Durch den Nebel
Ein grauer Schleier bedeckte das sonst so kräftig grüne Laub der Bäume, die das Ufer des Sees säumten. Still lag er da. Das Wasser war ruhig. Kein Wind wehte. Kein Blatt rührte sich. Kein Vogel sang.
Wie alles verschlingende Schatten tanzte der Nebel auf der spiegelgleichen Oberfläche des trüben Sees, dessen tiefschwarzes Wasser keinen Blick hindurch gewährte. Im dichten Nebel ließ sich nur grob erahnen, wo einst die stolze Handelsstadt Esgaroth gelegen hatte, lange Jahre bevor der rotgoldene Drache seinen todbringenden Atem über die reich verzierten hölzernen Bauten der Menschen vom See gespien hatte. Lange Jahre, bevor Thorin König geworden war. Lange Jahre vor der Schlacht der fünf Heere.
"Wie ein Grab..." murmelte Bilbo. Und tatsächlich. Das war es auch - ein Grab. Dort, wo in den blassen Schleiern des weißen Dunstes schwarze Trümmer aufragten wie Bäume nach einem Waldbrand, lag es. Das Grab von Smaug.
Viele hatte er mit in den Tod gerissen. Viele konnten nicht geborgen werden. Viele lagen mit ihm dort, in der schwarzen Tiefe des eiskalten Gewässers und teilten das grausige Grab des Drachen. Einsam. Unschuldig. Und für immer verloren.
Es war am hellichten Tag und dennoch schien sich über das gesamte Tal ein Mantel der Trauer und Stille gelegt zu haben, der jegliche Gefühle der Hoffnung und Freude im Keim erstickte.
Im Zentrum lag der Einsame Berg. Die Spitze zur Gänze in grauschwarze Wolken gehüllt, die das warme Wetter nicht rechtfertigte. Es war, als würde all die Dunkelheit und die düstere Stimmung von ihm ausgestrahlt, als fände alles seinen Ursprung in den Hallen, die unter den massiven Mauern des dunklen Gesteins lagen und Schätze jenseits aller Vorstellungskraft vor den gierigen Augen und Händen Geringerer verbargen. Schätze, verflucht und verseucht durch die Habgier des Drachen.
Bilbo fühlte sich beobachtet. Beobachtet von Schatten, unsichtbaren Mächten und gerissenen Augen. Er schluckte und ein Schauer jagte ihm über den Rücken.
Als er das Tal verlassen hatte, war es ein warmer Morgen im Hoffnung spendenden Spätfrühling gewesen, doch jetzt, da alles Leben aus den Gegenden gewichen schien, fragte sich Bilbo, ob es derselbe Ort wie damals war. Natürlich war es das. Doch der Kontrast war noch nie so deutlich spürbar, so schmerzend real gewesen. Schon zu atmen schien hier zu viel zu sein.
Sein Lunge schmerzte und Bilbo fragte sich, ob dies an dem ungewöhnlich schweren, hängenden Nebel lag, der noch immer sein Spiel auf dem schwarzen Wasser des Sees trieb und alles auszufüllen schien.
Ruhig klopfte der kleine Hobbit auf den Hals seines Ponys, welches vor Anspannung schnaubte. Es spürte seine Nervosität, keine Frage. Ponys sind sensible Tiere.
"Ist schon gut, ist schon gut..." flüsterte Bilbo dem Pony zu, eher aber mit der Absicht, sich selbst zu beruhigen als das Tier unter ihm. Es zeigte keinerlei Wirkung. Seufzend stieg er aus dem Sattel und nahm die Zügel in die Hand, um das Tier neben sich zu führen.
Er spielte auf Zeit. Kein halber Tag mehr und er wäre am Ziel. Könnte seine Freunde wiedersehen. Könnte seiner Rückreise einen Sinn geben. Er hatte es sich während dem Rückritt fest zum Ziel gesetzt, hatte es kaum erwarten können, endlich den Berg zu erreichen. Doch nun - all seine Motivation schien verschwunden zu sein.
