{25.} Mingyu

»Etwas näher bitte!«, forderte der Fotograf für die letzten Aufnahmen. »Mehr Verliebtheit in den Blick, Mingyu Ssi. Yun-Ssi, das sie super, weiter so!«

Ich stellte mich näher zu Yun und versuchte, meine Augen glitzern zu lassen, als empfände ich etwas für sie. Natürlich war der Abstand noch so groß, dass es keinen unseren Fangemeinschaften wirklich stören würde.

Es musste ein schmaler Grat zwischen ›wir sind verliebt‹ zu ›es ist nur des Songs wegen‹ sein.
Letztlich war jedoch der Shoot endlich rum und ich schaffte es sogar, mich davonzuschleichen, ohne Yun noch mal über den Weg zu laufen.

Zu Hause abgekommen, duschte ich, schmiss mich in gemütliche oversized Kleidung und wartete auf Lia.
Und wartete.
Und wartete.
Und wartete.
Drei Stunden. Drei Stunden saß ich rum und sah fern, ehe ich mein Handy schnappte und ihr schrieb.

›Unschön so versetzt zu werden, L.🤨‹

›Hat dich dein Model doch wieder mit einem Magazin-Lächeln um den Finger gewickelt?🙄🙄🙄‹

›Heile Welt? Schön für dich, aber sagt doch bitte Bescheid, damit ich nicht dastehe, wie bestellt und nicht abgeholt‹

Lia war online. Dann ging sie Off. 10 Minuten später schrieb sie dann: ›Mumme shon.‹

Ich sah auf die Nachricht. Mumme shon?

»Was zum-« Ich hörte etwas an der Tür poltern und sah über die Couchlehne.
Ein Schlüssel wurde mehrfach in mein Schloss geschoben, bevor es letztlich klappte. Wieder ein polterte es an der Tür, doch sie blieb zu.

Ich hüpfte über die Lehne und lief hin. Ich entriegelte, machte die Tür auf und fluchte, als ich Lia dort liegen sah. Sie rollte halb in meine Wohnung und ich blinzelte, ehe ich reagierte.

»Ssibal! Lia? Ist alles okay?« In die Knie gehend, untersuchte ich sie besorgt, nur um dann festzustellen, dass sie ziemlich betrunken war.

Wow.

»Lia?«, fragte ich und entschloss mich, sie, nach einem Blick in den Flur, einfach hochzuheben und reinzutragen. Ich trat mit dem Fuß die Tür zu und legte sie dann vorsichtig aufs Sofa.

Sie sah schrecklich aus. Verheult und das bisschen Make-up verwischt.
»Lia?«

Sie bekam die Augen kaum auf und murmelte nur unverständliches Zeug. Bis sie letztlich das Gesicht verzog und stöhnte.
»...otzen....isch....much....ko...tzen..«

Oh. OH!

Ich rannte los und schnappte mir einfach meinen Papierkorb, der neben dem Piano stand. Genau als ich ihn vor ihr Gesicht hob, übergab sie sich in den Eimer. Würgend hing ihr Gesicht darin und ich versuchte einhändig ihr die Haare aus dem Weg zu halten.

»Ekelhaft«, murmelte ich und würgte mit. So was konnte ich nicht sehen. Blut, Eingeweide und alles andere eklige Zeug ja. Kotze? Wieder würgte ich mit ihr und sah weg.

Als sie fertig war, brachte ich den Eimer weg und stellte das Ding einfach auf den riesen Balkon.
Ich ging in die Küche, füllte ein Glas Leitungswasser auf, nahm ein paar Küchentücher und lief dann zurück zu Lia, die jetzt wieder minimal klarer wirkte. »Besser?«, fragte ich, reichte ihr alles und machte mich daran, die Fenster aufzureißen. Dann setzte ich mich zu ihr, legte ihren Kopf auf meinen Oberschenkel ab und sah sie fragend an.

Sie öffnete gänzlich die Augen und sah zu mir hoch.

»Mingyu...«, murmelte Lia erschöpft und dann presste sie die Lippen zusammen und schloss die Augen in dem Moment. Ich erstarrte, als Tränen seitlich ihr Gesicht hinunter rollten. Sie schluchzte plötzlich und atmete zitternd ein und wieder aus.

