieses Abenteuer war das beste, das mir jemals hätte passieren können. Ich habe so vieles erlebt, war an so vielen Orten, habe so viel Leid und so viel Dunkelheit gesehen, dass es für drei Leben und länger reicht. Ich habe auf diesem Abenteuer so viel Neues gelernt, habe Seiten an mir entdeckt, die ich nicht einmal erahnte. Aber das Wichtigste ist... Ich habe auf diesem Abenteuer Freunde gefunden." Und das war nicht einmal gelogen. War er nicht für seine Freunde umgekehrt, hatte er nicht aufgrund eines einzigen Briefes alles für sie aufgegeben? Er versuchte sich, auf früher zu konzentrieren, auf das, was er in ihnen sah, auf das, was er in Thorin sah. Auf das, was ihn dazu gebracht hatte, seiner Heimat ein zweites Mal den Rücken zuzukehren.
"Ich weiß nicht, was mich dazu getrieben hat, mich in den Dienst von Thorin Eichenschild zu stellen, das wusste ich damals nicht, und auch heute kann ich es nicht mit Gewissheit sagen. Aber ich vermute, ich hatte tief in mir gespürt, dass mir ein gutes Buch und ein warmes Kaminfeuer nicht immer reichen würde. Dass mir irgendetwas die ganze Zeit gefehlt hatte, und dass ich, wäre ich geblieben, den Rest meines Lebens damit zugebracht hätte, mir vor Augen zu führen, was ich verpasst und vielleicht sogar verloren hätte." Er spürte, wie sein Brustkorb glühte. "Ich habe so viel erlebt, dass ich das Gefühl habe, all das ist ein Teil von mir geworden. Der Nervenkitzel, die Gefahr. Das Fremde. Und diejenigen, mit denen ich das alles habe erleben dürfen; meine Freunde. Und wer wäre ich, so etwas aufzugeben?" Er hob seinen Kopf und senkte seine Stimme, nickte, langsam und sachte. "Das ist der Grund, aus dem ich beschloss, umzukehren. Das ist der Grund, aus dem ich blieb."
Er wartete auf eine Antwort, und er musste einige Zeit warten, ehe er eine erhielt. Der Elbenkönig war während seiner Worte einen Schritt auf ihn zugekommen, hatte den Kopf ein wenig schräg gelegt und ihm mit wachsamen Ohren und wachsamen Augen zugehört. Als er sprach, wirkte seine Stimme ein wenig sanfter, ein wenig wärmer.
"Ihr sprecht in hohen Worten von Euren Freunden. Doch so rührend sie auch klingen mögen... Es sind Worte der Vergangenheit. Lasst uns welche der Gegenwart hören und wir werden entscheiden, ob sie noch immer so rührend klingen."
Bilbo verstand nicht sofort. "Worte der Gegenwart?"
Thranduil kam einen weiteren Schritt auf ihn zu, und der Halbling musste seinen Kopf ein kleines Stückchen mehr heben, um in sein Gesicht zu sehen. "Ihr meint, Ihr wärt aus Verbundenheit an diesem Ort geblieben, doch das, was ich in Euren Augen sehe, ist Furcht. Weshalb sehe ich diese Furcht? Ist es wegen uns? Oder vielleicht doch wegen eines gewissen Zwergenkönigs?"
Bilbo presste die Lippen aufeinander und sah in die Augen, die versuchten, ihn zu lesen. Nach kurzer Zeit öffnete er den Mund, und auch wenn seine Worte leise und flüsternd klangen, waren sie ernst und mit Nachdruck gesprochen. "Ich fürchte mich nicht vor Euch. Noch weniger vor diesem 'gewissen Zwergenkönig'." Er hob seine Stimme, und sprach den nächsten Satz mit einer Überzeugung, von der er hoffte, sie könnte den Elbenkönig dazu bringen, ihm zu glauben. "Er ist mein bester Freund."
Thranduils Mundwinkel zuckten erneut, doch nicht auf dieselbe Art und Weise wie zuvor. "Welche Art von Loyalität spricht da aus Euch? Sagt Ihr das nur, weil es einst so war oder weil Ihr trotz allem noch immer daran glaubt?"
"Worauf wollt Ihr hinaus?"
Der Blonde wandte sich wieder dem Fenster zu und ging davor in langsamen, leichten Schritten auf und ab. "Thorin Eichenschild... Ihr kennt ihn gut?"
"Wie ich bereits sagte, er ist mein bester Freund." Ihn seinen besten Freund zu nennen, fühlte sich seltsam an, doch er hatte nicht die Nerven, eine andere Bezeichnung zu ersinnen. Ihm wurde ein wenig heißer ums Herz, als er an die vergangenen Stunden zurückdachte, an das, was fast unter den Nadelbäumen geschehen wäre. Fast. Er spürte, wie ihm Röte in die Wangen stieg, und dankte der späten Stunde für das schwindende Licht.
Thranduil riss ihn aus seinen Gedanken. "Das muss nichts bedeuten. Es gibt viele Narren, die blind nach Halt suchen und Freundschaft sehen, wo keine ist."
Bilbos Antwort wirkte ein wenig gekränkt. "Und Ihr haltet mich für einen dieser Narren?"
Der Elbenkönig blieb stehen und betrachtete ihn von Kopf bis Fuß, als hätte er noch nie zuvor einen Hobbit gesehen. "Ich hätte Euch kaum gewählt, wenn das der Fall wäre."
Verwirrt schüttelte der Halbling den Kopf. "Ich... ich verstehe nicht, was Ihr von mir hören wollt."
"Die Wahrheit." Wieder trat er auf ihn zu, und sein Blick schien ihn zu durchbohren. "Was war der wahre Grund, aus dem Ihr beschlossen habt, zurückzukehren?"
"Ich habe Euch den Grund bereits genannt", beharrte Bilbo, in der festen Überzeugung, Thranduil würde sich mit dieser Antwort zufrieden geben. Nun, er irrte sich.
