Kapitel 22
Wir stehen alle am Waldrand, als die Hovercrafts kommen. Fasziniert und ehrfürchtig zugleich beobachte ich, wie sie ihre metallenen Greifarme ausfahren und eine Leiche nach der anderen aufheben. Ein Junge hat sogar nur noch einen Arm, sodass der Greifarm noch einmal wiederkommen muss, um den anderen aus der Wiese zu fischen.
Donique ist der letzte, der aufgesammelt wird, und als er endgültig im Bauch des Hovercrafts verschwindet, stößt Sita einen schrecklichen Laut aus. Ich will mich schon umdrehen und sie umarmen, als mir auffällt, dass sie schon Seth um den Hals gefallen ist. Er streicht über ihren Hinterkopf und murmelt leise Worte, die nur für ihre Ohren bestimmt sind, doch er sieht sie kein einziges Mal an, sondern sucht mit unruhigen Augen die Lichtung ab. Lizley folgt seinem Blick. "Was ist los, Seth?" "Lasst uns von hier verschwinden", meint er kopfschüttelnd, während er sich aus Sitas Klammergriff befreit. "Wir sollten keine Zeit verlieren." "Er hat recht", nickt auch Toby. "Je länger wir warten, desto mehr Vorsprung haben die anderen Tribute." Das stimmt wirklich. Wir schultern unsere voll gepackten Rucksäcke, nehmen Sita in unsere Mitte und dringen in den Wald vor. Erst reden wir nicht, aber als wir ein angenehmes Lauftempo gefunden haben, das wir alle einhalten können, unterhalten wir uns. Sita erzählt, dass Donique eine Freundin hatte und dass sie der festen Überzeugung war, dass er es schaffen könne. "Sie wollten heiraten, wenn er heimgekehrt wäre", schnieft sie, als wir einen seichten Hügel hinauftraben. Tiger gerät bereits ins Schnauben, aber Lizley blickt Sita finster an. "Kannst du vielleicht endlich mal aufhören, von ihm zu reden? Er ist tot, okay? Es macht es uns allen nicht leichter, wenn du die ganze Zeit Anekdoten von ihm zum besten gibst!" Da hält Sita ihre Klappe und obwohl sie mir leidtut, muss ich zugeben, dass ich genauso denke wie Lizley. Donique wird nicht mehr wiederkommen, egal wie viel sie von ihm erzählt. Und wir müssen uns auf das Hier und Jetzt konzentrieren.
Die nächste Stunde schweigen wir. Der Wald liegt finster da mit seinen hohen Tannen und Fichten und das Moos unter unseren Füßen dämpft unsere Schritte. Es ist so leise, dass ich mir fast nicht vorstellen kann, dass hier überhaupt noch andere Tribute sind, dass wir allein sind. Aber da täusche ich mich natürlich. Irgendwo in diesem Wald sitzen die Hexe und die Würgerin und all die anderen, die das Gemetzel am Füllhorn überlebt haben. Und mit Sicherheit schaut ganz Panem zu. Solange es keine Kämpfe oder anderes interessantes gibt, zeigen sie wahrscheinlich uns, spekulieren über die Formation, in der wir uns vorarbeiten und schließen Wetten darüber ab, welcher von uns Karrieros am längsten durchhält. Vermutlich zerreißen sie sich das Maul über den skrupellosen Seth, der sich erstens uns Karrieros angeschlossen und zweitens seine Distriktpartnerin umgebracht hat. Sollte er jemals heimkehren, kann er wahrscheinlich nicht mit einer herzlichen Willkommensrede rechnen. Aber natürlich kennen die Spielmacher unseren Standort ganz genau. Jeder von uns ist als Zahl mit den exakten Koordinaten auf einem Computer zu sehen, und sie wissen auch mit Sicherheit, wie weit unsere Beute von uns entfernt ist. Aber das zählt jetzt nicht. Nicht für mich. Solange ich den Wind in meinem erhitzten Gesicht und das weiche Moos unter meinen Füßen spüren kann, ist alles bester Ordnung. Mehr brauche ich für den Moment nicht.