»Was zum?« Mein Atem ging schneller und mein Puls raste. »Was hat der Wichser dir angetan?! Ich bring ihn um!« Ich stand etwas schnell auf und Lias Kopf fiel in die Kissen. Ich schnappte schon meine Autoschlüssel und eilte zur Tür.

»Nein!«, rief Lia mit gebrochener Stimme und hatte sich auf die Seite gedrehte. Sie hielt den Kopf mit aller Mühe aufrecht und sah mich nach. »Bitte ... geh nicht. Komm ... zurück«, stieß sie murmelnd aus und jetzt machte ich mir ernsthaft Sorgen. »Nimm mich einfach in ... den Arm. Bitte, Oppa.«

Ich biss die Zähne zusammen. Lia klang so verzweifelt, dass meine Wut größtenteils verpuffte und ich mich am Riemen riss. Ssibal! Ich lief, mir übers Gesicht reibend, zurück zu meiner sehr betrunkenen besten Freundin und legte mich etwas umständlich hinter sie auf das Sofa. Ich zog sie an mich, meine Sofadecke landete über uns und ich dimmte das Licht mit der Fernbedienung. Zu guter Letzt schaltete ich etwas Hintergrund Musik an und weil ich auch nach Song drei nicht einschlafen konnte, und ich mich immer wieder fragte, warum Lia in diesem Zustand war, summte und sang ich leise vor mich hin, während ich ihr mit den Fingernägeln die Kopfhaut entlangfuhr.

Was hatte der Mistkerl nur gemacht?
Hatte er wirklich Schluss gemacht?
Oder hatten sie sich gestritten?
Hatte Siwon etwas getan, was sie nicht wollte?
Es gab so viele Möglichkeiten und ich ging sie alle im Kopf durch. Alle.

Also schlief ich auch diese Nacht kaum und machte mir Gedanken darüber, was Lia mir wohl am Morgen erzählen würde.

***

Um halb 6 hielt ich es nicht mehr aus. Aber da ich Lia noch nicht wecken wollte, stand ich vorsichtig auf und lief ins Schlafzimmer. Ich begann, mein Work-out zu machen, um die Müdigkeit abzuschütteln, und meine Gedanken auf Kurs zu bringen.

35 Liegestütze.
35 Klimmzüge an der Stange, die ich an der Tür meines begehbaren Kleiderschrankes montiert hatte.
35 Kniebeugen.
35 Push-Ups.
Wieder an die Klimmzugstange und 35 Pull-Ups.
Dann leise, dass Lia nicht aufwachte, die Treppen der Etage 10 Mal hoch und runter.
Kurze Pause.
Alles noch mal.

Das ganze Set wiederholte ich vier Mal, bevor ich schweißgebadet unter die Dusche stieg, meine pflichtmäßige Skincare-Routine machte und mich anzog. Weißes Hemd, Stoffhose und Ledergürtel. Armbanduhr, Kette, die im tieferen Hemdausschnitt baumelte und zurechtgemachte Haare. Die Stilisten würden sowieso noch mal drüber, aber zumindest das Outfit passte schon, für das TV-Interview heute.

Ich lief runter und machte mir einen Kaffee und schenkte Lia einen Multivitaminsaft mit aufgelöster Schmerztablette ein, bevor ich zu ihr ging, und sie vorsichtig weckte.
»Hey, Schnapsnase, aufwachen.«

Sie verzog das Gesicht und stöhnte schmerzverzerrt, als sie die Augen öffnete und mich ansah. »Was ... zum Teufel«, nuschelte Lia und rieb sich die Lider.

Ich hob ihr den Saft vor die Nase und trank selbst einen Schluck Kaffee. »Tja, das musst du mir wohl sagen. Du hast mich ziemlich mies versetzt, bist dann stockbesoffen vor meiner Haustür zusammengebrochen, hast in meinen Mülleimer gekotzt und als du geheult hast, und ich schon Siwon fahren wollte, um ihm eine reinzuhauen, hast du gebettelt, ich möge dich einfach in den Arm nehmen.« Ich sah sie an. »Und jetzt, beste Freundin, will ich wissen, was passiert ist.«

Überfordert sah Lia mich an, setzte sich langsam auf und nahm den Saft zwischen die Hände. Sie trank und das offensichtlich mit Absicht langsam. Erst als sie das halbe Glas geleert hatte, fing sie an zu reden: »Wir ... wir haben uns gestritten. Aber es war meine Schuld, ich ... hätte einfach mehr Verständnis zeigen müssen und ... vorsichtiger sein sollen.«

Sie wurde mit jedem Wort leiser und sah mich nicht mehr an.