"Das habt Ihr nicht."
"V-verzeihung?" stotterte er, denn er war ernsthaft überrascht, durchschaut worden zu sein.
Der Elbenkönig legte erneut den Kopf schief, als er auf ihn hinabblickte. "Ich mag nicht alles über Hobbits wissen, aber dass sie fest mit ihrer Heimat verbunden sind, ist so gut wie jedem bekannt. Nach dem, was ich über Euch kennenlernen durfte, würde ich es niemals wagen, Euch mit den anderen Eurer Art in eine Schublade zu stecken, aber ich denke, ich gehe nicht fehl in der Annahme, dass sich Euer Herz trotz allem noch immer nach Eurem Kamin, Euren Büchern... Eurem Teekessel sehnt."
Bilbo senkte den Blick, als er erkannte, wie weh ihm diese Worte taten, denn er wusste, sie waren wahr. Doch er blieb bei der Überzeugung, Heimweh könnte man entzünden und wieder löschen wie eine Flamme. "Das hier ist jetzt mein Zuhause." Er musste gestehen, dass es ihn überraschte, diesen Satz gesagt zu haben.
Der Elbenkönig schüttelte den Kopf und beugte sich ein Stück zu ihm herunter. Bilbo sah auf und hörte den Blonden mit ruhiger, warmer Stimmer antworten. "Da ist etwas im Klang Eurer Stimme, das mir verrät, dass das nicht wahr ist."
Die Stimme klang nicht vorwurfsvoll und er meinte, Verständnis in den Augen seines Gegenübers zu erkennen, und das war der Grund, aus dem er wieder den Blick senkte und klein beigab. "Es... es stimmt. Würde man mich vor die Wahl stellen, hierzubleiben oder zurückzukehren, so hätte ich innerhalb weniger Minuten meine Sachen gepackt und würde mich wieder auf dem Heimweg befinden."
Thranduil nickte langsam und verstehend, und auf den Lippen trug er den Anflug eines Lächelns. Es war das Lächeln eines Elben, der äußerst zufrieden mit sich wirkte. "Weshalb tut Ihr das dann nicht einfach?"
Bilbos Antwort erfolgte schnell. "Weil mir keine Wahl gegeben wurde."
Er warf einen Blick zu dem Menschen und sah schließlich wieder zu dem Blonden. So langsam geriet er in Fahrt. "Als Bard Euch rief, habt Ihr da gezögert? Mir ging es genau wie Euch. Wenn man den Hilferuf eines engen Freundes hört, wer wäre man, ihn zu ignorieren? Diesem Hilferuf zu antworten ist die einzige Entscheidung, die man treffen kann und treffen sollte, man wird nicht vor die Wahl gestellt."
Bard, der dem Gespräch bis zu diesem Moment mit gesenktem Kopf gefolgt war, sah mit einem Mal auf. "Thorin Eichenschild bat Euch um Hilfe?"
Bilbo konnte nicht verhindern, kurz aufzulachen, als er das hörte. "Wenn Ihr glaubt, Thorin würde von sich aus um Hilfe bitten, kennt Ihr ihn schlechter als ich dachte..." Er räusperte sich, und sein Lächeln verschwand. "Nein, er war es nicht, der mich bat, umzukehren. Aber er war der Grund, aus dem ich es tat."
Thranduil öffnete die Lippen um einen schmalen Spalt und zögerte, bevor er sprach. "Erzählt uns mehr darüber."
Bilbo erkannte, dass ihm keine andere Wahl blieb, nun mit der Wahrheit herauszurücken, und nickte. Er sah den Blonden an, und auch er zögerte. "Den Grund dürftet Ihr bereits kennen, würde ich meinen, denn Ihr machtet vorhin vor dem Thron eine Bemerkung darüber, Ihr würdet nicht glauben, dass Thorin geheilt sei."
"Geheilt von was?" Das war die raue Stimme von Bard. Thranduil senkte den Blick, bevor er ihm antwortete.
"Ich denke kaum, dass ich erst erklären muss, welcher Fluch an Drachengold haftet und was es mit den Herzen derer anstellt, die ihre Hände von Gier geblendet danach ausstrecken."
Bilbo nickte. "Drachenkrankheit, wenn Ihr es in einen Begriff packen wollt. Die Folgen durftet Ihr bereits kennenlernen."
"Ihr noch mehr als wir, wie es scheint", fügte der Elbenkönig hinzu, und fuhr fort, als er erkannte, wie sich der Blick des Hobbits ein wenig verfinsterte. "Euer Freund behauptet, er sei genesen, und da ich viel Wert auf Eure Meinung lege, möchte ich aus Eurem Mund hören, ob das wahr ist oder falsch."
Mit einem Mal wurde Bilbo still und zog eine Braue hoch. Die Frage des Blonden ließ sich mit einem einzigen Wort beantworten, doch er wusste, dass ein einziges Wort nicht reichen würde, um die beiden Besucher zu überzeugen. Ohne, dass er etwas dagegen tun konnte, wurde er misstrauisch. Was sollte dieses Gespräch überhaupt bewirken? Er konnte nicht verhindern, dass in seinen folgenden Worten ein Hauch von Wut mitschwang.
"Interessiert Euch meine Meinung wirklich oder sucht Ihr nur nach Bestätigung in Eurer Annahme, er würde lügen? Inwiefern würde meine Antwort Eure Meinung von ihm ändern? Und welche Entscheidung hängt von diesem Gespräch ab, was werdet Ihr tun, wenn Ihr Eure Sorgen bestätigt seht?"