Erst als es zu dämmern anfängt, legen wir unsere erste Rast ein. Wir sind auf dem ganzen Weg keiner einzigen Spur begegnet und sind jetzt durstig und hungrig. Vielleicht warten wir ab, bis die Toten am Himmel gezeigt wurden und jagen dann weiter - bei Nacht. Wir halten an einem Felsen, der sich schroff aus dem weichen Waldboden emporhebt und eine gute Wand zum Anlehnen darstellt. Während wir auf Einbruch der Nacht warten, sitzen wir nur da, essen getrocknete Hühnchenstreifen mit Nussbrot und nippen an unseren vollen Feldflaschen. Tiger kippt sich den halben Inhalt über's Gesicht, so verschwitzt ist er. "Schwächelst du schon?", foppt Lizley ihn, während sie lila Beeren in die Luft wirft, um sie mit dem Mund aufzufangen. Tiger zieht ihr eine Grimasse, packt die Feldflasche aber dennoch weg. Ich sehe ihn eindringlich an. "Du gehst ziemlich verschwenderisch mit deinem Wasser um, weißt du das?" Er zuckt nur mit den Schultern. "Ich kann es mir ja auch leisten." Mir liegt ein Widerspruch auf der Zunge, doch ich schlucke alle Worte hinunter. Was bringe ich ihn zur Vernunft? Er weiß sich schon selber zu helfen, schließlich ist auch er zur Akademie gegangen. Stattdessen widme ich mich meinem Handgelenk, das Ivory am Füllhorn mit ihrer Axt verletzt hat, und beschlließe, es zu verbinden. Immerhin habe ich das Privileg, ein Erste-Hilfe-Set bei mir zu tragen. Während ich in meinem Rucksack danach krame, frage ich mich, wieviele Tribute jetzt wohl eine Mullbinde brauchen, oder Wasser, oder irgendwas, wovon ihr Leben abhängen könnte. Und bei dem Gedanken, dass wir alles an uns gerissen und den Rest vergraben haben, kann ich nicht anders als zu grinsen. Ich würde nur allzu gern das Gesicht derjenigen sehen, die jetzt, da wir das Feld geräumt haben, zum Füllhorn zurückgekehrt sind, in der Hoffnung, wir hätten irgendetwas übriggelassen. Ihnen muss die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben stehen. Seth knufft mich in die Seite. "Was grinst du so in dich hinein, Hunter?" Ich blicke mit einem durchtriebenen Lächeln zu ihm auf, sage jedoch nichts. Lizley lacht auf und zuckt gespielt verführerisch mit den Augenbrauen. "Sie schwelgt wahrscheinlich in Erinnerungen an Doniques Lippen." Als ich darauf nichts erwidere, gröhlen sie und Seth los. "Sag schon, Hunter", lacht Lizley. "Haben sie gut geschmeckt?" "Nein", sage ich und wickle mir ein Stück Mullbinde um das verletzte Handgelenk. Auch wenn es nicht mehr blutet, fühle ich mich besser, wenn ich einen Verband trage - so kann die Wunde nicht verunreinigt werden. Toby streckt seine Hand nach meinem Erste-Hilfe-Set aus. "Du solltest die Wunde erst desinfizieren, bevor du sie verbindest. Soll ich helfen?", bietet er sich an. Ich zucke bloß mit den Schultern und lasse ihn machen. Mit unfassbarer Zärtlichkeit träufelt er Iod auf die offene Stelle, verreibt es und legt mir schließlich den Verband an, ohne dass es irgendwo ziept. Ich staune nicht schlecht. "Du hast ja richtige Zauberhände." "Ach Quatsch", winkt er ab. "Das hat mir einer der Trainer im Center so beigebracht." "Trotzdem danke", sage ich und schenke ihm ein breites Lächeln, ehe ich das Set wieder in meinem Rucksack verstaue. Ich will Lizley gerade klarmachen, dass ich nicht in Erinnerungen an Doniques Lippen schwelge, als die ersten Kanonenschüsse erklingen. Sie kommen so unerwartet, dass sie mir durch Mark und Bein fahren und ich zu gelähmt bin, um mitzuzählen. "Zehn", sagt Sita, als die Schüsse verklungen sind. Ich runzele die Stirn. "Sicher?" "Ja, es waren zehn." Nickend öffnet sie den Knoten in ihrem Nacken, sodass ihr braunschwarzes Haar offen über ihre Schultern fällt. Toby, Seth und Lizley blicken sich angespannt an. "Das sind zu wenige, oder?", fragt Tiger in die schwere Stille hinein. Toby nickt stumm. "Die Spielmacher werden sich etwas einfallen lassen, wenn wir nicht bald jemanden killen", sagt Lizley, während sie den Inhalt ihres Rucksacks neu ordnet. "Das darf aber nicht passieren. Das ist zu gefährlich für uns. Wir haben keine Macht gegen das, was sie tun." Ich spüre, wie neues Adrenalin durch meinen Körper schießt; alle meine Muskeln spannen sich an. "Dann sollten wir jetzt sofort weiterjagen." Doch Seth und Lizley schütteln den Kopf. "Wir warten bis ab, bis die Hymne kommt. Dann gehen wir weiter."