Er hatte den Erebor verlassen, weil er sich sicher war, mit einem guten Gewissen gehen zu können. Die Zukunft aller war gesichert, der Frieden zwischen den Völkern, die Zuversichtlichkeit hatte ihren Höhepunkt erreicht - doch nun schien alles noch trostloser zu sein als an dem Tag, an dem sie zum ersten Mal die Seestadt betreten hatten.
Wie war es möglich, innerhalb weniger Wochen ein blühendes Königreich in reine Trostlosigkeit zu verwandeln? Als hätte sich die Krankheit durch die massiven Mauern des Berges gedrängt und das gesamte Tal zu seinem Reich erklärt. Hier herrschte nicht Thorin. Hier herrschte Verderben.
Schon jetzt wusste Bilbo, was Fili in seinem Brief gemeint hatte - und er hatte noch nicht einmal den Einsamen Berg betreten.
"Mit dem Tag Deiner Abreise ist ein Tag voller Dunkelheit über Erebor eingebrochen..." flüsterte er. Dieser Satz aus dem Brief war noch eine vollkommene Untertreibung. Keine Worte vermögen es, das Grauen zu beschreiben, welches von dem einst prächtigen Königreich ausging.
Er hatte sich den kompletten Wortlaut des Briefes eingeprägt. Hatte ihn wie ein beschwörendes Mantra immer und immer wieder wiederholt, bis seine Lippen die Worte irgendwann wie von selbst geformt hatten. Fili kannte ihn. Er wusste, dass er kommen würde. Bilbo hoffte das jedenfalls.
Während er wie in Zeitlupe einen Fuß vor den anderen setzte, an den Zügeln das vor Atemnot leise schnaubende Pony, tauchten wie eine übernatürliche Erscheinung plötzlich Fragen in seinem Kopf auf. Fragen, die er sich schon längst hätte stellen sollen.
Was jetzt? Thorin wusste nicht, dass er kommen würde, ebenso wenig wie die meisten seiner Gemeinschaft. Was sollte er tun, wenn er einem von den Uneingeweihten über den Weg lief? Wie sollte er seine Rückkehr rechtfertigen?
Hallo, schön, euch wiederzusehen! Warum ich hier bin? Ich hab mich spontan dazu entschieden, doch nicht nach Beutelsend zu gehen. Wieso, wollt ihr wissen? Naja, Fili hat mir einen geheimen Brief zukommen lassen, in dem er mich darum bittet, euch mal wieder aus der Patsche zu helfen! Ich weiß zwar, dass ich absolut nichts ausrichten kann, aber ich dachte mir: Hey, warum nicht?
Er schüttelte den Kopf. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt für Ironie. Auch wenn er sich ernsthaft fragte, wie er seine Rückkehr erklären sollte, ohne Fili, Kili und Balin in Verlegenheit und Erklärungsnot zu bringen - denn Thorin würde es eindeutig als Verrat sehen, wenn hinter seinem Rücken über ihn entschieden wurde. Bilbo war sich sicher, dass er dabei auch nicht vor seiner eigenen Verwandtschaft zurückschrecken würde. Selbst wenn Fili sein Thronfolger war. Er hatte großen Respekt vor seinem Onkel und war stets bemüht, ihn nicht zu enttäuschen. Bilbo konnte nur erahnen, wie schwer ihm die Entscheidung gefallen sein musste, seinen Onkel, den er selbst als seinen König und Anführer sah, zu hintergehen. Nun - hintergehen konnte man es schlecht nennen. Dennoch: Es musste ihn starke Überwindung gekostet haben. Bilbo fragte sich, ob die mit schwarzer Tinte geschriebenen Worte auf dem Briefpergament wirklich nur durch den Regen verwischt worden waren...
... oder von den Tränen eines jungen Zwergenprinzen, der das Schicksal seines Königs betrauerte.
Er atmete zitternd aus. Die Vorstellung ließ ihn zusammenknicken. Seine Beine versagten ihren Dienst und er kniete neben dem Pony nieder. Seine Schultern schienen von einem tonnenschweren Gewicht nach unten gedrückt zu werden, doch da war nichts. Es war nur die Bitterkeit und der dunkle Herrscher dieses Ortes, der seine Knie versagen ließ - die Trauer, das Verderben, die Stille.