Thranduil wirkte überrascht ob des neuen Tons und räusperte sich, ehe er sprach. "Ihr stellt viele Fragen. Berechtigte Fragen." Seine Stimme klang weniger warm und herzlich, als er fortfuhr. "Ich kam hierher, weil Euer Freund meinen Freund mit Drohungen dazu veranlasste, einen Krieg zu befürchten. Und glaubt mir, wenn Ihr mir auch nur einen Funke Anlass gebt, an der Heilung Eures Freundes zu zweifeln; an seinem Wort zu zweifeln... so warten genügend Männer in Thal. Und genügend scharfe Klingen."
Bilbo öffnete den Mund. Schloss ihn. Öffnete ihn wieder. Aus dem Augenwinkel konnte er sehen, dass Bard ähnlich schockiert reagierte, doch ihm galt seine Aufmerksamkeit nicht.
"War das eine Drohung?" fragte er, als hätte er ihn nicht richtig verstanden, und ein Teil von ihm hoffte, dass das auch so war.
Thranduil blieb ruhig und seine Stimme kühl. "Nur eine ausgesprochene Tatsache. Schließt daraus, was Ihr wollt."
Bilbo erkannte, dass das Gespräch in eine Richtung gelaufen war, die ihm nicht geheuer vorkam, und brauchte einen kurzen Moment, um sich zu sammeln. Stille herrschte im Raum, und mit ihr eine Anspannung, die den Halbling glauben ließ, sein Brustkorb würde jeden Moment zerspringen. Er atmete hörbar aus, und das sehr langsam, um sich zu beruhigen und seine Worte nicht erzittern zu lassen. Es gelang ihm erst, als er sich von dem Blick des Elbenkönigs löste.
"Wisst Ihr...", begann er leise und langsam,"... seit den Geschehnissen des letzten Winters habe ich Thorin Eichenschild nie mehr in demselben Licht wie zuvor gesehen. Dieser Winter war der schlimmste, den ich jemals erlebte, weil es die Zeit war, in der ich - wenn auch nur kurz - meinen Glauben an das Gute in Herzen verlor. Da gab es zum einen den Thorin, der mir der engste Freund wurde, den ich jemals hatte, und zum anderen den Thorin, der mich einen Wall hinunterstürzen wollte. Den Thorin, der Euch Drohungen an den Kopf warf." Er hob seinen Blick wieder, und seine Augen waren gerötet. "Wenn Ihr uns nun droht, wir würden uns das nächste Mal in Kriegsrüstung gegenüberstehen, seid Ihr keinen Deut weiser als er es damals war. Findet Ihr es gerecht, gleiches mit gleichem zu vergelten?"
Thranduil antwortete in demselben Ton, in derselben Ruhe, in demselben Tempo. "Nun, mir scheint, Ihr vergesst die Tatsache, dass es nicht so weit kommen muss - vorausgesetzt, Ihr könnt uns davon überzeugen, dass der Zwerg, dem wir vor wenigen Minuten gegenüberstanden, ein anderer ist als derjenige, der Euch am Tag der Schlacht den Wall hinunterstürzen wollte." Er erkannte, wie Bilbos Augen glasiger wurden, als er diesen Tag erwähnte, und kam ein kleines Stückchen näher, ehe er weitersprach. "Ihr seid sein bester Freund - wie Ihr selbst sagtet - und wichtiger noch; Ihr seid kein Zwerg, denn jeder dieser Zwerge würde mir im Bann seines Eides nur das sagen, was im Sinne seines Königs wäre. Deswegen wählte ich Euch; Thorin Eichenschild ist nicht Euer König, sondern Euer Freund. Ihr blickt nicht auf seine Krone, Ihr blickt ihm ins Herz. Sagt mir, was Ihr dort seht."
Die Antwort fiel Bilbo erstaunlich leicht, und als er nach kurzem Überlegen antwortete, lag ein neuer Ausdruck auf seinem Gesicht, ein Ausdruck, der Thranduil fremd war. "Hättet Ihr mir diese Frage vor wenigen Tagen gestellt, so hätte ich Euch keine Antwort geben können, da ich nicht in Worte hätte fassen können, welche Trauer mich dabei überkam und wie groß der Schmerz war, in seine Augen zu sehen. Dafür gibt es keine Worte, in keiner Sprache dieser Welt." Ein kleines, blasses, trauriges Lächeln erschien auf seinen dünnen Lippen. Es war unbeabsichtigt geschehen, und es schien, als würde es der Halbling nicht bemerken. "Aber Eure Frage bezieht sich auf das Jetzt und Hier. Was ich in seinem Herzen sehe, wollt Ihr wissen? Nun, dann will ich es Euch sagen. Ich sehe das ehrlichste, teuerste und größte Herz, dem ich jemals begegnet bin; ein Herz, das bereit ist, für Gerechtigkeit zu kämpfen. Ich sehe Stolz, Ehrgeiz - ein wenig Sturheit vielleicht, aber würdet Ihr Thorin kennen so wie ich ihn kenne, würdet Ihr lernen, dahinter zu sehen. Ich kenne die Seiten an ihm, die er Euch verschließt. Sein Kampfgeist, seine Treue. Seinen wahren Charakter. Würdet Ihr ihn wirklich kennen, würdet Ihr anders über ihn reden. Und ich glaube an das, was ich in seinem Herzen sehe, ich glaube daran, dass er wieder er selbst ist." Er sprach den letzten Satz mit Nachdruck in der Stimme. "Ich glaube an Thorin Eichenschild."
Als Thranduil bemerkte, dass ihm der Mund offen stand, schloss er ihn wieder und lächelte berührt. Berührt und verwirrt. "Je länger Ihr von ihm sprecht, umso mehr beschleicht mich das Gefühl, wir würden von zwei unterschiedlichen Personen reden."
Mit einem Mal schien sich Bard für das Gespräch zu begeistern. Er wölbte nachdenklich die Brauen und musterte Bilbo. "Er bedeutet Euch wahrhaft viel", sagte er, und etwas an dem Ton seiner Stimme gefiel dem Hobbit nicht, doch er blieb ehrlich, als er antwortete.