Als das Wappen des Kapitols an den Himmel projiziert wird, ist es bereits stockdunkel. Vermutlich kommt es mir nur so vor, weil wir mitten im Wald sind, wo es eh schon finster ist, aber ich kann meine eigene Hand nicht einmal dann sehen, wenn ich sie mir unmittelbar vor's Gesicht halte. "Wir haben doch diese Nachtbrillen", flüstert Sita in die Melodie der Hymne hinein. Ich kann sie nicht sehen, aber ihre Stimme kam von rechts. "Stimmt", murmelt Lizleys Stimme links neben mir. Reißverschlussgeräusche auf beiden Seiten. Auch ich öffne meinen Rucksack und taste nach etwas, das sich wie eine Brille anfühlt. Tatsächlich steckt so ein Ding in einem dafür vorgesehenen Seitenfach und als ich sie aufsetze, kann ich wirklich so gut sehen, als sei es Tag. Zwar ist alles dämmrig, aber ich kann die Umrisse der Bäume noch schärfer erkennen als bei Sonnenschein. Mit diesen Brillen sind wir unseren Gegnern klar im Vorteil. Was wir ja eigentlich ohnehin schon sind, weil wir in der Überzahl sind und die meiste Kampferfahrung haben. Aber sei's drum. Als wir alle unsere Brillen aufhaben, ist die Hymne bereits verklungen und der Himmel verdunkelt sich wieder. Ich konnte lediglich einen Blick auf das Bild des Mädchens aus 12 werfen, aber der Rest ist mir sowieso egal. Wir wollen schließlich die Lebenden sehen, nicht die Toten.
Dann machen wir uns wieder auf die Jagd. Toby und ich laufen vorne, weil wir die schnellsten sind und die anderen praktisch hinter uns herziehen sollen, die vom Weinen geschwächte Sita ist direkt hinter uns zwischen Tiger und Seth. Die kräftge, furchtlose Lizley bildet das Schlusslicht. Wir schlängeln uns zwischen den eng stehenden Bäumen hindurch, springen über Dornenbüsche und umgekippte Tannen und halten Ausschau nach Feinden. Nach Zeichen, die davon zeugen, dass Menschen hier waren. Neben mir höre ich Tobys gleichmäßigen Atem. Ich weiß, dass er ebenfalls meiner Atmung lauscht und muss mir ein Lächeln darüber verkneifen. Wir sollen schließlich jemanden töten, um uns vor einer Katastrophe der Spielmacher zu bewahren, gegen die wir niemals etwas ausrichten könnten. Toby neben mir gleitet mit der Anmut einer Raubkatze durch den Wald. Als ich mich etwas zurückfallen lasse, sehe ich die Muskeln an seinem Rücken und an den Schultern, die ganz leicht arbeiten. Aber dann beschleunige ich meine Schritte wieder, um mit ihm auf einer Höhe zu bleiben. "Da!", zischt er plötzlich und bleibt so abrupt stehen, dass ich ihm in den Rücken renne. Die anderen bleiben ebenfalls stehen, sind aber klug genug, die Klappe zu halten. Etwa zehn Meter von uns entfernt schleicht Cole, der Junge aus 12, der unser Angebot abgelehnt hat, durch die Büsche. Er hat offenbar ein Tier in den Bäumen entdeckt, das er töten will, denn er starrt ins Geäst über ihm und hält den Speer in dieselbe Richtung. Lizley schnalzt zufrieden mit der Zunge. "Wen haben wir denn da?" Cole zuckt zusammen und blickt sich verstört in alle Richtungen um. Als er uns im Dickicht stehen sieht, hält er den Speer zum eigenen Schutz von sich, zum Wurf bereit. Selbst unter dem albernen Ponscho wölben sich die dicken Muskeln an seinen Oberarmen. "Was wollt ihr?", ruft er. Über ihm flattert eine Eule aus einer der Tannen, um kreischend über unsere Köpfe hinwegzusegeln. In diesem Moment hätte ich Lizley am liebsten geohrfeigt. Warum hat sie denn das Maul aufgerissen? Wenn sie leise geblieben wäre, hätte Cole vielleicht nichts gemerkt und wir hätten ihn ohne Probleme umbringen können. Lizley fletscht die Zähne, noch während sie losprescht. "Wir wollen dich." Auch sie hält den Speer über ihrem Kopf, zum Angriff bereit. Doch Cole ist schneller. Die Muskeln in seinem rechten Arm zucken nur kurz, dann zischt sein Speer auch schon durch die Luft. Lizley kann einer tödlichen Verletzung im letzten Moment ausweichen, sodass die Waffe sich in einen Baumstamm hinter ihr bohrt. Toby packt mich am Handgelenk, als ahnte er, dass ich am liebsten hinterhergerannt wäre. "Lass sie", zischt er mir kaum