Kapitel 13

Am nächsten Tag gehe ich bestärkt in dem Gedanken, unantastbar zu sein, ins Trainingscenter. Sita begrüßt mich gleich mit einem breiten Lächeln, Donique grinst mich an und Lizley ruft:"Ihr seid spät dran!" Wir? Ich wirbele umher. Tatsächlich, Toby kommt direkt hinter mir aus dem Aufzug. Dabei habe ich einen extra großen Bogen um ihn gemacht... Jetzt jedoch legt er lässig seinen Arm um meine Hüfte, als sei nichts passiert. "Unsere Mentoren haben uns aufgehalten", erklärt er lachend und schlenkert mich ein bisschen hin und her. Was soll das? Ich kann mich nicht daran erinnern, mich mit ihm versöhnt zu haben. "Lass mich los", zischle ich mit zusammengebissenen Zähnen. Toby ragiert nicht. Na schön, denke ich, ich habe ihn gewarnt. Mit Wucht lasse ich meine Hacke auf seine Fußspitze krachen, so fest, dass er aufjault und mich augenblicklich loslässt. Geht doch. Zufrieden lasse ich meine Finger knacken, ehe ich die Halle durchquere, ohne mich nach ihm umzusehen. Heute ist der letzte Tag, mich mit meinen Gegnern zu befassen, ich habe also viel zu tun. Gestern waren meine Verbündeten dran, heute der Rest. Ich entdecke das kleine Mädchen aus 12, das geschickt und mit flinken Händen ein Feuer entfacht. Nein, sie ist nicht die Gefahr. Die Hexe aus 7 ist die Gefahr. Suchend drehe ich mich um meine eigene Achse. Kurz darauf entdecke ich sie am Bogenstand und mir wird ganz übel. Ein Pfeil nach dem anderen gleitet ins Schwarze. Sie trifft alles, was sie treffen will und der Vorteil: Auch aus Distanz ist sie tödlich, während ich mit meinen Messern nicht weiter als dreißig Meter komme. Ich kann zwar weiter werfen, aber dann wird's ungenau und ich treffe nicht sicher. Ich habe mich also gestern getäuscht: Die Hexe ist nicht harmlos, ganz und gar nicht. Jetzt wirft sie ihr orangfarbenes verfilztes Haar zurück, ehe sie den Bogen dem nächsten überreicht. "Sie ist gut", sagt eine Stimme neben mir. Lizley. Ich habe gar nicht gemerkt, wie sie sich zu mir gesellt hat. Ich muss aufmerksamer werden... "Ja", krächze ich nickend. Machen wir uns nichts vor, dieses Mädchen ist verdammt gut. Genau das, was wir brauchen. Lizley scheint denselben Gedanken zu verfolgen, aber anders als ich hat sie keine panische Angst vor der Hexe. "Wir sollten sie fragen", sagt sie und leckt sich über die Lippen. "Komm mit." Kurzerhand greift sie meine Hand und zerrt mich durch die Halle, bis zur Hexe, die sie grob an der Schulter fasst. Das Mädchen erschrickt nicht mal, sondern durchbohrt uns mit ihren leblosen Augen. "Was wollt ihr?" Ihre Stimme klingt, als würde man mit Besteck über einen Porzellanteller kratzen, zersplittert und fies. Zumindest in meinen Ohren. Lizley hingegen scheint vollkommen unbewegt. "Dich", sagt sie kurz angebunden, während sie ihr Gewicht verlagert. Die Hexe mustert erst Lizley eingehend, dann mich. Am Ende verzieht sie abfällig das Gesicht. "Ich gehe kein Bündnis mit 1, 2 und 4 ein. Euch kann man nicht trauen." Die Hexe verengt ihre Augen zu Schlitzen. Lizley lacht laut auf, um zwei Sekunden später wieder zu verstummen. Ihr Blick wird eindringlich. "Hör mal, Schätzchen. Du kannst hier niemandem trauen." Die Hexe zeigt keine Regung, verzieht keine Miene. "Ihr seid eben anders als wir", sagt sie dann schulterzuckend und mir wird heiß und kalt zugleich. Um nicht umzukippen, kralle ich mich fester in Lizleys muskulösen Arm, doch die scheint das gar nicht zu merken. "Da hast du völlig recht", stimmt sie der Hexe zu. "Wir sind besser als ihr. Wenn du zu den Favoriten gehören willst, komm' zu uns. Wenn nicht, hast du halt Pech gehabt. Wir werden dich so oder so vernichten." Die Miene des Mädchens erhellt sich, als sei sie amüsiert. "Ach ja? Tut ihr das?" Sie macht einen Schritt auf uns zu und ich kann ihren feinen, heißen Atem spüren. Mit geschlossenen Augen zähle ich bis 10. "Ja, das tun wir", höre ich Lizley seelenruhig sagen. Warum kann ich nicht so entspannt und lässig sein wie sie? Weshalb hat keiner außer mir Angst vor der Hexe? Bin ich die einzige, die die Gefahr erkennt, die von ihr ausgeht? Gerade, als ich die Augen wieder öffne, sagt diese:"Da wäre ich mir nicht so sicher." Sie tritt noch einen Schritt näher heran und starrt Lizley mit ihren schwarzen Augen an. Es soll wohl einschüchternd wirken, aber sie erwidert den Blick gelassen. Nach einer Weile sagt sie achselzuckend:"Wie dem auch sei, 7. Zieh halt allein los. Und bete darum, dass wir dir einen angenehmen Tod schenken. Obwohl... da wäre ich mir nicht so sicher",äfft sie die Worte der Hexe von eben nach, bevor sie mich kichernd von dieser wegzerrt. "Das war... seltsam", sage ich, gegen den Schwindel ankämpfend. Aber je weiter wir uns von dem Mädchen entfernen, desto ruhiger wird mein Puls. Ich normalisiere mich. Lizley schnaubt verächtlich. "Sie wird schon sehen, wie weit sie mit der Nummer kommt." Mit den Worten lässt sie mich stehen, um zu Tiger zu laufen, der Kraftübungen absolviert. Ich hingegen brauche einen klaren Kopf, weswegen ich beschließe, ein paar Bahnen zu rennen.

