{13.} Mingyu

»Wo bleibt sie denn?«, fragte meine Mutter zum hundertsten Mal und sah sich um. Man sollte meinen, dass sie, da sie mich recht jung, mit 20 Jahren bekommen hatte, lockerer war, aber nein, die 43-Jährige, sah tatsächlich massiv besorgt aus. Wie eine alte Glucke. »Was, wenn sie sich verlaufen hat? Send ihr noch mal die Adresse.«

»Du meinst den Standort.«

Sie gab mir einen Klaps auf den Nacken, wofür sie sich hochbeugen musste.
»Werde nicht frech, Min.«

Ich schnaubte. Min sagte sie nur, wenn wir in der Öffentlichkeit unterwegs waren und mein ›Name‹ zu offensichtlich wäre.

Ich rieb mir die Stelle und zog mein Handy raus.

ICH: ›Wenn du nicht gleich kommst, gibt sie eine Vermisstenanzeige auf 🙄‹

»Hast du ihr die Adresse geschickt?«

»Eomma«, seufzte ich und rieb mir über die blonde Perücke. Dann schob ich mir die große Sonnenbrille zurecht und zupfte an den No-Name Outfit herum. Zum Glück sah ich Lia in der Menge auftauchen. »Da ist sie. Bist du jetzt beruhigt.«

»Ophelia! Ich dachte schon, du hast dich verirrt!«

Lia eilte auf und zu und lächelte meine Mutter an.
»Ach Quatsch. Ich wurde auf der Arbeit noch aufgehalten. Tut mir leid, wenn du dir Sorgen um mich gemacht hast, Imo.« Sie sah zu mir hoch.

Sofort dachte ich daran, wie ich meinen Schwanz in der Hand hatte und sie in den verdammten Hörer gestöhnt hatte.

Lia kramte in der Tasche herum und holte einen dunklen Schnurrbart heraus. »Ich glaube, der würde dir stehen.«

Sie grinste frech und meine Mutter lachte. »Also wirklich, Lia. Du bist albern.«

Ich verzog die Lippen und beugte mich dann runter, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. Er war etwas zu nahe, an ihrem Mundwinkel platziert und etwas zu lange, doch alles noch im Rahmen des vertretbaren.

Lia den Schnurrbart klauend, stopfte ich ihn in meinen Hoodie und zog mir dann meinen schwarzen Mundschutz an. »Das wird reichen, L.«

Eomma sah zwischen uns hin und her und grinste, weil ich einfach nicht aufhören konnte, Lia anzusehen.

»Also wollen wir?«

Lia nickte und sah von mir, dessen Blick sie etwas zu lange erwiderte, zu meiner Mutter. »Wie geht es dir, Imo?«, fragte sie lächelnd.

Meine Mutter hakte sich bei Lia ein und steuert zielsicher auf den ältesten Straßenmarkt Koreas.

Für die nächsten 2 Stunden war ich abgeschrieben.

Lia und Eomma unterhielten sich über alles Mögliche. Gesundheit, Arbeit, Freizeit, Lia sprach über Siwon, woraufhin Mutter fast einen Herzinfarkt bekam und darum bat, auf ihrer Hochzeit ein Bild mit ihm machen zu dürfen.

Vereinzelt schüttelte ich den Kopf aber die meiste Zeit, hörte ich gar nicht richtig zu. Ich war sowieso nur der Packesel. Zumindest fühlte es sich so an, denn ich hielt bereits 3 Tüten Gewürze, Kleidung, ein Paar Schuhe, Obst und Gemüse sowie eine Auswahl gekühlter Meeresfrüchte.

Irgendwann, als wir schon auf dem Rückweg waren, klingelte das Handy meiner Mum und sie entschuldigte sich kurz, um einige Schritte wegzulaufen.

Ich seufzte. »Ich habe sie 6 Monate nicht gesehen. 6. und sie redet nur mit dir. Ich glaube, sie liebt dich mehr als mich.«

»Das fällt dir erst jetzt auf?«, fragte Lia lachend und wollte nach einer Tüte greifen. »Soll ich dir beim Tragen helfen?«

Ich schüttelte den Kopf und lächelte sie an. »Sicher nicht.« Mein Blick verankerte sich in ihrem und ich leckte mir unbewusst die Lippen. »Ich werde die Kaufsucht meiner Mutter alleine ertragen. Und-« ich sah auf ihren Mund. »Ich-«

»Yah, meine Lieben, ich muss weg. Dein Appa hat es wieder geschafft und – Ach egal, dass jetzt zu erklären, ist unnötig.« Sie sah zu Lia und kniff ihr in die Wange. »Ay, du bist wunderschön, meine Kleine. Und du«, sie sah zu mir. »Hör auf, so viel zu arbeiten und zu trainieren. Du bist bald mehr Muskeln als mein Sohn.«