"Mehr, als ich in Worte fassen könnte. Mehr als mir lieb ist..." Er seufzte, sah erst zu Thranduil, und dann wieder zu Bard. "Ich vertraue ihm. Und ich würde meine Hand für ihn ins Feuer legen."
Mit einem gerührten Lächeln schüttelte Bard den Kopf. "Das wird nicht nötig sein. Lasst mich noch eine Frage stellen."
Bilbo zögerte, doch er wusste, dass ihm keine Wahl blieb, also nickte er, wenn auch mit Unbehagen.
"Woran habt Ihr gemerkt, dass Thorin Eichenschild wieder... Thorin Eichenschild ist?"
Die Frage war leicht zu beantworten, und der Meisterdieb musste nicht lange überlegen. "An seinen Augen."
Bard wirkte ein wenig verwundert. "An seinen Augen?"
"Wenn Ihr Eurem... besten Freund ins Gesicht sehen würdet... glaubt mir, Ihr würdet erkennen, in welches Augenpaar Ihr blickt. Ob es das eines Fremden ist oder das desjenigen, mit dem Ihr so viel durchgestanden habt, das es reicht, um ganze Bücher zu füllen. Ich erkenne Thorins Augen, wenn ich sie sehe. Es sind dieselben wie früher." Bilbo konnte nicht vermeiden, dass sein Blick dabei zum Fenster glitt, und dass seine Stimme ein wenig schwärmerischer klang, als er es beabsichtigt hatte. Bard schien das bemerkt zu haben.
"Ihr sprecht von ihm, als ob..." Er zwang sich, das Lächeln abzustellen, und räusperte sich, legte den Kopf auf dieselbe Art zur Seite, wie es Thranduil zuvor getan hatte. "Es muss Euch eine große Überwindung gekostet haben, alles aufzugeben, nur, um bei ihm sein zu können."
Ob es nur eine allgemeine Feststellung war oder eine Frage, konnte Bilbo nicht mit Gewissheit sagen. Er zögerte kurz. "Genau genommen nicht, nein. Ich würde alles für ihn tun. Er ist mein bester Freund."
Als der Elbenkönig diesen letzten Satz hörte, nickte er, als hätte er Bilbos Antwort schon gekannt, bevor er sie gehört hatte. "Und Ihr betont das ziemlich oft, als würdet Ihr uns immer wieder daran erinnern wollen... oder Euch."
Mit einem Mal fühlte sich Bilbo wieder unwohl. "W-wovon sprecht Ihr?"
Als er in Thranduils Gesicht sah, stießen seine Augen auf ein sanftes Lächeln, und aus irgendeinem Grund gefiel es ihm nicht. "Was Ihr für ihn fühlt, ist nicht unsere Sache. Aber lasst Euch gesagt sein, dass-"
Bilbo unterbrach ihn und hob beide Hände, als würde ihn das vor weiteren Bemerkungen bezüglich Thorin und ihm schützen können. "Mir gefällt die Richtung nicht, in die dieses Gespräch verläuft..."
Und Thranduil und Bard respektierten das. Es dauerte eine kleine Weile, ehe wieder jemand etwas sagte. "Was immer Ihr fühlt, steht dazu. Seid Eurem... 'besten Freund' ein Vorbild."
Der Moment, in dem der Elbenkönig diese Worte sprach, war der Moment, in dem Kili beschloss, genug gehört zu haben, und zu seinem Onkel zurückzugehen.
Ihm war ein wenig leichter ums Herz und auf seinen Lippen trug er den Anflug eines Lächelns, als er sich von der Tür löste und auf leisen Sohlen den Gang entlangging, den er zuvor zurück geschlichen war.
Ungehört und ungesehen.
~~~
Thorins Kopf wurde schwer von trüben Gedanken und blinder Sorge, doch er hielt ihn aufrecht. Er hielt seinen Atem flach, seine Hände ruhig, seinen Blick konzentriert, doch innerlich wurde er von Unruhe und Ungeduld zerfressen. Das Licht wurde fahler, schwächer.
Er hörte die Stimmen der Elben und Menschen, die sich vor dem Thron miteinander unterhielten, leise, flüsternd. Es scherte ihn nicht, was sie sagten, auch wenn er wusste, dass die Worte von ihm handeln mussten. Er beobachtete sie durch müde, aber wachsame Augen, und hin und wieder streifte ein Augenpaar das seine, als wäre es zufällig geschehen, doch er wusste, dass ihre verurteilenden Blicke beabsichtigt waren. Und tief, tief in seinem Inneren machte es ihn wütend.
Seine Hand verkrampfte sich auf dem kalten Stein, und er bemerkte es erst, als seine Finger schmerzten. Diese Stille war unerträglich, noch unerträglicher als es das Gespräch gewesen war. Sein Blick fiel auf eine der Fackeln, die sie bei der Ankunft der beiden Könige entzündet hatten, und zornig wandte er sich an Balin, der noch immer neben ihm stand, sein gesenkter Blick verriet, dass ihn ähnlich trübe Gedanken quälten.
"Sie sind jetzt seit einer halben Stunde weg." Thorins Stimme war gedämpft, doch ein Schatten von Zorn und Ungeduld lag tief in ihrem Klang vergraben. "Eine halbe Stunde..." wiederholte er, und ignorierte die Elben und Menschen, die nun mit ihrem Flüstern innehielten und ihre Gesichter wieder ihm zuwandten.
Es war nicht Balin, sondern Fili, der etwas sagte. "Nun ja, verübeln kann man es ihnen nicht..." Als er den Blick seines Onkels sah, sprach er schnell weiter. "I-ich meine, das Thema ist schon von großer Priorität, oder etwa nicht? Dass sie so lange brauchen, muss nicht unbedingt etwas Schlechtes bedeuten." Sein Blick glitt über die Elben und Menschen hinweg, den langen Gang entlang, auf dem sein Bruder und die drei anderen vor einigen Minuten verschwunden waren. "Ich frage mich nur, wo Kili bleibt..."