Ich kniff die Augen leicht zusammen. »Verständnis für was? Dass er sich mehr als eine Woche nicht gemeldet hat? Dafür solltest du keine Toleranz haben müssen, Lia. Wenn Siwon wirklich gewollt hätte, hätte er es einräumen können«, setzte ich an und legte den Kopf schief. »Also seid ihr noch zusammen, ja?«

Sie starrte das Glas an, sagte mehrere Minuten nichts. Dann blinzelte Lia, hob den Kopf und lächelte. »Er hatte halt viel zu tun. Als gute Freundin ... muss ich Verständnis zeigen.« Sie trank den restlichen Saft und stellte das Glas auf den Tisch. »Danke, Yu. Und es tut mir leid. Ich wollte dir nicht so zu Last fallen.«

Rein instinktiv patzte ich sie etwas an und sagte: »Als ›gute Freundin‹ solltest du in erster Line wohl aufhören, mich ficken zu wollen, hm?«

Es störte mich, dass sie noch zusammen waren. Es nervte, dass sie dachte, sie müsse so ein Verhalten von Siwon akzeptieren. Mann, ich schaffte es auch, ihr zu schreiben. Und wenn es nur ein verdammter Satz war.

Ich stand auf. Meine Laune war im Arsch. Den Kaffeebecher in die Spüle stellend, fragte ich von der Küche aus: »Wenn ihr nicht gestritten hättet, wärst du dann trotzdem noch hergekommen, um zu vögeln?«

Sie blieb ruhig und folgte mir mit Blicken.
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich«, antwortete sie ehrlich. Dann erhob Lia sich ebenfalls. Sie fasste sich an den Kopf und nahm das Glas. Langsam lief sie in die Küche und stellte es ab, dann sah sie wieder mich an. »Ich werde jetzt gehen.«

Ich stützte mich am Spülbecken ab und sah auf das schmutzige Geschirr. »Ich will nicht, dass du mit ihm zusammen bis, L.« Es war Zeit für die Wahrheit. »Ich will auch nicht, dass du mit irgendwem anders zusammen bist. Ich will, dass du und ich zusammen sind.«

»Huh?«, machte sie und sah mich mit offenem Mund an. »Aber du hast gesagt, du kannst nicht mit mir zusammen sein. Nicht einmal inoffiziell, obwohl ich es dir angeboten-« Lia stoppte und dachte nach. »Mingyu, es ist besser so, wenn wir Freunde bleiben. Du ... du wirst dich nur ins Unglück stürzen, wenn du es mit mir versuchst.« Lia ging auf mich zu und legte die Hand auf meine Schulter. »Dein größter Traum war es doch immer zu singen. Du liebst deine Fans. Du möchtest sie doch nicht wegen mir enttäuschen.«

Ich drehte mich um und sah sie lächeln, aber es wirkte wie ein trauriger Versuch.
»Wir sind doch längst nicht mehr nur Freunde«, sagte ich und deutete auf die Couch, den Tresen, die Fensterfront und den Esszimmertisch. »Freunde vögeln nicht, L. Freunde lassen einander nicht so fühlen wie wir uns. Freunde überschreiten diese Grenze nicht. Du hast eben noch gesagt, du würdest deinen Freund mit mir betrügen. Was für einen Sinn hat diese Beziehung mit Siwon, wenn du zu mir kommst, wann immer du es willst?«

Ich sah sie ernst an. Und Ssibal, ich meinte es so. Ich wollte mehr von Lia. »Wir führen doch schon irgendwie eine Art Beziehung und selbst jetzt, kann alles, was ich erarbeitet habe, kaputtgehen, wenn jemand davon Wind bekommt, dass wir es schon getan haben. Wir SIND schon etwas. Oder hat er sich gestern um dich gekümmert, dass es dir scheiße ging? Hat er dir die Haare gehalten, als du gekotzt hast? Hat er dich im Arm gehalten? Was macht es dann schon aus, es inoffiziell eine Beziehung zu nennen? Ich WILL NICHT, dass du Siwon triffst. Du sollst bei mir bleiben.«

Sie versteifte sich und nahm plötzlich Abstand. Wut und Verzweiflung spiegelten sich in ihrem Blick wider und ich verstand es nicht.
»Ich will das nicht. Nicht mehr. Es war ein Fehler«, stieß Lia aus und ballte die Hände zu Fäusten. Sie atmete tief ein und wandte sich ab, schnell packte sie ihre Tasche und lief zu Tür. »Lass uns das beendeten und konzentriere dich auf deine Karriere.«

WAS?!