Ich verdrehte die Augen. »Diese Muskeln haben deine Tüten geschleppt und diese Arbeit deine Einkäufe finanziert, also ... Autsch!« Der Schlag in den Nacken klatschte und die Vorbeilaufenden sahen zu uns. »Ssibal, Eomma!«

Sie ignorierte meinen Fluch und sah zu Lia. »Bring ihm Manieren bei. Scheinbar habe ich versagt.«

Lia, die sich scheinbar köstlich amüsierte, biss sich auf die Unterlippe, um ein Lachen zu unterdrücken. Doch dann nahm sie ihre Hände und lächelte. »Ich geb mein Bestes. Aber schade, dass du schon gehen musst, Imo«, sagte sie und sah ihre traurig entgegen. »Richte bitte Samhon schöne Grüße von mir aus.«

Meine Mutter lächelte, nickte und zog dann mich runter, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben. »Ich werde es ihm ausrichten. Bis bald, ihre beiden.«

Ich sah ihr nach und rief dann: »Eomma!« Die Hände gehoben, wackelte ich mit den sieben Tüten herum. »Du hast was vergessen.«

Sie kam zurück, schlug mir noch mal in den Nacken, weil ich das erst so später gesagt hatte, nahm mir alles ab und verschwand dann.

Ich rieb mir die Stelle und schnaufte. »Womit hab ich denn das jetzt wieder verdient?«

Nun hakte Lia sich bei mir ein und sah zu mir hoch.

»Wenn eine Frau entscheidet, dass du das verdient hast, dann hast es auch verdient. Also akzeptiere es und leb damit.« Sie drückte meinen Arm an ihre Brüste und grinste. »Wollen wir dann jetzt den Nachmittag ausklinken lassen. Sag mir, was du machen möchtest. Als Entschuldigung, dass ich dich Samstag versetzen werde, mach ich alles, was du willst. Aber nur heute«, mahnte sie mich verspielt.

»Alles?« Ich hob eine Braue und grinste. Dann wanderte meine Hand in die Hoodietasche und ich zog den Schnurrbart raus. Ich beugte mich zu ihr, fummelte einhändig den Klebestreifen ab und klebte ihr das Ding über die Lippen. Dann schnippte ich ihr an die Nase »Ich will was essen. Ich hab wirklich Hunger.«

Sie blinzelte kurz überrascht und schmunzelte dann. Lia ließ von mir ab und zwirbelte mit den Fingern am Bart herum. »Also, mein Junger Freund, wo möchtest du essen gehen?«, fragte sie wie ein alter Mann und wackelte mit den Augenbrauen.

Ich lachte los und schob sie, mit einer Hand am Rücken durch die Menge. »Wenn du nach 19 Jahren Freundschaft nicht weißt, was ich essen will, ist es besser, wir beenden das hier und jetzt.«

Die Leute sahen Lia total komisch an, doch ich grinste wie ein Honigkuchenpferd. »Reiskuchen, in irgendeiner Form, Süßkartoffenspieße und eine Menge Bingsu und Hotteok. Und weil ich heute in Spendierlaune bin, geb ich dir einen aus, Bro«, scherzte ich des Bartes wegen.

»Pfft! Das lass ich nicht zu.« Sie hob dem Arm und zeigte auf das Freundschaftsband, das ich ihr mit 8 geschenkt hatte und das seitdem an ihrem rechten Handgelenk baumelte. »Für immer«, sagte Lia und sah mich über die Schulter hinweg an. »Du wirst mich nicht mehr los.« Dann fuhr sie mit zwei Fingern über den Bart und nickte zufrieden. »Ich liebe es, wenn du ausgibst.«

Für immer. Ja, für immer.

Ich lachte. »Als würde ich nicht immer zahlen, L. Seit ich debütiert habe, hast du nicht einen Won mehr für Essen ausgegeben.«

Wir steuerten über den Markt und kauften alles, was wir essen wollten. Dann setzten wir uns an einen der Stände etwas abseits und packten alles aus. Wir verteilten es vor uns und begannen zu essen.

»Wohin geht ihr am Samstag?«, fragte ich und nahm mir einen Spieß mit gefächerter und frittierter Süßkartoffel. Als ich den Blick hob, musste ich lachen. »Du siehst so bescheuert mit dem Ding aus. Ich geb dir 30.000 Won, wenn du ihn zu deinem Date mit Modelboy anziehst.«

Weil sie noch essen im Mund hatte, aber lauthals lachen musste, hielt Lia sich eine Hand vor dem Mund.