Als ich in Startposition gehe, taucht neben mir das Mädchen auf, das bei der Ernte so lange Beine hatte. Jetzt, wo sie direkt neben mir steht, sind ihre Beine noch länger und graziler. Ihr ganzer Körper ist grazil. "Um die Wette", sagt sie, ohne mich anzuschauen. Hat sie jetzt mit mir geredet? Bevor ich fragen kann, ist sie schon davon geschossen und mir bleibt nichts anderes übrig, als hinterher zu sprinten. Meine Beine tragen mich wie immer sicher und rasend über dem Boden, aber anstatt den Abstand zwischen uns zu verringern, macht das Mädchen aus 6 ihn nur noch größer. Diese langen Beine verursachen, dass sie so schnell rennt, dass nicht mal ich sie einholen kann. Eine seltsame Scham bricht über mich hinein, Scham und Wut. Ich versuche, noch schneller zu laufen, aber ich hole sie nicht ein. Am Ziel jedoch bemerke ich, dass sie vollkommen außer Atem ist, während ich das Tempo getrost noch eine Weile hätte halten können. Wäre die Strecke also nur ein bisschen länger, wäre es sogar realistisch, sie trotz ihrer langen Beine zu überholen. Voller Genugtuung recke ich das Kinn. "Ich bin Ivory", sagt das Mädchen, immer noch schwer atmend, aber mit einem frischen Lächeln im Gesicht. "War toll mit dir zu laufen." Natürlich, wenn man immer gewinnt, denke ich bei mir, sage aber nichts. Schweigend stolziere ich an ihr vorbei, behalte sie jedoch in meinem Hinterkopf. Die Hexe - Bogen und Anwesenheit. Ivory (Distrikt 6) - Schnelligkeit. Mal sehen, was ich sonst noch so unter den Tributen entdecke.