hörbar zu. "Aber er ist gefährlich", gebe ich nervös zurück. Toby würdigt mich keines Blickes. "Lass sie einfach." Im nächsten Moment verschwindet Lizleys weißblonde Mähne im Unterholz. Auch von Cole ist weit und breit nichts mehr zu sehen, einzig das Klirren von Metall auf Metall zeugt davon, dass die beiden noch da sind. Und sie kämpfen. Zwischendurch klirrt es nicht und einer der beiden stöhnt auf. Meine Unruhe wächst. Mein Herz zieht sich vor Sorge um Lizley scheußlich zusammen. Dann ein Kanonenschuss. Ich warte, dass meine Freundin vor Triumph laut aufschreit, aber es bleibt still im Wald. Bedrückend still. Dann sehe ich, wie Cole sich aufrappelt und fluchend auf einem Bein davonhumpelt, während er das andere hinter sich herzieht. Es ist seltsam verdreht. Mein Gehirn schnallt erst spät, was es bedeutet, dass er noch lebt. Es bedeutet, dass Lizley tot ist. "Lizley!", brülle ich und mache mich von Toby los, um durch das Dickicht zu preschen. "Sky!", schreit er. "Nicht!" Ich höre seine Schritte hinter mir und beschleunige. Dieser Cole hat meine Freundin nicht umgebracht, das kann einfach nicht sein! Ich wehre mich mit Händen und Füßen gegen diesen Gedanken. "Lizley!" Ich suche den Boden nach ihr ab, aber das Unkraut wuchert hier zu arg, als dass ich irgendetwas erkennen könnte. Kurz spiele ich mit dem Gedanken, ob ich Cole ein Messer hinterher werfen soll, aber meine Hände zittern so sehr, dass ich unmöglich treffen könnte. Außerdem ist er bereits außer Sichtweite. Dann trete ich auf etwas weiches, lebendes. Ein leises Stöhnen. "Lizley?" Ich werfe mich der Länge nach auf den Boden, wobei ich mir die Hände aufschürfe, aber das ist egal. Ich taste solange das Moos ab, bis ich ihre vor Blut glitschige Hand zu fassen kriege. Als sie meinen Händedruck erwidert, schreie ich vor Erleichterung auf. "Du lebst!" Sie hebt den Kopf, ihr Gesicht ist voll mit Dreck. Inzwischen hat auch Toby uns entdeckt und kniet sich keuchend neben mich. "Ist er weg?", fragt Lizley, während sie nach ihrem Speer tastet. Ich reiche ihn ihr. "Ja. Oh mein Gott, bist du irgendwo verletzt? Warum hat die Kanone geknallt?" Ich drücke sie an meine Brust, gleich nachdem sie sich aufgerichtet hat, so erleichtert bin ich, dass sie noch lebt. Ich hätte es einfach nicht ertragen, wenn am ersten Tag gleich zwei von uns gegangen wären. Toby sieht finster auf uns herab. "Wahrscheinlich hat sich zeitgleich noch ein anderer Kampf zugetragen. Glück für uns." Ich bedenke ihn nur mit einem schrägen Seitenblick, ehe ich Lizley erneut an mich drücke. "Bist du verletzt?" Sie schüttelt den Kopf und erwidert meine Umarmung. "Ich konnte seinem Speer immer ausweichen, aber seine Faust habe ich ein paar Mal in den Magen und ins Gesicht gekriegt. Sagen wir mal so: Der hat's in sich." Mit Tobys und meiner Hilfe kommt sie ächzend auf die Beine. "Gott, ich glaube ich kotze gleich." Sie hält sich die Hand vor den Bauch, während sie in unserer Mitte zurück zu den anderen humpelt, die am Ausgangspunkt Stellung halten und aufgeregt miteinander flüstern. "Was hast du mit seinem Bein gemacht?", will ich schweratmend wissen. Mein ganzer Körper bebt von dem Adrenalinstoß, der hindurchgefahren ist. Lizley verzieht das Gesicht. "Hab ein paar Mal reingestochen. Deswegen ist der ja so ausgerastet. Keine Ahnung, warum er dann die Flucht ergriffen hat." Sie wischt sich erneut über das Gesicht, aber der Dreck will einfach nicht verschwinden. Ihr linkes Auge läuft bereits blau an, ich denke, dass er sie dort besonders übel erwischt hat. "Du lebst!", japst Sita, als wir uns mit Lizley im Schlepptau wieder zu ihnen gesellen. Sie springt ihr genauso erleichtert in die Arme wie ich wenige Minuten zuvor. Während wir den Rückweg antreten, schildert Toby das Geschehene mit Engelsgeduld. Überhaupt ist er der einzige, der nach allem, was sich diese Nacht zugetragen hat, noch vollkommen ruhig ist. Er geht beinahe lässig mit der Situation um. Ich kann nicht anders, als ihn im Stillen dafür zu bewundern.