Mehrere Minuten saß er da. Mitten auf dem Weg, die Zügel noch in der Hand. Er bemerkte gar nicht, dass er stehen geblieben und zusammengesunken war.
Das Pony schnaubte leise und ließ ihn aufschrecken. Benebelt rappelte er sich auf und setzte seinen Weg langsam fort, weg von den Ufern des Drachengrabes und dessen Schwärze, hin zu seiner Bestimmung. Und dieses Mal würde er sie bestimmt erfüllen.
~~~
Die Zeit dehnte sich und aus Minuten wurden Stunden. Es war nun später Nachmittag und durch die dichten Schwaden des eiskalten Nebels schienen vereinzelt goldene Strahlen der vom Dunst verdeckten Sonne. Es war ein skurriles Bild.
Die Bäume standen hier nicht mehr so dicht wie am Ufer des Sees, den er inzwischen hinter sich gelassen hatte. Je weiter er sich von ihm entfernte, desto größer wurden die Abstände zwischen ihnen und irgendwann blieb die Vegetation ganz aus. Die Landschaft wurde karger und weniger grün, der graue Schleier verdichtete sich. Bald würde er sein Zentrum erreicht haben. Er näherte sich dem Berg. Stück um Stück. Schritt um Schritt.
Tatsächlich wusste er irgendwann nicht einmal mehr, wo genau er war, geschweige denn wie weit er schon gekommen war oder welche Tageszeit herrschte. War es schon Abend? Die goldenen Sonnenstrahlen waren nirgendwo mehr zu sehen, ebenso wenig wie der Weg, dem er bis jetzt gefolgt war. Das Pony wurde unruhig. Nicht, dass es das zuvor nicht auch schon gewesen wäre - doch nun blieb es mehrmals mitten in der Bewegung zitternd stehen, sodass Bilbo es immer wieder aufs Neue zum Weitergehen zwingen musste.
Er konnte nur wenig erkennen. Drei, höchstens vier Schritte entfernt vielleicht, und die Welt verschwand im Grau. Er erschauderte.
Urplötzlich kam eine Windböe auf und riss die graue Wand vor seinen Augen auseinander. Erst jetzt erkannte Bilbo, wie weit er schon gekommen war.
Vor ihm zeichnete sich deutlich das gigantische Eingangstor des Einsamen Berges ab. Kunstvoll in Stein gehauene Muster und Abbildungen zierten die groben Mauern des Reiches unter dem Berg. Und er stand direkt davor. Nur wenige Meter weiter und er wäre dagegengestoßen.
Der Luftzug, der ihm die Orientierung verschafft hatte, war so schlagartig und ohne Vorwarnung gekommen, dass das Pony einige Schritte zurückschreckte. Bilbo konnte es gerade noch in letzter Sekunde halten. Es wieherte unruhig und starrte mit vor Furcht weit aufgerissenen Augen auf das mächtige, steinerne Tor vor ihnen.
"Schhh, es ist alles gut... es ist alles gut..." raunte Bilbo. Das Pony bewegte sich keinen Zentimeter, sondern starrte weiter auf die grauen Mauern, als hätte es ein Gespenst gesehen. Als Bilbo dachte, er hätte es einigermaßen beruhigt, bäumte es sich schnaubend auf und riss sich aus dem vor Schreck gelockerten Griff des Hobbits los. Die beiden hölzernen Kisten, gefüllt mit Gold und Silber, lösten sich aus dem Gepäck, welches er auf den Rücken des Tieres gebunden hatte, und fielen mit einem hässlichen Geräusch zu Boden.
Bilbo hielt sich schützend die Hände vor das Gesicht, aus Angst, das verschreckte Pony könnte ihn treffen. Als er durch seine Fingerspitzen lugte, konnte er es galoppierend im dichten Nebel verschwinden sehen, zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.
"Nein! Komm zurück! Komm zurück!" rief er ihm nach. Doch er konnte es nicht mehr sehen, zu dicht standen die alles verschlingenden Schwaden, die scheinbar auch jedes Geräusch verschluckten. Seine Stimme wurde von den mächtigen Gesteinsmauern in einem gespenstischen Echo zurückgeworfen. Komm zurück... zurück... zurück... zurück...