Aber bei einem der Tribute ist Donique mir zuvor gekommen: Bei einem dürren, blonden Mädchen mit einer großen 10 auf dem Rücken. Erst denke ich, er bedroht sie, doch als ich näher herantrete, merke ich, dass er auf sie einredet. Sie stehen direkt am Schwertstand und einen Meter weiter steht der große Cole aus 12, den ich wegen seines Namens ausgelacht habe, und drischt mit dem Dolch auf irgendwelche Puppen ein. Für den Moment jedoch interessieren mich das Mädchen aus 10 und Donique wesentlich mehr. Als sie meine Anwesenheit bemerken, schauen beide auf. Donique mit dem üblichen Grinsen, die Kleine wütend. Die blass grauen Augen blitzen gefährlich. "Bist du auch von denen?", faucht sie, ehe sie die 1 auf meinem Anzug entdeckt und die Frage selbst beantwortet. "Natürlich bist du das. Vergesst es! Keine zehn Pferde kriegen mich in eure Allianz!" Mit den Worten stürmt sie davon. Irritiert lege ich meine Stirn in Falten. "Was hast du denn mit der gemacht?" "Gar nichts", sagt Donique schulterzuckend. "Aber sie ist gut für ihre dreizehn Jahre. Ich wollte ihr einen Gefallen tun und sie aufnehmen. So macht sie es wahrscheinlich nicht lange." Er fährt sich durch die Haare und macht dabei ein ziemlich gleichgültiges Gesicht. Ich werfe meinen Zopf zurück. "Was kann sie denn?" "Messer werfen. Nicht so gut wie du, aber trotzdem. Außerdem weiß sie, wie man mit einem Schwert umgeht. Und sie ist selbstsicher und würde bestimmt nicht warten, jemanden umzubringen." Gedankenverloren starre ich dem Mädchen hinterher. Im nächsten Moment verpasst sie dem Boxsack ein paar Hiebe, doch der bewegt sich keinen Deut. "Sie ist noch ein Kind...", sage ich gedämpft. "Sie ist zu schwach. Bei uns würde sie eingehen, das hätte sowieso nie funktioniert..." Ich will noch mehr sagen, Donique jedoch wendet sich bereits ab, um Cole zu uns zu winken. "Willst du auch zu den Karrieros gehören?", ruft er, nun wieder grinsend. "Als Außenseiter würdest du deinem Distrikt bestimmt eine riesige Ehre schenken." Cole schüttelt den Kopf, ohne dabei aufzuhören, seinen Dolch in die Herzen der Puppen zu rammen. Er trifft sogar blind... Das würde beweisen, wie gefährlich er ist - und wie praktisch für uns. "Komm schon", bettele ich, wobei ich mich um ein freundliches Gesicht bemühe. "Mein Distrikt würde sich eher in Grund und Boden schämen." Cole hört nun doch auf, die Puppen zu bearbeiten. Sein linkes Augenlid zuckt. "Und jetzt lasst mich in Ruhe." Auch er dreht uns genervt den Rücken zu. "Lieber würde ich sterben, als zu euch zu gehören", setzt er brummelnd hinzu, aber wir verstehen ihn trotzdem. Donique grinst mich an, ehe er spontan in meinen Zopf greift. "Was haben die nur alle, Hunter? Wir sind doch völlig harmlos." Sein Unterton trotzt vor Ironie und Überlegenheit. "Angst", antworte ich, meine eigene Furcht ignorierend. "Aber weshalb? Beißen wir etwa?" Jetzt lacht Donique richtig, während er die Konturen meines Gesichts umfährt. Ich mache einen Schritt zurück - und gehe davon.

Am Ende des zweiten Trainingstages können wir wenigstens einen Außenseiter zu unserem Bündnis zählen: Der stämmige, dunkelhäutige Junge aus 11 gehört fortan dazu. Er heißt Seth, ist ziemlich still, aber wenn er redet, bringt er uns zum Lachen. Seine Waffe ist der Speer. Seth ist weder kompliziert, noch zu primitiv und das gefällt mir. Es wäre zu schwer geworden, ihn auch noch im Auge zu haben. So jedoch kann ich beruhigt mit dem Aufzug nach oben fahren, in dem Wissen, dass nur noch drei Nächte und zwei Tage zwischen unserer Allianz und dem mörderischen Vergnügen stehen.

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Sooo.. Bald beginnt der große Spaß. Nur noch Einzeltraining und Interview, dann ist es so weit! ♥

Wie findet ihr es so weit? :)

Und thanks a lot für die 2.000+ Leser *0*

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