»Auf keinen Fall. Der denkt sonst noch, ich sei verrückt«, schüttelte sie den Kopf, schluckte das Essen runter und zog den Bart von ihrer Oberlippe. »Autsch.«

Ich deutete auf sie. »Oh nein, den lässt du an. Den ganzen verdammten Tag. So lange, bis wir den Markt verlassen. Du willst es wieder gut machen? Dann kleb das Ding wieder dran.«

»Was? Nöööö, dann sehen die Leute ja gar nicht, wie süß ich eigentlich bin.« Sie hielt den Schnurrbart extra aus meiner Reichweite, damit ich ihn nicht greifen konnte.

Ich grinste diabolisch. »Fein, dann ruf ich Siwon an und sag ihm, dass du ganz fiese Blähungen hast und den Samstag leider verschieben musst.«
Ich zog mein Handy aus der Tasche und hielt es so, dass sie sehen konnte, das sich seinen Kontakt wählen würde. »Bart an. Außerdem musst du für niemanden niedlich sein.«

Für keinen, außer mich.

Mingyu, du Esel. Was denkst du das wieder?

»Du bist wirklich so gemein. Also wenn man dich als Kumpel hat, braucht man echt keine Feinde mehr«, motzte Lia belustigt und klebte sich das Teil wieder ran. Aber um sich zu rächen, stopfte Lia sich im gleichen Moment so viel wie möglich von dem gekauften Essen in den Mund, sodass nicht mal mehr die Hälfte blieb. Sie zeigte mir den Mittelfinger und grinste wieder frech.

»Wow«, lachte ich und hob eine Braue. »Du bist ein Arsch.« Damit die kleine Ratte nicht auch noch den Rest wie ein verhungernder Kojote verschlang, zog ich die Reste zu mir. »Jetzt ist es offiziell: Ich hasse dich. Essen hat schon die längsten und festesten Freundschaften gebrochen, L. Denkst du, bei uns ist das anders?«, fragte ich amüsiert und schnaubte.

»Wenn du so schlingst, brauchst du bei deinem Date keinen Bart. Er wird die Beine in die Hand nehmen, bevor ihr zum Nachtisch kommt.«

Okay, ich erwähnte das wirklich oft. Viel zu oft.

»Oder er wird sehen, wie weit ich mein Mund aufbekomme und ganz andere Pläne mit mir haben«, erwiderte Lia zwinkernd, nachdem sie das Essen runtergeschluckt hatte. Dann rutschte meine Freundin näher zu mir und klopfte mir auf die Schulter. »Vielleicht ging das mit dem Essen zu weit. Aber sag mal, Oppa-« begann sie und sah mich unsicher an. »-findest du mich denn noch süß mit diesem Bart?«

Ich nahm mir noch einen der süßen Hotteok und aß fertig. Dann wandte ich mich ihr zu.
Grinsend hob ich die Hand und sagte schmunzelnd: »Ich finde dich leider lästig niedlich. Schon immer. Auch mit diesem Bart.«

Mit dem Daumen wischte ich ihr langsam erst über den einen, dann über den anderen Mundwinkel und daher teilweise dem Schnurrbart, um die Soßenreste zu entfernen. Die Konturen ihrer Unterlippe nachfahrend, sah ich in ihre Augen und mein Lächeln löste sich auf.

Ich betrachtete dieses graublaue Färbung und fragte mich, wann sie so schön geworden waren?

Als ich Lia kennengelernt hatte, waren sie so anders gewesen. Ihre Augen waren im Kindergarten groß und fast zu groß für ihr Gesicht. Fast schon lächerlich riesig. In der Grundschule hingegen war sie quasi hineingewachsen und ihre Augen hatten dafür verschmitzt und verspielt ausgesehen. Sie hatten immer schon geleuchtet, aber je älter wir wurden, desto schöner und glänzender wurden sie. Ihre Form etwas weiblicher und ihre Wimpern länger und verführerisch. Dicht und dunkle umrahmten sie sie jetzt und machten das blau noch durchdringender. Was mich aber am meisten darin faszinierte, war dieses Glitzern, dass nur aufleuchtete, wenn sie mit mir zusammen war. Es gab dieses Funkeln, ein verstecktes, glimmendes Schimmern, dass nur auftauchte, wenn sie mit mir zusammen war und redete.

Es gehörte mir. Dieser Ausdruck, den gab es nur, wenn ich sie ansah und mit ihr sprach.

Ich fand es mit 12 heraus. Seither bemerkte und suchte ich es immer, wenn Lia und ich zusammen waren. Es war immer schon schön, hell und ehrlich, aber jetzt gerade versank ich darin.