Stumpf konnte er das Geräusch der aufschlagenden Hufen verklingen hören. Irgendwann vernahm er gar nichts mehr. Das Pony war weg. Er war auf sich allein gestellt.
Seufzend kniete er sich neben die zersplitterten Holzkisten nieder. Münzen und Ketten lagen verstreut auf der kalten, feuchten Erde. Die Bezahlung für seine Dienste als Meisterdieb. Das Zeichen des Dankes, das ihm sein Freund gegeben hatte. Der Freund, der nun hinter diesen Mauern auf einem Thron aus Stein saß und der Grund für seine Umkehr war.
Er setzte seinen Beutel ab, den er über den Schultern getragen hatte, und zog ein Tuch heraus, welches er neben seinen verstreuten Habseligkeiten ausbreitete. Die Kisten waren zu nichts mehr zu gebrauchen, das Holz war gesplittert und zerbrochen. Mit zitternden Händen wickelte er das, was noch zu retten war, in das Tuch ein und legte es schließlich in seinen Beutel, zu seinem spärlichen restlichen Gepäck. Dann stand er auf.
Der Nebel hatte sich inzwischen wieder verdichtet und verdeckte den Haupteingang des Berges. Hätte er nicht gewusst, in welcher Richtung das Tor lag, er wäre ziellos weitergegangen. Vorsichtig und langsam setzte er einen Fuß vor den anderen.
Plötzlich regte sich etwas. Nur in wenigen Metern Entfernung, vielleicht waren es fünfzehn oder zwanzig, lichtete sich der Nebel und gab die Sicht auf eine kleine, sich dunkel von der blassen Umgebung abhebende Gestalt frei. Angestrengt kniff Bilbo die Augen zusammen, um etwas erkennen zu können. Es war eindeutig ein Mann. Recht klein, doch je länger er wartete, desto größer schien er zu werden. Er kam direkt auf ihn zu.
Bilbo hielt den Atem an und wagte nicht, sich zu rühren. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er sah, dass auch die Person vor ihm stehen geblieben war. Hatte er ihn bemerkt? Der kleine Hobbit sah genauer hin.
Diese Proportionen... Es war ein Zwerg, keine Frage.
Sein Gegenüber war nur noch höchstens zehn Meter entfernt. Offenkundig versuchte auch er, zu erkennen, mit wem er es zu tun hatte.
"Ha-hallo?" rief Bilbo, laut genug, damit der Zwerg ihn hören konnte, aber dennoch leise genug, damit keine ungebetenen Ohren von seiner Anwesenheit Wind bekamen.
Die dunkle Gestalt setzte sich in Bewegung. Sie rannte. Genau in seine Richtung.
Langsam dämmerte es dem kleinen Hobbit, wer ihm da entgegenkam.
Und es fiel ihm ein Stein vom Herzen, als er das vertraute Gesicht wiedererkannte. Das Gesicht des jüngsten Neffen Thorins. Das Gesicht von Kili.
"Bilbo, du - du bist wirklich gekommen!" rief er freudestrahlend, als er bei dem kleinen Hobbit angekommen war. Bilbo hätte ihn am liebsten umarmt, so froh war er zu sehen, dass er noch wohlauf war.
"Natürlich bin ich das!"
"Du... du glaubst gar nicht, wie glücklich ich bin, dich zu sehen..."
Auf Bilbos Gesicht zeichnete sich eine tiefe Sorgenfalte ab, als er erkannte, dass der junge Zwerg geweint hatte. Seine Augen waren gerötet und glasig. Er schniefte.
"Euer... euer Brief hat mich vor etwa einer Woche erreicht... Ich kann es gar nicht glauben! Wie geht es dir? Wie geht es den anderen?"
Kili schluckte und schüttelte mit verbitterter Miene den Kopf. "Wir hätten dich gar nicht darum bitten dürfen, umzukehren. Wir hätten dir diesen Brief niemals schreiben sollen..." Eine Träne rann seine Wange hinab.
"Kili, was redest du denn da? Ihr habt das einzig Richtige getan!"