»Ist das dein Ernst, L? Einfach so?«, fragte ich und lief zu ihr. Nun war auch ich wütend. »Ich weiß, dass du etwas für mich empfindest.«

Sie biss so hart die Zähne zusammen, dass ich sie knirschen hörte. Was war nur los?
»Es ist aber besser so«, sagte Lia und ich erstarrte. »Ich kann das nicht verantworten. Es war Wunschdenken, weshalb ich mich mitreißen ließ. Aber die Realität sieht nun einmal anders aus. Du bist ein Star und ich nur deine beste Freundin oder Managerin. Ich kann das nicht. Es tut mir leid.«

Ich sah sie an. Sah dabei zu, wie sie ihre Schuhe anzog und sich aufrichtete. Mein Herz hämmert. »Lia, ich hab mich in dich verliebt, okay? Wenn du jetzt gehst, dann ... Ich kann nicht einfach so tun, als fühle ich nichts. Ich kann nicht mit dir befreundet sein. Nicht so wie früher. Nicht wie davor. Nicht wenn ich weiß, dass du genauso in mich verliebt bist. Ist dir das klar?«

»Ich tue das für dich. Verstehst du das nicht?!«, fragte Lia verzweifelt, ja fast wütend. »Ich tue das alles für dich. Ich liebe dich so sehr, dass ich diesen Weg für dich gehe. Mich so behandeln lasse, für dich. Nur für dich. Weil du der Mensch in meinem Leben bist, den ich liebe.« Ihre Stimme zitterte. »Bitte mach es mir nicht noch schwerer, bitte ... ich ... du musst es verstehen.«

Genau ein einziges Mal blinzelte ich. »Damit ich das jetzt richtig verstehe, Lia. Du sagst, du liebst mich? Du sagst, du tust das für mich? Du lässt dich nicht auf mich ein, weil es mir schaden könnte, ja?« Ich schnaubte genervt. »Tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber dieses Noble ›ich rette deine Karriere Ding‹ hat dich nicht davon abgehalten, mit mir zu schlafen. Mehrfach und sogar im verdammten Company-Gebäude. Noch hält es dich davon ab, deinen ›Freund‹ zu bescheißen. Der Zug ist abgefahren, in dem Moment, indem wir das erste Mal gefickt haben. Jetzt aufzuhören, macht keinen Unterschied mehr. Diese dämliche Ausrede kannst du dir also sonst wohin stecken«, fauchte ich und fragte deshalb gerade raus: »Beendest du das also wirklich?«

Lia starrte mich sehr lange an. Ich sah ihr an, dass sie nicht glücklich damit war. Ich kannte sie gut genug, um ihre Züge lesen zu können, dennoch antwortete sie: »Ja.« Mehr nicht.
Nur ein Ja und dann griff sie die Türklinke und verließ mein Penthouse.

Ich starrte die Tür an.
Mein Brustkorb schmerzte.
Und ich wusste, mit ihrer Entscheidung, hatte ich soeben meine beste Freundin verloren.

***

Ich brachte das Interview hinter mich, ohne Lias zu beachten, oder mehr als die nötigen, rein geschäftlichen Worte zu wechseln.
Ich sah sie nicht an, sprach sie nicht an und berührte sie nicht, es sei denn, es musste sein.

Ich war kalt. Wütend. Verzweifelt. Stinksauer.
Froh, dass sie nach dem TV-Interview etwas anderes vorhatte, schrieb ich Yun und lud sie heute Abend zu mir ein. Ich würde mich ablenken, so wie sie sich mit ihrem Freund ablenkte.

Ich liebte sie. Und obwohl sie mir vorgeworfen hatte, ich würde mit meiner ›artigen, braven Art‹ eine Fassade halten? Und jetzt tat sie dasselbe?
Verdammte Heuchlerin, dachte ich und brachte den Rest des Tages irgendwie hinter mich.

Lia wollte es so, bitte. Dann bekam sie es so. Doch wieder zurück zu dem zu kommen, was wir waren, bevor wir Gefühle füreinander entwickeln konnte, war fast unmöglich. Ich hoffte, dass ihr das klar war.

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