Thorin ignorierte dieses letzte Seufzen und gab dem Drang nach, seinen Kopf mit einer Hand abzustützen. Müde und am Ende seiner Nerven massierte er sich die Schläfen. "Er wollte Bilbo nur eine einzige Frage stellen. Wer braucht eine halbe Stunde, um eine einzige Frage zu stellen?"
Es war nur ein gemurmelter Gedanke gewesen, doch er war laut genug, dass ihn Balin verstand. "Du hast nichts zu befürchten", sagte er, und seine Stimme klang ruhiger, als Thorin erwartet hatte.
"Nichts zu befürchten..." wiederholte er, und sein Ton verriet, dass er diesen Worten nicht den geringsten Glauben schenkte. "Nein, natürlich nicht."
Der Weißbärtige erkannte den Sarkasmus im Klang seiner Stimme, und trat einen Schritt näher, den Kopf leicht zur Seite geneigt. "Warum bist du so nervös? Bilbo wird ihnen schon sagen, wie die Dinge stehen."
Thorin wirkte, als hätte er diese Worte gar nicht gehört. "Ich hätte ihn nicht gehen lassen sollen..." Er drehte den Kopf nach rechts, und blickte in das besorgte Gesicht des Zwergs, der neben ihm stand. Er flüsterte nur, doch seine Worte waren verzweifelt, ratlos, bebend. "Ich weiß nicht, was er ihnen sagen wird, Balin. Er ist nur hiergeblieben, weil ich ihn darum bat, weil er mir helfen wollte, gesund zu werden. Würde er glauben, ich wäre bereits geheilt, warum ist er dann noch hier?"
Balin sah zu ihm zurück, seine Gesichtszüge regten sich nicht, und als er antwortete, tat er es in einem einzigen, monotonen Satz. "Ich glaube, das weißt du am besten von uns allen, Thorin."
Der Blick, den er auf diese Aussage von dem Schwarzhaarigen erhielt, hätte verständnisloser nicht sein können. Er sah, wie sich seine Lippen öffneten und nach wenigen Sekunden wieder schlossen, als hätte er im Sinn gehabt, etwas darauf zu erwidern, sich jedoch wieder umentschieden, als er die Bedeutung dieses Satzes erkannte. Thorin wandte seinen Blick erneut nach vorn, und sofort wieder nach unten, als er auf jene blickte, die ihn mit verurteilenden Augen musterten. Er schluckte, und sagte eine Weile nichts mehr.
Dwalin hatte die Arme verschränkt. Er stand nun neben Fili, und starrte die ungebetenen Besucher mit so grimmigem Blick an, dass viele den ihren abwandten, sobald sie seine Augen streiften.
"Mir gefallen ihre Blicke nicht", knurrte er, ohne wegzusehen, und er tat es so leise, dass nur Fili ihn hören konnte. "Wer ist das da? Sein Gesicht kommt mir bekannt vor."
Der Blonde folgte seinem Blick und überlegte kurz. "Jetzt, wo du es sagst... Ich glaube, er war dabei, als wir im Düsterwald gefangen genommen wurden. Er war recht geschickt mit dem Schwert... Dafür, dass er so zierlich aussieht."
Dwalin nickte. "Und der daneben? Der mit dem hochnäsigen Blick?"
"Wer denn? Sie schauen alle hochnäsig."
"Würdet ihr bitte für einen einzigen Moment leise sein?" Das war Thorins Stimme, und ihre Lautstärke ließ beide erschrocken aufsehen.
Fili sah schuldbewusst nach unten und biss sich auf die Unterlippe. "Entschuldige, Onkel."
Der Schwarzhaarige, der seinen Kopf bis zu diesem Moment noch mit der Hand abgestützt hatte, lehnte sich nun wieder zurück, und verzog die Brauen, als würde er von Schmerzen geplagt. "Ich halte das nicht länger aus." Sein Blick wurde dunkel und trüb, als er erneut nach vorn sah, auf jene, die hinter vorgehaltener Hand über ihn redeten. Schließlich fasste er einen Entschluss. "Wer bin ich, mir in meinen eigenen Hallen vorschreiben zu lassen, was ich zu tun habe und was nicht..."
Es kostete ihn Kraft, als er sich erhob, und erst meinte er, seine Beine würden ihn nicht tragen wollen, denn sie fühlten sich taub an, und schwer. Ein leichter Schwindel überkam ihn, als er Halt gefunden hatte, und es gelang ihm nur schwer, dem Drang zu widerstehen, sofort wieder zurück auf seinen Platz zu sinken. Mit zielgerichteten Schritten trat er von der Empore herunter, sein langer, schwarzer Mantel streifte über den Boden, und Thorin spürte, wie er von seinem Gewicht nach unten gezerrt wurde. Seine Narben brannten, seine Stirn war blass, blasser als vor wenigen Minuten.
Als die Elben und Menschen bemerkten, was geschehen war, reagierten sie nicht sonderlich überrascht, und stellten sich ihm in den Weg, als hätten sie sein Vorhaben schon lange durchschaut, bevor es ihm selbst überhaupt in den Sinn gekommen war.
Thorin blieb drei Schritte vor ihnen stehen, und sah zu demjenigen auf, der ihm gegenüberstand. Er blickte in das fremde, ernste Augenpaar eines jungen Mannes mit schulterlangem, schwarzen Haar. Als sich ihre Blicke trafen, sah er, wie die Hand des Menschen an den Griff eines Schwertes wanderte, das er unter seinem langen Mantel trug. Er würde es nicht ziehen, das wussten beide Seiten, aber es war eine Geste, die Thorins Laune nicht gerade zuträglich schien.