Der Zwerg sah zu Boden und schüttelte weiter den Kopf. "Es war ein Fehler. Wir wussten, du würdest alles stehen und liegen lassen, um zu kommen. Das wussten wir von Anfang an und dennoch haben wir es soweit kommen lassen. Und jetzt musst du die Konsequenzen tragen. Die Konsequenzen unserer Dummheit..."
Bilbo packte ihn an den Schultern, worauf der Zwerg wieder aufsah. "Jetzt hör mir einmal zu, Kili! Meinst du, es wäre besser gewesen, mir nichts zu sagen? Mich einfach so heimkehren zu lassen mit der falschen Gewissheit, alles wäre gut? Ich werde helfen, wo ich kann! Thorin hat es schon einmal geschafft, er wird es ein zweites Mal schaffen."
Er wischte sich eine Träne von der Wange. "Das dachte ich zu Beginn auch, Bilbo. Aber du hast nicht gesehen, was ich gesehen habe. Du hast ihn noch nicht gesehen..."
"Dann bring mich zu ihm!"
"Das... das ist nicht so einfach."
"Doch! Es ist so einfach! Bring mich zu ihm und ich werde sehen, was ich tun kann."
Kili schwieg und biss sich auf die Unterlippe. "Du verstehst das nicht. Es... es geht um Fili."
Bilbos Herz setzte einen Schlag aus. "Was ist mit ihm?"
"Thorin... muss irgendwie Wind davon gekriegt haben, als er den Brief geschrieben hat. Er weiß, nein, er spürt, dass wir irgendetwas hinter seinem Rücken arrangiert haben, doch bis jetzt ist es nur ein bloßer Verdacht. Er misstraut uns. Mehr denn je. Und Fili am meisten. Du hättest ihn in den letzten Wochen erleben sollen! Er lässt ihn keine Sekunde aus den Augen, belauscht seine Gespräche und verbietet ihm, die Hallen Erebors zu verlassen. Wie ein Gefangener. Ein Gefangener in seinen eigenen Hallen."
Bilbo schwieg. Er konnte nicht glauben, was er da hörte.
"Wenn du jetzt zu ihm gehst... Er wird Verdacht schöpfen. Er wird Gewissheit haben, dass wir hinter seinem Rücken einen Brief verfasst haben. Er wird wissen, was Fili in diesem Brief geschrieben hat und an wen er gerichtet war. An dich. Und ich vermag nicht zu sagen, wie er darauf reagieren wird."
Jetzt verstand Bilbo, warum Kili so skeptisch war.
"Aber... ich bin hier, um zu helfen. Ich bin für euch zurückgekommen. Ich werde Thorin nichts von dem Brief erzählen."
Kili lachte bitter. "Wie willst du ihm dann erklären, warum du zurückgekommen bist?"
Der kleine Hobbit schluckte. "Ich... ich werde sagen, dass... dass ich erkannt habe, wo ich wirklich hingehöre."
Kili sah auf und zog eine Augenbraue hoch.
"Weißt du - bevor ich gegangen bin, hatten dein Onkel und ich ein Gespräch. Ich war mir nicht sicher gewesen, wo mein Platz auf dieser Welt ist. Und er hat mir geholfen, die Entscheidung zu treffen, zu gehen. Er meinte, ich solle umkehren, sollte ich je erkennen, dass mein Herz hierher gehört. Und genau das werde ich ihm sagen. Dass mich die Sehnsucht gepackt hat und ich zurückgekehrt bin. Zu dem Ort, zu dem ich wirklich gehöre. Zu dem Ort, an dem meine Freunde sind. Zu dem Ort meiner Bestimmung."
Kili sah ihn mit großen Augen an. Offenkundig wusste er nicht, was er sagen sollte. Nach einigen Sekunden änderte sich sein Gesichtsausdruck und er lächelte sanft. Dieses Lächeln stand in starkem Kontrast zu seinen vor Sorge verzogenen Brauen. Schließlich nickte er.
"Ich wusste nie, dass er zu solchen Worten fähig ist."
Er legte eine Hand auf die Schulter des Halblings. "Vielleicht ist es noch nicht zu spät, Bilbo." Dann verschwand das Lächeln und er zog seine Hand zurück. "Vielleicht aber schon..."