Mein Daumen strich einen Moment weiter über ihre Haut, bevor ich die Hand wieder sinken ließ.
Ich sah ihr noch einen Moment in die Augen und drehte den Kopf auf die Seite. »Jeder Mann, der dich für sich gewinnen kann, hat unglaubliches Glück. Ich bin sicher, Siwon wird von deinem frechen Mundwerk begeistert sein, L. Bei Juhee hattest du ja auch Erfolg damit.«

Und bei mir, dachte ich, verwarf es aber wider.
Freunde Plus.
Die Idee war gut. Vor allem, wenn man bedachte, dass diese Spannung zwischen uns dann endlich nachlassen würde. So zumindest der Plan. Nur ... war ich gestern Nacht wirklich zurechnungsfähig? Post-orgasmisch, müde und völlige geflasht von dem, was wir da zusammen gemacht hatten?

Keine Ahnung. Aber der Gedanke, dass sie Siwon eventuell ebenfalls von dieser Lust hören ließ, machte mich nicht unbedingt glücklich. Es stand auf demselben Treppchen, wie die Vorstellung, dass sie eine Beziehung mit Juhee haben könnte.
Alles Gedanken, die ich nicht haben sollte und die ich verdrängen musste.

Ich sah sie wieder an. »Wenn du dann fertig geschlungen hast, würde ich dir gerne noch was zeigen, bevor wir gehen. Hast du Lust?«

Lia sah mich einen Moment lang an und nickte dann. »Ich bin satt und hätte Lust.«

»Dann«, ich stand auf und streckte mich. Wir nahmen die leeren Pappteller und Verpackungen und schmissen sie in den nächsten Müll. Dann steuerte ich neben Lia her und brachte uns zu der Gasse auf dem Markt, die ich suchte. Wir liefen hindurch, marschierten weiter, durchquerten drei weitere Seiten Straßen und etliche Minuten später waren wir dann endlich da.

Irgendwann auf dem Weg, hatte ich Lias Hand genommen und unsere Finger verschränkt. Da ich die hellblonde Perücke und nun wieder die Maske trug, war die Warscheinlichkeit deutlich geringer, erkannt zu werden. Zudem hatten die Menschen hier nur die Stände und die Einkäufe im Kopf.

Es dämmerte langsam und als wir die enge Straße, erreichten, wurden gerade die Lichter angemacht.

»Und? Was sagst du?«, fragte ich und sah mich selbst um.

Die Wände der sich gegenüberstehenden Hochhäuser, welche die Gasse bildeten, säumten alles und verschluckten fast den Himmel. Aber das machte den Charme aus, denn jeder Balkon war mit unzähligen Blumen und Pflanzen behangen. Sie tupften die Betonwände Bund und je höher man sah, desto mehr kam man sich vor wie in einem schmalen Gang im Dschungel.

Manche Leute hatten Lichter an den Balkonen und diese waren alles, was den Ort hier erhellten. Dadurch war es recht schwummrig, aber immer noch hell genug, um die einzelnen grünen Verschönerungen zu bewundern.

Kaum jemand kannte diese Gasse. Zumindest sagte das meine Eomma früher immer. Hier hatte sie meinen Vater kennengelernt, als sie sich beide auf dem Markt verirrt hatten. Und weil diese Straße hier theoretisch auch zum Markt gehörte, gab es einen Stand. Eine Einzigen. Und der verkaufte selbst gebundene Blumenbukettes aus schlichten, aber schönen Blümchen.

Mit offenem Mund und geweiteten Augen sah Lia die Gasse an. Ihr Blick huschte von ganz oben, nach ganz unten und sie sah sich erst die eine Seite an und dann die andere.

»Ich wusste gar nicht, dass hier so ein Ort existiert«, gab sie faszinierend zu. Ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus und sie drückte meine Hand. »Es ist wunderschön.«

Grinsend zog ich sie an mich, ließ ihre Hand los und legte meinen Arm um ihre Schulter. »Tja, du bist eben doch meine kleine Ausländerin, die so was Cooles nicht kennt.«

Ich führte sie an den kleinen Laden und gab dem sehr alten Mann mehr Won, als er für einen Strauß rosafarbener Blumen verlangte. Ich reichte sie Lia und beugte mich hinab. Meine Lippen schwebten nun über ihren und der Fake-Bart kitzelte mich.

»Ich glaube, ich habe noch nie eine bärtige Frau geküsst«, raunte ich und stahl mir dann einen langen, verführerischen Kuss.

Als ich mich löste, hob ich die Hand und zog ihr ruckartig das Ding ab. Lachend, weil sie das Gesicht verzog, richtete ich mich auf und nickte zum Ausgang. »Komm, lass uns gehen. Ich will noch ein bisschen Süßkram für zu Hause kaufen und dann heim. Ich hab genug für heute und will früh ins Bett. Meine Assistentin hat mir einen Arsch voll Termine reingeknallt und dafür muss ich fit sein.«

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