"Geht mir aus dem Weg", knurrte er durch aufeinandergepresste Zähne. Er wandte sich nach rechts, doch sie folgten seinen Schritten und ließen ihn noch immer nicht passieren. "Ich sagte... geht mir aus dem Weg." Dieses Mal klang seine Stimme seltsam heiser, schwach und trocken. Thorin spürte ein Ziehen in seiner Brust, und als er schluckte, schien seine Kehle zu brennen.
Ob es dem schwarzhaarigen Menschen nicht auffiel oder ob er es schlichtweg ignorierte, ließ sich unmöglich feststellen.
"Wir befolgen nur unsere Befehle", sprach er mit ernster, fester Stimme, und er verzog keine Miene dabei.
"Schön. Und mein Befehl lautet, mir aus dem Weg zu gehen." Es war der seltsam schwankende Unterton in seinen Worten, der den Zwergen hinter seinem Rücken verriet, dass etwas nicht mit ihm stimmte. Dwalin war der erste, der die Empore heruntereilte, die anderen folgten ihm, und das keine Sekunde zu früh, denn kaum hatten sie den Schwarzhaarigen erreicht, gaben seine Knie nach und er wäre gefallen, hätten sie ihn nicht gehalten.
Seine Narben glühten, brannten, stachen. Mit zitternder Hand tastete er nach der alten Verletzung, und zog scharf die Luft ein, als seine Finger auf die Stelle trafen, in die Azog seine Klinge versenkt hatte. Ein seltsamer grauer Schleier tanzte vor seinen Augen, als er sich die Hand vorhielt, um zu überprüfen, ob sich Blut daran befand. Sie war nicht rot. Das war gut, denn es bedeutete, dass die Nähte dieses Mal hielten. Er verzog das Gesicht vor Schmerz und Übelkeit, als er von den anderen zurück zu seinem Thron geführt wurde.
Dwalin blickte auf halbem Wege über die Schulter, und sah in die bestürzten Gesichter der Elben und Menschen. "Was gibt es da zu gaffen?" rief er ihnen zu, doch sein Bruder versuchte, ihn mit leiser Stimme zu beruhigen.
"Lass sie, Dwalin. Es bringt doch nichts."
Es dauerte nicht lange, und Thorin saß wieder, wo er vorher saß, mit dem Unterschied, dass er seinen Kopf gegen den kühlen Stein des Throns lehnte, und panisch und schwach atmete, und hin und wieder das Gesicht verzog, wenn ein neuer Schwall von Schmerz durch seinen Körper fuhr. Er würde keinen zweiten Versuch wagen, nicht, wenn er nicht ohnmächtig werden wollte.
In der Halle wurde es wieder ruhig, so ruhig und bedrückend wie zuvor. Erst nach einigen Augenblicken unterbrach ein Geräusch die Stille; ein Geräusch, das Thorin ein wenig Hoffnung gab. Es war der Klang von Schritten.
Es schien, als hätten die Menschen und Elben sie nicht wahrgenommen, ehe sie bemerkten, dass der Schwarzhaarige aufsah und mit einem Gesichtsausdruck über ihre Schultern blickte, der ihnen bis jetzt völlig fremd gewesen war. Als sie sich umdrehten und den Zwerg sahen, der in Richtung des Thrones ging, ließen sie ihn passieren, wenn auch mit seltsamen Blicken und der Emotion, die sie, wie es in Thorins Augen schien, am besten beherrschten. Misstrauen.
"Kili!" Fili trat einen Schritt vor, und seine Stimme schwankte. "Wo bist du nur geblieben?"
Als sein Bruder wieder dort stand, wo er zuvor gestanden hatte, sah er in die Runde und öffnete die Lippen, doch noch ehe er ein Wort sagte, besann er sich der Anwesenheit der kleinen Gruppe vor dem Thron und schloss ihn wieder. In ihren Gesichtern konnten sie sehen, dass sie bereits ahnten, was der Grund für sein langes Fortbleiben war, und doch blieb er stumm.
Thorin sah aus seinen blassen Augen zu ihm und flüsterte, so leise, als würde er mit einem kleinen Kind reden, das in den Schlaf übertrat, nur mit dem Unterschied, dass die Worte dabei nur brüchig und schwer über seine Lippen kamen. "Was hast du gehört?"
Der Klang machte Kili ein wenig besorgt, denn er hätte schwächer nicht sein können. Er räusperte sich, trat einen kleinen Schritt näher und beugte sich zu ihm, sodass nur Thorin fähig war, seine Worte zu verstehen. Als er sprach, klang seine Stimme kräftiger als die seines Onkels. "Ich denke kaum, dass du nach dem, was Bilbo über dich gesagt hat, noch irgendetwas zu befürchten hast."
Als der Schwarzhaarige das hörte, sah er auf, und es schien, als wäre er ein wenig blasser als zuvor. "Was... was hat er über mich gesagt?"
Kilis Mundwinkel zuckten. "Vielleicht fragst du ihn das später lieber selbst, wenn ihr zwei allein seid."
Thorin nickte daraufhin, ein wenig grimmig, aber noch immer schwach. "Sofern wir nicht wieder unterbrochen werden."
Nun war es Kili, der mit einem Mal aufsah. Er öffnete den Mund und schloss ihn wieder, und plötzlich meinte er, zu verstehen. "Wieder? Einen Moment... hab ich euch vorhin bei irgendetwas... gestört?"
Die Antwort seines Onkels wirkte ein wenig zu aufgesetzt. "Bei was hättest du uns denn stören sollen?"
"Nun ja..." Kili lächelte schief und räusperte sich, aber nicht, weil seine Kehle trocken war. "'Amrâlimê'..."
Wenn Thorin glaubte, er könnte seinen Neffen mit dem verständnislosen Blick, der nun folgte, hinters Licht führen, so hatte er sich geirrt. Früh genug noch sah er es ein und wandte den Blick ab. Als er sprach, war es kein Flüstern mehr. "Das... das geht euch nicht das geringste an."