"So darfst du gar nicht erst denken, Kili!" unterbrach ihn Bilbo.
Der Zwerg flüsterte. "Verzeih... das liegt an diesem Ort. An dieser Stille. Es beraubt selbst die Stärksten unter uns ihres Verstandes. Viele haben die Hoffnung bereits aufgegeben..."
"Gehe ich recht in der Annahme, dass außer dir, Fili und Balin niemand etwas von dem Brief weiß?" Kili nickte. Eine weitere Träne rann seine Wange hinab.
Schließlich atmete der Hobbit tief durch. "Erzähl mir alles."
Der Zwerg blickte betreten zu Boden. Es dauerte, bis er sich fassen konnte und seinen traurigen Bericht begann.
"Es begann harmlos, doch es begann schon am Tag deiner Abreise. Den Rest des Tages war er unauffindbar. Stundenlang waren wir auf der Suche nach ihm, haben seinen Namen gerufen und Vermutungen angestellt, doch niemals hätten wir mit dem Gedanken gespielt, ihn dort zu suchen, wo er letztendlich war. Ich fand ihn erst am nächsten Morgen." Er schluckte. Offensichtlich war er sich nicht sicher, ob es weise war, fortzufahren.
"Wo war er?"
Kili sah ihm in die Augen. "In deinem Zimmer. Er muss sich den ganzen Tag dort eingeschlossen haben. Ohne etwas zu essen, geschweige denn zu trinken. Wie gesagt war ich es, der ihn schließlich fand. Er saß auf einer Bank am Fenster und sah hinaus. Onkel, wir haben uns Sorgen gemacht, hatte ich gesagt. Doch er sah mich nur an und schwieg und ich konnte deutlich erkennen, dass er geweint hatte. Er sah mich einfach nur an. So als verstünde er gar nicht, was ich da gesagt hatte. Ich wiederholte es. Und er antwortete noch immer nicht. Jetzt im Nachhinein wünschte ich, ich hätte nachgehakt, hätte ihn gefragt, bis er geantwortet hätte, doch ich hielt es für angebracht, ihn nicht weiter zu stören. Ihn mit allem abschließen zu lassen. In den darauffolgenden Tagen machte er einen starken Wandel durch. Seitdem Dain mit seiner Armee wieder abgezogen ist, wurden wir in den Nächten davon wach, wie er mit schweren Schritten durch die Schatzhallen lief und rief, er würde Rache nehmen, Mahal allein weiß, an wem. Wie ein Drache, der seine Beute bewachen will. Zunächst dachten wir uns nicht viel dabei, Sorgen machten wir uns dennoch. Wir bemerkten, dass er nicht schlief. Wir beschlossen, sein Verhalten zu beobachten, um ihm helfen zu können, doch als er bemerkte, wie wir sein nächtliches Treiben mitverfolgten, wurde er zornig, weshalb wir es beendeten. Er ließ ganze Mahlzeiten aus, trug Tag und Nacht seine Rüstung und Krone, verließ den Berg nicht mehr. Er hat schon seit Wochen kein Tageslicht mehr gesehen. In der Nacht schritt er durch die Schatzhallen, am Tage wurde er noch unerträglicher. Er begann, uns wegen Kleinigkeiten anzugehen, und zu Beginn haben wir noch Scherze darüber gemacht. Doch irgendwann begann er, von Drachen zu faseln, meinte, wir müssten strengere Maßnahmen zum Schutze des Schatzes ergreifen. Smaug ist tot, sagten wir, doch er sah uns nur verständnislos an. Und es ging weiter. Standen Menschen von Thal vor unseren Toren und baten um Hilfe, so schickte er sie weg und drohte, seine Waffen sprechen zu lassen, sollten sie sich je wieder bei ihm blicken lassen. Selbst, wenn es sich um Nichtigkeiten handelte. Fili fragte ihn eines Tages warum. Es endete im Streit und mit einem Schlag ins Gesicht. Er begann, seine eigenen Leute des Diebstahls zu bezichtigen und ihnen mit vorgehaltener Waffe zu drohen. Er ließ uns die Tage durcharbeiten und Nachtwache schieben. Ich fragte ihn, wozu das nötig sei. Er drückte mich gegen die Wand und zischte, meinte, ich sollte wissen, wozu unsere Feinde fähig sind. Ich wagte nicht, zu betonen, dass wir keine Feinde mehr haben. Ich konnte in seine Augen sehen. Sie waren so anders. Das war nicht mein Onkel, Bilbo. Doch ich sagte nichts. Wir taten weiter, was er verlangte. Wir bemerkten, dass sich seine Stimme veränderte. Seine Schritte wurden anders. Sein ganzer Körper schien nicht mehr ihm zu gehören. Das hält bis heute an. Sieh dich einmal um. Selbst die Natur scheint von dieser Krankheit verseucht zu sein. Die Menschen von Thal spüren, dass etwas nicht stimmt, und sie haben Angst. Angst vor etwas, was sie nicht im Geringsten verstehen. Thorin ließ uns verkünden, alles sei in bester Ordnung, denn für ihn war es das auch. Nein, nicht für ihn. Nicht wirklich für ihn. Für den Drachen in ihm."