Wir lassen uns zum Schlafen an dem Felsen nieder, an dem wir auch am Nachmittag gesessen haben und teilen gleich die Wache ein. Es ist mitten in der Nacht, aber keiner von uns kann eine relativ genauer Uhrzeit einordnen. "Ich übernehme von mir aus die letzte Wache, aber jetzt will ich schlafen", seufzt Lizley, während sie sich auf dem weichen Moos zusammenrollt. Schon im nächsten Moment ist sie eingeschlafen. Toby und ich tauschen einen stummen Blick, dann nicken wir beide. "Sky und ich übernehmen die erste Schicht", sagt er laut. Keiner hat etwas dagegen und es freut mich zu sehen, dass sie uns allesamt vertrauen. Andererseits füllt es mich irgendwie mit Trauer. Immerhin werden wir die Freundschaftsnummer nicht ewig durchziehen können und mich graut es vor dem Tag, an dem nur noch wir übrig bleiben. Ich werde auf keinen Fall zuerst schießen, so viel steht fest. Fast schon wünsche ich, dass die anderen Tribute die Drecksarbeit für mich übernehmen, aber im nächsten Moment schäme ich mich für diesen Gedanken.
Toby setzt sich stumm neben mich, holt einen der guten Äpfel aus seinem Rucksack und beißt herzhaft hinein. Ich betrachte ihn von der Seite, sein hübsches Profil, das vom blassen Mond erstrahlt wird. Mir ist vorher nie aufgefallen, dass er sogar ziemlich gut aussieht. Vielleicht habe ich derlei Gedanken einfach noch nicht zulassen können, aber hier, wo wir stressfrei und friedlich im Wald sitzen, kann ich auch mal an sowas denken. Als er merkt, dass ich ihn anstarre, senke ich schnell den Blick. Toby dreht sich zu den anderen um, um sich zu vergewissern, dass sie alle schlafen und zischt dann: "Was sollte das eben?" Ich blicke verblüfft zu ihm auf. "Was meinst du?" "Ich meine", sagt er gedehnt, "warum du nicht einfach stillhalten konntest wie alle anderen auch?" Ich lasse einen fassungslosen Lacher hören. "Ist das dein Ernst? Du bist doch auch losgerannt." Er schließt die Augen, als müsse er sich besonders beherrschen, um mich nicht anzuschreien. "Ja. Aber nur, weil du zu ihr gerannt bist." Ich grunze verächtlich. "Toll. Du hast also gedacht, ich bräuchte einen Beschützer?" "Ja", sagt Toby trocken und blickt mich mit den Zügen einer Steinfigur an. "Weil du nicht mehr nachgedacht hast, Sky. Du bist einfach zu Lizley gestürmt, ohne darüber nachzudenken, dass dieser Cole eine Gefahr für dich dargestellt hat." Ich balle vor Wut meine Hände zu Fäusten. "Ich habe auch Waffen, Toby! Ich bin genauso gefährlich wie er!" Toby packt aufgebracht meine Hand und lässt sie nicht mehr los. "Hey!", zische ich wütend. "Scht." Er beugt sich zu mir herüber und raunt mir ins Ohr: "Ich meine doch nur, dass du dich in Lebensgefahr gebracht hast." "Lizley war aber auch in Lebensgefahr", entgegne ich und befreie mich aus seinem Griff. "Oder tot, wie ich dachte." Toby schnaubt leise auf. "Ach, ich würde ihrer aller Leben für deins geben. An denen liegt mir nichts." "Wie süß", sage ich ironisch, woraufhin wir beide eine Weile schweigen. Dann flüstert Toby: "Ich meine es ernst, Sky." "Ich auch." Und damit ist das Gespräch für diese Nacht beendet.
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Hey Leute! Ich hoffe, es war nicht zu langweilig.. :D Schreibt eure Meinung in die Kommis! :-)
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