Kili schüttelte den Kopf und ließ sein Lächeln verschwinden, beugte sich wieder zu ihm und flüsterte, denn das, was er ihm eigentlich hatte sagen wollen, hatte Thorin noch nicht gehört. "Darum geht es jetzt auch gar nicht. Sie werden nicht mehr lange brauchen, das ist sicher, aber... bitte... wähl deine nächsten Worte ein wenig bedachter. Wenn du ihnen auch nur den geringsten Anlass dazu gibst, an deiner Heilung zu zweifeln, dann..."
Thorin musterte ihn aus dem Augenwinkel. "Was dann?"
Kili schluckte, bevor er eine Antwort gab, denn er brauchte einige Sekunden, um zu entscheiden, wie er es in Worte packen wollte. Schließlich traf er die Entscheidung, den genauen Wortlaut des Elbenkönigs nicht zu wiederholen, denn Mahal allein wusste, wie Thorin auf die Sache mit den 'scharfen Klingen' reagiert hätte. "Ich bin mir nicht sicher, wie weit Thranduil zu gehen bereit ist. Und ich würde es ungern herausfinden."
Thorin blieb beharrlich. "Hat er irgendetwas gesagt?"
"Bitte denk einfach daran, dass wir deutlich in der Unterzahl sind." Kili nickte langsam und ruhig, um seine Worte zu betonen. "Und bevor du fragst... Nein, sie haben mir nicht gesagt, wie lange sie brauchen werden. Sie meinten, das hinge ganz allein von Bilbo ab."
Und das tat es. Thorin wusste das, und gab sich mit dieser Antwort zufrieden, wobei zufrieden womöglich nicht der richtige Ausdruck ist.
Stumm lehnte er sich in seinem Thron zurück. Seine Narben brannten. Sein Kopf glühte. Seine Gedanken, die zuvor wirr und ungeordnet waren, zogen plötzlich Kreise wie ein gigantischer Sturm, wild, und nicht zu bändigen. Doch im Auge dieses Sturms blieb es ruhig. Es war die Stelle, an der Bilbo stand.
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"Was werdet Ihr jetzt tun?" fragte der Halbling vorsichtig und angespannt, um die Stille zu brechen, und sah zu Thranduil, der nun wieder am Fenster stand und hinaussah. Das späte Licht wurde schwächer und legte einen sanften, violetten Schleier über sein ernstes Gesicht.
"Das, was getan werden muss", gab der Blonde zur Antwort, und drehte den Kopf wieder in die Richtung von Bilbo und Bard. Vielleicht klang seine Stimme ein wenig grimmiger, als er es beabsichtigt hatte, denn er sprach schnell weiter, und der Tonfall seiner Stimme wirkte um einen kleinen Grad leichter als bei diesem ersten Satz. "Ich werde erneut das Gespräch suchen. Und ich werde versuchen, Euren Freund in dem Licht zu sehen, in dem auch Ihr ihn seht."
Seine Mundwinkel zuckten, als er sah, dass Bilbo erleichtert ausatmete. "Was dachtet Ihr? Dass ich die Waffen sprechen lassen würde? Zu welchem Zweck? Ich bin kein Feind der Zwerge, Bilbo Beutlin. Und ob Ihr es glaubt oder nicht, auch ich ziehe das Gespräch dem Kampf vor."
"Nun, es hat vorhin nicht danach geklungen, als Ihr die scharfen Klingen Eurer Männer erwähntet." Er sah ihm in die Augen. "Ich hoffe doch sehr, dass das nicht ernst gemeint war. Und ich würde Euch raten, dies nicht Thorin gegenüber zu erwähnen. Ich bitte Euch, seid schlauer, als er es damals war."
Zu Bilbos Überraschung ging Thranduil nicht auf seine Bitte ein, sondern nickte nur, als hätte er seine Antwort bereits im Voraus gekannt, und sah wieder hinaus, in das abendliche Glimmen am fernen Horizont. Als der Halbling dachte, dass sei alles, öffnete er die Lippen und sprach. Der Klang seiner Stimme war anders als zuvor.
"Sprecht, habt Ihr vor, noch länger hier zu bleiben? Nun, da Ihr behauptet, Euer Freund sei geheilt?"
Bilbo verwunderte diese Frage, und wollte es erst auch sagen, doch er besann sich schnell, und ließ von dem Versuch ab. Denn wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, so wusste er es nicht; es war eine gute Frage. Sein Blick glitt auf den Boden, als er einen zweiten Anlauf wagte. "Auch wenn ich es nicht anspreche, vermisse ich das Auenland. Mehr, als ich mir selbst eingestehen will. Aber ich werde so lange bleiben, wie es nötig ist. So lange, bis ich mir sicher sein kann, dass meine Freunde auch ohne mich auskommen."
"Ihr meint wohl eher, bis Thorin Eichenschild auch ohne Euch auskommt."
Bilbo sah auf und hob verwirrt eine Braue. "Verzeihung?"
Thranduil wandte sich vom Fenster ab und musterte ihn. "Wie es scheint, seid Ihr der einzige, auf dessen Worte er Wert legt. Wer kann es ihm verübeln? Gerade tue ich dasselbe."
Bilbo verspürte plötzlich den Drang, sich rechtfertigen zu müssen, und räusperte sich. "Ich würde ewig bei ihm bleiben, wenn es denn nötig wäre."
Der Elbenkönig sah ihn weiter an, ohne zu blinzeln. "Aber ist das auch die richtige Entscheidung für Euch?"
Bilbo verstand nicht. "Wie meint Ihr das?"
Zu seiner Erleichterung unterbrach Thranduil den Blickkontakt, ehe er ihm eine Antwort gab. Er sah sich in dem Raum um, ließ seinen Blick die dunklen Wände aus Stein entlanggleiten. "Sind diese Mauern nicht schwarz und schwer von Kriegen und Kummer? Werdet Ihr ewig in ihrem Schatten leben können, und neben demjenigen Euer Dasein fristen, der Euch zwang, zu bleiben?"