Kili weinte. Er weinte aus ganzem Herzen. Bilbo hatte noch nie zuvor jemanden so weinen sehen. Doch es erinnerte ihn stark an Thorins Verhalten, am Vortag seiner Abreise, als er ihn heimlich beobachtet hatte. Auch seine Augen waren nass vor Tränen, doch er ignorierte sie. Er legte Kili einen Arm um die Schulter, um ihn zu beruhigen.
"In den letzten Tagen war es besonders schlimm. Sein Zustand hat sich derart verschlechtert, dass... dass ich fast glaube..." er schluckte vor Tränen. "Meinst du, man kann durch diese Krankheit sterben, Bilbo?"
Der kleine Hobbit hielt den Atem an. "Thorin ist stark, Kili! Er wird es schaffen, keine Frage. Alles wird gut."
Der Zwerg verzog vor Schmerz das Gesicht. "Er... er ist stark, ja. Aber selbst der Stärkste mag durch eine Krankheit sterben. Und diese Krankheit hat ihre Krallen so tief in sein Fleisch gegraben, dass ich Angst habe, er könnte durch die Wunden vergehen."
Er machte eine kurze Pause, um Luft zu holen. "Er ist besessen. Besonders durch die letzten Vorkommnisse..."
Bilbo unterbrach ihn. "Letzte Vorkommnisse? Was ist passiert?"
"Stimmt! Du... du weißt es noch gar nicht!"
"Kili, sag es mir! Was ist geschehen?"
Der junge Zwerg sah ihn an. "Du weißt, dass wir wieder mit der Arbeit im Berg begonnen haben."
"Ja. Und?"
"Wir... wir haben in den Tiefen des Einsamen Berges etwas gefunden. Etwas, was sich niemand erklären kann."
"Kili, bitte lass diese dramatischen Pausen weg und komm zur Sache. Was habt ihr gefunden?"
Der Zwerg wischte sich eine Träne aus dem Gesicht und antwortete mit fester Stimme.
"Dracheneier."
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Dracheneier? Ähm... ja. Logik, wo bist du?
Na, freut Ihr Euch schon auf Weihnachten? Ich bin gerade dabei, alle Geschenke fertig zu machen, ich mach das jedes Jahr immer erst, wenn es schon fast zu spät ist. Das muss so. Das ist bei mir Tradition.
Apropos Tradition, am Freitag hatten wir von der Schule aus so ein selbstgeschriebenes Weihnachtstheaterstück aufgeführt, wie das bei uns immer die 11ten machen. Ich hab einen Engel gespielt. Und irgendwie bin ich da erst so richtig in Weihnachtsstimmung gekommen. Und morgen treff ich mich mal wieder mit meinen verrückten (verrückt ist hier positiv konnotiert xD) Freundinnen und schau "Die Schlacht der fünf Heere". Yay! Ich sing schon den ganzen Tag "The Last Goodbye" und werde dabei total wehmütig. Vielleicht sollte ich einfach aufhören.
Wieso schreib ich das eigentlich hierhin?! Wahrscheinlich einfach aus Vorfreude...
Whatever, kommt gut durch die Weihnachtszeit! ❤
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