Der letzte Satz tat Bilbo auf seltsame Art und Weise weh. "Thorin hat mich nie zu irgendetwas gezwungen. Ich sehe ihn nicht so, und ich hatte eigentlich gedacht, Euch das bereits klargemacht zu haben." Als er weitersprach, wirkte es, als würde er nicht direkt mit den beiden anderen im Raum sprechen, sondern lediglich laut denken. "Es gibt so vieles, was passiert ist, so vieles, was gesagt werden muss und noch nicht gesagt wurde..." Er sah zu dem Elben auf. "Ich habe keine Wahl. Ich werde noch nicht abreisen."
Einige Sekunden geschah nichts. Bilbo hielt den Atem an, als er in Thranduils Augen sah; die Augen, die so durchdringend und forschend auf die seinen gerichtet waren, dass es ihn fast schmerzte. Doch dieser Schmerz war nichts im Vergleich zu dem Leid, dass er beim Anblick von Thorins Augen ertragen hatte. Damals, am Tag der Schlacht. Und vor nicht allzu vielen Stunden, in den Silberhallen, die nun das Grab einer Drachenmutter waren. Er spürte die Träne nicht, die ihm beim bloßen Gedanken an diese Augen die Wange hinunterrann, doch er spürte den Schmerz, der sie ausgelöst hatte. Das Brennen unter seinen Lidern. Das Brennen in seinem Herzen.
Bilbo wagte erst wieder zu atmen, als der Elb erneut sprach und den Blickkontakt abbrach, und als er es tat, war sein Atem zitternd und er schmeckte den altbekannten Geschmack von Tränen.
"Nun gut. Ich denke, ich habe gehört, was ich hören musste."
Der Halbling sah ihn an, obwohl er wusste, dass seine Augen gerötet waren. Es scherte ihn nicht. "Was werdet Ihr tun, nachdem Ihr mit ihm geredet habt? Werdet Ihr wieder umkehren?"
Thranduil überlegte nicht lange. "Ihr sagtet, Ihr würdet bleiben. Nun, ich werde es Euch gleich tun, wenn auch nicht hier, sondern in der Stadt. Irgendetwas sagt mir, dass meine Anwesenheit von Nutzen sein könnte, und sei es nur, um Euren Freund an das, was er sich geleistet hat, zu erinnern. Ich werde warten. Warten und sehen."
"Was die Dracheneier betrifft..." Sie richteten ihre Blicke auf Bard, der diesen Satz begonnen hatte. Als er sich sicher war, Bilbos Aufmerksamkeit zu haben, sprach er weiter. "Soll das heißen, wir werden bald mit zwei weiteren rechnen müssen? Zwei weiteren... Drachen?"
Es überraschte ihn, in Bilbos Augen Trauer zu sehen, als er über die Drachen sprach. Er sah, wie der Halbling langsam den Kopf schüttelte. "Sie sind tot. Ich war nicht dabei, als man sie fand, aber mir wurde gesagt, sie wären versteinert. Ich nehme an, dass der Drache sie zurücklassen musste, als sie sich durch die Gänge in die alten Hallen verkroch, aus denen sie einst gekommen war."
Ein schwacher Wind kam auf. Er war kühl, und brachte den Geruch von Regenwolken und nassem Tannengrün zu ihnen herauf. Ein klammes, leises, flüsterndes Seufzen.
"Ich denke, es ist an der Zeit zurückzugehen", sagte Thranduil mit einem Blick zum Fenster. "Der Tag neigt sich seinem Ende zu... und bei der Geduld Eures Freundes dürfte es nicht anders sein."
Bei dieser letzten Bemerkung zuckten Bilbos Mundwinkel. Jetzt, in der Kälte des Luftzugs spürte er die Träne auf seiner Wange, und fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht. Eine zweite folgte, doch er ließ sie nass und kühl seine Wange hinunterrinnen. Er ließ sie, weil er wusste, dass es keine Träne der Trauer war, sondern eine der Freude, eine der Erleichterung. Er ließ sie, weil er glücklich über sie war.
Das violette Licht verschwand, und Bilbo meinte, von draußen das leise Plätschern von Regentropfen zu hören. Ein leises, rollendes Grollen, wie das Echo eines aufziehenden Unwetters.
Sie sprachen kein Wort, als sie den Raum verließen, und dem kleinen Hobbit war das ganz recht, denn seine Gedanken waren woanders.
Irgendetwas sagte ihm, dass nun alles gut werden würde.
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Wir werden sehen, Bilbo. Wir werden sehen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nächste Kapitel ein wenig später als üblich kommt, da ich in letzter Zeit echt wenig Zeit zum Schreiben hatte. Sollte es in den nächsten Wochen zu Unregelmäßigkeiten kommen, entschuldige ich mich also schonmal im Voraus.
Es tut mir leid.
Uff, mein Kopf tut weh. Ich leg mich mal hin.
Mal sehn, ob ich irgendwann wieder aufstehe.
Ich danke Euch übrigens, denn es rettet mit immer den Tag zu sehen, dass irgendjemand votet, kommentiert, oder auch einfach nur dieses Buch liest. <3
Mir ist vorhin aufgefallen, dass diese Geschichte ja schon ein Jahr oder so geht. Ich weiß nicht mehr genau, wann ich den ersten Teil hochgeladen hatte, aber es dauert nicht mehr lang und das Buch hat Geburtstag.
Also, ich hoffe, Ihr verzeiht mir, dass sich dieses Buch so in die Länge leiert, und dass noch immer ein kleiner Funke Interesse an der weiteren Handlung besteht.
Und damn, ich muss mich jetzt wirklich hinlegen, mein Kopf platzt gleich.
Sollte er ganz bleiben, werden wir uns hoffentlich lesen, schreiben, oder sonst was.
¡Adios!
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